FSK-18 Wenn die Nacht anbricht
#7
Als die Dunkelheit über die Stadt hereinbrach, saß der Berater am Tisch seines eigenen Hauses. Er nannte es sein Haus - aber das war es eigentlich nicht. Im flackernden Schein einer ersterbenden Kerze, breitete sich die Handschrift der ehemaligen Priesterin Mirialay Greiffenwaldt aus, die er nun wiederholt gelesen hatte.

Mithras möge Dich für immer mit seinem Licht beflügeln, Garion.

Wenn Du, mein lieber und so sehr geschätzter Freund, diese Zeilen liest, werde ich auf dem Weg in das Elysium sein.

Es ist nicht akute Verzweiflung oder die Trauer über den Verlust von Taliya, die mich dazu veranlasst. Ich war schon lange nicht mehr so klar in meinen Gedanken wie in diesem Moment, in dem ich diese Zeilen an Dich schreibe, der Du immer für mich da warst.

Ich weiß nicht, ob Du es verstehen wirst. Aber ich möchte Dir sagen: Ich will einfach gehen. Gehen mit Gerrik, den ich im Leben immer wieder verletzen würde, obwohl ich ihn liebe. Gehen mit Taliya, deren Leiche wir gleich abholen, um sie mit auf den Weg in das Feuer zu nehmen. Es ist ein Entschluss, der nicht vieler Worte zwischen mir und Gerrik bedurfte. Die Person, die Dir dieses Schreiben hier überreicht, wird uns helfen, den Weg zu gehen.

Die Kirche, die mir mein Leben lang Heimat und Familie war, hat sich zu einem Ort der Selbstjustiz und des Verbrechens an den Grundfesten des eigenen Glaubens entwickelt. Was heute abend geschehen ist, widerspricht jeder Lehre, die ich noch vor kurzem selbst verkörperte.

Es hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen, wie sich dieser Ort und diese Institution, die ein Hort der Wahrheit und Gerechtigkeit sein sollten, entwickelt hat.

Ich möchte nicht, dass sie weiter ihre Kraft und Zeit damit verschwenden, gegen zwei Menschen vorzugehen, die einfach nur versucht haben, ein Leben zu leben, für das sie letztendlich wohl nicht geschaffen sind.

Ich habe mein Leben Mithras gewidmet. Selbst der Entzug der Weihe nach meinem Austritt hat daran nichts geändert. Der Dienst in der Kirche machte mich unglücklich, weil ich gegen Dinge ankämpfte, die sich letztendlich heute abend wirklich zeigten: die Kirche hat mit meinem Austritt an Milde und Intelligenz verloren. Die Kirche hat keine Gerichtshoheit über solche Dinge. Wo Recht und Gesetz eingehalten werden sollen, ist hier etwas passiert, dass Du nie vergessen darfst:

Sie haben mich gefoltert. Und sie wollten uns vorformulierte Geständnisse unterschreiben lassen, um uns auf ewig als Blasphemiker abzustempeln. Sogar jene, die sich als meine Freunde bezeichneten, haben mich alle dabei verraten. Ich kann nicht verstehen, was Alina und Zerline geritten hat. Ich weiß scheinbar nun endlich den Grund, wieso viele in der Kirche mich schon bekämpften, als ich noch das Rot trug und die Lehren des Herrn vor mir hergetragen habe.

Die Dinge, die ich wirklich getan habe, habe ich alle offen und ehrlich geäußert. Zu lügen ist mir fremd.

Ich möchte nicht, dass dies ein grauenhaftes Ende findet in einem Sumpf aus Lügen. Mir kann man einen Drang nachsagen, dass ich immer noch die Lehren des Herrn offen verkörpere und damit so in den Ärger gerate. Nenne es von mir aus eine heilige Mission, die mir nach diesem fast vollständigen Leben in der Gemeinschaft des Lichtes der bloße Austritt und der Weiheentzug nicht nehmen können.

Ich möchte nicht irgendwann durch ihre Hand sterben. Sie sollen ihre Kräfte und ihre Zeit nutzen, gegen jene vorzugehen, die wirklich Feinde der Ordnung sind: Ketzer, Paktierer, Hexer, Verräter. Leute wie Merandor, die mich eine Blasphemikerin schimpfen und selbst eine Akte voll von Lügen geführt haben. Wenn mein Tod und der meines geliebten Gerrik mich aus der Schusslinie nimmt, damit die Kirche sich mit den wahren Problemen beschäftigt, dann ist dieser Tod sinnvoll. Ich könnte nie aufhören, dem Herrn zu dienen und damit jene zu treten, die ihre Lehren mit Füßen zerquetschen und junge Menschen, die einfach nur leben wollen, in finstere Verliese einkerkern ohne jegliches Recht.

Nenne mich Idiotin oder Möchtegern-Märtyerin. Es ist das Richtige.

Dazu kommt, dass sich Probleme ergeben haben, für die ich schlicht keine Lösungen finde. Taliya ist tot, von Wölfen zerfetzt, nachdem sie ohnehin aus meinen Fingern zu entgleiten drohte. Es hätte uns zerrissen. Zudem besteht das Problem, dass ich Gerrik liebe und er mich - aber mir bei ihm etwas fehlt.

Er ist immer so lieb und gütig gewesen, aber ich scheine mich einfach nach einer starken Hand zu sehnen, die mehr Anführertum und Männlichkeit verkörpert. Ich liebe ihn - und allgemeiner Logik folgend müsste ich mich von ihm trennen. Doch das könnte ich nicht, das würde ihm und mir Schaden bereiten. Und mit ihm zusammenbleiben würde auch nicht gut tun, weil ich ihn immer wieder verletzen würde. Ich bin kein böser Mensch, der so etwas leben kann.

Deswegen möchte ich mit ihm gehen. So kann ich ihn nie mehr verletzen.

Und ich gehe mit Taliya, die ihren Schwur hielt, bis an ihr Ende bei mir zu bleiben - so wie ich ihr geschworen habe, ihr zu folgen, wohin auch immer sie geht.

Die Kirche wird ihr Lieblingsspielzeug verlieren - und ich gehe als Jungfrau und mit reinem Gewissen. Das Elysium wartet auf uns drei - und ich spüre, dass Gerrik und unsere Begleitperson das Gleiche wissen.

Wir werden uns dereinst wiedersehen, Garion. Da bin ich mir sicher. Wenn ich eine Predigt über Ehrlichkeit und Loyalität verfassen würde, dann wärst Du das beste Beispiel. Ich habe Dich immer bewundert und geschätzt. Und ich weiß genau, dass Du Dein Leben in SEINEN Dienst stellst, mehr als viele andere, die nur behaupten, es zu tun, aber seine Lehre zertrampeln.

Weine um mich, wenn Dir danach ist - aber wisse, dass ich dies nicht tue, weil ich mich feige davonstehlen will oder vor Verzweiflung wahnsinnig werde. Doch wir sollten beide wissen, dass sie uns nie in Ruhe lassen werden. Und so findet alles seine Ruhe. Unsere Körper werden nicht mehr da sein, unser Blut wird den Strand im Norden der Wegkreuztaverne beflecken. Heiliges Feuer unseres Herrn wird uns ins Meer verwehen.

Ich wünsche Dir zutiefst, dass Du das, was Du als Deine persönliche Mission siehst - die Reform der Kirche von innen - erfüllen wirst.

Und ich wünsche Dir mehr als alles andere, dass die Frau, die Du liebst, in Dein Leben zurückkehrt und Dir mehr Glück bereitet, als Du es Dir vorstellen kannst.

Und so verkünde ich Dir, Garion Inverick, meinen persönlichen Wunsch an Dich: Ich möchte, dass Du in der nächsten Ausgabe der Zeitung einen Nachruf über mich schreibst, der in Deinen Worten beschreibt, wofür ich immer gekämpft habe und was Du an mir geschätzt hast.

Und damit verbunden hoffe ich, dass Du es schaffst, das mein Name dereinst in Ehren gehalten wird und nicht beschmutzt, so wie es jetzt noch schlimmer werden würde. Und mache die Kirche bitte wieder zu einem Ort, an dem Menschen wie ich dem Herrn dienen können, ohne dabei zugrunde zu gehen.

Bitte sage all jenen, denen ich mit meinem Abgang Kummer bereite, dass es mir leid tut. Versuche, es ihnen zu erklären, auch wenn es schwer fällt. Sag Wulfrik, dass er ein guter Mensch ist und unsere Familienehre hochhalten soll. Sage Alina, dass ich nicht verstehe, was sie dazu brachte, solch ein Chaos anzurichten, obwohl sie mich kurz zuvor noch ihre beste Freundin nannte. Sag all jenen, die wirklich Kummer verspüren über meinen Abgang, dass ich sie lieb habe. Und nimm doch eine Urne und fülle sie mit Asche und stelle sie in unsere Familiengruft. Es muss ja keiner wissen, dass dies nicht wirklich unsere Asche ist, die sich im Meer verteilen wird.

Mein weniger Besitz in meinem Zimmer im Neuen Hafen und auf der Bank soll jenen zufallen, die ihn haben möchten. Ich vermute einmal, dass Leonie an dem Zimmer Interesse zeigen wird. Sie soll es von mir aus gern übernehmen. Wenn sie die gelagerten Rohstoffe und Kleidungsstücke nicht benötigt, verteile sie doch an interessierte Personen. Ich würde diesen wenigen Besitz eigentlich der Kirche vermachen, doch befürchte ich, dass sie ihn nicht mehr haben wollen. Und irgendwie wäre das eine seltsame Ironie, es nach der Aktionen ihnen zu geben. Du wirst es ja selbst feststellen.

Du bist einer der Menschen, die wirklich für das Gute stehen. Mach nicht nur das Gute, mach das BESTE.

Deine Miri
Even the nicest people have their limits. Don't try to reach that point, because the nicest people are also the scariest assholes when they've had enough.
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Nachrichten in diesem Thema
Wenn die Nacht anbricht - von Taliya Valaris - 07.10.2013, 07:12
RE: Wenn die Nacht anbricht - von Gerrik - 08.10.2013, 14:16
RE: Wenn die Nacht anbricht - von Garion Inverick - 14.10.2013, 22:03



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