FSK-18 Grübeleien
#1
Sie sah auf die Schuppen aus Leder, die penibelst vernäht, jede einzelne mit dutzenden kleinen Stichen, langsam ein Hosenbein zu bilden begannen. Verflixt es hat sich in der dritten Reihe ein korrigiertes eingeschlichen. Es saß perfekt, aber man sah die winzigen Löcher die die Nadel beim ersten mal annähen hinterlassen hatte. Den meisten wäre es sicher nicht aufgefallen, ihrer Penibilität schon. Also nahm sie einen winzigen scharfen Haken und trennte dort Stich für Stich auseinander und setzte eine neue Schuppe ein. Sehr lange betrachtete sie diese Schuppe als sie am Ende hielt.
Eine Schuppe, wie die Schlange die sie als Kind hinter dem Haus in Ravinsthal gesehen hatte. Ravinsthal, ihre Eltern, ihr Dorf… Ravinsthal fehlte ihr so. Ja das Lehen war eigen, unbestreitbar, aber genau dies liebte sie daran. Ravinsthal war ein Musterbeispiel an Loyalität und Toleranz. In Ravinsthal wurde schlicht und ergreifend jeder über den Tisch gezogen und geneckt. Irgendwas fand sich immer, was war eigentlich egal. Aber am Ende lies man nichts auf die andren kommen. Denn dass man dem Nachbarn die Leibeigene mit einem Trick weg nahm und der Großonkel das Testament der Cusine fälschte und der Kerl am Ende der Straße einem schon das 3. Mal die Schafe geklaut hatte, war im Grunde ja nur die Revanche für die Gerüchte die man kürzlich gestreut hatte, und im Grunde all dies nur ein Zeichen von Zuneigung. Denn machte man sich so viel Mühe mit Streichen wenn einem jemand egal war?
Kurz lächelte sie. Ihr fehlten die Wortgefechte und kleinen Streiche. Der Abend in der Taverne gestern hatte sie ein wenig daran erinnert.
Der Abend war schön gewesen. Sie hätte nur gehen sollen bevor sie erfahren hatte wer neben ihr saß. Eigentlich hätte sie es an dem flammend roten Haar schon erkennen müssen dass es einer von Gwens Sippe war. Welf…


Kurz kam ein tiefes Seufzen aus ihrer Kehle. Dass sie immer noch die Schuppen anstarrte ohne weiterzumachen, merkte sie nicht einmal.

Wieso hatte es nicht irgendein anderer interessanter Mann sein können? Wieso ausgerechnet auch noch Gwens Bruder? Das konnte alles nicht gut gehen. Und dann hatte sie ihm auch noch erzählt dass… Verflixt noch mal! Wieso konnten nicht alle wie Simona sein, wenn sie schon nicht wie sie selbst waren. Sie verstand diese ganze Debatte um den Glauben nicht. Keiner von ihnen glaubte an etwas Schlechtes. Wieso konnte man den andren nicht einfach ihren Glauben lassen? Sie wetterte ja auch nicht gegen Mithrasgläubige. Dabei hatte ihr Gott sich einfach in die Welt gedrängt und als der alleine Herrscher und Retter aufgespielt. Dennoch hatte sie nichts gegen ihn. Simona sah das sicher anders. Aber sie hatten beiden zu Beginn klargestellt dass Glaube einfach nicht thematisiert wurde zwischen ihnen.
Und vermutlich war das der Grund wieso gestern alles aus ihr herausgeplatzt war. Seitdem sie so oft bei Veltenbruchs ein und aus ging, hatte sie ein stetiges schlechtes Gewissen. Und dies ärgerte sie. Es gab einfach keinen Grund dafür. Aber sie wusste sehr wohl, dass sie nicht mehr Gwens beliebte vernünftige Freundin sein würde, wenn sie dies über sie wussten. Dabei war sie doch niemand anders. Aber sie konnte mit keinem drüber reden. Zwischen ihr und Simona war Glaube ein Tabuthema, Carmelina verstand nicht wieso ihr das überhaupt wichtig war. Sie war sehr skeptisch gegenüber allen die nicht dachten wie sie und besonders gegenüber den großen Familien. Und das teils zurecht. Sie behandelten sie immer wie Verbrecher. Gwen hatte genug eigene Sorgen mit ihrer Familie und sie wollte ihr auch noch Zeit geben darüber nachzudenken. Es war ein echter Kulturschock für sie gewesen. Aber wenigstens ihr gegenüber war es heraus.

Jedenfalls wusste sie nicht was sie davon halten sollte dass er nett war heute. Sie wusste auch nicht was sie wirklich von ihm hielt. Sie mochte seine unbesorgte und leichtlebige Art. Und wäre er jemand anders, hätte sie sicher gerne Zeit mit ihm verbracht und vielleicht hätte eine kurze eher unverbindliche Romanze beiden etwas Freude in den Alltag gebracht. Aber erstens war er Gwens Bruder, zweitens hatte sie seine Aussage gestern Abend tatsächlich etwas getroffen. Was hatte er gesagt als sie ihn umarmt hatte? „Am Anfang des Abends war es vielleicht was ich mir gewünscht hatte, doch nun sieht das alles wieder ganz anders aus.“ Er hatte behauptet sie etwas verstehen zu können, aber offenbar war es doch ein Problem.
Sie war wütend. Wirklich wütend. Wie konnten Menschen so dumm und so verstockt sein!


Als sie die Faust ballte bohrte sich eine der Lederschuppen in ihre Hand. Dies holte sie immerhin zurück in die Gegenwart.

Sie hatte im Grunde keine Zeit sich Gedanken zu machen über Götter und Glauben und Männer. Vor ihr lag ein Gesellenstück das auf seine Fertigstellung wartete. Sie hatte ihre eigenen Maße genommen. Sie wollte es voll Stolz tragen. Immerhin war es der Schritt zum vollwertigen Schneider für sie. Da mussten Freunde und Grübeleien mal einige Tage zurückstecken. Lediglich ihre Kunden versuchte sie noch einigermaßen zu bedienen. Immerhin musste sie ein Auskommen haben.

So verbannte sie alles andre aus ihrem Kopf… vorerst… und machte sie wieder an die Näharbeit. Stich für Stich für Stich. Nur so kam man ans Ziel. Schritt für Schritt, Wort für Wort , Münze für Münze und Stich für Stich.
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Grübeleien - von Anabella - 07.06.2013, 18:52
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Feuer - von Anabella - 02.07.2013, 15:05
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