"In der Fremde"
#18
Bereits zum vierten oder fünften Mal betrat der Jure in der vergangenen Woche die Stadt, öfter wie er es in den letzten sechs Monden zusammengenommen getan hatte. Seit dem letzten Streit mit Arys hatte er sich in die Berge im Südosten von Servano zurückgezogen. Dort hatte er den Kontakt mit anderen Menschen gemieden - vor allem den von Arys oder Anderen die ihn kannten - und vor sich hin gelebt, die Erinnerungen an seine Heimat stark und schmerzhaft. Vor allem in den letzten Monden als es zunehmend Kälter wurde und weißer, seltsamer Regen vom Himmel fiel spürte er erneut wie Fremd Amhran noch immer war und das er nicht hierher gehörte. Die ganze Zeit über hatte er Zwiesprache mit den drei Göttinnen gehalten, wegen derer er vor all jenen Monden nach Amhran geflüchtet war, hinfort vor seiner Bestimmung als Stammesseher. Erst auf Amhran hatte er sich mit diesem Schicksal abfinden können. Einerseits gab es keinen anderen Ort wohin er noch hätte fliehen können, andererseits hatte ihm Arys die Kraft gegeben sich seinem Schicksal zu stellen. Arys, die er auch in all den Monden in den Bergen nicht vergessen hatte.

In den letzten Wochen wurden die Träume jedoch stärker, wurden zu Albträumen. Die große Wölfin jagte ihn im Traum durch die Steppen der Juretai und die Raubkatze stellte ihm, versteckt hinter großen Felsen, die endgültige Falle. Beide rissen ihn zu Boden und hielten ihn dort fest bis die große Stute kam. Vorsichtig zog sie ein Amulett mit ihrem Maul unter dem Harnisch hervor und sah ihm tief in die Augen. Immer wieder träumte er davon, immer wieder erwachte er schweißnass unter dem Baum den er als Schlafplatz nutzte. Die Träume hörten erst auf als er die Stadt zum ersten Mal betrat um Lysander zu suchen. Lysander, der ihm vor vielen Monden das Amulett als Teil eines Schwurs gab. Ein galatisches Amulett zu ehren eines seiner Götter die dem Juren Fremd waren. Der Schwur war einfach gewesen: Arys zu beschützen. Er war es, der den traditionsbewussten Lysander dazu gebracht hat die Verbindung zwischen ihm und Arys wenigstens zu akzeptieren.
Aber es war ein Schwur den der Jure kläglich vernachlässigt hatte - er hatte Arys seit Wochen nicht gesehen und wusste ebenso nicht wie es ihr ergangen war. Und nun drängten die Göttinnen ihn dazu, den Schwur wieder aufzunehmen.

Es hatte erst eines Briefes bedurft um Lysander zu kontaktieren. Baghatur konnte zwar schreiben - jurische und amhransiche Schrift - aber er machte es nicht gerne. Schließlich aber schrieb er Lysander, dass er zu ihm kommen würde um dessen Urteil entgegen zu nehmen und schickte ihm das Amulett mit dem Brief. Das Urteil für einen Schwurbrecher. So hatte er ihn dann schließlich - doch per Zufall - in seinem Zelt im Armenviertel getroffen. Viel sprachen die beiden Altbekannten nicht miteinander. Es waren vor allem drei Worte die das Gespräch dominierten.

Arys ist tot.

Schwer lagen ihm diese Worte im Kopf und im Magen. Ein Bär hätte sie getötet. Das bedeutete, dass er ein Schwurbrecher der schlimmsten Sorte war. Langsam stand er von dem Baumstamm auf auf welchem die Beiden saßen. Er legte seinen Speer mit den Adlerschwingen vor Lysander auf den Boden und kniete sich selbst in den Schlamm. Er setzte sich auf seine Fußballen, die Hände auf die Knie gelegt und den Blick zu Boden gesenkt.
Dann liegt mein Leben jetzt in deiner Hand.
Viel mehr gab es nicht zu sagen. Lysander sprach noch einige Worte und führte ihn dann fort, in den alten Hafen. Den Speer hatte der Galatier mitgenommen, der Jure selbst trug nur das Knochenmesser aus Juretai bei sich.
Lysander führte ihn zu einem kleinen Stück Strand im Hafen. Irgendwo dort draußen ruhte Arys jetzt, erzählte er ihm. Die Beiden scherzten noch kurz wie alte Freunde: Wie sehr das Meer dem Juren nie gefallen konnte und wie sehr der Galatier im Gegenzug der Steppe nichts abgewinnen konnte. Schließlich trat Lysander hinter ihn und kurz darauf spürte er wie sich etwas heftig und schnell in seinen Rücken bohrte. Vor dem Umfallen durch Lysanders freie Hand um seine Schultern geschützt unterdrückte er den lauten Schmerzensschrei so gut er konnte, dennoch drang ein deutlich hörbares Geräusch über seine Lippen.

Langsam glitt er, noch immer gehalten von Lysander, in den nassen und kalten Sand. Kein Vergleich mit dem warmen, trockenen Staub Juretais. Unter Husten und hervorquellendem Blut zwang er sich noch einige Worte heraus.

Es tut mir Leid, Lysander.
Lysander nickte und erwiederte es.

Wenigstens geht es im tot zurück in die Juretai. Zu den Dreien.

Schließlich schloss er die Augen, die rechte Hand von Lysander gehalten und die Linke um das Amulett geschlossen das dieser ihm kurz vor dem Todesstoß wieder gegeben hatte.

Es...tut mir Leid....Arys.

Einige wenige Atemzüge später war der Jure tot. Zurück zu den Ahnen. Zu den Göttinnen. Rennen mit der großen Stute, jagen mit der Wölfin und raufen mit der Raubkatze.
So blieb er liegen. Baghatur, geflüchteter Seher des Stammes des geflügelten Speers. eine große Blutlache im Sand unter ihm, die spiralförmige, blaue Kriegsbemalung auf der linken Wange durch das herabgeronnene rote Blut verwischt.
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"In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 05.05.2013, 14:09
RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 08.05.2013, 17:30
RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 31.05.2013, 17:58
RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 23.06.2013, 11:41
RE: "In der Fremde" - von Lysander O'Domhnaill - 28.06.2013, 16:50
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RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 10.07.2013, 21:31
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RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 10.09.2013, 14:17
RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 11.09.2013, 23:28
RE: "In der Fremde" - von Ailís Maguire - 12.09.2013, 10:42
RE: "In der Fremde" - von Arys Ni Domhnaill - 12.09.2013, 22:26
RE: "In der Fremde" - von Lysander O'Domhnaill - 15.09.2013, 22:13
RE: "In der Fremde" - von Lysander O'Domhnaill - 13.11.2013, 23:02
RE: "In der Fremde" - von Baghatur - 03.01.2014, 21:36
RE: "In der Fremde" - von Lysander O'Domhnaill - 04.01.2014, 18:25



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