FSK-18 Grübeleien
#16
Die junge Braunhaarige liegt im Bett auf dem Rücken. Trotz des strömenden Regens und der zunehmenden Kälte ist das Fenster offen und sie hat statt dessen die Bettdecke über sich gezogen. Die zweite noch zusätzlich. Dies dürfte aber keinen stören, da der Besitzer eben dieser, 2 Stockwerke tiefer in dem hübsch hergerichteten Neustadthaus, an seinem Schreibtisch sitzt und beim Licht einer Kerze fleißig Schreibarbeit erledigt.
Der feine Geruch von Rauch der gerade noch den Raum erfüllt hat, verfliegt langsam und die Asche die zurückgeblieben ist von den 2 oder 3 Bögen Hadern die sie zuvor verbrannt hatte, sind längst vom Wind hinausgetragen und von dem Regen in irgendwelche Straßengräben gewaschen worden. Unwiederbringlich verloren, bis auf die Fragmente der Worte die sich in den Kopf der Frau gebrannt haben.


Ich bin müde. Der Geruch von Rauch den das Verbrennen des Briefes den ich Eirene geschrieben hatte, ist verweht. Hämmern, Sägen, Schreien, nächtliche Besuche, Rauchschwaden. Silberberg wird oft geflucht haben was alles für Leute hier in seiner Nachbarschaft eingezogen sind, so in den letzten Monden. Vermutlich sind wir da tatsächlich noch welche von den angenehmeren.

Ich habe überlegt in das Zimmer über meinem Laden zu ziehen. Ich dachte Abstand würde uns gut tun. Weniger Grund zum zanken. Aber heute habe ich begriffen dass es das nicht ist. Carmelina hat mit ihm gesprochen, trotz meiner Bitte es nicht zu tun. Sie sorgt sich um mich. Und er meinte dass er mich kein Stück weniger liebt als am ersten Tag und ich glaube ihm das. Dennoch denke ich es macht keinen Sinn mehr. Ich liebe ihn so unendlich und er mich.
Wen ich des Nachts seinen roten Schopf neben mir sehe, dann ist die Welt in Ordnung, dann ist da eine so tiefe Liebe zu ihm, dass es schmerzt, dann weiß ich dass ich niemand andren will als ihn, nichts andres als mit ihm zusammen sein und ihn nie ehr fort zu lassen. Aber dennoch ertappe ich mich in der restlichen Zeit so oft wie ich an früher denke. Früher, herrje ich klinge wie eine alte Frau. Aber wie soll ich es sonst beschreiben. Ich rede von der Zeit als wir uns kennenlernten. Als er mein unerschütterlicher Anker war. Im Grunde ist er das noch. Nachts, wenn er schläft und wenn ich mich an ihn kuscheln kann und wenn die Welt da draußen so weit fort scheint und wenn er friedlich atmet und ich so tun könnte als wäre alles was mich belastet und beschäftigt, niemals passiert, dann komme ich zur Ruhe. Dann kann ich mir einreden dass alles gut wird. Aber irgendwann kommt der Moment wo einer von uns beiden wieder in den Tag entschwindet und dann flüchte ich mich in meine Träume. Dann denke ich an die Zeit im Zelt, wenn er für mich gesungen hat. Und ich denke daran wie Liv zu Besuch war und wir gelacht haben. Und ich denke an Streiche die wir geplant haben und andre Pläne für die Zukunft die wir gemacht haben. Ich denke daran was wir überstanden haben. Diese Geschichte mit den Briganten und all diese Intrigen die dran hingen. Der Verlust von Menschen. Den Kummer den wir miteinander hatten bis wir zusammen gefunden haben. Die Nacht als ich dachte er würde sterben.

Doch schon beim letzten Mal als diese Sache mit dem lebenden Leichnam war, da waren wir oft beide mehr auf uns allein gestellt. Und seitdem habe ich das Gefühl wir haben uns noch mehr entfernt.

Keinen Wimpernschlag zweifle ich daran dass er mich liebt und ich ihn. Aber vielleicht ist es besser wenn es endet. Er ist zufrieden im Moment. Er findet Ruhe und er hat wieder viel mehr Zeit. Es zerren nicht mehr alle an ihm. Er freut sich darüber Gold zu horten und seine Schüler auszubilden.
Ich hingegen muss irgendwie Gwadir beibringen dass ich es beenden werde. Ich kann, will und werde seine Anforderungen an mich nicht erfüllen. Natürlich könnte ich ihm etwas vormachen. Aber das will ich nicht. Wir haben uns gegenseitig Vertrauen bewiesen als wir diesen Bund eingingen, aber letzten Endes kann ich keine Druidin sein, wenn ich mich dafür aufgeben muss. Aber ich denke es wird sowieso egal sein. Er wird mich nicht aus meiner Lehre freigeben, aber das ist nicht mehr von Belang. Ich spiele mit dem Gedanken mich den Helfern auf der Insel anzuschließen. Ich bin kein Heiler, aber in der letzten Zone kommt es wohl darauf auch nur in zweiter Instanz an. Damit den Menschen noch zuzuhören und sie nicht allein zu lassen, kann ich ihnen genug helfen. Und mir ist bewusst dass ich nicht mehr zurück kommen werde. Garah sagt immer dass es kein Heilmittel für die Keuche gibt, und vielleicht hat er recht.
Dass er zurück gekommen ist und noch am Leben war, ist mir trotz allem Ärger und allem Kummer, eine große Freude. Es ist schön ihn nochmal in die Arme schließen zu können und es ist schön dass er sich bemüht erträglicher zu sein. Trotz allem Kummer und al der Wut die er fabriziert, ist er mir ein Bruder gewesen. Immer. Und er und Mork haben sich immer blind verstanden und ich hoffe er wird ihm auch nun zur Seite stehen.
Carmelina wird mich nicht gehen lassen. Kurz habe ich überlegt es ihr einfach nicht zu sagen, aber ich kann nicht gehen ohne sie nochmal in den Arm zu schließen. Vorher ist einiges noch zu erledigen. Ich muss Tiberius diese eine Frage stellen. Und ich hoffe er weiß die richtige Antwort darauf zu geben. Wenn sie mir gefällt, vielleicht bringe ich ihn dazu ihr einen Antrag zu machen.
Noch gestern habe ich geschrieben und gejammert und lamentiert über so vieles. Noch gestern sagte ich ich wäre zu feige und es müsste einen Anreiz geben zu so einem Schritt. Jemanden zu begleiten geben. Und heute… heute bin ich drauf und dran diesen Schritt zu gehen, einfach so.
Ich habe Morkander gefragt was er sagen würde und ich wusste dass er nicht versuchen würde mich abzuhalten, aber irgendwas in mir hatte die vage Hoffnung er würde irgendetwas mehr dazu zu sagen haben, als dass er meinen Mut bewundern würde. Also… irgendwas. Ich habe so sehr gehofft er würde sagen dass ich ihm fehlen würde, oder dass wir in unserem Gespräch irgendwas finden worauf wir wieder gründen können. Ein Ziel, eine Hoffnung, einen Traum. Aber wie es scheint, ist da nichts weiter. Ich frage mich was geschehen ist, dass wir uns beide so verändert haben. Oder hat sich nur meine eigene Sicht auf die Dinge so sehr verändert?

Wie geht man damit um wenn jemanden so bedingungslos liebt, aber merkt dass es aufhört zu funktionieren? Wir haben uns nichts mehr zu sagen, wir haben nichts mehr gemeinsam zu lachen. Oft denke ich er versteht mich nicht. Oder vermutlich verstehe ich nur ihn nicht. Ich merke dass für mich in seinem Leben kein Platz ist, aber er dennoch einen geschaffen hat. Weil er mich liebt und wir einander brauchen. Aber ich denke auch, wenn ich fort wäre, wäre sein Leben unbelasteter von dieser Anforderung. Er würde mir vehement wiedersprechen nun. Aber der Zeitpunkt ist wohl günstig. Es geht ihm gut und ich kann einen sauberen Schlußstrich ziehen. Mit ihm, mit mir, mit allem. Die Dinge zu einem sinnvollen Abschluß bringen.

Eine Sache habe ich verstanden, was die Leute am Mithrasglauben mögen. Wir denken, dass wenn wir sterben, wir zurückkehren. In unsere Welt und diese wieder nähren und stärken und zurück zu de Göttern und aufgehen in diesen. Doch was unsere Freunde und unsere Familie angeht, so sehen wir uns, mit diesem Bewusstsein, das letzte Mal mit Klarheit in die Augen, wo wir diese schließen. Wir leben in ihren Erinnerungen und Herzen weiter, doch abhängig davon wer wir waren, werden wir irgendwann vergessen. Vielleicht werden wir in Familienchroniken oder Geschichten als Held geführt, aber die Liebe, die Trauer über unseren Verlust, der Stolz der Eltern oder des Gefährten, all dies wird irgendwann verblassen. Die Gläubigen der Mithraskirche, glauben dass sie einander in einer andren Welt wiedersehen. Ich kann verstehen dass diesem Gedanken etwas tröstliches inne wohnt. Es ist nicht einfach jeden Augenblick so zu leben, dass er für immer ist. Denn wiederkommen wird er nicht und wir können ihn auch nicht festhalten. Nur als Gefühl, nur indem wir ihn zu einem Teil von uns werden lassen und ihn so mit zurück nach Arkadien nehmen. Ihn wieder aufgehen lassen in der Ewigkeit und aus unseren Erlebnissen, Erfahrungen und Energien, neues Leben, neue Erfahrungen, neue Geschehnisse speisen.
Dies alles hat etwas tröstliches, etwas was es einfacher macht. Dennoch fürchte ich mich etwas. Ich weiß wie sehr es schmerzt jemanden zu verlieren. Und ich weiß dass ich wenn ich diese Entscheidung treffe, ich andren genau dies antue. Aber es scheint richtig zu sein. Ich habe nicht verstanden warum Bormo einer meiner Schicksalsgötter ist, aber ich war mir sicher ich würde es an irgendeinem Moment verstehen und vermutlich ist er dies.
Ich bin mir sicher dass Morkander damit klarkommen wird. Er wird sagen, dass ich tun muss, was ich tun muss und er meinen Mut bewundert. Er wird vielleicht weinen wenn ich nicht zurück komme und dann wird er meinen letzten Willen erfüllen und wird sagen dass ich heimgekehrt bin. Und er wird Carmelina versuchen Trost zu spenden. Und ich hoffe dann werden sie alle gemeinsam trinken und werden daran denken was sie mit mir erlebt haben. Sie werden erzählen von den ersten Tagen im Schlafsaal der Schneiderzunft, von der Nacht im Zelt, von dem Eimer voll grüner Farbe von meiner Gesellenarbeit und davon dass ich viel saufen konnte und vielleicht sagen sie ein paar nette Sachen über mich. Aber in dem Moment werden all diese Momente denen ich nachhänge, noch mal lebendig sein auch in ihren Köpfen. Und ich hoffe sie werden einen wunderschönen Abend haben.

Einzig dass ich meine Familie nie wiedersehen werde in diesem Fall, macht mich sehr traurig. Ich wollte nicht in Servano sterben. Ich hatte immer vor Augen dass ich irgendwann heim käme, mit genug Geld die Schneiderei aufzubauen, meinen Bruder um Verzeihung bitte, ihnen meine Freunde vorstelle und irgendwo einen kleinen Hof kaufe. Ich dachte vielleicht würden wir dann tatsächlich heiraten und in vielen Jahren einmal Kinder bekommen, nicht heute, und nicht morgen und vermutlich nicht übermorgen, aber möglicherweise irgendwann in ferner Zukunft. Oder ich hätte Nina mit nach Ravinsthal genommen. Sie hätte meinen Bruder sehr gemocht. Ich muss Morkander darum bitten sich um sie zu kümmern wenn ich weg bin, dass sie sich warm anzieht und ordentlich ist und sich von Sikk und seinen Leuten fern hält.
Vielleicht wäre ich wirklich Druidin gewesen und mein Dorf wäre ganz stolz gewesen auf mich.
Aber dass all das nur Träume waren, Träume eines verdammten kleinen Mädchens, ist mir heute schmerzlich bewusst geworden. Ich habe mich so lange daran festgehalten, dass ich es selbst geglaubt habe. Aber die wenigsten Geschichten haben ein solches Ende. Aber nun bin ich an der Stelle wo ich dafür sorgen kann dass sie zumindest irgendein taugliches Ende bekommt. Ich würde gerne mit jemandem darüber sprechen, aber es gibt nunmal niemanden. Ich werde eine Nacht darüber schlafen, vielleicht auch zwei, ehe ich mich entschließe. Vielleicht fällt mir auch noch jemand ein der das ganze mit etwas mehr Abstand betrachtet.

Kurz streckte die junge Frau die Füße unter der Bettdecke hervor und erschauderte. Dann entschloss sie sich mitsamt Bettdecke aufzustehen und das Fenster zuzuziehen, nachdem es nun doch empfindlich kalt geworden war. Als ihr Gefährte irgendwann nach oben kam, war es vermutlich immer noch recht kalt und sie in die beiden Decken eingerollt eingeschlafen. Ihr Schlaf war wie üblich tief, vielleicht noch etwas tiefer als sonst. Aber offenbar nie tief genug, dass sie sich nicht an ihn schmiegen würde wenn er ins Bett krabbelte. Lediglich ihre Füße waren diesmal wirklich grässlich kalt, was sie keinesfalls davon abhalten würde, diese unter seinen zu deponieren um sie zu wärmen.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Grübeleien - von Anabella - 07.06.2013, 18:52
RE: Grübeleien - von Anabella - 22.06.2013, 00:25
RE: Grübeleien - von Anabella - 22.06.2013, 18:00
Feuer - von Anabella - 02.07.2013, 15:05
RE: Grübeleien - von Anabella - 02.07.2013, 15:10
RE: Grübeleien - von Anabella - 13.07.2013, 14:25
RE: Grübeleien - von Anabella - 18.07.2013, 01:15
RE: Grübeleien - von Anabella - 18.07.2013, 13:51
RE: Grübeleien - von Anabella - 20.07.2013, 20:58
RE: Grübeleien - von Anabella - 07.08.2013, 01:03
RE: Grübeleien - von Anabella - 20.08.2013, 01:21
RE: Grübeleien - von Anabella - 21.09.2013, 20:04
RE: Grübeleien - von Anabella - 28.09.2013, 12:14
RE: Grübeleien - von Anabella - 12.10.2013, 03:32
RE: Grübeleien - von Anabella - 18.10.2013, 02:52
RE: Grübeleien - von Anabella - 13.11.2013, 03:07
RE: Grübeleien - von Anabella - 30.05.2014, 23:40
RE: Grübeleien - von Anabella - 28.05.2019, 00:11
RE: Grübeleien - von Anabella - 04.06.2019, 15:19
RE: Grübeleien - von Anabella - 16.06.2019, 01:02
RE: Grübeleien - von Anabella - 24.06.2019, 23:54
RE: Grübeleien - von Anabella - 30.06.2019, 21:00
RE: Grübeleien - von Anabella - 02.08.2019, 00:14
RE: Grübeleien - von Anabella - 17.08.2019, 23:16
RE: Grübeleien - von Anabella - 30.08.2019, 20:48
RE: Grübeleien - von Anabella - 30.09.2019, 14:58
RE: Grübeleien - von Anabella - 10.11.2019, 20:19
RE: Grübeleien - von Anabella - 29.11.2019, 18:40



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste