FSK-18 Grübeleien
#17
Die Zukunft ist eine undankbare Person, die grad nur die quält, die sich recht sorgsam um sie kümmern.

(Johann Nepumuk Nestroy)


Es war eine Ewigkeit her seitdem sie sich das letzte Mal gestattet hatte ihre Gedanken frei wandern zu lassen. Aber hier an den Klippen zum Meer, fühlte sie sich frei genug, sicher genug dafür. Sie hatte nun hier in Candaria ihren Unterschlupf, ihr Nest. Aber egal was sie versuchte, es holte sie wieder ein. Immer und immer wieder. Egal wie weit sie lief, ER holte sie ein. Auch wenn das wohl kaum sein Ziel dabei war.
Es war ein langes auf und ab gewesen. Aber am Ende hatte sie versagt. Auf ganzer Linie. Alles was sie angefasst hatte in dieser Zeit, war wie eine alte Sandsteinskulptur in ihren Fingern zerbröselt.

Sie hatte versagt in ihrer Ausbildung als Druidin. Als Einzige… Sie hatte sich Gwaidirs Vorstellungen nicht beugen können. Sie konnte und wollte das nicht. Sie hatte viel gelernt aus seiner Lektion. Er hatte recht damit dass man, egal ob als Druide oder Freund, den anderen die Gelegenheit geben muss sich selbst zu entscheiden, selbst zu handeln und seine guten Ratschläge erstmal für sich zu behalten. Aber… und hier kam das große ABER das ausschlaggebend war für ihr Versagen… ihr Verantwortungsgefühl erwartete in manchen Situationen zu handeln. Nicht immer konnte man zusehen und Unrecht geschehen lassen. Manchmal musste man aufstehen und handeln. Und somit konnte sie ihm nur versprechen dass sie sich bemühen würde, Einmischungen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Aber ihm war es nicht genug. Und was er forderte, dem konnte sie sich nicht beugen. Dazu war sie zu sehr ihres Bruders Schwester.
So musste sie am Ende dankbar sein, dass er das ganze abschloss mit dem Beschluss dass sie es nicht konnte und versagt hatte und nicht mit dem Beschluss dass sie sich seinem Wort wiedersetzte. Denn das wäre wahrlich unangenehm geworden. Er meinte sie sollte einen anderen fragen. Doch wen hätte sie fragen sollen? Außerdem, wie wäre es gewesen zu sagen „Ich habe bei Gwaidir versagt, nun möchte ich es bei dir versuchen.“?
Er hatte gesagt er wäre dennoch stolz auf sie, gerade deswegen eigentlich, weil sie sich selbst treu blieb.
Und das war das letzte Mal dass sie sich gesehen hatten. Seitdem machte sie einen Bogen um den Rabenkreis. Lediglich Georg besuchte sie nach wie vor manchmal. Er war ihr zu sehr Freund, fast Familienersatz geworden, manchmal erschien er ihr als einziger feiner Faden, der noch eine Verbindung mit Zuhause darstellte.
Das Band zu den Göttern hatte nicht gelitten darunter, aber ihre Beziehung zu den Anhängern eben dieser, irgendwie schon. Die Gemeinschaft der Mondwächter erinnerte sie mit jedem Atemzug an ihr Versagen, ihren geplatzten Traum. Und einmal mehr vermisste sie Ophelia. Sie hatte immer irgendwie die richtigen Worte gefunden, damit sie im Dunkeln wieder einen Weg fand. Es war schon paradox und etwas ironisch dass sie nun, an diesem Punkt ihres Lebens, so dringend einen Druiden brauchen würde und zwar weil sie keinen Druiden ertragen konnte.

Nach all den Monden hatte sie an all dem immer noch so sehr zu kauen.



Der Kummer, der nicht spricht, nagt am Herzen, bis es bricht.

(William Shakespeare)


Genau wie an der Trennung von Morkander. Sie wollte eigentlich nur etwas Abstand. Sie wollte dass sie beide sich klar wurden wo sie standen. Aber das Ende vom Lied war, dass er niemals ein Wort dazu verlor. Er hatte ihr nicht geschrieben, sie nicht aufgesucht, nichts. Es wäre schwer gewesen wenn er gesagt hätte dass er getrennte Wege hätte gehen wollen. Aber es wäre etwas gewesen. Irgendetwas. Statt dessen… Sie hatte niemals erfahren wie er es empfunden hatte, was er sich gewünscht hätte.
Sicher hatte er ihr einmal angeboten, dass er mit ihr reden würde, wenn sie das Bedürfnis hätte.
Aber eigentlich hatte sie sich nur gewünscht dass er ihr sagen würde ob er noch etwas auszusprechen hätte.
Aber nun war es wohl egal. Er hatte scheinbar gut damit abgeschlossen. Gut genug dass er nicht mehr mit ihr sprach, sie nicht mal mehr grüßte auf der Straße, gut genug dass er eine andre hatte.
Carmelina hatte nicht rausgerückt damit wer sie war. Nur damit dass sie eine Freundin wäre, oder ehemalige Freundin. Aber im Grunde konnte sie sich nicht recht vorstellen wer es sein sollte. Alle die ihr noch Freund waren, konnte sie ausschließen. Leute die einmal Freunde waren…
Wer waren ihre Freunde? Wer war von diesen noch hier?



Ein Tag voller Sorgen dauert länger als ein Monat Freude.

(Chinesisches Sprichwort)


Sie konnte es nicht greifen. Alles schien ein halbes Leben her zu sein, und das obwohl es nicht mal einen Sommer her war.

Sie fühlte sich jedenfalls unendlich einsam. Alle besuchten ihn, wohnten bei ihm, lachten und tranken mit ihm. Egal wohin sie versuchte zu fliehen, überall war da schon ein Morkander.
Und überall waren da ihre Erinnerungen. Einerseits so weit weg, als wäre es ein anderer Mensch in einem anderen Leben , andererseits so stetig präsent dass sie es keinen Moment abschütteln konnte.

Sie hoffte so sehr dass sie hier in Candaria ein neues Zuhause finden würde, aber irgendwie fehlte diese eine Sache, dieser eine Moment der ihr half neue Wege zu gehen. Irgendwas. Eine neue Bekanntschaft, eine neue Aufgabe. Irgendwas.

Aber erst einmal konnte sie sich nun wieder in ihre Arbeit stürzen. Es gab kleine Freude. Der Abend mit Carmelina am Balkon, so wie früher. Gideon, der sie überredete in Candaria zu bleiben. Der Moment als sie die Schlüssel zu ihrer neuen Wohnung in der Hand hielt.
Aber genau so schnell verflog all das wieder.
Aber in dem Moment hier an den Klippen, fühlte sie sich zumindest wieder frei. Als würde Midir, mit dem Wind der über die Klippen fuhr auch ihre Ängste und ihren Kummer, all die Dinge die ihr Herz fesselten, mitnahm.
Dummerweise waren in dem Moment als sie sich nicht mehr dem Wind ergab, all diese Dinge wieder da.
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Grübeleien - von Anabella - 07.06.2013, 18:52
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Feuer - von Anabella - 02.07.2013, 15:05
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