Zwei Leben
#18
Wenn sie eines gelernt hatte während ihrer Zeit in der Infanterie, dann Klopfen. Mit geballter Faust und drei deutlichen stakkatoartigen Hieben konnte sie ausdrücken: Komm-sofort-raus-oder-ich-breche-durch-die-Tür-und-zerre-dich-eigenhändig-auf-die-Straße. Als sie vor der Bretterbude im Alten Hafen stand, welche laut Türschild Kyrons Werkstatt oder Heim oder gar beides war, lauschte sie nach ihrem militärischen Pochen einige Momente. Durchaus mit Genugtuung hörte sie, wie irgendwo eine Tür recht eilig verriegelt und ein Fensterladen zugeschlagen wurde. Doch aus dem Inneren der Hütte drangen keine Geräusche.

Seufzend lehnt sie sich gegen das wurmstichigen Holz und ließ sich langsam zu Boden gleiten. Der Grund war kalt und dreckig - sie musste ihren Wappenrock ohnehin ausbürsten - und sie musste acht geben, dass nicht wieder die Erkältung aufflammte. Während sie ihr Heim für den Winter vorbereitet hatte, hatte sie sich nicht geschont und als Dank verbrachte sie mehrere Tage zitternd und schwitzend zugleich unter einer Wolldecke. Sie hatte manchmal Schritte gehört, Cois vielleicht, war aber immer wieder rasch in den heilsamen Schlaf hinab gedämmert.

Während sie dort vor dem Haus hockte, die Beine angezogen, die Arme um ihre Knie geschlungen, merkte sie, wie sich ein dicker Knoten im Hals bemerkbar machte und die Tränen der Enttäuschung in ihren Augen brannten. Es war das selbe Gefühl, als sie bei Cort, dem Händler des Thals, Weizenmehl kaufen wollte und er ausgerechnet an dem Tag, an dem sie einen Kuchen für Lionels Rückkehr ins Minenhaus backen wollte, keines vorrätig hatte. Der arme Mann hatte sich einer vollkommen aufgelösten Frau gegenüber sehen müssen.

Das selbe Gefühl, als Arthar, vollkommen ohne Hintergedanken, so war der Korporal nun mal, in einer der Sitzungen der Baronie andeutete, dass eine gute Freundin von Andra, eine Meisterschmiedin, nach Zweitürmen ziehen wollte und welches Haus wäre wohl besser für einen Einzug geeignet als das alte Haus an der Klammine? Der ansässige Schmied schien immerhin fort zu sein. Das Haus hatte Kyron für seine Familie als Wohnsitz auserkoren und sie hatte in ihrer eigenen Art daraus ein Heim geschaffen. Zum Glück hatten der Baron als auch Inara eingelenkt, dass derzeit andere Liegenschaften frei wären, sonst hätte Cahira sich vollkommen vergessen.

Das selbe Gefühl, wenn sie besseren Wissens eines von Kyrons Hemden aus der Truhe zog und ihre Nase in den Stoff drückte ...

Doch diese Gefühlswallungen waren relativ selten; sie wurde regelmäßiger von Übelkeit oder Schwindelgefühl überfallen. Dort vor der Hütte hockend gesellte sich nun noch die Entmutigung über ihre bisher erfolglosen Versuche, ihren Ehemann angesichtig zu werden.

Kyron schien überall und nirgends zu sein. Sie hatte sich auf der Suche nach ihm einen beherzten Griff in ihr Hinterteil von irgendeinem schmierbäuchigen Kerl gefallen lassen müssen, später hatte sie bemerkt, dass ihre Geldkatze verschwunden war. Glück im Unglück trug sie ohnehin nie viele Münzen bei sich, aber ein Verlust war es allemal. Einige der Auskünfte konnte sie nicht für voll nehmen, andere hingegen waren brauchbar, wie der Hinweis zu der Unterkunft im Alten Hafen. Statt weiter durch den schlammigen Morast im Armenviertel zu tappen und sich den gierig abschätzenden Blicken der Tunichtgute auszusetzen, steuerte sie nun Tag für Tag, so wie es ihre Verpflichtungen in Zweitürmen zuließen, die Bruchbude an. Irgendwann musste er doch dort auftauchen.

Seit sie ihn das letzte Mal - und dies war zugleich das erste Mal nach seiner Entlassung aus dem Tempelkerker gewesen - gesehen hatte, schien ihr schon wieder so lange Zeit vergangen. Als er da plötzlich an der Tür der Schneiderei gelehnt hatte, hatte ihr Herz einen Sprung gemacht und sie hatte sich atemlos und fahrig wie ein Backfisch verhalten. Er hatte zugelassen, dass ihre Hand seinen Unterarm berührte, obwohl sie den anfänglichen Impuls, ihr den Arm zu entziehen, durchaus gespürt hatte. Sie hatten immerhin geredet. Was auch immer Kyrthon im angetan haben musste, dass die Ablehnung ihrer Person zur Folge gehabt hatte, schien etwas gemildert. Doch was war ein Gespräch in einer Gaststube unter Fremden zu einem gemeinsamen Leben?

Cahira blieb alleine zurück. Sie hatte sich gefühlt, als sei mit ihrem Ehemann jegliche Kraft durch die Tavernentür gegangen. Wie bei den ausgehöhlten, verzerrt grinsenden Kürbissen, die nach galatischer Sitte in Zweitürmen an jedem Haus aufgestellt worden waren, um die Geister mit ihrem flackernden Licht zu zu verteiben, war lediglich ihre Fassade noch nicht zusammengebrochen. Kyrons Anklage, dass dies ja alles ihre Schuld gewesen wäre, sie ihn verkauft hätte, beschäftige die junge Frau noch eine geraume äußerst quälende Weile.

Ihr Zaudern in Guldenach konnte sie nicht mehr rückgängig machen, doch dachte sie, diese Sache wäre nach dem gemeinsam Erlebten bedeutungslos; Kyrthon hätte sie damals vor der Wachstube nieder ringen können - oder wenn nicht sie, dann Cois - aber Kyron hatte sie zurück gehalten. Auch wenn sie glauben musste, diese Beschuldigungen hingen direkt mit seinem erzwungenen Sinneswandel zusammen und waren im Grunde seiner Seele nicht wirklich ernst gemeint, trafen sie die junge Frau hart.

Ausgerechnet in diesem Zustand wurde sie auf ihrem Rückweg von Baron Morgenstern abgefangen, der Fragen zu ihrem Ehemann hatte. Diese ganze Sache mit der Kirche zog weitere Kreise als gedacht, wenn selbst Magda in Ravinsthal davon gehört hatte und sich nun auch noch Südwald genötigt sah, sich damit zu befassen. Doch sie überstand das Gespräch ganz gut, wie sie im Nachhinein fand. Vielleicht gerade wegen dem Nachhall des vorherigen Wortwechsels verteidigte sie Kyron vehement und wies jegliche Sorge um ihre Person ab.

Merkwürdigerweise, durch einen Irrtum, befand sie sich wenige Tage später abermals in der Gesellschaft des Barons vom Südwald, welcher sie auch für weitere Besuche auf dem Großbauernhof, der sie so süß und schmerzlich zugleich an das Anwesen ihrer Sippe auf Svesur erinnerte, willkommen hieß.

Cahira wusste nicht so recht, ob es klug war, dieser Einladung zu folgen, doch Morgenstern schien mit Einsamkeit und Verlust ebenso seine Erfahrungen gemacht zu haben; ein Vertrauter im Geiste. Die ungute Erinnerung an Aidan drängte sich auf, doch sie schob den Gedanken, dass der Baron ein Hexer sein oder irgendwelche unlauteren Absichten hegen könnte, beiseite.

Aufstöhnend drückte sich die junge Frau wieder in den Stand. Nicht nur die Bodenkälte hatte sich allmählich in ihre Glieder geschlichen, es war insgesamt kühler, unfreundlicher geworden. Vielleicht würde es jetzt tatsächlich Zeit werden, zu den frostigen Morgen- und Abendstunden den neuen Wollumhang über ihrer Uniform zu tragen. Bevor sie ihre Schritte Richtung Stall lenkte, wo Kalvas darauf wartete, nach Zweitürmen zurück zu kehren, drückte sie ihre Handfläche gegen die Holzmaserung der Tür und murmelte zum Abschied: “ … dann komme ich wohl morgen wieder, mein Herz ...!”
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
Herzlichen Dank an Morrigan!
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