FSK-18 Nachtmahre
#7
Keine Müdigkeit zerrt heute an mir. Der Nachgeschmack des süßen Honigweines klebt auf meiner Zunge, als ich aus dem kleinen Fenster zum abnehmenden Mond blicke, der erst jetzt zu mir hinein scheint. Der Rücken ist gerade, die Beine zum Schneidersitz gerichtet, und ich betrachte die dunklen Flecken und Schnitte auf meinem nackten Oberleib, während ich vorsichtig eine übel riechende Salbe auf sie auftrage, damit die blauen Flecken vergehen und die Schnitte keine Narben bilden.
Früher hätte ich nie gedacht, dass ich solche einmal auf meinem Leib finden würde. Meine Jagd hatte sich auf Hasen, Vögel und kleineres Getier beschränkt, oder auf solches, das eher die Flucht ergreift als dass es angreift, wie Rehe oder anderes Rotwild. Nun aber richte ich den Pfeil auf Bären und Wölfe, ja, sogar auf andere Menschen. Es fühlt sich nicht gut an, letzteres zu tun, obwohl mir mein Verstand sagt, dass es so ist.
Die Salbe brennt leicht, ehe sich der Geruch verflüchtigt und sie wohltuend in die geschundene Haut einzieht. Ich atme tief ein, dann aus - der Schmerz in meinem Brustkorb ist verschwunden, und die Wunde an meinem Bein verheilt. Sie hat nur eine kleine Narbe hinterlassen - der Pfeilschuss in der Schulter würde später nicht mehr zu sehen sein, was mich beruhigt. Ich bin froh, dass Phoebe nicht hier ist. Es ist die erste Nacht seit meiner Gefangenschaft, in der ich wieder in dem kleinen Raum schlafe, den sie ihr Zuhause nennt, aber ich fand nur einen Brief vor, in der kleinen, engen, eiligen Schrift, die Handschrift meiner Mutter, in der sie verkündet hatte, dass auch sie nun eine andere Obhut aufgesucht hat. Ich kann ihre enttäuschte Stimme praktisch hören - die Hauswirtin hat mir den Brief anklagend vorgelesen. Phoebe musste sehr leidig gewesen sein, weiß sie doch, dass sie mir nie das Schreiben oder Lesen beigebracht hat. Ob sie es wohl in ihrem Leid vergessen hat, in dem Glauben, ich hätte sie allein gelassen? Immerhin bin ich nach dem Streit in die Fänge der Briganten geraten und habe ihr bis heute nicht gesagt, wo ich Nacht für Nacht schlafe, wenn man es denn Schlaf nennen kann, und wieso ich keine Zeit mehr finde, ihr Geld für die Kerzen zu hinterlassen.
Aber ich bin froh. Ich würde ihre Blicke nicht ertragen können, und ihre Freundin wird sich besser um sie kümmern können, als ich es je vermochte.
Endlich verflüchtigt sich der Geruch der Salbe, aber ich lege mich nicht hin. Der Blick liegt auf dem Beutel vor mir. Ich weiß, was darin liegt, doch der Gedanke, mich und meine Geheimnisse bald zwei Menschen zu offenbaren, hält mich noch davon ab, ihn zu öffnen und dem Verlangen nachzugeben, Albträume und Nachtgesichter zu riskieren, nur um Schlaf zu finden. Der Rausch... Morkander sagte, es gäbe Risiken. Risiken für Leib und Seele. Und auch Anabellas Blick geht mir durch Mark und Bein, als ich ihr sagte, dass ich dieses Zeug einnehme.
Ich schließe die Augen und wehre mich wieder gegen den Trieb, die Hand auszustrecken und mich niederzulegen. Die Hände heben sich, ich lege sie auf mein Gesicht. Das Gefühl meines warmen Atems beruhigt das Zittern der Finger. Dann tasten sie über die Haut. Ich erspüre die Kratzer auf meinen Wangen, dann die kleine Narbe am Kinn. Weiter, den Hals hinab, zur Wunde an meiner Schulter. Ich würde es ihnen sagen. Jedes Detail meiner Nachtmahre würde ich ihnen veranschaulichen. Der Entschluss festigt sich, obwohl ich die Angst in mir aufkeimen spüre, dass sie es nicht ernst nehmen. Das Lachen, die verständnislosen Blicke, eine abwinkende Geste... Es ist die Angst, von etwas zu reden, dass ich für Bedeutend und Wichtig halte. So wichtig, dass ich weinen könnte, wenn ich nur daran denke. Schmerzlich, erschreckend, absurd und wichtig. Die Angst, dass sie es nicht verstehen. Sich fragen, warum es mich so lange verfolgt...
Mein Atem beschleunigt sich und ich versuche, an etwas anderes zu denken. Doch die ablenkenden Gedanken, die mich heimsuchen, sind solcher Art, die mich genauso abschrecken wie das fantasierte Gelächter von Anabella und Morkander, und meine Hände stoppen, als ich die Wunde an der Schulter berühre. Nur langsam kann ich mich beruhigen, mich wieder fokussieren. Dort hat mich ein Pfeil getroffen... nur knapp darüber eine Klinge knapp verfehlt. Nichts bedrohliches. Nichts, das gefährlich wäre für mein Leben. Erneut ein Streifschuss, am rechten Oberarm. Am linken Unterarm ein Schnitt von einem Schwert. Oder war es ein Dolch gewesen? Er verheilt, nur eine dünne, helle Narbe würde zurück bleiben. An der Brust pochen die Prellungen, an der Seite die verfärbte Haut, Überbleibsel meiner Flucht. Die Gedanken wandern weiter, als ich mich an all dies erinnere, mich zwinge, damit fertig zu werden, dass ich verletzt wurde. Das es ein Krieg ist und kein einfacher Kampf mehr, und das ich mich dazu entschlossen habe, dort zu sein und nicht in der Sicherheit der Stadtmauern. Doch auch diese Gedanken trösten mich nicht, denn ich merke, als ich mich berühre, dass ich dünner geworden bin. Schlaflosigkeit, Stress und das Bemühen, am Tage normal zu wirken, zerren an meinen Kräften und an meinem Fleisch. Die Rippen zeichnen sich schon ab - ich zähle sie, als ich die Hände langsam herabgleiten lasse, bis zu meinem Bauch. Der Kopf neigt sich vor, das lange Haar rinnt über die Schultern, bis es meine geschlossenen Augen vor dem Mondlicht verbirgt.
Die Gedanken driften ab. Ich nähere mich den Beckenknochen, über die sich unverletzte Haut spannt. Als ich meine Position löse und mich nach hinten fallen lasse, auf die Decken, die mein Nachtlager bilden, schleicht sich beschämte Röte auf meine Wangen, denn die ablenkenden Gedanken, abstoßende Gedanken, kehren wieder, als sich meine Hände weiter nach unten begeben. Es ist falsch... Und doch greifen die Hände nach mir. Es ist falsch, aber all die Worte prasseln auf mich ein. Es ist falsch, und doch erklimmt die Wärme meinen Körper, während ich mich den Gedanken hingebe, die so oft meine Träume umnebelt haben, dass ich sie schon wachen Auges sehe.
Verschwitzt und erschöpft bleibe ich liegen mit dem Gefühl von Scham und Schmutz. Mein Verstand spielt verrückt - es ist falsch, es ist abstoßend, es ist falsch, es ist... -, doch mein Körper sehnt sich danach, und ich habe dem Drang nachgegeben, wo ich ihn seit Jahren bekämpfe. Eine Sucht, wie die Sucht nach dem Inhalt des Beutels, wie die Sucht nach einer Heimkehr. Ich merke nicht einmal, wie ich mich, noch immer selbst blind schlagend mit geschlossenen Augen, nach dem Beutel strecke, ihn an mich presse. Schuldgefühle fluten mein Hirn, als ich nach einer Kapsel greife. Der Mohn, der Mohn... ob es der Saft der Kapsel ist, oder doch die schwarzen Körner, die mich quälen und doch den Schlaf bringen, weiß ich nicht. Ich weiß nur, wie ich einschlafe, nackt und zu einer Kugel eingerollt, und mich doch nicht vor den Bildern schützen kann, die der Preis für den Schlaf sind, den ich so bitter benötige.
[Bild: style5,Ceras.png]

[02:58:55] <Lisbeth> Das sagst du nur bis ich Ceras Bolzen ins Bein scheiße
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Nachtmahre - von Ceras - 02.07.2013, 18:13
RE: Nachtmahre - von Ceras - 03.07.2013, 21:25
RE: Nachtmahre - von Ceras - 07.07.2013, 00:48
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RE: Nachtmahre - von Ceras - 27.11.2013, 13:23



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