FSK-18 Grübeleien
#21
Nicht alles, was totgeschwiegen wird lebt.



Sie liebte die morgendlichen Stunden. Sie liebte den Nebel der sich nur sehr langsam von den Rabenfeldern aufs Meer zurück zog und der irgendwann nur noch über dem Sumpf zu finden war. Sulis streckte sich noch müde und dass sie erwacht war, erkannte man nur daran, dass der Himmel nicht mehr nachtschwarz schimmerte sondern langsam in ein erstes sanftes Grau überging. 

Nur ganz kurz verharrten ihre Gedanken bei dem weichen, warmen Bett zu Hause, dann atmete sie die würzige Seeluft zufrieden ein. Das Feld war gegossen, die Schafe geschoren und alle Tiere gefüttert. Der Herde ging es gut. 




Nachdenklich kehrten die Gedanken zu jener seltsamen Begegnung zurück. Sie hatte vergessen nachzusehen ob wirklich etwas dort zu finden war, auch wenn sie insgeheim sehr daran zweifelte.
Gut, irgendwann war sie sich sicher gewesen, dass das vor ihr kein normaler Feld-, Wald- und Wiesenwolf war. Er war zu groß, zu ruhig, zu beharrlich, zu wenig gefräßig, fast schon rücksichtsvoll, zu schnell und  und zu... verwirrend? Ja das war eindeutig ein gutes Wort. Kurz nickte sie. Verwirrend, das war es gewesen. Beängstigend, ganz sicher. aber auch faszinierend. 
Es war eindeutig keine rein tierische Intelligenz, aber das Verhalten dennoch weit weg von dem eines normalen Menschen. Wobei... wenn sie hätten reden können, hätte vermutlich nicht all zu viel gefehlt im Vergleich zu den Gesprächen mit manchen Personen.

Erst hatte sie in Erwägung gezogen die Axt zu werfen, aber irgendwann war ihr gedämmert, dass es sinnlos wäre. Wenn das Tier es darauf angelegt hätte, wären ihre Chancen vermutlich schlecht gestanden. Sie musste sich darauf verlassen, anders aus der Sache heraus zu kommen.


Jeder ist ein Mond und hat eine dunkle Seite, die er niemandem zeigt

In dem Moment wo ihr klar wurde, dass es gewissermaßen fast fragte eines der Schafe reißen zu dürfen, hatte dann endgültig die Neugier die Oberhand gewonnen. Warum nicht die Gelegenheit beim Schopfe packen. Anouk hatte auf so vieles keine Antwort gehabt als es um dieses Thema ging. Noch viel weniger als auf die anderen Fragen, die sie persönlich so sehr auf der Seele brannten. 




Kurz verharrten ihre Gedanken, bei der Gestalt die um die Zeit wohl noch seelig in ihrem Bett vor sich hin schlummerte. Ihre Tagesrhytmen waren eigentlich recht gegensätzlich, stellte sie fest. Sie selbst stand schon vor dem Morgengrauen auf, erledigte einige Dinge und genoss die Stunden in denen der Tag erwachte, dann kehrte sie noch einmal zurück ins Bett und verschlief den halben Vormittag. Er hingegen stand meist auf nachdem sie gerade wieder ins Bett zurück gekehrt war und war dann den Rest des Tages nicht mehr gesehen. Frühestens am Abend führten sie ihre Schritte wieder zusammen. Aber anders als ihr damaliger Gefährte, hatte er stets etwas Zeit. Sei es um ein paar Augenblicke zu hören was sie erlebt hatte oder zu berichten wie sein Tag gewesen war. Nicht jeden Abend, aber in recht regelmäßigen Abständen lagen sie einfach auf ihrem Bett und unterhielten sich. Über ihre Träume, ihre Ängste, ihre Erfahrungen und es schien ihr als ob ihnen die Themen wahrlich nicht auszugehen drohten. Aber es war eine Gradwanderung nach was sie fragen konnte, ohne dass er zu seufzen begann, sie mit diesem sorgenvollen Blick ansah und ihr keine Antworten mehr gab. Auch für sie stand die Frage im Raum, was sie überhaupt wissen wollte und was sie wissen musste um ihn selbst und auch Andere zu beschützen. Wann war Wissen Fluch, wann Segen?




Das führte sie zurück zu der Situation in der eindeutig ihre Neugier gesiegt hatte. Wenn sie sich mit diesem Wolf schon auseinandersetzen musste, Flucht blieb ihr nicht wirklich in der Situation, dann konnte sie auch versuchen das beste daraus zu machen. Die erste Frage die sie brennend interessierte war: Wie bewusst waren sie sich ihres Zustandes und ihres Handelns? Es war auf alle Fälle eine gute erste Frage. Eine die sehr essentiell war, aber nicht zu persönlich oder heikel als dass sie ihren potentiellen Brieffreund  verschrecken könnte. 
Ja Wissen konnte zum Abgrund und zum Verderben werden. Genau deswegen war es wichtig dass die die verantwortlich genug damit umgehen würden, möglichst viel davon erlangten. Es half Gefahren und Gelegenheiten einzuschätzen. Und wenn sie nun an der einen Stelle nicht weiter kam, dann würde sie eben an der nächsten ansetzen.

Der Blick verharrte auf dem zerknitterten Stück Papier das an ihrem Gattertörchen klemmte. Nur ein einziges Wort und das nicht mal besonders gut zu entziffern 
Danke

Sie starrte es an. Danke... Das war die erste Antwort. Nun galt es vorsichtig den nächsten Schritt zu tun. so wie Mensch und Tier eben miteinander umgehen konnten. Vorsichtiges aufeinander zugehen, nicht erschrecken, keine eiligen Bewegungen machen, weder der eine, noch der andere, und die Eigenarten akzeptieren. Eine, so fand sie, in dem Fall gleichermaßen treffende wie seltsame Analogie.

Offenbar war der Mensch dahinter das Schreiben entweder nicht so gewohnt, oder es war eine Art Nebenwirkung der Verwandlung. Das wäre nun erst mal nicht ganz so wichtig gewesen, wen es ihrem Plan Nachrichten zu hinterlassen, nicht so entgegenstehen würde. sie musste gut darüber nachdenken welche Frage sie wie dann hinterlassen würde und was sie im Gegenzug anbieten konnte. Aber da würde ihr sicher etwas einfallen.


Die größte Ehre, die man einem Menschen erweisen kann, ist die dass man zu ihm Vertrauen hat.

Hingegen sein Hinweis jemanden zu fragen der sich auskennen würde, mit diesem anderen Kram der ihr Magenschmerzen bereitete... Noch konnte sie mit dieser Aussage wenig anfangen.
Generell waren seine Antworten immer entweder abwehrend oder grauenvoll kryptisch. Aber in einer Sache hatten sie ihr sehr weitergeholfen. Was die Sorgen einer ihr anvertrauten Person anging, war er sehr hilfreich gewesen . Es war wie sie im Grunde schon vermutet hatte, nur noch etwas komplizierter. 

Es war schwer gewesen die Fragen so zu stellen, dass sie nichts verriet von dem sie nicht wusste, dass er es wusste..., und allein dieser Gedankengang machte sie schon schwindlig. Sie konnte ja sehr diplomatisch sein und sie liebte kleine Geheimnisse und Intrigen, aber solche Dinge waren ihr zu wider. Probleme ging sie lieber mit wenig drum herumreden an und sie war froh in dieser Sache nicht allein zu sein sondern eine Mentorin zu haben, die sich solcher Dinge auch annahm und so viel mehr Erfahrungen mit sich brachte.

Sie war so anders als Gwaidir und dafür war sie dankbar. Er war unbestreitbar einer der aufopferungsvollsten Wächter den sie bisher getroffen hatte und er war einer der loyalsten und unkompliziertesten Freunde die sie je hatte, aber er war ganz sicher der falsche Lehrer für sie gewesen.
So wie sowohl Welf als auch Morkander die falschen Partner für sie gewesen waren. Sie war sich auch nicht sicher wohin die Zukunft sie tragen würde und ob auch Einar sich als der Falsche erweisen würde eines Tages, aber darüber wollte sie nicht nachdenken im Moment.  Dinge waren wie sie waren.
Und sie stellte fest, dass inzwischen der beinahe letzte Groll vollends abgefallen war von ihr. Langsam waren die Erinnerungen sogar fast nie mehr schmerzhaft. Es hatte lange Jahre gedauert und hatte sie so zieh geprägt , aber nun war sie wahrlich weiter gezogen. 

Von allen die auf Erden ich gekannt,
ich nur zwei Arten Menschen glücklich ich fand:
Den der der Welt Geheimnis tief erforscht,
und den der nicht ein Wort davon verstand

Mit jedem Tag ihrer Lehre eröffneten sich neue Wege, neue Fragen. Je mehr Wissen sie fand, um so mehr dürstete ihr nach mehr. Sie hatten lange geredet und vieles was Anouk ihr gesagt hatte, hatte ihr geholfen Dinge für sich klarer zu sehen. 
"Ich werde es dir weder ausreden, noch dich dazu ermutigen."
Im Lauf des Gespräches hatte sie kurz gerzweifelt ob die verzweifelte Suche nach Wissen nicht ein Irrtum wäre. Aber sie wollte nicht glauben, dass etwas was sich so dringend, so selbstverständlich anfühlte, wirklich ein Fehler sein könnte. Also entschied sie sich ihre Bedenken, oder mehr die des Mannes an ihrer Seite kundzutun. Beide verstanden die Sorge. Sie Gefahren von Wissen waren durchaus reel. 

"Nenn mich naiv und vielleicht zu idealistisch, aber ich will einfach niemand verloren geben. Ich will nicht hinnehmen, dass es Probleme geben soll für die es keine Lösungen gibt. Ja es gibt Monster da draußen. In jedem von uns steckt ein Monster. Im einen mehr, im andren weniger. Jeder Arsch mit einem Messer kann zum Monster werden. Und vielleicht, ja vielleicht ist bei einigen die einzige Möglichkeit sie zu retten, ihnen den  Kopf abzuschlagen. Aber so lange ich mir dessen nicht sicher sein kann und eine Wahl habe, will ich das nicht akzeptieren und werde nach Antworten suchen. Mama sagte immer 'Neugier ist der Tod der Katze'. Also muss ich einfach versuchen eine möglichst vorsichtige Katze zu sein."
Sie verstand mich und etwas an meinen Worten machte sie nachdenklich. Ich sagte ihr das selbe wie den Anderen "Ich werde keine Fragen stellen, aber ich werde immer zuhören.



"Als Druiden streben wir unser ganzes Leben lang nach der Wahrheit. Wissen kann belastend sein. Es kann bedeuten, Verantwortung zu tragen."

Das war nicht was sie fürchtete. Sie fürchtet, dass all das Wissen sie nicht weiter brachte und am Ende keinen Unterschied machte. Aber was war die Alternative? Es alles einfach hinzunehmen. Das Übel zu ignorieren oder ohne Sinn und Verstand auszurotten? Nein. Sie waren nicht wie die Mithraskirche die sich vor allem fürchtete was sie nicht verstand und was sich nicht in Formen drängen lies


"Ich würde mich jederzeit wieder für das Wissen entscheiden, ganz gleich wie unbequem es ist"
"Ich fürchte... ich auch"

In dem Moment wo sie es aussprach, wurde ihr klar, dass es die Wahrheit war, die sie bisher nicht erkannt hatte.Sie würde tun was sie musste. Sie würde jeden Winkel der Welt nach Wissen durchforschen. Geheimnisse waren das was ihr Macht  verlieh, Wissen war die Rüstung die sie tragen konnte und Geschichten waren das Schwert das sie zu führen verstand. Es galt nur jeden Schritt vorsichtig und bedacht zu setzen um sich nicht zu verlieren.
Auch wenn es jemanden gab, der mit dieser Erkenntnis nicht glücklich sein würde.

"Du musst die Abgründe kennen, um zu wissen, wie man sie erhellt"

Diese Aussage war es, die ihr Hoffnung gab. Es gab ein Licht für jede Dunkelheit, sie mussten es nur finden und ja... vielleicht muss man das Monster töten um den Mensch zu retten. Wer weiß?

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[Bild: Anabella-Signatur.png]
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Grübeleien - von Anabella - 07.06.2013, 18:52
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Feuer - von Anabella - 02.07.2013, 15:05
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