FSK-18 Grübeleien
#18
So lange war es her, so unglaublich lange... Doch so viele Jahre waren ihre Erinnerungen umwölkt gewesen, so lange hatte sie sich hartnäckig geweigert sich an irgendwas zu erinnern.
Und dann hatte sie Löwenstein betreten und die Geschehnisse hatten ihren Lauf genommen und dann hatten sich die Ereignisse überschlagen.


Sie war nach Löwenstein gelaufen weil die alte Gertraud krank war und nicht selbst reisen konnte. Keiner der kleinen Gruppe, bei denen sie sich seit Jahren nun versteckte, nachdem sie ihr in dieser verhängnisvollen Nacht das Leben gerettet hatten, war aufzufinden oder bereit den weg auf sich zu nehmen und so lief sie los. Bei Georg am goldenen Raben machte sie eine lange Pause. fast einen ganzen Tag hatte sie dort verweilt, bis sie sich aufrappelte. Sie mied diese Stadt wo immer sie konnte. Warum konnte sie selbst nicht genau sagen. Aber irgendwie war es als fühlte es sich falsch an dorthin zu gehen. Sie war sich sicher, dass sie die Antwort finden würde, wenn sie es zuließe, wenn sie vielleicht die alten Briefe lesen würde die in ihrer Tasche lagen. Aber sie wollte es nicht. Vor etwa 5 Jahren, hatten die Götter ihr ein neues Leben geschenkt und ihr all ihre Sorgen und Erinnerungen genommen. Sie hatte von vorne beginnen können. Unbelastet von den Schatten der Vergangenheit.

Gut. Es war kein tolles Leben. Gemeinsam mit einem ständig wechselnden Haufen von Tunichtguten in einem der vielen abbruchreifen, unverschlossenen Hütten in Ravinsthal zu nächtigen und von dem zu Leben was sich irgendwo... finden lies. Aber es war ein Leben und irgendetwas in ihr schrie, dass sie es damit gut sein lassen sollte.


Und dann tat sie den ersten Schritt auf dem Weg zurück. 

Sie war einem jungen Mann begegnet. Er war nett und hilfsbereit und verkaufte ihr unter anderem ein Pferd für den Rückweg, zu einem unverschämt günstigen Preis. Sie kamen ins Gespräch und etwas an ihm fühlte sich vertraut an. Und irgendwann fiel dieser verhängnisvolle Satz 

Wenn du sie siehst, grüß Elda von mir, ja?
Und sofort setzte die Panik ein. 

Elda?! Ich kenne keine Elda! Ich bin niemand mit diesem Namen jemals begegnet! 

Und sie wollte einfach nur weg aus dieser verfluchten Stadt. Den ganzen Weg bis zum Stadttor hinaus hatte sie dieses Kribbeln im Nacken, als wollte eine ganze Horde Ameisen an ihr hochkriechen, sie überfallen, bedecken und zu Boden drücken.
Erst am "Goldenen Raben" hatte sie das Gefühl durchatmen zu können. Und  eine Sache wusste sie mit unerschütterlicher Sicherheit: Hier war sie sicher. Georg würde nicht zulassen dass ihr etwas geschehen würde. Vollkommen egal ob es ein Schaden von innen oder außen war. Er war ihr Anker, der Ort an den sie zurückkehren konnte. Er war es jetzt und sie wusste tief drin, er war es auch in dem anderen Leben gewesen, an das sie nicht zu denken wagte. Er stellte keine Fragen und hörte ihren oft wirren Erzählungen mit diesem Lächeln zu, als wüsste er insgeheim mehr als sie selbst.



Und dann tat sie den zweiten Schritt auf dem Weg zurück.

Und diesen Schritt tat sie mit Cahira. Sie war durch Rabenfeld geschlichen und hatte sich abgemüht unauffällig an einem der Felder ein wenig Obst mitgehen zu lassen. Dummerweise hatte sie die Frau übersehen die das Feld goss. Möglichst selbstverständlich schlenderte sie an ihr vorbei. Doch diese verwickelte sie in ein Gespräch. Und es war ein wirklich angenehmes. Sie war eine so freundliche und einfühlsame Frau. 
Doch wieder fiel ein verhängnisvoller Satz. Dieses Mal von ihrem Gegenüber. 

Ach das wäre aber sehr schön wieder eine Schneiderin in Rabenstein zu haben. Seit Carmelina weg ist, gibt es keinen mehr hier.

Carmelina?! Sie kannte keine Carmelina... Sie wollte nicht daran denken, dass sie ihren Traum wahr gemacht hatte. Zurückkehren nach Rabenstein und die alte Schneiderei wieder öffnen. Ihre Hand über die Stadt halten und sie vor all den gierigen Finger beschützen die ihre schmutzigen Finger danach ausstrecken. Hatte sie an Ana gedacht, den Traum für sie verwirklicht... oder nur an sich?

Doch dieses Mal ließen sich die Erinnerungen nicht so leicht abschütteln. Sie brach zusammen und es war ihr peinlich. Cahira war so überfordert mit ihrem Ausbruch, aber tat instinktiv das richtige. Sie ließ sie weinen und zittern und schreien und legt nur eine Hand behutsam an ihren Arm. Sie lauschte ihren wirren Worten und gab zu nichts davon zu verstehen. 
Irgendwann hatte sie sich beruhigt und man trug ihr an, vielleicht einmal mit der Vatin zu sprechen. Der Name Anouk sagte ihr nichts und irgendwas an dieser Tatsache empfand sie als beruhigend und so willigte sie ein.



Und dann tat sie den dritten Schritt auf dem Weg zurück

Sie besuchte das Fest der Welten. Sie hatte es gehasst die letzten Jahre. Die meisten Feste waren in Ordnung gewesen. Sie hatte sie selbst gefeiert. Selbst Opfer gebracht und Gebete gesprochen. Die Traditionen, so gut es eben ging, ohne andere durchgeführt. Aber der dritte Tag des Fests der Welten war immer schlimm gewesen. Wenn sie all die kleinen Flammen an den Fenstern sah und die Schatten dahinter und sich nicht sehnlicher wünschte als Zuhause zu sein. Doch wo war das?
Dieses Jahr war sie hingegangen. Auch wenn der erste Tag eine Katastrophe war. Denn wieder fiel ein verhängnisvoller Satz.

Waren du und Morkander nicht einmal ein Paar?

Es gab niemanden mit dem Namen Morkander! Niemals hatte sie jemand mit grüner Farbe bekleckert durch die Stadt getragen oder ihr diese Worte ins Ohr geflüstert, die sie auf wahrlich magische Weise beruhigten. Niemals hatte jemand für sie in einem schäbigen Zelt im Armenviertel gesungen, wärend sie die Sterne ansahen oder sie in Angst an jemandens Bett gewacht, weil sie dachte er würde sterben und ihre Welt zusammenbrechen. Und ganz, ganz sicher, hatte sie nie nie niemals jemand zurückgelassen und ihr Herz in winzige Stücke zerbrochen.

Die Ruhe am Schrein half ihr zurecht zu kommen. Das und viel Alkohol. Sie schlief im Raben und an die Auseinandersetzung oder die Fragen dieses Mannes, erinnerte sie sich später kaum mehr. An diesem Ort waren so viele Erinnerungen so dicht unter der Oberfläche. Sie wusste dass sie da waren, aber sie wollte sie einfach nicht heraufkommen lassen.
Am nächsten Tag, gesellte sie sich mit ans Feuer. Oder zumindest in die Nähe. Und trotz des peinlichen Auftritts am Vorabend, sprach sie erst ein netter Mann und später die Druidin an. Sie redeten und sie akzeptierte. Sie akzeptierte, dass die Erinnerungen an die Oberfläche traten. Dass sie sie überwältigten und sie vertraute auf die Führung der Vatin und dass sie da wäre, wenn es zu viel wurde. Sie wusste nicht woher dieses Vertrauen kam, aber es war da.
Und da war so viel Schmerz und so viel Wut und so viele begrabene Hoffnungen und Träume und sie verstand warum sie sich dem nicht mehr hatte stellen wollen. 
Aber sie spürte auch, dass es Zeit war.
Und dann fiel einer der verhängnisvollsten Sätze

Sie sind alle längst fort. Niemand von ihnen, niemand von damals ist noch hier. Du kannst einen Neubeginn wagen.

Von neuem beginnen? War das hier wirklich ihr neuer Anfang? Nicht der Sturz vor 5 Jahren, hinunter aus dem Gebirge, nach Ravinsthal? Sie hatte keine Ahnung wie sie das überlebt hatte. Aber vermutlich hatten die Götter einfach wirklich noch etwas mit ihr vor. Und vermutlich hatten sie ihr wirklich die Zeit eingeräumt zu ruhen und Abstand zu gewinnen . Doch noch war sie nicht in Gänze bereit sich auf diese Gelegenheit einzulassen, das Angebot der Druidin wirklich in Erwägung zu ziehen.


Und am nächsten Tag tat sie den vierten Schritt auf dem Weg zurück

Und dieser Weg führte sie zuerst zu den Grauwölfen. Dieses nette junge Ding namens Virginie, hatte sie aufgesammelt als sie sich mal wieder heillos verlaufen hatte. Sie kamen ins Gespräch und sie erinnerte sich an die Wölfe. Marquard hatte sie damals wenigstens manchmal zum Lächeln gebracht und auch sonst waren sie raue, aber nicht unbedingt unangenehme Gesellen gewesen. Also bot sie ihre Hilfe an, falls sie etwas geflickt brauchten. Sie lernte Alec kennen und traf Einar wieder. Einar.. sie kannte ihn von damals nur als Marquards mürrisches Anhängsel, das so gar nicht erfreut war davon zur Schneiderin geschleppt zu werden. Aber dennoch war es eine Erinnerung die mit keinem schlimmen und schmerzhaften Gefühl behaftet war. Nein, eigentlich eher eine die zwar nicht intensiv war, aber sie lächeln lies. Es war schön in Erinnerungen an früher zu schwelgen, mit Jemandem, der einen nicht aufwühlte und der in einem nicht den Wunsch auslöste sich NICHT an ihn zu erinnern.

Und irgendwie, irgendwann auf dem Weg den sie an dem Tag begonnen hatten zu gehen, waren sie sich plötzlich nicht mehr gegenseitig von der Seite gewichen, ganz ohne es zuerst zu bemerken.
Er hatte so viel Kummer in seiner mehr oder minder gescheiterten Beziehung und damit dennoch nicht loslassen zu können. Und irgendwann gab sie ihm ein Versprechen. Egal welcher Kummer ihn plagte, egal was in seinem Leben schief lief, wenn er des Nachts an ihre Türe klopfen würde, wäre sie da. Sie würde ihm die Ruhe schenken die seine Seele brauchte und wenn Sulis des Morgens die Welt küsste, wäre das alles nicht mehr von Belang. Über nichts davon müsste jemals ein Wort gesprochen werden. Die Geheimnisse, der Kummer, die Wut, was immer an ihm nagte würde, gleich Galates Tun, niemals diesen Moment verlassen müssen. Auch sie würde dann keinen Mund haben.

Sie konnte nicht benennen was es war, was sie immer wieder zusammen zog, warum sie gegenseitig die Nähe des anderen suchten. Warum sie immer in Sorge um ihn war.  Sie wollte nicht dass man über ihn tratschte, weil sein Pferd fast jede Nacht vor ihrem Haus stand und erst im Morgengrauen verschwand, oder gar gegen Mittag. Aber sie kamen nicht voneinander los. Und irgendwann erzählte er dass er Marie verlassen würde. Er ertrug das alles nicht mehr. Sie wusste nicht wie viele Gespräche die Beiden noch geführt hatten, wie viel sie versucht oder es gelassen hatten, bis es letzten Endes wirklich endete. Aber für sie war es auch nicht wichtig. Egal wie es weiterging, sie wäre da wenn er sie brauchte. Doch tief drin, unbemerkt, hatten die vielen Stunden des über ihn und seinen Schlafs wachens, die vielen Momente des wortlos in den Armen des anderen liegen und einfach nur zur Ruhe kommens und ihre eigene Einsamkeit und Verletzlichkeit, etwas in ihr heraufbeschworen, was sie nicht mehr aufzuhalten im Stande war. 

In diesem Fall war es kein Satz der die Katastrophe auslöste, sondern mehr die Abwesenheit eines solchen.

Die beiden Männer standen sich gegenüber und die Wut war beinahe greifbar. Sie versuchte sie auseinander zu bringen, bevor es zu spät war. Sie versuchte mit ihm zu sprechen und ihn dazu zu bewegen es gut sein zu lassen
Sie machte ihm deutlich, dass jetzt nicht zurückzutreten, bedeuten würde sie zu verlieren. 
In seinem Zorn... hörte er sie nicht einmal.
Sie fühlte sich wieder so klein, so machtlos, sie hatte wieder versagt. Sie war nutzlos, wertlos... sogar für ihn. Sie sah ihre Freunde, die wenigen verbliebenen, wie sie gemeinsam im Haus auf der anderen Straßenseite lachten, feierten und scherzte. Sie sah wie andere den Weg gingen, nach dem sie sich so gesehnt hatte. Niemand nahm sie wahr, niemand hörte auf sie. Sie konnte sich auch kein Gehör verschaffen. 
 

Doch vielleicht war genau dieser Moment des Zusammenbruchs gewesen was sie gebraucht hatten. Beide hatten erst zerbrechen und das Vergangene damit abstreifen müssen um unbelastet neu zu beginnen. Um zu merken was jetzt wertvoll war. Doch nun war es gut.

Er gab ihr das Gefühl nach Hause kommen zu können zu jemandem. Nur die Götter mochten wissen, wie gut das ging und wohin es am Ende führte, aber in diesem Moment war es das was sie Beide brauchten.


Und dann... ging sie den 5. Schritt... und sprang!

An diesem Schritt, war kein Satz und keine Person schuld, außer sie selbst. Für diesen Schritt hatten die Götter sie wieder sacht an der Hand genommen. Lugh lies sie immer weiter wachsen. Sie schritt die Wege die Lyon sie sehen lies während Bormos Lied in ihren Ohren klang. Sie spürte Sulis Wärme auf dem Gesicht und wie Branwens Leidenschaft sie weiter trieb. Dann kam sie an der Klippe an und sie spürte Midirs Hauch unter ihren Flügeln und sie sprang. Während sie stürzte, fiel, flog, konnte sie Galates Geheimnisse in ihrem Herzen fühlen, so wie die vielen Male in den Momenten vor dem Erwachen... Und dann tat sie genau das.
Wie immer erinnerte sie sich nicht an Details und sie versuchte es auch nicht. Sie war keine Vatin und sah keine Zeichen. Wenn die Götter zu ihr sprachen, hörte sie das was sie ihr sagten, nur in Form der Gefühle und Gewissheiten die sie in ihr auslösten.
Und dieses Mal blieb eine unerschütterliche Gewissheit übrig.

Der wirkliche Neubeginn war nun gekommen, als sie akzeptierte, dass jeder Schmerz, jede Freude, jeder Umweg und jedes Scheitern, sie hierher geführt hatte. An diesen Ort, zu diesem Moment. All das war nötig gewesen um sie zu dem zu machen der sie war. Sie würde sicher noch manches Mal verzweifeln, zerbrechen, scheitern und jauchzend emporsteigen. Aber all das war der Weg der ihr gezeichnet war und all das würde sie jedes Mal mehr zu der formen die die Götter sahen als sie sie auf ihren Weg schickten.

Und so kam es, dass sie am Rabenkreis stand und das zweite Mal in ihrem Leben, den Schwur vor den Göttern und ihrem Lehrmeister tat. Und dieses mal würde sie nicht scheitern....
...und wenn doch, würden die Götter vermutlich wieder eine neue Schandtat bereit halten für sie. Und einen kleinen Moment war sie sehr froh, dass Easar keiner ihrer Schicksalsgötter war.
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Grübeleien - von Anabella - 07.06.2013, 18:52
RE: Grübeleien - von Anabella - 22.06.2013, 00:25
RE: Grübeleien - von Anabella - 22.06.2013, 18:00
Feuer - von Anabella - 02.07.2013, 15:05
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RE: Grübeleien - von Anabella - 29.11.2019, 18:40



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