Zwei Leben
#11
Es war spät, als sie endlich den Weg Richtung Klammtal einschlug. Aber die Tage als Soldat waren immer lang, arbeitsreich und selten kam sie vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause, wenn sie abends noch etwas für das Regiment zu erledigen oder Wachdienst zu schieben hatte. Sie kannte den ausgetretenen Pfad mittlerweile, so dass es ihr auch nichts ausmachte, das sich der Mond, ohnehin im Abnehmen begriffen, sich hinter dem gewaltigen Bergmassiv versteckt hielt.

Als sie eintrat, erkannte sie gleich, dass ihr Ehemann nicht untätig gewesen und einige seiner Sachen in der Wohnküche untergebracht hatte: Eine neue Kommode an der Wand, ein Stuhl sowie eine Bank und zwei Fässer komplettierten die noch immer recht magere Ausstattung. Mit Cois’ Ecke, in die er Fell und Stroh geschmissen hatte, denn er brauchte nach eigenen Angaben nicht viel, sah der Raum eher wie eine misslungene Mischung aus Stall, Schankraum und Werkstatt aus, nicht jedoch nach einer gemütlichen Behausung. Doch aus Erfahrung wusste Cahira, dass das Einrichten eines Heimes eine langwierige Prozedur war; nicht immer hatte man die Möglichkeiten, gleich die Sachen zu kaufen, die man sich vorstellte, sei’ es, weil kein Handwerker greifbar war oder die Münzen einfach knapp waren, so dass sie über dieses Chaos hinwegsehen konnte.

Auf Zehenspitzen schlich sie die Treppe empor. Hätte Kyron es nicht geschafft, den Knirps ins Bett zu bekommen, hätte sie das keinen Wimpernschlag nach ihrem Eintreffen erfahren, doch es war ruhig um Haus, so dass sie annehmen konnte, das Vater und Sohn oben einträchtig schliefen. Tatsächlich lagen ihre beiden Männer, wie Cahira sie gedanklich liebevoll zu nennen pflegte, eingeschlafen in ihren Betten. Die junge Frau zupft vorsichtig an der leichten Leinendecke, um diese über die Schulter des Jungen zu ziehen, der sich vermutlich im wilden Traum aufgedeckt hatte und strich Kyron eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie wollte, konnte noch nicht schlafen gehen und so angelte sie sich ein frisches Hemd aus der Kleidertruhe und begab sich wieder nach unten, um sich ihrer Uniform und Lederkluft zu entledigen und sich den Dreck des Tages vom Leib zu waschen.

Die Harpie, die sie vor der Wachstube aufgestöbert hatte, hatte doch tiefere Kratzer hinterlassen, als zuerst angenommen. Dazu kamen die Blessuren des Wachgangs mit Kordian und Arthar. Sie schmierte Helvas Salbe ziemlich dick auf jede schmerzende, zerschunde Stelle, ließ diese kurz antrocknen, ehe sie in das Hemd schlüpfte. Während sie den irdenen Tiegel, der die Kräuterpaste enthielt, in ihrer Hand betrachtete, kam ihr unwilligerweise das Gespräch mit Kyrthon in den Sinn. Dabei hatte sie es doch während der letzten Stunden erfolgreich geschafft, diesen Mann aus ihren Gedanken zu verbannen, doch nun war er wieder da, störte ihre Nachtruhe.

Nach dem kleinen Ritual am Steinbergwerk hatte er sich eine Weile nicht gezeigt und Cahira hatte gehofft, dass er wie eine Assel unter den Stein zurück gekrochen war, unter dem er hervor gekraucht ist. Doch wie es Alpträume nun mal an sich hatten, sie kehrten immer wieder. Irgendwie hatte die junge Frau auch das Gefühl, dass Dureth genau wusste, wo sie sich aufhielt. Er verdarb ihr den so schön geplanten Abend auf dem Löwensteiner Markt - sie wollte sich in der Menge von Bude zu Bude treiben lassen, vielleicht irgendeinen sinnlosen Tand für Kyron erstehen und mit Naschwerk nicht nur das Herz ihres Sohnes, sondern auch ihr eigenes erfreuen - und trat ihr nicht wenig später aus der Wachstube entgegen, als sei’ er wie Helva festes Inventar des Regiments.

Als sie ihn beschuldigte, doch nur ein Lügner zu sein, denn schließlich konnte er Kyrons Seele nicht wieder vervollständigen, deutet er an, ihm zu folgen, damit sie etwas abseits dieses Gespräch - sie verzweifelt und erregt, er souverän und besonnen - in Ruhe weiterführen konnten. “Ich habe nie gesagt, dass ich seine Seele heilen könne. Ich kann eine Barriere errichten, dass nicht noch weitere Teile nach Yaq'Charyb gezogen werden und ich kann ihn lehren, damit umzugehen.” Kyrthon stand dabei so nahe am Steilhang, von dem man über das gesamte Eisenthal schauen konnte, dass es tatsächlich ein leichtes gewesen wäre, ihm einen kleinen Schubs zu geben … und der Mann wäre Vergangenheit gewesen. Aber sie hatten eine Abmachung und er schien der einzige zu sein, der ihrem Ehemann helfen konnte.

“Ich kann es nicht leiden, wie Ihr ihn zu Eurem Kettenhund macht.” Am Abend des Marktes hatte sie mitansehen müssen, wie Kyron eine wehrlose Frau nur auf Kyrthons Geheiß hin einen ziemlichen häßlichen Schlag in die Magengegend verpasst hatte und hätte Dureth ihn nicht zurück gehalten, wer wusste, wie das geendet hätte. Natürlich hatte er auch darauf eine Erwiderung: “Aber ich bin nicht der, der die Kette hält. Das schafft Kyron ganz alleine. Er tut es aus seinem Verständnis der Pflichterfüllung heraus. Ist Kyron der Hund, ergeben und folgsam, so bist Du wie eine Katze, eigenwillig, leidenschaftlich und stark.” Stark, das war sie also in seinen Augen. So wie bei Kyron das Monster zum Vorschein trat, offenbarte sich bei ihr unter dem Dreck ein Diamant, dessen Kräfte noch nicht voll ausgeschöpft waren, behauptete er jedenfalls.

Bei jedem anderen hätten sie die Worte stolz gemacht - nicht der Teil mit Kyron - aber bei Kyrthon schien immer alles einen Hintersinn zu haben und sie versuchte zu ergründen, was er mit diesen Schmeicheleien zu bezwecken versuchte. Sie kam zu keinem rechten Ergebnis, so dass sie nur matt erwiderte: “Wie seid Ihr nur so geworden? Ich weiß, das Dorkolan und Kyron Euch einst gefoltert hatten ... “ Ihres Wissen nach, und das war nicht viel, war Dureth durchaus ein guter Mann gewesen, vielleicht durch die Folter gebrochen, und irgendwo in ihm dort drinnen musste sich doch noch soetwas wie ein menschliches Herz befinden. Da trat er näher und flüsterte ihr in unangenehmer Intimität entgegen: “Ich war nicht ihr Opfer!”

Und ein Herz, vielleicht hatte er noch nicht einmal mehr das, denn Kordian hatte ihm das seine durchbohrt. Wie er das überleben konnte, wollte er ihr nicht verraten. Cahira hatte sich immer gefragt, warum er damals so plötzlich verschwunden war nach all’ seinen Bemühungen, hatte aber nie gewagt, zu fragen. Mit Kordian und der Infanterie hatte ein neues Leben begonnen. Dennoch war es Cahiras Wesen, immer an das Gute im Menschen zu glauben, auch wenn dieser so verderbt wie Kyrthon war. “Du solltest aufhören, nur das zu sehen, was Du willst. Hinterfrage und erkenne Kyrons wahres Wesen.”

Sie war schließlich davon gestapft, weil sie ihm nicht mehr zuhören wollte und ihr langsam aber sicher die Argumente ausgegangen waren. Zum Glück beließen es Kordian und Arthar auf ein paar scharfe Blicke - sie hatte die Tür der Wachstube hinter sich zugeknallt und sich schnaufend dagegen gelehnt, als wäre sie froh, irgendein Tier draußen ausgesperrt zu haben - und dann waren sie dankenswerterweise zum Wachgang aufgebrochen und hatten mit den Räubern in der Höhle alle Hände voll zu tun, so das Cahira keine weiteren Nachfragen ob ihres Verhaltens zu befürchten hatte. Jedenfalls nicht an diesem Abend.

Leider kam sie auch an diesem Abend zu keinem Ergebnis, wie sie mit der Situation am besten fertig werden würde. Da die Salbe ihr auch keine Antworten geben wollte, verschloß sie den Tiegel und stellte ihn auf die neue Kommode. Gewiss, sie hatte ihre kleine alberne Liste, von der sie jeden Tag einen Strich tilgte, um den Ablauf der Jahresfrist zu zählen. Doch die beiden Abende, die sie mit Kyrthon verbracht hatte, hatten ihr gezeigt, dass ein Jahr eine ganz schön lange Zeit war, in der so mancherlei passieren konnte.

Während sie nun wieder die Treppe hinauf stieg, um sich doch noch ein kleines Stückchen Schlaf zu ergattern, musste sie sich eingestehen, dass sie im Grunde genommen nichts hatte, was sie dem Mann entgegensetzen konnte: Sie war weder gewitzt, noch gerissen, noch wortreich talentiert und magisch begabt war sie erst recht nicht. Alles, was sie hatte, war die Liebe zu ihrer Familie, der Glaube an das starke Band zwischen Kyron und ihr und die Hoffnung, dass sie auch diese Misere irgendwie überstehen würden, so wie sie bisher alles überstanden hatten. War ihr das Herz schwer gewesen, als sie die ersten Stufen erklommen hatte, wurde sie wieder froher, als sie oben angelangt war und die beiden Körper dort unter ihren Decken liegen sah.

So lange ich atme, hoffe ich.
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
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#12
Cois war gegangen und ließ Cahira ruhe- und schlaflos zurück. Sie wanderte im Zimmer umher, öffnete hier und da eine Lade, nahm wahllos Dinge heraus, um sie wieder abzulegen, setzte sich auf den Stuhl am Tisch, drückte am Kerzenwachs herum, nur um kurze Zeit später wieder ihren Gang durch das Haus aufzunehmen. Bei jedem Knarzen des alten Gemäuers, jedem Windstoß gegen die Fenster, jedem Schrei eines Käuzchens horchte sie auf, blickte zur Tür. Doch es waren nur die Geräusche der Nacht; nicht das so erhoffte nahende Scharren einer Rüstung, die schweren Schritte, die die wenigen Stufen zu Eingangstür nahmen, und schließlich die vertraute Gestalt mit schwarzem Schopf und blauen Augen, die in die Stube getreten kam ...

Sie hielt es drinnen nicht mehr aus. Goss sich irgend einen klaren Schnaps in einen Becher und setzte sich auf genau die Stufen vor das Haus. Die Tür ließ sie angelehnt, um die würzige Nachtluft hinein zu lassen und um lauschen zu können, ob sich Lionel regte. Sie hoffte, das die frische Luft ihren unruhigen Geist abkühlen und der Brand sie endlich so müde machen würde, dass sie einschlafen würden können.

Es war viel passiert in der letzten Zeit. Cahira konnte über Langeweile kaum klagen. Doch alle Ereignisse schienen auf diesen einen Höhepunkt am vergangenen Abend, dem Branwenfest, dem Fest des wallenden Blutes, hinauszulaufen. Sie versuchte das Bild, welches sich hinter ihre Stirn gebrannt hat, zu verbannen, und nahm zwei hastige Schluck aus dem Becher, um die Galle, welche bitter aufstieg, zu zähmen.

Das Regiment hatte zwei wichtige Missionen erfolgreich absolviert - die Erkundung der Höhlen in Candaria, die als Hauptumschlagplatz der Briganten dienten, und die Ausspähung feindlicher Lager im Gebirge zwischen Ravinsthal und Servano.

Bei der ersten Unternehmung wurde Cahira vom Rest der Gruppe getrennt. Sie hatte sich alleine zwischen all’ den Feinden wiedergefunden und musste jedes Wort dreimal überdenken, ehe sie es aussprach. Eine falsch Bemerkung und sie wäre wohl enttarnt gewesen, ganz gleich ob sie die grüne Kluft der Feinde trug oder nicht. Stechende Blicke in ihrem Nacken deuteten an, dass ihr Umherwandeln im Lager nicht unbemerkt geblieben war - im Nachhinein musste sie zugeben, wie dämlich und auffällig sie sich dabei verhalten haben musste - und sie konnte durch eine Ausfalltür in der Mauer fliehen. Im Lager im Südwald schloß sie wieder mit Kordian und Arthar auf. Sie war noch nie so glücklich gewesen, die Gesichter ihrer Vorgesetzten zu sehen - ausgenommen vielleicht, als sie Kordian nach langer Zeit in Löwenstein wieder getroffen hatte.

Die Kletterpartie in den Bergen verlief auch wesentlich problematischer als gedacht. Arthar wurde von einem Heckenschützen erwischt und Cahira selber, die auf einen Felsen geklettert war um ein feindliches Lager von diesem erhöhten Punkt aus zu sichten, nahm den Weg abwärts ungebremst auf Kyron, mit dem sie dann noch in einem menschlichen Knäuel ein Stück den Pfad herunter purzelte. Am nächsten Tag merkte sie diesen Sturz in allen Knochen. Auf dem Rückweg wurde dann auch Kyron verletzt. Kordian machte anzügliche Witze über seine verbliebende Zeugungsfähigkeit - solange die Männer noch scherzen konnten, war wohl alles in Ordnung.

Über all’ dem schwebte das unwohle Wissen über die anberaumte Heerschau. Zweitürmen hatte sich noch nicht geregt und was der Baron ausheckte, bekam sie nur durch zweite oder dritte Hand mit. Bei Mendozas jedoch war die lästige Frage, wer in diesen vermaledeiten Krieg ziehen sollte bereits geklärt. Der Mann sollte zuhause bei Heim und Herd bleiben und den Nachwuchs hüten. Kyron schien über Cahiras Entscheidung überrascht, akzeptierte diese aber ohne große Widerworte. Vielleicht war dies sein stilles Einverständnis, dass er Cahira nicht mehr als wehrloses Bauernmädchen sondern als gleichwertigen Soldaten sah.

Und Cahira brachte es einerseits nicht über das Herz, Vater und Sohn, die sich angenährt hatten, wieder zu trennen. Kyron hatte bereits vieles in der Entwicklung seines Sohnes verpaßt - das erste Wort, der erste Schritt, das erste Lächeln - und sie wusste, dass Lionel, falls ihr etwas passieren sollte, ihren Ehemann am Leben halten und ansonsten sein Pflichtgefühl und Vaterliebe dem Knirps gegenüber ihn keine Dummheit machen lassen würde. Andererseits war der Gedanke, Kyron wohlmöglich zum dritten Mal zu verlieren, unerträglich.

Schließlich war der Tag des Festes des wallenden Blutes gekommen. Sie konnte sich sehr gut an das ausgelassene Treiben auf der Insel erinnern; Galatier verstanden es zu feiern. Nach dieser Wildheit auf Svesur war die Feier am Goldenen Raben beinahe harmlos - nicht, dass es Cahira gestört hätte - und am Ende blieben die üblichen Verdächtigen noch am Feuer sitzen, während die übrigen Gästen langsam aber sicher den Heimweg angetreten hatten: Kordian, Anouk, Cois, Kyron, der Lionel im wahrsten Sinne des Wortes mitgeschleppt hatte, und sie selber. Es wurde über die Zukunft geredet, getrunken, gelacht ... und dann tauchte die Elster auf!

Isabelle McElister. Noch ein Name, eine Person aus der Vergangenheit, die eigentlich hätte verschollen bleiben sollen. Kyrons Nennschwester, Kultistin, ihre Kerkermeisterin, welche sie nicht nur körperlich sondern auch seelisch gefoltert hatte, Feindin.

Cahira merkte, wie ihr Mark und Bein gefror und Kyron, der neben ihr seinen Met ins Gras gespuckt hatte, drückte ihr Lionel auf den Schoß und erhob sich, um Isabelle eilig wegzuführen. Er und Isabelle hatten schon immer eine mehr als eigenartig zu nennende Beziehung gehabt. Abhängigkeit, vielleicht das Wissen um eine gemeinsame wenn auch unrühmliche Vergangenheit, die zusammenschweißte, vielleicht sogar so etwas wie Liebe ... Auch Kordian kam langsam in die Gänge. Er war angeschlagen und betrunken, sonst hätte er die Frau wahrscheinlich angegriffen, doch als das Objekt seines aufwallenden Zorns dank Kyron außer Reichweite war, verzogen er und Anouk sich. Cahira hatte alle Mühe Lionel zu beruhigen, der so unsanft aus dem Schlaf gerissen worden war, und ihre eigene Nervosität trug nicht gerade dazu bei.

Cois, wie immer die Ruhe selber, schlug letztendlich vor, nach den beiden zu suchen und nicht weit vom Festplatz fanden sie die beiden auch. Was sollte eine liebende Ehefrau fühlen, wenn sie ihren Mann mit einer anderen Frau engumschlungen wie ein Liebespäarchen entdeckte? Enttäuschung, Trauer, Zorn? Ja, all’ diese Gefühle loderten heiß in ihren Gedärmen. Doch über diesen Gefühlswallungen wisperte eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf Vertrauen. So blöde es sich anhören mochte, sie vertraute Kyron, dass er nicht alles, was sie sich so mühsam erkämpft hatten, einfach wegwerfen würde. Der Elster traute sie jedoch kaum so weit wie sie spucken konnten.

So ging sie also mit dem Sohn nach Hause, nachdem sie Isabelle kurz am Schlafittchen gepackt und warnende Worte zugeraunt hatte - sollte diese nur sehen, dass sie sich nun durchaus zu wehren wusste - legte Lionel schlafen und wartete. Vertrauen hieß nicht, dass sie sich keine Sorgen oder Gedanken darüber machte, was die Zukunft bringen würde. Das hieß nicht, dass diese Bild, er und sie da auf der Lichtung, sie nicht quälte.

Cahira saß noch eine geraume Weile vor dem Haus, trank ab und an vom scharfen Gebräu, und erst als der Becher geleert und ihr Geist benebelt war, ging sie ins Haus, legte sich zu ihrem Sohn und schlief gnadenswerterweise recht rasch ein.
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#13
Es hatte etwas ungeheuer befreiendes an sich, nur in Lederhosen, einfachem Hemd und Stiefeln, das lockige Haar lose zurück gebunden, den Gemeideacker der Baronie zu bewirtschaften. Wohl hatte sich schon länger keiner mehr um dieses Stückchen Land gekümmert; der Boden war hart und trocken und Unkraut drohte das brachliegende Feld wieder für sich einzunehmen. Cahira musste mehrmals graben und wässern, bis das Erdreich bereit war, die Nässe auch für die später eingepflanzten Samen zu halten. Einige Bäume spendeten bei der Feldarbeit leidlich Schatten, doch seit der Sommer Einzug gehalten hatte, hatte es keinen Abend gegeben, an dem Cahira nicht in der kühlen Bergquelle, welche Cyril ihr gezeigt hatte, gebadet hatte, um sich Dreck und Schweiß des vergangenen Tages abzuwaschen.

Es war schon merkwürdig, dass ausgerechnet sie mit stiller Freude Weizen, Flachs und Zwiebeln zog, Unkraut rupfte und Schädlinge vernichtete, während sie sich in der Vergangenheit doch eher auf andere Talente konzentriert und sich nichts sehnlicher gewünscht hatte, als ein Leben in ihrem geliebten Guldenach führen zu können. Doch ihre Kinder- und Jugendjahre auf einem Bauernhof in Silendir konnte sie ebensowenig leugnen wie die letzten drei Jahren auf Svesur. Zwar hatte man ihr auf der Insel keine wirklich wichtigen Arbeiten anvertraut, doch musste auch sie im Haushalt und in den Ställen mithelfen. Und es war gut, unabhängig zu sein, auf eigenen Beinen zu stehen und die Familie und Truppe, sollte es dazu kommen, selbsttätig versorgen zu können.

Lionel unterstütze sie bei der Feldarbeit. Bewässerte die Keimlinge etwas zu überschwänglich, rannte mit den leeren Eimern zum Brunnen, um Reinar, der einen kleinen Stand mit Gebrauchsgegenständen betrieb, mit großen Augen anzuflehen, ihm mit dem Wasserziehen zu helfen - der Mann ließ sich jedes Mal erweichen - schleppte die Eimer wieder zurück, wobei jeweils allenfalls nur die Hälfte des Wassers in den Eimern verblieb, so schwer schwankte der Knirps unter seiner Last hin und her, die Zunge seitlich aus dem Mundwinkel lugend, um den Inhalt dann wieder jauchzend auf die Pflänzchen zu kippen … Cahira musste ihn einige Male stoppen, weil er sonst einfach den gesamten Acker unter Wasser gesetzt hätte und weil der Kleine vom Hin- und Herwuseln in der Sonne so erhitzt gewesen war, das seine Wangen glühten und sein Haar schweißnass an der Stirn klebte.

Die junge Frau beobachtete ihren Sohn auf dem Feld vollkommen entzückt. Wie er konzentriert seiner Arbeit nachging oder Reinar über Unkraut und Käfer ausfragte, war Lionel tatsächlich nur ein kleiner Junge, der gerade eine neue Beschäftigung gefunden hatte, die zu seiner Freude mit Dreck, Wasser, Matsch und Krabbeltieren zusammenhing, die vermutlich jedoch in ein paar Wochenläufen wieder uninteressant sein würde, wie es in diesem Alter nun mal war. Aidans Weissagung war nur eine dunkle Erinnerung an einen verlogenen Hexer; es hätten sich doch bereits Anzeichen von Magie zeigen müssen, oder nicht?

Kyrthon hatte sich angeboten, den Sohnemann zu überprüfen - wussten die Götter, wie er das anstellen wollte - aber damit gleichsam die Bedingung geknüpft, ihn in die Lehre zu nehmen, sollte Lionel magisches Talent in sich tragen. Obwohl Cahira den ehemaligen Feind nun als hilfreichen Freund kennen- und schätzen gelernt hatte, sträubten sie sich bei dem Gedanken, in Kyrthon Lionels Lehrmeister zu sehen - und Kyron erging es da ähnlich. Irgendetwas lag in seiner Stimme, in seinen Worten .. sie waren zu gierig, zu bemüht, den Kleinen habhaft zu werden und ließen ihren und Aidans Kampf in der Hütte, bei dem diese in Flammen aufgegangen und der Mann nur vermuteterweise umgekommen war, wie sich später bei Kyrons Aufenthalt auf der Insel gezeigt hatte, allzusehr vor ihren Augen wieder lebendig werden.

Aber irgendwann würden sie sich wohl Gewissheit verschafften müssen, sollte bis dahin nicht der von Kyrthon prophezeit Dämon aus Lionels Alpträumem leibhaftig in ihrem Zimmer stehen oder irgendeine andere, hoffentlich weniger dramatische merkwürdige Begebenheit deutlich zeigen, das ihr Sohn, entgegen jeder Erwartung, magisch begabt war. Cahira waren ein, zwei Personen eingefallen, aber ohne ein Gespräch mit Kyron wollte sie in dieser Richtung nichts unternehmen. Bis dahin würde sie Lionel weiter auf das Feld nehmen, ihn im Morast patschen lassen und sich erfreuen, dass er nur ein einfacher kleiner Junge war ...
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#14
Nachdem Kyrthon davon geritten war, sass sie noch eine geraume Weile beinahe regungslos, außer dass ihre Finger ruhelos mit den Zügeln spielten, auf dem Rücken ihres Pferdes und starrte der grauen Mähne entgegen. Ihr gingen so viele Gedanken in Form von Befürchtungen, Fragen und bangen Zukunftsvisionen durch den Kopf, dass sie eigentlich keinen richtig fassen konnte und sich matt und erschöpft fühlte. Erst als Kalvas unwillig mit den Hufen scharrte, blinzelte die junge Frau und kehrte in die Gegenwart zurück.

Es dämmerte bereits und sie erinnerte sich, weswegen sie den Weg Richtung Stadt eigentlich eingeschlagen hatte. Sie hatte Konrat an der Grenzfeste geholfen und dafür hatte er sie zu seinem guten Bekannten Dellan geschickt, damit dieser sich um ein besseres Ausrüstungsteil kümmern sollte. Sie war heute mit dem Mann verabredet gewesen, doch wahrscheinlich würde er schon längst nach Hause gegangen sein.

Eigentlich sollte sie dies jetzt auch tun. Nach Hause reiten. Ihren Sohn drücken und mit ihrem Mann ein ernstes Gespräch führen. Über die Zukunft. Ob Dureth überhaupt zu trauen oder dies wieder nur eines seiner Spielchen war. Warum verflucht noch eines hatte Kyron nichts von seiner und Lionels Begegnung mit Kyrthon gesagt? “Fragt Euch, warum er Euch nichts davon erzählt hat!” Die junge Frau war sozusagen ins offene Messer gelaufen und hatte ihrem Gesprächspartner - wiedereinmal - die Genugtuung gegeben, sie vollkommen fassungslos zu sehen.

Sie hatte nichts darauf zu erwidern gewusst. Genau dies nutze Kyrthon, um einen Keil zwischen sie zu treiben, um Zweifel und Zwietracht zu sähen und wenn sie daran dachte, wurde sie ägerlich. Wenn sie ägerlich wurde, sagte sie Dinge, die sie später bereuen würde. Sie wollte nicht, dass er diese Macht besass, zwischen ihrem Ehemann und ihr Streit zu provozieren.

Also lenkte sie ihr Pferd zunächst zur Schmiedezunft, wo sie tatsächlich noch auf den guten Dellan traf. Er brummte zwar etwas ungehalten, doch war noch bereit, den Brustpanzer, welchen Cahira sich ausgesucht hatte, anzupassen. Sie legte ihre Gurte und Wappenrock ab und während der Schmied sich an den Ringen und Riemen des Panzers zu schaffen machte, schweiften die Gedanken der jungen Frau wieder einmal ab.

Nach Kyrthons Aussage hatte Lionel also die Macht. Der Knirps hatte Schatten gesehen, wo ein normaler Mensch eigentlich nichts hätte sehen dürfen. Aber wie konnte das sein? Dies war eine Frage, die auch er sich nicht erklären konnte und er hatte ihr sozusagen den Auftrag gegeben, in Kyrons und ihrer Vergangenheit zu forschen. Irgendein Vorfahr musste ebenfalls magisch begabt gewesen sein, andernfalls gab es wohl nur eine andere Erklärung, mit der er aber nicht rausrücken wollte. Tatsächlich schien es Cahira, als wäre diese Möglichkeit selbst für Kyrthon zu unfassbar, zu abwägig und erstaunlicherweise zu besorgniserregend. Also war da durchaus noch ein Stück Menschlichkeit in ihm, welches ihn schaudern ließ. Irgendwie beruhigend.

Cahiras Eltern waren einfache Bauern gewesen. Ihr Vater wusste Geschichten von seiner Sippe zu erzählen, die Generationen zurück reichten und keine davon hatte irgendetwas mit Magie zu tun gehabt. Ihre Mutter dagegen ... Erst als sie so nachdachte, fiel ihr auf, dass Ida sich nie durch Erzählungen ihrer Familie hervor getan hatte. Sie war ein Einzelkind gewesen, ihre Mutter bereits eine vergleichsweise alte Frau als sie die Tochter empfangen hatte, ein Vater wurde nie erwähnt. Aber das sollte doch noch lange nichts heißen! Cahira schnaubte unwillig auf, was Dellan fragend von seiner Arbeit aufblicken ließ. Nur weil ihre Mutter nichts von ihrer Familie erzählt hatte, war sie doch noch lange keine Hexe oder ähnliches gewesen! Es hatte nie Gerüchte gegeben, nie den Verdacht des bösen Blickes oder ähnliches.

Von Kyrons Eltern wusste sie ebenfalls nicht viel. Sie wusste nur, dass seine Kindheits- und Jugendjahre nicht erfreulich gewesen waren, von Huren und Sklaventreibern hatte er einmal erzählt, aber auch dies war nun schon so lange her, dass sie sich nicht richtig erinnern konnte. Seine Familiengeschichte war jedenfalls keine voller lustiger Wendungen, die man sich Abends in geselliger Runde am Kaminfeuer erzählte und sie hatte auch nicht in ihn dringen wollen.

Jedoch murrte in ihrem Hinterkopf seit dem Tag, als sie die Räuber aus dem Wolfsried getrieben hatten und sie selber von Mücken nur so zerstochen worden war, eine Bemerkung, die sie nicht loswerden wollte: “Das ist der Grund, warum ich Dich meiner Mutter nie vorstellen werden kann ...” Hohenmarschen, Heimatland ihres Ehemanns, war ein einziger Sumpf, in dem es vor Stechmücken und anderem Getier nur so wimmelte, aber aus welchem Grund auch immer, sie hatte stets angenommen, dass seine Eltern bereits gestorben waren. Jetzt war also der richtige Zeitpunkt gekommen, um dieser Sache auf den Grund zu gehen. Auch wenn sie es ungern tat, weil sie sich fühlte, als befolge sie Kyrthons Befehle. Aber sie tat es letztendlich für ihren Sohn; nur dies sollte zählen.

Nach einer geraumen Weile waren Dellan und auch Cahira zufrieden mit dem Sitz der Rüstung und sie raffte ihre abgelegten Sachen zusammen. Dabei fiel ihr der Krähenfuss, welchen Kyrthon ihr für Lionel gegeben hatte, um seine Kräfte, die unkontrolliert ausbrechen konnten, in Zaum zu halten, aus der Tasche. Als ersten Impuls wollte sie das Teil in den Rinnstein treten. Sie hatte schon vieles gesehen, aber aus irgendeinem Grund erregten die getrockneten Krallen bei ihr Übelkeit. Doch was war, wenn der Mann tatsächlich Recht hatte? In all’ ihren Überlegungen blieb immer ein Rest von Zweifel. Auch wenn sie sich einzureden versuchte, dass er nur log, wisperte eine leise Stimme in ihrem Ohr … und wenn nicht? Seufzend hob sie den Krähenfuss mit spitzen Fingern wieder auf, stopfte ihn zurück in ihre Tasche. “Himmel noch eines!”, stöhnte sie kopfschüttelnd und ritt genauso ratlos, aber milder gestimmt als noch vor ein paar Stunden endlich nach Hause.
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#15
Es war ein träger später Nachmittag. Die Sonne war bereits dabei, golden und warm hinter den Bergen zu versinken; die Blätter der Bäume zeigten bereits flüchtige Anzeichen des herannahenden Herbstes. Im Kessel in der Wohnküche köchelte blubbernde eine Suppe, frisch gebackenes Brot als Beilage lag auf dem Tresen. Tür und Fensterläden des alten Minenhauses waren weit aufgesperrt, um durch den Windzug für Abkühlung zu sorgen und den Essensgeruch zu vertreiben. Die zarten Vorhänge vor den Fenstern blähten sich im Wind.

Vor dem Haus auf den Stufen sass Cahira und beobachtete erheitert ihren Sohn. Lionel hatte es sich in den Kopf gesetzt, seinem Hund Madadh - galatisch für “Hund”, in der Namensgebung war er wohl ebenso einfallsreich wie seine Mutter - eine Rolle beizubringen. Das Tier behechelte gutmütig das Tun seines jungen Herren und rührte sich kein Stück.

Den vorangegangenen Abend war sie mit Kyron nach Ravinsthal geritten, um für den in Rabenstein ansässigen Schmied irgendeinen Teil eines Auftrags zu erfüllen - Lionel war unterdessen gut bei Helva untergebracht. Nach sehr langer Zeit war die junge Frau mit ihrem Ehemann unterwegs und es war einfach wunderbar! Sie waren im “Tanzenden Troll” gewesen, hatten über eine Zukunft gesprochen, in der sie - aus welchen Gründen auch immer - nicht mehr Krieger waren. Cahira musste lachen, denn sie erinnerte sich wieder daran, wie Kyron schon früher von dem Einfall einer Fischfrittierbude berichtet hatte.

Und sie selber? Eine Taverne mit Herberge würde ihr gefallen. Sie mochte es, wenn Menschen sich wohlfühlten, aßen, tranken und lachten und sich nach einer langen Reise ruhig betten konnten. Es waren beschwingte, unbeschwerte Stunden. Dazu kam das gute Gefühl, dass Isabelle mit der gemeinsamen Führung der Taverne mit Lawin scheinbar auf dem richtigen Weg in die Rechtschaffenheit war.

Aber die wirklich wichtigen Themen - Lionels vermeintliche Gabe, ihre zweite Hochzeit, Klinge und Regiment - berührten sie nur am Rande oder gar nicht. Der Krähenfuß wog schwer in ihrer Tasche; sie hatte sich weder dazu durchdringen können, das Ding Lionel tragen zu lassen noch es wegzuschmeißen. Sie hatte ihren Sohn beobachtet, auf ihre eigene dilettantische Weise, was Magie anging - so wie sie es schon eine geraume Zeit lang tat - aber sie hatte keinerlei Anzeichen entdecken können, die Kyrthons Worte bekräftigten - allerdings auch nichts, was sie Lügen strafen würden.

Als sie wieder im Klammtal waren und vor Tür des alten Fackwerkgebäudes standen, wäre vielleicht der Zeitpunkt gekommen, eine Andeutung in diese Richtung zu machen. Doch Kyron lächelte ihr so befreit, glücksselig entgegen, dass sie es einfach nicht übers Herz bringen konnte, diesen Ausdruck des momentanen inneren Friedens zu zerstören. Es war die Tage so selten geworden, dass ihr Mann lächelte wie er es früher getan hatte, als an den Kult und alle weiteren Ereignisse nicht zu denken gewesen war. So blieb das Wesentliche also unausgesprochen. Für diesen Abend aufgeschoben, aber leider nicht aufgehoben.

Nach einer Nacht, die sie verbrachten, wie Ehemann und Ehefrau sie verbringen sollten, war Cahira früh aufgestanden, hatte Kyron schlafen lassen und Frühstück bereitet und war zur Baracke gegangen, um die Pferde zu versorgen. Der Rest des Tages verlief ebenso müßig und endete nun zunächst darin, auf das Abendessen zu warten und dem Sohn zuzugucken, wie dieser sich vor dem gewaltigen Hund im Staub wälzte und immer, wenn er einen Erfolg seiner Bemühungen erahnte, aufgeregt rief: “Guck, Mama! Jetzt hat er es. Guckst du auch?!” Cahira hätte nichts dagegen gehabt, wenn die folgenden Tage und Abende genauso verliefen, aber sie wusste, das diese ruhigen Momente wie kostbaren Inseln im Orkan des Schicksals waren, welches die Götter ihrer Familie auferlegt hatten.
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
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#16
Das Haus war so unheimlich still. Nicht, dass Cahira niemals alleine gewesen wäre, aber nun gesellte sich zu der Stille die traurige Erkenntnis, dass die beiden Personen, für welche sie in erster Linie dieses Nest der heimeligen Geborgenheit geschaffen hatte, eine geraume, und in Kyrons Fall unerträglich ungewisse Weile nicht wieder kehren würden.

Der Hund war ihr wenigstens geblieben. Als sie Lionel gen Südwald brachte, vor sich auf dem Pferdesattel hockend, mit großen Augen die Umgebung betrachtend, hatte der Junge sinniert: “Aber wenn Papa fort ist und ich und Madadh auch, dann bist Du ja ganz alleine! Ich lasse Dir meinen Hund, damit Du nicht so einsam bist, Mama.” Der Kleine hatte die Arme um den zotigen Hals des Tieres geschlungen, leise Abschiedsworte ins Fell gemurmelt, und wurde dann vom warmen Lächeln der Füchsin in seinem vorläufig neuen Heim begrüßt.

Cahira hatte den Jungen nicht weggebracht, weil er ihr eventuell eine Last gewesen war oder sie keine Kraft hatte, sich um den Knirps zu kümmern oder sie mit seinen Launen, welche verständlicherweise nicht gerade die besten waren, nachdem nicht nur Onkel Kordian sondern auch noch sein Athair von einem auf dem anderen Tag verschwunden blieben und er zudem noch immer seinen Großvater vermisste, nicht zurecht gekommen wäre. Aber zu diesem Zeitpunkt waren die Umstände des Verschwindens und der Verbleib Kyrons ungewiss. Cahira hatte aufgrund Cois’ kurzer Notiz und Isabelles und Sams Berichten die schlimmsten Befürchtungen, wer dahinter stecken könnte. Ihre mit jedem vergangenen Tag wachsende Unruhe strahlte auch auf den Jungen aus, so dass sie es schließlich als für das Beste hielt, dem Sohn etwas Erholung zu gönnen. Eine andere, sichere Umgebung würde ihm Ablenkung schenken und der Mutter Zeit geben, sich voll auf die Suche nach dem Vater zu konzentrieren.

Diese Suche währte allerdings nicht lange. Hätte sie gewusst, was sie im Tempel erwarten würde, hätte sie vielleicht kehrt gemacht, um Arthar wie geplant im Heilerhaus zu besuchen. Vielleicht wäre Kyron dann auch nicht im Kerker der Kirche gelandet, in dem auch sie eine halbe Nacht mit ihrem Ehemann verbrachte, bevor Baron Jehann sie heraus holen konnte. Sie hatte immerhin Hochwürden nur am Kragen weg gezerrt, aber bei Verdacht, unter Einfluß eines Hexers zu stehen und diesem gar bereitwillig zu helfen, konnte selbst Siegfried nichts für Kyron tun, der seitdem in der Zelle schmorte. Aber eventuell wäre auch alles viel schlimmer gekommen, wenn sie nicht dagewesen wäre. Justan und Kyron waren beides keine Männer, die eine Provokation einfach ignorieren konnten - jedenfalls soweit sie das beurteilen konnte, denn sie musste sich fragen, ob sie ihren Ehemann noch kannte.

Es war ein sehr unangenehmes, merkwürdiges Wiedersehen gewesen. Ließ ihr Gedächtnis sie bereits im Stich? Ehe Kyron vermisst wurde, hatte er viel Zeit zu Hause bei der Familie verbracht. Sie hatten doch noch Abendbrot gegessen und gemeinsam über Sohn und Hund gelacht, die sich beide gleichermassen weigerten, ein Bad zu nehmen. Rein gar nichts hatte darauf hingedeutet, dass er sich von ihr trennen wollte und noch weniger, dass nicht nur ihr Leib, ihr Wesen, gleich ihr ganzes Leben ihn anwidern würde. Auch wenn sie daraufhin glauben musste, dass Kyron tatsächlich unter irgendeinem Einfluß stand, taten seine hartherzigen Worte weh. Es schmerzte, seiner gleichgültigen Miene und eisigen Blick ausgesetzt zu sein, wo sie ihn am liebsten hätte umarmen wollen. Ihr wurde, wie so oft in den vergangen Tagen, speiübel als er so lästerlich über sein eigenes Fleisch und Blut sprach.

Das nahe Zusammensein in der Zelle war schlichtweg eine Tortur. Nicht nur für die ohnehin gepeinigten Nerven der jungen Frau, auch für den Körper des Mannes, denn die Kirche war nicht zimperlich was Befragungen angingen. Die Seligkeit hantierte mit ihrer Armbrust und schoß Kyron ins Bein. Bei Cahira keimte der Verdacht auf, dass sie ohnehin abgedrückt hätte, ganz gleich, welche Antwort er auch verlauten hätte lassen. Es gab niemanden, der Lisbeth daran hindern würde oder konnte oder vielleicht auch wollte. Vermutlich wären Befragungen und so einige andere Aktionen der Klinge, der ehemaligen Schweren Silendrischen Infanterie, in ähnlich grausame Bahnen verlaufen, wenn das freundliche, eher diplomatische Wesen der jungen, braungelockten Frau die Taten der Männer nicht immer wieder in Frage gestellt hätte.

So ersparte Cahira sich und Baron Jehann den ausgesprochenen Befehl, der Leutnant habe die Zelle zu verlassen, an deren Gitterstäbe sie sich noch so geklammert hatte, als Schumann laut überlegte, dass die Kirche sich des kleinen Lionel annehmen sollte. Der Junge war sicher, vorerst.

Wiie so oft in ihrem Leben zuvor war sie ratlos. Hier waren Mächte am Werk, die sie weder kontrollieren, noch beeinflussen, vielleicht noch nicht ein mal begreifen konnte. Wie konnte sie gegen Hexenwerk angehen? Was konnte sie gegen die Kirche ausrichten? Wie sollten die nächsten Schritte aussehen? Wem konnte sie vertrauen? Und wem konnte sie welche Details der Geschichte anvertrauen, ohne alles noch schlimmer zu machen, als es ohnehin schon war?

Dass Sam die Hexenprobe über sich ergehen lassen musste, schrieb sie zum Teil sich selber zu, immerhin hatte das Gespräch über Kyrons möglichen Entführer Cyrils Argwohn gegenüber der jungen Blonden so weit aufgestachelt, dass er sich genötigt sah, sie keinen Tageslauf später festzusetzen, zu verprügeln und, den Berichten nach, gar die Schändung anzudrohen. Cahira hatte sich gehen lassen und zu viel dem wohl falschen Mann verraten. In Zukunft musste sie da vorsichtiger sein, aber es hatte so gut getan, sich wenigstens ansatzweise aussprechen zu können, seinen Sorgen freien Lauf zu lassen.

Sie klammerte sich verzweifelt an den Gedanken, dass sich irgendwie eine Lösung finden würde, finden musste. In der Vergangenheit war ihre Lage auch nicht immer die Beste gewesen, aber sie haben überlebt. Etwas anderes, als das Beste zu hoffen, blieb der jungen Frau kaum übrig. Es kostete Kraft, diese Erwartung aufrecht zu halten, aber sie tat es für ihre Familie. Ganz gleich was Kyron sich einbildete oder ihm eingetrichtert worden war, sie war seine Ehefrau. Und an diesem Verständnis und der Liebe zu ihrem Mann würde keine Macht in ganz Amhran etwas ändern können.
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#17
Die Götter nehmen, die Götter geben.

Sie lag ausgestreckt auf dem Bett, die Hände sacht auf den Bauch gelegt, und stierte lauernd das Gebälk über sich an. Ihr war kalt und die kleinen Härrchen auf den Unterarmen hatten sich bereits fröstelnd aufgestellt, aber sie war zu träge, um aufzustehen und die Balkontür zu schließen. In der Nacht war der leichte, frische Luftzug angenehm gewesen. Der Wind hatte zudem die Geräusche der Nacht in die Schlafstube getragen - das sanfte Wogen der Bäume, der Schrei eines Käuzchens, ein Rascheln im Gebüsch - und es war tröstlich, einlullend gewesen, diesen zu lauschen.

Tiefer, fester Schlaf wollte sich seit Kyrons Verschwinden nicht mehr als für drei oder vier Stunden einstellen. Zuerst hatten sie ihre Sorgen um seinen Verleib wachgehalten, dann die Gedanken an die Kerkerhaft, nun die Verzweiflung wegen seines ablehenden Verhaltens.

Sie war gerade dann in den Tempel gekommen, als ihr widerwilliger Ehemann aus den Fängen der Kirche entlassen worden war. Die Tage der Haft, die offensichtliche Folter hatten ihre Spuren hinterlassen. Sie kannte ihn zu gut, als dass sie nicht gewusst hätte, dass nur der Trotz und Starrsinn ihn auf den Beinen hatte halten könnte. Doch er verweigerte sich ihrer Hilfe und versuchte sie nach einem kurzen, unerfreulichen Wortwechsel, in dem er ihr immerhin die Warnung zukommen ließ, dass Hochwürden Schumann nun wohl ein Auge auf sie selbst geworfen haben könnte, abzuschütteln.

Natürlich folgte sie seiner schwankenden Gestalt in einigem Abstand, um ihm im Glauben zu lassen, sie hätte aufgegeben. Auch wenn er ihre Unterstützung nicht annehmen wollte, hätte sie ihn in diesem Zustand nicht alleine gelassen. Als Isabelle die Stufen des Tempels hinunter geflogen kam, um ihren Bruder wie einen vermissten Geliebten zu umarmen und der malträtierte Mann sich das auch noch gefallen ließ, beobachtete Cahira diese Szene vom Brunnen aus wie ein verstohlener Dieb, der sich im Schatten herumdrückte.

Einerseits war sie froh, dass Isabelle sich nun um Kyron kümmern würde - und das würde sie tun, daran bestand für Cahira kein Zweifel - andererseits jedoch tat der Anblick der beiden Personen so unsagbar weh, als ob ihr jemand einen Dorn ins Herz getrieben hätte, dass sie sich schwindelnd abwenden musste. Zunächst waren ihre fliehenden Schritte langsam, steif, dann wurden ihre Beine immer schneller. Liefen zum Stall, schwangen sie auf ihr Pferd, trieben das Tier schneller und immer schneller durch die Gassen der Stadt, hinaus auf die Straße und erst vor der Baracke der Klinge kamen Pferd und Reiterin zum Stillstand.

Die junge Frau benötigte einige Momente um zu bemerken, dass das Pferd, welches da vor der Unterkunft der Infanterie so gemütlich im letzten grünen Gras des Jahres schnoberte, ihrem Hauptmann gehörte. Kordian war wieder da? Mit den nötigen, wenn auch recht fahrigen Handgriffen kümmerte sie sich um die beiden Tiere und entließ Kalvas und Vergelter in die Freiheit der Koppel.

Auch wenn sie Cois später erzählen würde, dass Kordian für ein paar Tage ins Thal zurückgekehrt sei’, ehe ihn persönliche Angelegenheiten wieder fort treiben würden, empfand Cahira die kurze, abendliche Begegnung - gerade nach dem Erlebten in Löwenstein - als eine Einbildung ihres verstörten Geistes. Vielleicht wünschte sie sich so sehr Kordians väterlichen Rat, dass sie nun schon glaubte, ihn tatsächlich zu sehen und mit ihm zu reden. Natürlich sicherte er seine Hilfe zu, aber was bedeutete diese schon von einem Durchreisenden?

Wahrscheinlich hätte Kyron gelacht, wenn er gewusst hätte, wie viele Menschen sich um ihn sorgten und ihre Hilfe anboten, in Gesprächen, in Taten. Vermutlich hätte er bemerkt, dass die Personen nicht um seinetwillen so freundlich waren, sondern diese Hilfsbereitschaft nur dem umgänglichen Wesen seiner Ehefrau geschuldet wäre. Doch so aufmunternd dieser Umstand auch war, desto erdrückender war auch die Last, sich immer wieder erklären zu müssen, allzu bedrängenden Beistand abzuwehren und durch erneutes Schildern der Situation nie gänzlich zur Ruhe kommen zu können. Denn nur ein falsches Wort gefährderte nicht nur Kyron, sondern auch ihren Sohn, die Familie. Sie glaubte ohnehin, schon zu viel gesagt zu haben. Sie wollte endlich die nächsten Schritte planen, auszuführen und den Mann aus seinem Versteck zerren, der in ihren Augen für all’ die Geschehnisse der letzten Wochenläufe verantwortlich war.

Eine jehe Woge blähte die Vorhänge vor den Fenstern und das immer lauter anschwellende Geschnatter der Vögel kündigte den nahenden Tag an. Und mit einem Mal war das Warten der jungen Frau vorbei, die Übelkeit schoß vom ihrem Unterleib in ihre Kehle und ließ sie würgend zusammen krampfen.

Manchmal haben die Götter wirklich einen merwürdigen Humor.
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#18
Wenn sie eines gelernt hatte während ihrer Zeit in der Infanterie, dann Klopfen. Mit geballter Faust und drei deutlichen stakkatoartigen Hieben konnte sie ausdrücken: Komm-sofort-raus-oder-ich-breche-durch-die-Tür-und-zerre-dich-eigenhändig-auf-die-Straße. Als sie vor der Bretterbude im Alten Hafen stand, welche laut Türschild Kyrons Werkstatt oder Heim oder gar beides war, lauschte sie nach ihrem militärischen Pochen einige Momente. Durchaus mit Genugtuung hörte sie, wie irgendwo eine Tür recht eilig verriegelt und ein Fensterladen zugeschlagen wurde. Doch aus dem Inneren der Hütte drangen keine Geräusche.

Seufzend lehnt sie sich gegen das wurmstichigen Holz und ließ sich langsam zu Boden gleiten. Der Grund war kalt und dreckig - sie musste ihren Wappenrock ohnehin ausbürsten - und sie musste acht geben, dass nicht wieder die Erkältung aufflammte. Während sie ihr Heim für den Winter vorbereitet hatte, hatte sie sich nicht geschont und als Dank verbrachte sie mehrere Tage zitternd und schwitzend zugleich unter einer Wolldecke. Sie hatte manchmal Schritte gehört, Cois vielleicht, war aber immer wieder rasch in den heilsamen Schlaf hinab gedämmert.

Während sie dort vor dem Haus hockte, die Beine angezogen, die Arme um ihre Knie geschlungen, merkte sie, wie sich ein dicker Knoten im Hals bemerkbar machte und die Tränen der Enttäuschung in ihren Augen brannten. Es war das selbe Gefühl, als sie bei Cort, dem Händler des Thals, Weizenmehl kaufen wollte und er ausgerechnet an dem Tag, an dem sie einen Kuchen für Lionels Rückkehr ins Minenhaus backen wollte, keines vorrätig hatte. Der arme Mann hatte sich einer vollkommen aufgelösten Frau gegenüber sehen müssen.

Das selbe Gefühl, als Arthar, vollkommen ohne Hintergedanken, so war der Korporal nun mal, in einer der Sitzungen der Baronie andeutete, dass eine gute Freundin von Andra, eine Meisterschmiedin, nach Zweitürmen ziehen wollte und welches Haus wäre wohl besser für einen Einzug geeignet als das alte Haus an der Klammine? Der ansässige Schmied schien immerhin fort zu sein. Das Haus hatte Kyron für seine Familie als Wohnsitz auserkoren und sie hatte in ihrer eigenen Art daraus ein Heim geschaffen. Zum Glück hatten der Baron als auch Inara eingelenkt, dass derzeit andere Liegenschaften frei wären, sonst hätte Cahira sich vollkommen vergessen.

Das selbe Gefühl, wenn sie besseren Wissens eines von Kyrons Hemden aus der Truhe zog und ihre Nase in den Stoff drückte ...

Doch diese Gefühlswallungen waren relativ selten; sie wurde regelmäßiger von Übelkeit oder Schwindelgefühl überfallen. Dort vor der Hütte hockend gesellte sich nun noch die Entmutigung über ihre bisher erfolglosen Versuche, ihren Ehemann angesichtig zu werden.

Kyron schien überall und nirgends zu sein. Sie hatte sich auf der Suche nach ihm einen beherzten Griff in ihr Hinterteil von irgendeinem schmierbäuchigen Kerl gefallen lassen müssen, später hatte sie bemerkt, dass ihre Geldkatze verschwunden war. Glück im Unglück trug sie ohnehin nie viele Münzen bei sich, aber ein Verlust war es allemal. Einige der Auskünfte konnte sie nicht für voll nehmen, andere hingegen waren brauchbar, wie der Hinweis zu der Unterkunft im Alten Hafen. Statt weiter durch den schlammigen Morast im Armenviertel zu tappen und sich den gierig abschätzenden Blicken der Tunichtgute auszusetzen, steuerte sie nun Tag für Tag, so wie es ihre Verpflichtungen in Zweitürmen zuließen, die Bruchbude an. Irgendwann musste er doch dort auftauchen.

Seit sie ihn das letzte Mal - und dies war zugleich das erste Mal nach seiner Entlassung aus dem Tempelkerker gewesen - gesehen hatte, schien ihr schon wieder so lange Zeit vergangen. Als er da plötzlich an der Tür der Schneiderei gelehnt hatte, hatte ihr Herz einen Sprung gemacht und sie hatte sich atemlos und fahrig wie ein Backfisch verhalten. Er hatte zugelassen, dass ihre Hand seinen Unterarm berührte, obwohl sie den anfänglichen Impuls, ihr den Arm zu entziehen, durchaus gespürt hatte. Sie hatten immerhin geredet. Was auch immer Kyrthon im angetan haben musste, dass die Ablehnung ihrer Person zur Folge gehabt hatte, schien etwas gemildert. Doch was war ein Gespräch in einer Gaststube unter Fremden zu einem gemeinsamen Leben?

Cahira blieb alleine zurück. Sie hatte sich gefühlt, als sei mit ihrem Ehemann jegliche Kraft durch die Tavernentür gegangen. Wie bei den ausgehöhlten, verzerrt grinsenden Kürbissen, die nach galatischer Sitte in Zweitürmen an jedem Haus aufgestellt worden waren, um die Geister mit ihrem flackernden Licht zu zu verteiben, war lediglich ihre Fassade noch nicht zusammengebrochen. Kyrons Anklage, dass dies ja alles ihre Schuld gewesen wäre, sie ihn verkauft hätte, beschäftige die junge Frau noch eine geraume äußerst quälende Weile.

Ihr Zaudern in Guldenach konnte sie nicht mehr rückgängig machen, doch dachte sie, diese Sache wäre nach dem gemeinsam Erlebten bedeutungslos; Kyrthon hätte sie damals vor der Wachstube nieder ringen können - oder wenn nicht sie, dann Cois - aber Kyron hatte sie zurück gehalten. Auch wenn sie glauben musste, diese Beschuldigungen hingen direkt mit seinem erzwungenen Sinneswandel zusammen und waren im Grunde seiner Seele nicht wirklich ernst gemeint, trafen sie die junge Frau hart.

Ausgerechnet in diesem Zustand wurde sie auf ihrem Rückweg von Baron Morgenstern abgefangen, der Fragen zu ihrem Ehemann hatte. Diese ganze Sache mit der Kirche zog weitere Kreise als gedacht, wenn selbst Magda in Ravinsthal davon gehört hatte und sich nun auch noch Südwald genötigt sah, sich damit zu befassen. Doch sie überstand das Gespräch ganz gut, wie sie im Nachhinein fand. Vielleicht gerade wegen dem Nachhall des vorherigen Wortwechsels verteidigte sie Kyron vehement und wies jegliche Sorge um ihre Person ab.

Merkwürdigerweise, durch einen Irrtum, befand sie sich wenige Tage später abermals in der Gesellschaft des Barons vom Südwald, welcher sie auch für weitere Besuche auf dem Großbauernhof, der sie so süß und schmerzlich zugleich an das Anwesen ihrer Sippe auf Svesur erinnerte, willkommen hieß.

Cahira wusste nicht so recht, ob es klug war, dieser Einladung zu folgen, doch Morgenstern schien mit Einsamkeit und Verlust ebenso seine Erfahrungen gemacht zu haben; ein Vertrauter im Geiste. Die ungute Erinnerung an Aidan drängte sich auf, doch sie schob den Gedanken, dass der Baron ein Hexer sein oder irgendwelche unlauteren Absichten hegen könnte, beiseite.

Aufstöhnend drückte sich die junge Frau wieder in den Stand. Nicht nur die Bodenkälte hatte sich allmählich in ihre Glieder geschlichen, es war insgesamt kühler, unfreundlicher geworden. Vielleicht würde es jetzt tatsächlich Zeit werden, zu den frostigen Morgen- und Abendstunden den neuen Wollumhang über ihrer Uniform zu tragen. Bevor sie ihre Schritte Richtung Stall lenkte, wo Kalvas darauf wartete, nach Zweitürmen zurück zu kehren, drückte sie ihre Handfläche gegen die Holzmaserung der Tür und murmelte zum Abschied: “ … dann komme ich wohl morgen wieder, mein Herz ...!”
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#19
No tears, no fears,
Remember there's always tomorrow
So what if we have to part,
We'll be together again
Your kiss, your smile,
Are memories I'll treasure forever
So try thinking with your heart,
We'll be together again
Times when I know you'll be lonesome,
Times when I know you'll be sad
Don't let temptation surround you,
Don't let the blues make you bad
Someday, someway,
We both have a lifetime before us
For parting is not good-bye,
We'll be together again

Frank Sinatra - We'll be together again

Vorsichtig ließ sie sich auf der Kante des Bettes nieder, in welchem Lionel seelenruhig schlummerte. Er hatte sich halb aus der Decke gestrampelt; sein Kissen lag auf dem Boden. Unerlaubterweise hatte sich auch der struppige Wolfshund auf die Schlafstatt geschmuggelt und plierte vollkommen unschuldig zu Cahira auf. Der Junge hatte die Lippen halb geöffnet und eine schwarze Haarsträhne war ihm in die Stirn gefallen, eine Hand ins Fell des Hundes gekrallt.

Die junge Frau zog einen Lederhandschuh von den Fingern und streifte behutsam die wirre Strähne zurück, so wie sie es so viele Male zuvor nicht nur bei ihrem Sohn sondern auch bei Kyron gemacht hatte, wenn dieser tief und fest geschlafen hatte. Bei diesem Gedanken krümmten sich unwillkürlich die kalten Finger, zog sich die Hand zurück. Routinierte Griffe bedeckten Lionel wieder und legten das Kissen neben seinen Kopf.

Der Anblick des Sohnes beruhigte und besorgte sie gleichermassen. Auf der einen Seite gab er ihr Kraft und erhellte ihre Tage mit seinem Lachen, auf der anderen Seite war gerade er ihre Schwachstelle. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn Kyrthon ihn in die Hände bekommen würde. Vielleicht hätte sie das mit der Drohung, zur Kirche zu gehen, lassen sollen … aber gesagt war gesagt und sie wollte, konnte ihre Worte nicht zurückziehen. Sollte er nur erkennen, dass er nicht unbescholten tun und lassen konnte, was ihm beliebte, und es Menschen gab, die ihm eventuell gefährlich werden konnten.

Sie fühlte sich so verdammt hilflos und alles, was sie sagte, wurde von diesem Mann herum gedreht und ins Schlechte verquert. Er legte ihr Worte in den Mund, so zum Beispiel, dass sie gemeint hätte, Kyron wäre ein Monster. Er redete und redete. Sie hatte sich nicht anders zu helfen gewusst, als zu warnen, zu drohen. Doch Kyrthon konnte sich nicht darauf einlassen, Kyron aus seinem Netz zu entlassen, zu groß war die Gefahr, dass dieser sich im freien Willen gegen ihn stellte.

Sie hatte sich ein paar Schläge eingefangen. Dureth hatte sie verstummen lassen wollen und Kyron vertreiben. Als Soldat war sie schlimmeres als eine Ohrfeige oder ein paar Fausthiebe gewohnt, nicht angenehm, aber auszuhalten. Doch als Kyron drohte, ihr in den Bauch zu stoßen, hatte sie sich dann doch verzogen. “Ich verschwinde für heute, aber nicht aus Deinem Leben!” Obwohl sie ihm beweisen hatte wollen, dass sie nach jedem Schlag wieder aufstehen würde, sie stark und kräftig war, und er selber erkennen musste, zu was einem Menschen Dureth ihn gemacht hatte, dass er seine Familie, seine schwangere Frau, verprügelte.

Der Gedanke, getötet zu werden, kam und ging im nächtlichen Schlafzimmer ohne Schrecken. Falls sie ihre Warnung wahr und alles öffentlich preisgeben würde, was sie über den Kult und deren Anführer wusste - und im Laufe der Jahre hatte sich so einiges an Wissen angesammelt - hatte Kyrthon ihr in Aussicht gestellt, ihr restliches Leben zur reinen Agonie zu gestalten. Aber hatte er das nicht bereits getan, indem er ihren Pakt auf so schändliche Weise missbraucht und Kyron zu einem Mann werden lassen, der alles, was sie sich zuvor hart erkämpft hatten, scheinbar vergessen hatte und nur noch Abneigung für sie empfand? Wahrscheinlich war dies der einzige Weg gewesen, ihm die Kameradschaft, Freundschaft und Liebe zu nehmen, um ihn aufgeben zu lassen und zurück in die Arme des vermeintlichen Meisters zu sinken.

“Er wird nicht bluten, sondern ich!” Leider musste sie Kyrons Worten zustimmen. Die Kirche würde ihr Wissen aufsaugen, eine Hexenjagd sonders gleichen veranstalten und dabei wohl kaum darauf achten, dass auch Unschuldige mit zur Rechenschaft gezogen werden. Dazu gehörten wohl alle, die auch nur von einem Puzzleteil dieses grausamen Bildes wussten - Arthar, Baron Jehann, Cyril, Cois, Kyron, sie selber und nicht zuletzt Lionel, wenn sich bestätigen würde, das auch er die Kraft in sich trug.

Damals war es die Angst gewesen, die Kyron und sie in die Fänge von Dureth getrieben hatte. Sie hatte Angst um ihren Ehemann gehabt, und er vielleicht Angst um sich selber, vor Kyrthon, vor dem, was geschehen würde, wenn er vollständig den Verstand verloren hätte. Sie waren zu träge gewesen, sich zunächst Hilfe von andere Stelle zu holen, die Worte des wiederbelebten Feindes zu hinterfragen. Nun durchliefen sie ein Jammertal des Schmerzes - es verging, was Cahira betraf, kein Tag an dem sie nicht an ihren Ehemann dachte und darüber nachsann, wie sie diese Situation lösen konnte. Angst hatte sie nun keine mehr, jedenfalls nicht um sich selber, aber war sie bereit solch’ einen gewaltigen Schritt zu gehen und ihr lieb gewonnen Menschen eventuell den Flammen zu überantworten?

Die klammen Fingern schoben sich in die Gurttasche und förderten einen Silberring hervor. Das Metall war trübe und abgetragen, der eingefasste blaue Stein - ein Saphir - hatte auch schon bessere Tage gesehen, doch noch immer fing er das fahle Mondlicht auf, welches den Raum in geisterhaftes Licht tauchte. Sie erinnerte sich daran, wie Kyron die Eheringe mit einem Male in der ihm eigenen spontan, unromantischen Art präsentiert und sie vor überraschter Freude los geweint hatte.

Ihrer war abhanden gekommen; sie hatte ihren Vater in Verdacht, der auch ihre alte Rüstung und Schwert verkauft hatte. Zum einen waren mit ihr und dem Enkelsohn zwei Esser mehr auf den Hof gekommen, zum anderen hatte es eine geraume Weile nicht danach ausgesehen, dass sie jemals das Bett als gesunder Mensch verlassen geschweige denn eine schwere Wehr tragen oder eine Waffe führen würde …

Cahira hatte damals überhaupt viel geweint und auch jetzt konnte sie nicht verhindern, dass Tränen aufstiegen, in den Augen brannten. Dieser abgenutzte Ring war Symbol für ihre Ehe, an der sie festhielt, zu der sie stand, obwohl sie angesichts Kyrons Behauptungen wohl eher wie eine verlassene, irre Frau dastand, die in ihrem Wahn nicht begreifen konnte, dass der Mann, den sie liebte, sich von ihr abgewandt hatte. Ihr Beisammensein war nicht immer schön, nicht immer freudig und voller Honigkuchen gewesen; sie gab sich da keinen Illusionen hin. In diesem Punkt täuschte sich Dureth gewaltig. Aber sie bereute keinen Augenblick und irgendwann würde die Zeit kommen, an dem sie ihrem Ehemann den Ring wieder an den Finger stecken würde.

Zunächst sah sie davon ab, zum Tempel zu streben. Dieser Punkt der Verzweiflung war noch nicht erreicht. Doch sie würde bis dahin weiter kämpfen, mit ihren eigenen kleinen, unscheinbaren Mitteln, auch wenn dies nur bedeutete, weiter standhaft zu sein, festzuhalten, zu hoffen.
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#20
Noch vor dem ersten Hahnenschrei trippelten die Schritte des Jungen die Stufen hinunter auf dem Weg Richtung Hühnerstall. Mit Feuereifer hatte Lionel nicht nur die Namensgebung sondern vor allem die Versorgung der Federviecher übernommen, von denen Cahira fand, sie konnten ihrem Sohn nicht viel anhaben und auch jener konnte nicht so viel Schaden anrichten. Außerdem war Madadh, der zotige Wolfshund, nie weit entfernt von seinem Herrn und beobachtete mit wachsamen Blick das Scharren und Gackern der Hennen und Gockel im Stall und ließ ab und zu ein warnendes, dumpfes “Wuff!” hören, sollte sich eines der Tiere zu toll gebärden.

Lionel füllte Futter und Wasser nach, stibitze den Hühnern mit einigem Geschick die gelegten Eier und sammelte die Federn für den weiteren Verkauf auf. War seine Arbeit getan, lagerte er seine Gerätschaften und Ausbeute ordentlich in den Schuppen in die dafür vorgesehenen Kisten oder Tonnen und sauste in die Küche, um sich aus dem hohen Glas auf dem Bord einen Keks zu nehmen. “Nur einen, es gibt gleich Frühstück!”, musste Cahira beinahe jeden frühen Morgen warnen. Sie hatte ihren Sohn natürlich vom Schlafzimmerfenster aus beobachtet, heimlich, um nicht den Zorn des Kleinen heraufzubeschwören, der meinte, er sei’ kein Kind mehr und kann sich sehr gut alleine um “seine” Tiere kümmern.

Doch auch trotz dieses mütterlichen Appels, sich nicht den Bauch vor dem Frühstück mit Gebäck vollzuschlagen, fand sie oft genug noch einen halb verzehrten Keks in einer Hosen- oder Manteltasche oder sah ihren Sohn fröhlich auf dem Steinlöwen reiten, mit vollen Backen und Krümeln im Gesicht. Lionel schien die Vorliebe seiner Mutter für Süßkram mit in die Wiege gelegt bekommen zu haben und konnte sich bei Krapfen, Pfannkuchen oder sonstigen Backwaren kaum zügeln. Ein waschechter Galatier eben.

Aber Cahira war ihr herumtollender, fröhlicher Junge natürlich lieb. Er schien den Umzug vom Minenhaus ins Hirschenheim gut überstanden zu haben. Es war auch nur eine kurze Wegspanne gewesen und die meisten Sachen, welche sich in dem knapp einem Jahr währenden Bezugs des Hauses im Klammthal angesammelt hatten, hatten sie und Lionel rasch gemeinsam ins neue Heim geschafft. Nur bei den großen Möbelstücken wie Bett oder Kleiderschrank hatte Filbert, der Stallknecht des “Roten Hirschen”, geholfen.

Cahira vermisste das alte Gemäuer; den Weg zwischen den Bäumen hindurch, das Glühen der Feuerstelle oder einer Kerze im Fenster, Anzeichen, dass jemand zu Hause war und sie nach wenigen Schritten in eine heimelige, warme Stube treten würde. Aber es war schlußendlich eine Vernunftsentscheidung gewesen, das Haus an Johann zu übergeben. Er war nun der Schmied im Thal und das Minenhaus hatte alles, was ein Handwerker seiner Zunft benötigte: Die Nähe zur Grube, eine kleine Esse, ein Amboss, selbst eine Seilwinde, um auch schwere Last in den ersten Stock des Hauses zu befördern, die nötige Abgeschiedenheit, um Nachbarn mit andauernden Hämmern nicht zu stören.

Der Einfall, ins Hirschenheim mit Querida zusammen zu ziehen, war kein Gedanke, der Cahira sofort ins Gedächtnis gesprungen war. Es war während der Zeit der Ahnenandacht geschehen, die erfahrungsgemäß die ruhigste, in sich gekehrteste Zeit des Jahres war. Die Feierlichkeiten hatten nicht die freudige Erwartungshaltung von Ceílil oder die brünftige, ausgelassene Schwüle des Festes des wallenden Blutes. Man zog sich zurück, erholte sich vom vergangenen Jahr und verbrachte die Zeit, vielleicht noch viel mehr als sonst, im Kreise der Familie. Zwar hielt die junge Frau es auch in Zweitürmen so, die Arbeit zum Jahreswechsel weitestgehend ruhen zu lassen, doch wie weit sie sich von der einfachen Gemütlichkeit Svesurs entfernt hatte, hatte sie spätestens bei dem Fest in Ravinsthal bemerkt, als Gabriel diesen mehr tot als lebendigen Taugenichts als Opfergabe in den Kreis des Feuers gezogen hatte.

Auf Svesur waren sie zum Geysir gepilgert und nachdem der Druide einige Worte gesprochen hatte, konnte jeder nach vorne treten und von seinen Ahnen berichten. Einige Erzählungen reitzen zum Lachen, andere zum Weinen. Die Familien fanden sich in Grüppchen um die Wasserfontäne zusammen - die Winter waren mild, so dass man mit einem Wollumhang und einem Feuer in der Nähe gut die Nacht verbringen konnte - und man lauschte den wechselvollen Geschichten und beobachtete die Wassertropfen, welche wie funkelnde Edelsteine im Schein der Lagerfeuer auf die Anwesenden herab regnenten. Der Druide zog seine Runden, ebenso wie Aidan, der warmen Wein verteilte und Cahira im Vorbeigehen mal ein flüchtiges Lächeln zuwarf, kurz ihren Arm berühte oder einen Becher in die Hand drückte, gerade recht, um ihre trüben Gedanken an ihren damals noch als tot geltenden Ehemann und verschollenen Kameraden zu vertreiben.

Es war schließlich Lionel gewesen, der mit gerunzelter Stirn auf den vorsichtigen Bericht über Cyrils Tod - die genauen Umstände verschwieg sie ihrem Sohn - bedächtig bemerkte: “Aber dann ist ‘rida ja ganz alleine und einsam. So wie Du, seit athair nicht mehr bei uns wohnt!” und damit den Anstoss zum später vorgebrachten Vorschlag gab, mit der Füchsin den großen Hof gemeinsam zu bewirtschaften.

Cahira wusste nicht, wie viele Nächte sie grüblend wach gelegen hatte oder wie oft sie einen Tränen- oder Wutausbruch entweder gerade noch verhindert oder sich, alleine wähnend, hingegeben hatte seitdem Kyron von einem Tag auf den anderen verschwunden war und sie sich so hilflos, nutzlos, ungeliebt gefühlt hatte. Lionel hatte davon natürlich nichts mitbekommen sollen, umso erschreckend war es, wie feinfühlig der Junge doch war. Denn er hatte Recht. Trotz Kollegen, Kameraden, der vielen Arbeit fühlte sie sich immer etwas abseits stehend, wie unter einer Glocke, welche die Geräusche und Klänge von außen nur dumpf an sie heranließ.

So ganz uneineigenmützig wie es anfangs schien, war dieses Angebot nicht. Lionel verehrte Cyrils Verlobte nachdem er einige Zeit bei ihr im Südwald verbracht hatte und Cahira musste sich, gerade was Koch- und Backkünste betraf, sehr oft einen für sie nicht vorteilhaften Vergleich stellen. Sie würde viel von Querida lernen können, denn obwohl sie selber das Kind eines galatischen Bauern und Pferdezüchters war, hatten die Götter zunächst einen anderen Weg für sie vorgesehen. Der Junge würde die Frau aufmuntern, so wie er auch in den schwersten Stunden auf ihre Lippen ein Lächeln zaubern konnte, und sie selber hätte weniger Gewissensbisse ihrer Arbeit - Klinge und Verwaltung der Baronie - nachzugehen, da sie wusste, der Sohn wäre in guten Händen. Und zum Anfang des Sommers stand die Geburt des zweiten Kindes an und da war es vielleicht ganz gut, nicht nur mit einem kleinen Jungen, seinem Wolfshund und ein paar Hühnern unter einem Dach zu leben. Zudem hätte Zweitürmen mit Querida eine hervorragende Landwirtin verloren.

Doch ebenso wie das Jahr 1402 auf den Inseln mit einer freudigen Veränderung - ihrer Verlobung mit dem angesehenen Heiler Aidan - und dann mit Enttäuschung - der Mann entpuppte sich als Schwindler und viel schlimmer als garstiger Hexer - begonnen hatte, fing auch das Jahr 1403 in Servano, Zweitürmen an. Die Hochstimmung des Umzugs wich ungewollter Einsamkeit, als Querida doch entschied, fort zu gehen. Cahira konnte ihr das kaum verübeln, schließlich lauerten in jeder Ecke des Hauses Erinnerungen an den toten Verlobten und keiner als sie konnte besser verstehen, wie schwer es war, mit einem plötzlich vor dem inneren Auge stehenden Bildes aus glücklichen Tagen überwältig zu werden.

Auch Kordian fand nach langer Reise Anfang des Jahres seinen Weg zurück ins Thal und versetzte die Mitglieder der Klinge in den vibrierenden Tatendrang vergangener Tage. Viel mehr noch, mit dem Hauptmann war die Person zurück gekehrt, die Kyron aus dem Einfluß von Dureth befreien konnte - so hoffte sie jedenfalls. Tatsächlich fand sich auch der Leutnant in Zweitürmen ein, als wenn Kordians Aura ihn angezogen hätte. Und ob Mendoza das nun bewusst war oder nicht, er machte an einem dieser seltenen gemeinsamen dafür umso wertvolleren Abenden eine große Liebeserklärung: er hätte sich aufgeopfert, damit es keinen Krieg zwischen Kult und Klinge geben und zwangsläufig die Personen zu Schaden kommen würden, die ihm am meisten bedeuteten. Zwar hätte sich Cahira gewünscht, er hätte mehr auf seine eigene Stärke und die seiner Familie vertraut, aber es war nun einmal geschehen.

Doch auch Kordian schien es nicht lange bei seinen Kameraden zu halten, trotz großartig gesprochener Worte und Pläne. Cahira liebten den Mann wie einen Vater, einen großen Bruder, aber sie musste wohl einsehen, dass sie sich nicht auf ihn verlassen konnte - weder was die Klinge anging noch in der Angelegenheit mit Kyron. Hier stand sie nun wieder genauso ratlos da wie zuvor und sie wusste nicht, ob sie nicht lieber die Füße stillhalten sollte, zumindest bis nach der Geburt, oder sie die Schritte, welche sie noch geplant hatte, bevor Kordian aufgetaucht war, nicht doch noch tätigen sollte, denn jeder Tag, den ihr Ehemann im Dunstkreis von Dureth verbrachte, war ein Tag zuviel. Vielleicht zögerte sie auch, weil sie fürchtete, ihre Taten machten alles noch schlimmer, wie Kyron jedenfalls behauptet hatte, oder weil sie bange war, was geschehen würde, wenn ihre Anstrengungen auf keinen Erfolg stossen und ihr Repertoire an Hilfsmaßnahmen erloschen sein würde ...

Jedenfalls hatte sich die junge Frau mit dem Umzug ins Hirschenheim und dem ganzen Hausrat, den Cyril und Querida hinterlassen hatten, wirtschaftlich zwar besser gestellt, aber sie fragte sich doch, ob sie sich ungewollt nicht etwas übernommen hatte. Immerhin hatte sie auch noch für die Baracke der Klinge und die Pferdekoppel Sorge zu tragen, und obschon ihr Sohn eine große Hilfe war, musste sie sich wohl früher oder später einen Knecht oder Magd ins Haus holen. Sie hatte Glück, dass ihre Schwangerschaft bislang nicht allzu einschränkend gewesen war - vermutlich lag es an ihren täglichen Leibesertüchtigungen, welche ihre Figur in Zaum und die Muskeln geschmeidig hielten - aber allmählich schmerzten ihre Füßen oder der Rücken, wenn sie zu lange auf den Beinen war und einige ihrer Kleidungsstücke wollten auch trotz noch so raffinierter Schnürung oder festigenden Mieders nicht mehr passen.

Obwohl sie ein hoffungsfroher Mensch war, dachte sie manchesmal doch mit einem Flattern in der Magengrube an die unmittelbare Zukunft. Unter anderem fragte sie sich natürlich was mit Kyron geschehen würde, mit ihr und Lionel, dem noch nicht geborenen Kind? Oder welche Ereignisse würden sich in Zweitürmen abspielen; was hatte die Klinge geplant? Sie hielt sich dann an den Gedanken fest, dass, obwohl 1402 mit einem Schock begonnen hatte, sie doch daraufhin ihre Kameraden und Ehemann wiedergefunden hatte und sie vermutlich nie zur Suche aufgebrochen wäre, wenn nicht die Ereignisse so stattgefunden hätten, wie sie nun einmal passiert waren. Sie konnte nur hoffen und den Göttern vertrauen, dass auch 1403 mit überraschenden, hauptsächlich erfreulichen Wendungen aufwarten würde …
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