Der junge Rabe
#1
Die dunklen Augen des Räbleins blickten forschend über das steinerne Mauerwerk jener Stadt, welche die Menschen Löwenstein nannten. Die Brust des Gefiederten hob und senkte sich im raschen Rhytmus. Die schwarzen Schwingen wogen schwer, denn weit ward der Weg auf welchem sie ihn getragen hatten. Ein ungnädiger Weg, denn das Lied der Sturmbraut hallte tosend und ohne Ruh. Eine Kakophonie aus jauchzendem Wind, stetig trommelndem Niederschlag und den dröhnenden Schlägen des Donners. Der Regen legte sich wie ein grauer Schleier über Land und Tier. Das Räblein wusste, wer der Herr der Nacht war. Doch es schien in dieser Stunde als wollte Taranis diese eine Nacht für sich beanspruchen. Es folgte der hochgewachsenen Gestalt schon seit sie Ravinsthal verlassen hatte. Sie war ihm vertraut, sie alle waren ihm vertraut. Um so mehr beunruhigte ihn die Tatsache, dass dieser Mensch es nun wahgte der Nacht und dem Wind zu trotzen. Vielleicht war es eben diese Unruhe, die den jungen Raben dazu antrieb es dem Menschlein gleich zu tun, vielleicht aber auch die natürliche Neugierde seiner Art.
Die Gestalt näherte sich der kalten, toten Stadt. Das war kein guter Ort für ihn, das Räblein wusste es, doch wusste es das Menschlein ebenfalls? Dieser Ort gehörte dem Anderen, die Nacht und der Wind würden ihn hier nicht schützen.
Behutsam tasteten sich die schwarzen Füße über den knorrigen Ast. Das spärliche Geäst bot nur wenig Schutz vor den Gewalten dieser Nacht. Tropfen stoben in alle Richtung als der junge Rabe sein dunkles Kleid ausschüttelte. Frierend zog er den Kopf ein während sein Blick, welcher Wind und Nacht durchdrang, die Straße herab wanderte. Da war etwas, vielleicht nur eine Ahnung, ein Gefühl des Unmutes dass sich tief in den Eingeweiden des Räbleins einzunisten schien. Und schon bald gesellte sich zu Wind und Nacht eine weitere Präsenz - die Flamme. Zischend, flackernd, ächzend trotzte der Schein einer einsamen Fackel dem Lied des Sturmes und dem Schleier der Nacht. Das Männlein, welches mit seinem widerspenstigem Feuer die Dunkelheit vertrieb trug ein rotes Gewand. Er mochte der Nacht ein Schnippchen schlagen, doch auch seine Gewänder mussten sich Wind und Regen ergeben. Verärgert tat das Räblein einen weiteren Schritt auf dem sich in den Böen wiegendem Geäst. Taranis Winde bringen stets Veränderung. Der Gefiederte blickte zwischen den beiden einher. Ihre Wege würden sich unweigerlich kreuzen. Was würde geschehen wenn ein Emporkömmling des alten Glaubens dieser Brut des Anderen gegenübersteht? Vielleicht würden sie einander nicht einmal beachten. Blicke wie Dolche, dessen war sich das Räblein sicher. Gespannt harrte er aus und beobachtete mit scharfem Blick, wie die Gestalten sich einander näherten. Ihre Schritte wurden langsamer, bis sie einander gegenüber standen. Das Räblein lauschte, leise Stimmen versuchten sich ihren Weg durch den Sturm zu bahnen. Doch die Stimme der Sturmbraut ließ nicht ab von ihrem Lied, Donner hallte, Regen trommelte und der Wind heulte. Er musste hören, was dort geschah. Diese Nacht war eine Besondere. Wer würde sie für sich beanspruchen? Viele Wege ebnen die Pfade des Schicksals. Der junge Rabe breitete seine nassen Flügel aus, und segelte zu Boden. Geräuschlos huschte er, einem Schatten nicht ungleich über Stock und Stein, an den Rand jener Straße auch welche die Mächte aufeinander trafen. Jetzt konnte er lauschen und die geifernde Neugierde in seiner kleinen Brust befriedigen.
Keiner der beiden schien ihn zu beachten. Ihre Blicke waren aufeinander gerichtet, ähnlich wie die Katz' die Maus belauert. Es war nur schwer zu sagen, welcher von beiden Jäger und wer der Gejagde war. Sie begannen sich zu umkreisen, und ihre Stimmen waren nur schwer zu vernehmen. Trotz der Nähe, konnte das Räblein nur Fetzen des Gespräches erhaschen. Es reckte seinen Hals und lauschte.

"Solche Mittel, Ginsterstrauch. Es ist Recht. Es ist Gesetz."

"Recht das eigene Blut über glühende Kohlen zu hetzen!?"

Worte verendeten im donnernden Tenor der Hymne des Sturmes.

"Oh, sie ging weiter. Um einiges. Aber warum sollte ich es -euch- darlegen ... Druide?"

Worte wie Gift und erneut machte sich dieses Unbehagen breit, auch der Andere würde ihnen lauschen, auch der Andere würde zusehen. Das Räblein trat einen Schritt zurück, wenn auch nur einen kleinen.

"Ich werde sie zum Weib nehmen."

Blitzender Stahl wurde scharrend aus seinem ledernen Kleid befreit. Ein Schwert und Streitkolben. Für einen Moment, so glaubte da Räblein stand die ozonschwangere Luft still. Als würde der Sturm selbst den Atem anhalten.

"Es ist euch also tatsächlich gelungen, sie erneut in eurem Netz einzuspinnen. Widerlicher Bastard"

"Die alten Riten verlangen, dass ich Euch als ihre letzte Familie um Euren Segen bitte..."

"Die Bitte ist abgewiesen."

War dieses Treffen vorher bestimmt? Wehte mit den Winden dieser Nacht ein Hauch von Schicksal? Die Veränderung die der Rabe spürte seit er Rabenstein verlassen hat, sie ging nicht von diesem Hünen aus und auch nicht von dem Roten. Die Veränderung sie entsprang dem Weibchen und schlug ihre Wurzeln bis hier her vor die Tore der kalten Stadt. Das Räblein wusste nun, dass es hier nicht enden würde. Diese Begegnung, sie war nur der Anfang. Nur eine der Strömungen eines reißenden Flusses der unaufhaltsam seinen Lauf nehmen würde. Für einen kurzen Moment bedauerte er die Menschlein ob ihrer Kurzsichtigkeit. Sie waren wie Kinder, die nicht wussten wie ihnen geschieht.

"Nichts als Spott, das ist eure verfluchte traditionelle Bitte. Ein Weg, mir euren
Triumph über meine Familie unter die Nase zu reiben."


Metall schlug auf Stein, ein weiterer sterbender Klang in dieser besonderen Nacht. Der Hochgewachsene hat seine Waffe fallen lassen. Das Räblein keckerte amüsiert, das war keine Unachtsamkeit. Stahl war nicht die Wahl der Waffe dieser beiden Männlein.

Diese Tradition Priester... dient dem Zweck, der Familie der Braut Respekt und Ehre entgegen zu bringen.

"Dann lasst mich euch sagen, in der Dunkelheit, die ihr so bevorzugt ...
Weil ich mir bei ihr keine milde erlauben kann... Nicht ein Quentchen Nachsicht..."


"Vielleicht beginne ich Euch in dieser Nacht ein wenig zu verstehen, Galates muss mir wohlgesonnen..."

Er hat ja keine Ahnung dieses Männlein, dachte sich der junge Rabe.

"Eins noch, Ginsterstrauch. Etwas, das ihr wissen solltet..."

Die Worte waren nicht mehr für die Ohren des Räbleins bestimmt, verschluckt von den Gesängen der Nacht. Die Wege der beiden Gestalten trennten sich wieder. Doch die Veränderung lag noch immer wie schwerer Nebel in beissend kalten Nachtluft. Einem von beiden würde das Räblein folgen. Die Entscheidung viel nicht besonders schwer...
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