Stärke durch Einigkeit
#7
Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung nahm er in seinem geliebten Sessel in der Küche des Hofes Platz. Hier war es wohlig warm, es stand immer ein Teller Essen auf dem Tisch und durch das Fenster konnte er die Ziegen im Gatter grasen sehen. Ein lautes Knacksen hallte von den Wänden wieder, als er seine Beine ausstreckte, gefolgt von einem kurzen, schmerzerfüllten Stöhnen. So lange stehen, das war nicht gut für ihn gewesen. Aber in der Eile hatte er nicht daran gedacht, auch noch einen Sessel zur Armenspeisung am Platz vor dem Tempel mitzubringen - die vielen Säcke und Kisten voller Gebratenem und Gekochtem, voller Gemüse und Obst waren sein einziges Augenmerk gewesen.
Seit Wochen nun hatten die Mägde und er angebaut und gefüttert, auf dass die Pflanzen reichlich und die Schweine dick würden. Und tatsächlich waren ihre Bemühungen ausreichend gewesen, die acht Tische vor der Kirche waren reichlich gefüllt. Novizin Alina hatte am Ende sogar noch Speisen mitgenommen, um sie in den Straßen zu verteilen. Es erfüllte ihn mit einem Stolz, der dem Vaterstolz glich, wenn er daran dachte, dass alles in den fruchtbaren Äckern der Jehannschen Ländereien wurzelte. Natürlich, noch war es nicht ihr Land, und natürlich hatte Mithras den Boden fruchtbar gemacht - das würde er jedenfalls jedem so sagen. Aber in seinem tiefsten Inneren... da waren es seine Nachkommen und seine Angestellten, die all das in so kurzer Zeit geschaffen hatten.

Zu seinem Überraschen war der Andrang auf die Armenspeisung - nun, mäßig gewesen. Es gab Momente, da schien ihm, es waren mehr rot gerobte Priester und Novizen zu sehen, als Bedürftige in schäbiger Kleidung. Es ließ ihn erschauern, wenn er die Möglichkeit erwog, dass es bereits zu spät für viele Arme gewesen war. Inständig hoffte er, dass dies nicht der Fall war, dass im Gegenteil, wie dieser Herr Umbinor mutmaßte, die vielen Hungernden lediglich abgeschreckt waren von der großen Anzahl Anwesender. Nun, das war nicht ganz, was Herr Umbinor geäußert hatte; dieser dachte doch tatsächlich, die Armen hätten Angst, verhaftet zu werden, ganz so wie es ihm ergangen war. Es war ihm durchaus schwer gefallen, nicht erheitert über diese Aussage zu wirken. Umbinor zu beobachten übte durchaus einen gewissen Reiz aus, ganz so, wie er, Wilbrant, gerne auch am Zaun stand und den unbeholfenen Fohlen zusah. Jener Mann hatte durchaus Potenzial, aber es gelang ihm nicht, zu erkennen, wessen Fürstimmen er brauchte. Nun, vielleicht hatte er durch eben jene Verhaftung endlich erkannt, dass er seinen ehrgeizigen Weg nicht ohne Kirche und Stadtwache beschreiten konnte. Jedenfalls freute sich Wilbrant auf das vereinbarte Treffen mit Umbinor. Es war gewiss wesentlich spannender, als es der heutige Abend der Armenspeisung gewesen war. Er hatte ja auch nicht erwartet, dass diese Veranstaltung auch nur im entferntesten interessant würde, aber er hatte doch gedacht, viele neue Gesichter zu sehen. Tatsächlich hatte er sogar viele bekannte Gesichter vermisst, die Familie Ganter hatte er nicht gesehen, auch die Famile Greifenfels war nicht erschienen. Durchaus beachtenswert, wie er fand. Natürlich hatte es keine offizielle Einladung gegeben, aber er hatte zumindest ein paar Ganter-Sprösslinge erwartet.

Kopfschüttelnd, fast so, als wolle er damit die Gedanken abschüttelnd, drehte er sich langsam und mühevoll am Sessel, um die steifen Beine unter den Tisch zu schieben. Der Rücken noch gebeugter als sonst, begann er nun, die kalte Suppe, die am Tisch stand, zu löffeln. Er würde heute wohl sehr gut schlafen.
[Bild: 2a2tmecn.gif]
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RE: Stärke durch Einigkeit - von Ernst Jehann - 01.05.2013, 16:08
RE: Stärke durch Einigkeit - von Wilbrant Ewald Jehann - 17.05.2013, 23:45
RE: Stärke durch Einigkeit - von Annabell - 12.06.2013, 13:45
RE: Stärke durch Einigkeit - von Magdalena - 24.08.2013, 20:28



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