Sprecht eure Gebete
#3
Die Nacht verbrachte Viktor vor der Feuerschale. Später, am Morgen, würden seine Augen unbrauchbar sein und er würde ihnen Ruhe geben müssen, doch diese Nacht verbrachte er im Angesicht des Herrn. Es schien ihm … symbolisch.
Die Hand war bereits warm und vielleicht würde er einen Brand davon tragen, aber das war gerecht. Er hatte noch einige getrocknete Spritzer von ihrem Blut zwischen den Fingern, kleine braune Spritzer. Viktor hatte sich die Hände nicht direkt gewaschen, er musste den Augenblick nutzen. Dieses Blut, ihm verwand und vertraut, würde sein Opfer sein. Es stammte zwar nicht aus seinen eigenen Adern, doch war es ihm nah, als sei es sein eigenes. Nur war es so wenig und so trocken, dass es nicht reichte, es einfach ins Feuer abzureiben. Es wäre nicht gerecht, nicht auch etwas von sich zu geben und Mithras das zukommen zu lassen, was er sich nehmen wollte. Und da das für gewöhnliches alles war, nahm er die Verbrennung in Kauf. Er konnte Gwendolyns Blut dem einzig wahren Gott nur dann als Opfer bringen, wenn er ihm erlaubte, es ihm mit seinen gierigen Zungen von der Hand zu lecken.

„Was treibt die Menschen an, Viktor?“ - „Gier.“ Nicht nur Menschen.

Langsam trieben die Flammen höher. In seinem Kopf hatte er schon die Frage formuliert, die er dem Feuer stellen wollte. Sie füllte ihn so sehr aus, dass er sie schon nicht mehr laut aussprechen musste. Ja, sein ganzer Körper zeugte von dieser einen Ungewissheit, die sich in einer Erhabenheit und Selbstsicherheit ausdrückte, wie es nur ein Widerspruch vermag. Wie wird es enden.
Höher und höher, Mithras war nun bei ihm, das konnte er deutlich spüren. Da, um zu nehmen und zu geben. Aus Konzentration wurde Entrückung, wurde stumme Ekstase. Das Bild vor den Augen verschwamm und für einen Moment wähnte er sich dem Elysium nahe. Fast so nah, wie er es in der Seelenreise seiner Erzpriesterweihe war. Alles erneuernd, Leben schenkend und verzehrend.
Mithras nahm das Opfer an.
Zuerst roch er den Rauch, doch war dieser schwach und zog nur dünne Schlieren. Das war gut, so konnte er Schlimmeres ausschließen. Es würde eine Angelegenheit des Assam werden.
Dann spürte er die Hitze. Es war erschreckend heiß, für so ein vergleichsweise kleines Feuer. Eine Warnung. Für Viktor nicht überraschend, doch bestätigend.
Die Flammen. Haltlos, hell, Gwendolyn. Er konnte all das, was seine Cousine ausmachte, direkt im Feuer wieder finden. Sie und das Elysium, für das Viktor selbst stand. Mithras wies ihm einen direkten Weg, keine Abzweigungen und etwas, das zwischen ihnen beiden entschieden wurde.
Was ihn am meisten berührte, waren die Schwärme von Funken, die immer wieder in Stößen empor stoben. Sie flogen geradewegs nach oben, doch die Heftigkeit ihres Aufstieges konnte nur eines bedeuten: Das würde mit mehr Blut enden. Mit viel mehr. Und es würde ein Ende geben. Viktor war seinem eigenen Körper in diesem Augenblick fern, doch dieser war zu sehr Ausdruck seiner Geisteshaltung, um nicht die Lippen zu einem blutleeren Strich zusammen zu pressen.
Letztlich, er musste nicht lang darauf warten, so gierig hatte die Flamme das Holz verzehrt, blieb nur Asche zurück. Nicht sehr viel, und doch glomm noch lang, nachdem das letzte offene Feuer erstorben war, hier und da noch etwas Glut. Als wehre sich ein Gefangener gegen seine Ketten oder begehre der Trieb eines Baumes gegen den Winter an.

Die Antwort lag auf der Hand. Sie würde sich nicht retten lassen und er würde sie nicht mehr zu retten versuchen. Ein Ende. Das konnte vieles bedeuten, doch angesichts dessen, was auf Servano zu kam, gab es nicht allzu viele Optionen, die auch tatsächlich in Betracht gezogen werden konnten. Es war Zeit, sich für das, was kommen mochte, zu wappnen.

Das Feuer war von Viktor wieder in Gang gebracht worden, als Albert und ihre Seligkeit zu ihm traten. Sie schienen besorgt. Wie besorgt muss man sein, wenn selbst im wildesten Sturm das Ruder fest gehalten wird und der Leuchtturm in Sicht ist?
„Wie fühlt ihr euch, euer Gnaden?“
„Rein.“

Die Hand war verbrannt.
Ihre Sorge war verschwendet.
"Novizen, die ich segne, sind großindoktriniert. Nicht."
-Elian


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Sprecht eure Gebete - von Viktor Veltenbruch - 25.04.2015, 01:27
RE: Sprecht eure Gebete - von Viktor Veltenbruch - 26.09.2015, 00:48



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