FSK-18 Träume
#6
Ironischer weise war es ihr 14ter Geburtstag gewesen, als Elda sich endgültig jegliche Chance auf ein schöneres Leben verbaute.
Sie war wieder im alten Hafen und sie wusste es war der siebzehnte Ernting. Sie wusste genau was heute geschehen würde und doch verlief alles so wie damals. Es war als würde sie sich selbst zugucken.
Sie musterte die Gestalt genauer, nach jedem vertrauten Detail suchend, das ihr auffallen möge. Da vor dem Fenster der Taverne hockte eine schmale, abgemagerte Gestalt. Sie war in Lumpen gekleidet, welche kaum ihren jungen Körper verdeckte. Der erste Ansatz eines Busens, war geradeso auszumachen. Die Hüften noch schmal wie bei einem Knaben. Selbst ihr Haar war kurz geschnitten gewesen. Das strahlende Rotblond unter dem ganzen Dreck kaum zu erkennen. Sie trug einen Gürtel, welcher ihr viel zu groß war und drohte ständig von ihrem dürren Becken zu rutschen. Ihr Gesicht war rund. Zu Rund um wirklich hübsch zu sein. Sie wirkte so unreif wie sie war. Nur ihre Augen stachen einen förmlich mit ihrem Blick. Sie waren voller Wünsche, Hoffnung und Trotz gegen die ganze Welt.
Schon so oft saß sie vor diesem Fenster und beobachtete die Männer darin. Vom gemeinen Ganoven bis hin zum skrupellosen Auftragsmörder war alles vertreten. Sie sah so viele Gesichter, die ihr heute so vertraut waren. Nikolaj, Bronko, selbst Lysander, welcher damals nur ein Seemann war, der alle Jubeljahre mal in Löwenstein halt machte. So viele andere Gesichter, denen sie einmal einen Namen zuordnen konnte, und welche nun tot oder auf ewig im Kerker der Stadt verschwunden waren. Hier und da, saß auch ein Edelmann in der Schenke, auf dem Schoss ein halbnacktes, kicherndes Mädchen. Diese Mädchen fielen ihr auf. Sie waren so schön, trugen so wunderschöne Kleider. Ihre Körper waren wohlgeformt und rosig. Das absolute gegenteil von ihr. Sie wusste genau womit die Frauen ihr Geld verdienten. Sie hatte oft genug heimlich zugesehen, wenn eine mit ihrem Freier in eine dunkle Ecke verschwand. Für die junge Elda waren diese Frauen strahlende Figuren. Frauen die auf leichte weise ihr Geld verdienten, Wein tranken, lachten, sangen und sich nicht in den Gassen um etwas Brot prügeln mussten.
Heute war ihr Geburtstag und irgendetwas in dem Mädchen erwachte in dieser Nacht. Die ältere Elda biss sich auf die Unterlippe. Sie wusste genau was an diesem Abend passierte. Dieser Abend ist nie wieder aus ihrem Bewusstsein verschwunden. Es hatte sie auf ewig an den alten Hafen gefesselt. Sie betrat geduckt die Spelunke. Beinahe unbemerkt ging sie an den Männern am Tresen vorbei, wollte auf eine der leichten Mädchen zugehen. Sie spürte einen Blick auf sich. Elda sah ihre vergangene, kleine Gestalt sich herumdrehen und wie Nikolaj, ihr Nikolaj sie einfach nur ansah. War das damals wirklich so passiert? Sie war sich nicht mehr sicher...
Eine der Dirnen, Luri wurde sie genannt, nahm sich Elda an diesem Abend an. Damals hatte sie zu ihr aufgesehn. Heute wusste Elda das die Schlampe nur mit ihr gespielt hatte. Auf ihre Kosten die halbe Taverne unterhielt. Sie gab dem Mädchen süßen Wein. Einen Becher nach dem anderen. Sie schien es witzig zu finden, wie Elda herum torkelte, ungeschickt mit ihren Messer jonglierte und schlussendlich in eine Ecke kotzte. Die Hure nahm sie damals bei Seite. Die erwachsene Elda beugte sich vor um die Worte genau zu hören, die sie eigentlich schon kannte und niemals vergessen würde. "Jeden Tag wirst du dich so fühlen, Kindchen. Beschämt, dreckig und benutzt. Mit oder ohne Alkohol. Willst du das wirklich?" Dumm wie sie damals war, nickte sie nur eifrig. "Ich will nur weg von der Straße. Ich will eine starke Frau sein, wie du!"
Die Frau hatte ihr ihren ersten Freier besorgt. Sie starb ein Jahr später aus immernoch ungeklärten Gründen. Sie grinste bei der Erinnerung an Diese Nacht. Doch noch war sie hier, in dem schummrigen, nasskalten Kellerraum. Elda konnte sich nicht mehr an den Namen des Mannes erinnern, dafür umso mehr an seinen Geruch. Fisch, Pisse und und der säuerlich-alkoholische Mundgeruch, ließen sie heute noch eine Gänsehaut bekommen, wenn sie daran dachte. Er war ein hässlicher, dreckiger Seemann, der wohl eigentlich eine Vorliebe für junge Knaben hegte. So sagte man ihr damals.
Jedes kleine Detail ihrer ersten Nacht als Hure stachen Elda förmlich in die Augen. Als wär alles schärfer und irgendwie bunter. Sie stand neben ihrer liegenden Gestalt. Dieser stinkende, alte Sack über ihr. Ein paar einzelne Tränen rannen ihr über's Gesicht, als sie abermals alles erlebte. Schon hunderte Male hatte sie diesen Moment wieder erlebt. Der stechende Schmerz zwischen ihren Beinen, die groben, schmierigen Hände auf ihrer Haut. Das Gewicht dieses fremden Körpers auf ihr und wie sie einfach nur, wie ohnmächtig, da lag und zur Kellerdecke starrte. Es war so schnell vorbei gewesen. Der Kerl stand auf, zog sich die Hose hoch und warf ihr ein paar Heller zwischen die noch immer gespreizten, zitternden Beine. Der Klang der Münzen, wie sie auf den Stein fielen, ließen ihre Ohren klingeln. Sie hätte dieses Mädchen so gern in den Arm genommen. Ihr über das Haar gestrichen, wie ihre Mutter es damals immer tat. Sie hätte ihr so gern gesagt, wie schön solche Momente, mit dem richtigen Mann, seien konnten. Dass sie das nie wieder tun müsse. Das es andere Wege gäbe an Geld zu kommen. Doch Elda wusste das es nichts nutzte. Sie wusste das sie abermals nur stumme Zuschauerin war. Das dieser Traum immer wieder kehren würde um ihr zu zeigen, was sie wirklich war.
Kein hübsches Haus in der Altstadt, keine schönen Kleider und keine Beziehung zu einem Mann den sie liebte, konnte darüber hinweg täuschen, dass sie ein Straßenkind war. Eine Diebin, eine Hure und eine Mörderin. Und das würde sie auch immer bleiben...
Die Wände des Kellergewölbes schienen zu verwischen und wie Wasser in der Finsternis zu zerfliessen.

Sie schreckte hoch. Ihre Brust ob und senkte sich heftig unter den Fellen. Ihr Gesicht war tränennass und ihr Bauch tat weh. Ihr war so unglaublich übel. Ohne auf den schlafenden Mann neben sich Rücksicht zu nehmen, erhob sie sich eiligst und nicht sonderlich geschickt.
Sie eilte aus der Wohnung, die Stufen hinab, ein paar mal gefährlich strauchelnd. Sie rannte in die Ecke des kleinen Vorhofes, sank auf die Knie und erbrach sich heftig. Die ersten Farbenspiele der Morgendämmerung waren am Himmel zu sehen und leuchteten auf ihrem blassen, nackten Rücken. Einige Momente noch saß sie zitternd dort unten, ihren Magen bis aufs letzte entleerend und dabei leise schluchzend. Ihre Gedärme schienen sich immer und immer wieder krampfhaft zusammen zu ziehen,und ihr war als würde sich die Welt um sie drehen. Die letzten Bilder des vergangenen Traumes immer noch in ihrem Bewusstsein, war es ihr unmöglich wieder aufzustehen. Ihre Beine fühlten sich an wie Pudding und ihr Kopf war wie mit Watte vollgestopft. Auch wenn er noch schlief, konnte sie so nicht wieder hoch gehen. Sie lehnte ihre brennend heiße Stirn an den kalten Stein. So sollte er sie nicht sehen. So sollte niemand sie sehen. Ein paar Minuten noch hier in der frischen Luft sitzen, die letzten Tränen versiegen lassen und Kraft sammeln... Nur noch ein paar Minuten...
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Träume - von Elda Abendroth - 14.06.2013, 12:22
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Eldas Geburtstag - von Elda Abendroth - 15.07.2013, 13:15
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RE: Träume - von Elda Abendroth - 28.06.2014, 15:56
RE: Träume - von Elda Abendroth - 08.12.2014, 19:20
RE: Träume - von Elda Abendroth - 04.07.2015, 15:23



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