FSK-18 Grübeleien
#10
It's better to feel pain, than nothing at all!

(The Lumineers, Album: Stubborm Love)

Sie hatte schlecht geträumt. Das erste Mal seid langem. Zuerst waren da wieder die Wege. Sie ging diese unbeirrt. Dann wurde der Weg verwucherter und auch dies machte ihr noch keine Sorge. Irgendwann war der Weg nicht mehr zu sehen, aber sie ging weiter, einfach geradeaus. Fest überzeugt den Weg bald wieder erkennen zu können. Doch der Wald wurde dichter und dichter und dunkler und dunkler und es war als ob so viele Dinge von außen auf sie eindrangen und sie umschlossen und sie zu erdrücken versuchte, dass es ihr immer schwerer fiel sich zu rühren und weiterzugehen. Im Dunkel der Äste hörte sie Worte die sie nicht fassen konnte, spürte Dinge die keinen Namen hatte, aber sie wusste dass er Erwartungen waren und Pflichten und Loyalitäten und dass all dies so schwer zu fassen war und sie zu erdrücken drohte. Sie versuchte sich freizustrampeln aber es gelang ihr nicht. Das Licht schwand und das Atmen fiel ihr schwer. Es wurde immer dunkler und immer enger um sich. Dann schwanden ihr die Sinne.
Als sie erwachte und das Licht zurückkehrte sah sie grauen Nebel und Morkander vor sich. Er schien etwas zu leuchten und sie war erleichtert. Sich wohl bewusst noch zu träumen schien es aber wenigstens einen Lichtblick in diesem Alptraum zu geben. Doch als sie die Hände nach ihm ausstreckte konnte sie ihn nicht erreichen. Er schien immer kurz außer Reichweite, sie rief nach ihm, doch kein Ton kam von ihren Lippen. Nach einer gefühlten Ewigkeit wandte er den Blick zu ihr, kurz dachte sie etwas Trauer oder Enttäuschung darin zu sehen, doch dann merkte sie dass da nicht einmal erkennen war. Er wirkte traurig und allein aber nichts, aber auch garnichts in seinem Blick war vertraut. Sie war eine gänzlich Fremde für ihn. Und mit jedem Moment in dem sie diesem leeren unverständigen und dennoch tief traurigen Blick stand hielt, schien ein Stück Erinnerung auch ihr verloren zu gehen. Sie wusste noch dass sie sich einmal sehr nahe gestanden hatten, ein vages Gefühl verriet ihr dass etwas an ihm sie einmal sehr glücklich gemacht hatte. Sie war sich bewusst dass sie positives und tiefe Gefühle mit ihm verbinden müsste, aber sie tat es nicht. Sie sah das selbe Vergessen in seinen Augen. Sie spürte wie Tränen aufstiegen ob dieses Verlustes den sie nicht einmal verstand, aber schon auf dem Weg den Hals durch die Augen und über die Wangen hinaus, gingen diese verloren… Als wären diese als letzte Aufwallung einer Erinnerung was es hies zu empfinden, einfach ebenso vergessen worden.

Es blieb nur tiefe Leere, tiefe Einsamkeit zurück, sein Bild verblasste und mit ihm das Licht. Es war dunkel und kalt und innerlich und äußerlich leer. Sie versuchte sich zu bewegen aber sie spürte nichts. Kein Lufthauch, kein Boden, keine Hitze, keine Kälte, nichts. Sie befand sich im Luftleeren Raum. Nichts zu sehen, nichts zu hören, nichts zu riechen, nichts zu spüren. Abgeschnitten von allen Sinnen. Sie versuchte sie zu bewegen, aber sie war sich nicht sicher ob sie es tat. Sie konnte es nicht überprüfen. Denn sie sah nichts, sie spürte es nicht sie hörte nicht. Es war als wäre sie nicht vorhanden. Es war als wäre sie nicht.
Sie wusste nicht wie lange sie so durchs Nichts trieb. Sie hatte jegliches Gefühl für Zeit und Raum verloren und auch für sich selbst. Es stieg Panik auf, doch sie empfand sie nicht, Es steckten Tränen in ihrem Hals die sie nicht weinte, es war Angst, doch es war zu leer um sich zu fürchten.
Aber all dies was in ihrem Hals feststeckte lies sie nochmals aufwachen. Die Verzweiflung wurde mehr und mehr und drohte sie von innen heraus zu zerreißen.

Und dann setzte sie sich auf. Ruckartig!
Als sie in der selben ruckartigen Geste die Augen aufriss in der realen Welt lag ihr Körper immer noch im Zelt auf der Liege. Der Blick fiel auf den schlafenden Twyllo ihr gegenüber auf dessen Schulter der Rabe auf und ab tapste und an seinen Haaren zupfte. Morkanders Arme lagen um ihr. Etwas zu fest vielleicht in dem Moment und sein Atem war an ihrem Hals zu spüren. Es war viel zu warm im Zelt durch die darauf scheinende Sonne, doch ihr war kalt. Ihr Körper war voll Gänsehaut und sie drängte sich nicht etwas enger an ihn und fragte sich wie viel Uhr es wohl sein mochte. Sonst war er sehr zu ihrem Leidwesen immer schon weg wenn sie wach wurde und er hinterlies ihr nur einen gelangweilten Raben und einen schnarchenden Bruder.
In diesem Moment aber war sie für all das zutiefst dankbar. Sein etwas atemraubender Griff, die Hitze, das Frösteln, die stickige Luft, der Schmerz ihres eingeschlafenen Arms und der zu trockene Mund, all das war wunderbar in dem Augenblick, denn sie konnte empfinden. Sie spürte sich selbst und sie spürte ihn. Sie wusste sie hatten sich nicht vergessen und sie war nicht allein. Die Sorgen die sie sich machte schob sie einen Augenblick erfolgreich nochmal von sich. Sorgen um Geld und darum von andren abhängig zu sein, Sorgen all die Rollen die sie ausfüllen musste Tag für Tag, die Lehrmeisterin, die Schneiderin, die Freundin, die Gefährtin, die Schülerin, die Spionin, die Angestellte… diesen Rollen nicht zu genügen, Sorgen vor ihrer Anklage, Sorge um Lena und diese Wut über Ceras all das… lag ihr auf der Seele. Sie vermisste ihre Familie und langsam wurde ihr alles zu viel. Sie wollte das nicht mehr. Sie wollte einfach nur einen Platz, eine Aufgabe, ein Zuhause. Ihr wurde schmerzlich bewusst dass sie so viel gewonnen hatte aber dennoch nur trieb. Wenn er fort wäre, würde sie nicht mehr die Kraft haben all diese offenen und begonnenen Stränge jemals zu ordnen. Ohne ihn wäre alles schrecklich leer und sinnlos. Und das jagte ihr eine Heidenangst ein. Sie musste einige der Verpflichtungen und Loyalitäten über Bord werfen und sich etwas geordnetes aufbauen. Nur was? Und wie? Und mit wem sollte sie nur darüber reden? Sie hatte das Gefühl dass niemand es verstehen würde. Alle waren zu beschäftigt mit ihren eigenen Problemen und das zurecht. Er würde hingegen es nur wieder wegwischen und ihr sagen dass alles gut würde und die Probleme nur halb so klein wären. Und er hatte ja recht damit. Aber für sie war es ein Problem, denn es war entscheidender Bestandteil ihres Wohlbefindens.
Vielleicht würde sie es nochmal versuchen in Worte zu fassen. Oder aufzuschreiben. Ja aufschreiben war gut!
Aber vorerst schmiegte sie sich wieder unter die Decke an seinen nackten Körper der noch immer verschwitzt war von der letzten Nacht und strich zart über die Schramme an seinem Arm die sie dort hinterlassen hatte. Diese und möglicherweise auch noch ein paar andre Kratzer und Biss- oder sonstige Spuren. Er hatte sie so lange gereizt bis sie ihre Leidenschaft nicht mehr hatte zügeln können und all die Gefühle die sich die letzten Tag aufgestaut hatte, all dieser Frust und Zorn und Stress, sich Bahn gebrochen hatten. Sie hatte ihn gewarnt dass zu viel Wut in ihr war. Aber vermutlich war das nur halb so schlimm gewesen. Denn obwohl er diese Seite von ihr noch nicht kannte, würde es sie sehr überraschen wenn er nicht auch dies schon in ihr gesehen hatte.

Aber Wut war nur zu berechtigt, wenn der den du als Bruder gesehen und immer beschützt hattest, dir ins Gesicht sagte dass er nicht bereit war etwas für dich zu tun, dass du nicht wichtig warst und er zwar für dich hoffte und betete aber es am Ende nicht sein Problem wäre. Sie war so bitte enttäuscht von ihm. Dass er nicht bereit war zu töten, fand sie zwar unglaublich aber war sie bereit so hinzunehmen, auch wenn sie es heuchlerisch fand, aber dass er ansonst nichts dazu zu sagen hatte als dass es ihn nichts anging und nicht mal versuchte mit ihr gemeinsam sich etwas auszudenken, das hatte sie sehr verletzt. Seine Worte klangen noch leise nach in ihrem Ohr als sie wieder einschlief, diesmal in einen tiefen traumlosen Schlummer „es ging mir von Anfang an nur um eins“…. Und dies… dies waren nicht sie gewesen wie sich nun zeigte.
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Grübeleien - von Anabella - 07.06.2013, 18:52
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Feuer - von Anabella - 02.07.2013, 15:05
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