Der Dienst endet mit dem Tod.
#5
“Ruhe oder Unrast unserer Seele hängen nicht so sehr von großen Ereignissen ab als von der
reibungslosen oder fehlerhaften Ordnung des Alltagslebens.”
François VI. Duc de La Rochefoucauld

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Ganz gleich, was sich sonst in ihrem Leben ereignet hatte, die alltägliche Arbeitsroutine half ihr darüber hinweg, nicht allzusehr in Grübelei und Schwermut zu verfallen. Während der schweren Zeiten in Guldenach, in der ihr jetzige Ehemann zu ihrem Nachtalb geworden war und sie diesen Umstand und alle folgenden schrecklichen Begebenheiten ganz allein sich selber zu verdanken hatte, und auch auf Svesur, mit der traurigen Gewissheit, dass all’ jene, die sie gekannt und geliebt hatte, für immer verloren schienen, war es der gnädige Alltagstrott, der sie in seinen Mühlen gefangen nahm und nicht in Verzweiflung verfallen ließ.

Natürlich konnte das Leben mit einem Vierjährigen nicht gerade als Routine bezeichnet werden und auch ein anfänglich noch so ruhig scheinender Wachgang konnte sich am Ende als desaströse Katastrophe entpuppen - dennoch bargen ihre Tage, seitdem sie sich wieder der Infanterie angeschlossen hatte und somit auch zum Regiment der Baronie gehörte, eine gewisse Regelmässigkeit aus Rundgängen durch Zweitürmen, Waffen - und Leibesübungen, der Wartung ihrer Ausrüstung und der Pflege ihres Reittiers. Langsam aber sicher schälte aus der weichen Larve der Hausfrau und Mutter wieder der Soldat. Ihre schläfrigen Sinne schärften sich, ihre Muskeln wurden mit jedem Tag stärker und ihr Bein, welches ihr am Anfang arge Probleme bereitet hatte, muckte nun selbst bei einem strammen Marsch gen Grenzfeste und wieder zurück nur noch vernachlassenswert auf.

So hielt sie auch ziemlich gut mit, als Arthar eines Nachts in die Wachstube gerannt kam, um Alarm zu geben, dass die Harpien den Pass heruntergekommen und in die Baronie eingedrungen sind. Cahira hatte sich für ein halbes Stündchen auf eine der Krankenpritschen gelegt, döste vor sich und rumpelte, noch immer benommen, ganz automatisch empor und wankte Richtung Getöse. “Schnapp Dir einen Bogen und folge mir!”, bestimmte der Hauptmann und sie tat, wie ihr geheißen, obwohl sie sich nicht sicher war, ob diese Waffe tatsächlich die besten Wahl war; sie war geübt im Nahkampf und nicht darauf trainiert, halb komatös im Dunklen Pfeile auf sich bewegende Ziele abzufeuern. Nach zwei oder drei missglückten Schüssen, die irgendwo in die Nacht flirrten, schob sie den Bogen schnaufend auf ihren Rücken und zog ihre Waffe. So gewappnet arbeiteten sich Hauptmann und Soldat durch die aufgeschreckten Federviecher und sorgen dafür, das jedenfalls für diese Nacht Zweitürmen vor weiteren Angriffen der Harpien gefeit war.

Erst als sie zurück getrottet kamen, merkte Cahira, nun hellwach vom vergangenen Kampf, dass ihr Pferd nicht mehr vor der Baracke stand und sie verbrachte den Rest der Nacht damit, ihr treues Reittier zu suchen. Schließlich fand sie “Pferd”, denn ein passender Name für den jungen Hengst musste erst noch gefunden werden, zitternd und mit einer blutenden Schramme an der rechten Flanke versehen irgendwo hinter einem Gebüsch - einer der gefiederten Eindringlinge hatte es wohl verletzt und es war geflüchet - und sie musste sehr viel Zeit und vor allem sanfte Geduld aufbringen, das nervöse Tier zu locken und ihm zu schmeicheln, so dass sie es wieder in den Stall zurück bringen und die Wunde versorgen konnte.

Gleich am Morgen darauf schlug sie einen Aushang an die Baracke. Papierkram - Berichte schreiben und vor allem lesen, Bekanntmachungen zu verfassen und studieren, sich informieren über Vorgänge im Regiment und der Baronie - gehörte natürlich ebenso zu ihren täglichen Arbeiten. Schreibtätigkeiten lagen ihr im Grunde genommen und sie erledigte diese ganz gerne. Doch auch Aufgaben, die ihr weniger behagten oder so lästig waren wie Insekten im Sommer, mussten vollbracht werden. Pflichterfüllung lag in ihrem Wesen und war etwas, was sie nicht erst als Soldat gelernt hatte.

So begab sie sich ein anders Mal in die Mithraskathedrale in Löwenstein, ganz freiwillig, um bei der Eidabnahme des Barons von Zweitürmens dabei zu sein. Einerseits war sie einfach neugierig, wie so etwas ablaufen sollte, auf der anderen Seite gehörte sie zum Regiment und sah es als eine jener unwillkommenen Verpflichtungen an, dabei zu sein, wenn ihr Dienstherr einen heiligen Schwur ablegen sollte. Die Kirche war voll, die Bänke unbequem und warum die monotone, schleppende Art der Predigt des Priesters nicht schon längst als anerkannte Foltermethode auserkoren worden war, war ihr ein Rätsel.

Mit Ehrwürden, nein, nun Hochwürden Schuhmann tauschte sie nur ein kurzes Nicken - überhaupt, wie oft sie an diesem Abend irgendwelchen Leuten zugenickt hatte, war es ein Wunder dass ihr Kopf noch auf ihren Schulter sass - und obwohl der Mann ihr gegenüber keine Anstalten machte, sich ausfallend zu verhalten, konnte sie seine Anwesenheit nur schwer ertragen. Er hatte ausgerechnet ihre Sitzreihe dazu auserkoren, umherzustolzieren und einen wachen Blick auf die Kirchgänger zu werfen und stand dann die Hälfte der Messe genau neben ihr. Sie versuchte ihn zu vergessen; zuckte dennoch zusammen, als er plötzlich so nahe bei ihr “So sei’ es!” als Abschluß eines Gebets verkündete.

Die anschließende Feier gestaltete sich schwieriger als gedacht. Merkwürdigerweise hatten die in der Nähe der Kirche gelegenen Taverne alle geschlossen und als Baron Siegfried dann schon das zweite Mal an verschlossenen Türen rüttelte, maulte er lauthals auf. Cahira erschien er als bodenständiger Mann - sie hatte bereits ein paar Worte mit ihm wechseln - und dass er seinen Unmut so offen und frei zur Schau trug und er zuvor bei der göttlichen Vereidigung auch an die Bewohner der Baronie gedacht und sie in seinem Schwur erwähnt hatte, brachte ihm nur noch mehr Sympathie von der jungen Frau entgegen.

Schlußendlich fand die kleine Gruppe, bestehend aus dem Baron, Frau Fionola, Erin und ihr selber einen Platz in einer der Schankstuben in der Neustadt. Eigentlich war auch hier kein Wirt zu sehen, das Essen musste wohl oder übel ausfallen und das obwohl ihr Magen bereits begehrlich zu knurren begonnen hatte, aber Siegfried nahm Getränkeflaschen und Becher aus dem Regal hinter der Theke und legte im Gegenzug eine mehr als ausreichende Menge Münzen auf den Thresen. Das Gespräch entspann sich um das anstehende Volksfest in Zweitürmen. Irgendwann stieß auch Arthar wieder zu der Gruppe. Er hatte irgendwelche Geschäfte erledigt und auch die bestellten Schneidersachen für das Regiment von Herrn Altwasser abgeholt - und war aus einem ihr unerfindlichen Grund in feindseliger Stimmung. Sie bildete sich das nicht ein; er sprach schärfer und gereizter mit ihr als mit den anderen und funkelte sie ein ums andere Mal böse an.

Cahira war es gewohnt, dass auch Männer ihre Stimmungsschwankungen hatten. Ihr war es dann mehr als recht, man sprach darüber, auch wenn das Gespräch dann hart und unerfreulich war, aber die Sache war dann meist vom Tisch. Aber diese grundlose Anfeinderei zerrte ihr an den Nerven. Wenn sie einen Fehler gemacht hatte, sollte er einfach mit der Sprache rausrücken, sie anbrüllen oder bestrafen, damit würde sie schon umgehen können. Als sie den Hauptmann einige Tage nach der Erledigung einiger Verkäufe für das Regiment auf dem Marktplatz in Löwenstein traf, ergab sich die Gelegenheit, den Mann privat darauf anzusprechen. Natürlich erinnerte er sich an nichts. “Es tut mir leid, falls ich Euch gekränkt haben mag, aber als Soldat braucht man eine harte Haut ... “, erwiderte er schlicht. Die junge Frau ballte ihre Fäuste und schluckte ihren aufkeimenden Ärger hart die Kehle runter. Es hatte keinen Sinn, weiter zu diskutieren, um so mehr würde sich Arthars Eindruck festigen, dass sie eine empfindliche Pflanze wäre.

Machte er sich überhaupt die Mühe, seine noch recht neuerlichen Untergebenen kennen zu lernen? Wusste er eigentlich, welche Vergangenheit seine Soldaten hatten, welche Talente und wie er diese nutzen konnte? Sicherlich war dieser Prozess des Kennenlernens noch längst nicht vollzogen und Hauptmann und Soldat hatte wohl noch so manche Reiberei zu durchstehen, ehe sich auch bei ihnen dieses Gefühl des blinden Vertrauens einstellen sollte. Dafür würde die Zeit und mit ihr der Alltag schon sorgen, wie sie auch dafür sorgte, dass die Wunden ihres Pferdes heilten und diese Episode des Ärgers nicht von Dauer war.
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
Herzlichen Dank an Morrigan!
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RE: Der Dienst endet mit dem Tod. - von Cahira Mendoza - 29.05.2015, 12:59



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