Stärke durch Einigkeit
#6
Das Glück war schon ein sonderbares Element des Lebens. Meinte jemand genug davon zu haben, so verflüchtigte es sich und kein Bitten oder Flehen konnte es wieder zurück locken. Zudem nahm es all jene Annehmlichkeiten mit sich, die es zuvor reichlich mitgebracht hatte.

War er noch wenige Tage zuvor von den beschwerlichen Arbeiten verschont geblieben, die es am Hofe zu tun gab, so waren diese nicht nur bloß zurück gekommen. Nein, sie hatten sogar Verstärkung mitgebracht. Marius Xaver konnte sich nicht daran erinnern, jemals diese Menge an Baumstämmen geschlagen zu haben. In den letzten Tagen hatte er so viel Zeit im Wald verbracht, dass man ohne Übertreibung von Wentzel-ähnlichen Zuständen sprechen konnte. Viel lieber hätte er seine Zeit und Arbeitskraft in das Feinwerkhandwerk oder die Schmuckschmiedekunst investiert; jenen zwei Gebieten, bei denen er behaupten konnte sich auszukennen. Doch der Patriarch blieb unnachgiebig und das war zu akzeptieren.
Selbst in seiner nicht vorhandenen Freizeit (was im Grunde genommen jene Zeit war, bei der er eigentlich schlafen sollte), war es nicht möglich seiner eigentlichen Berufung nachzugehen, da sein Onkel Ernst, der Herrscher über die Metallbarren des Hauses, ihn nicht mit den Materialen bedachte, die er so dringend benötigte. Für jeden noch so unbedeutenden Eisenbarren musste Marius Xaver ihm Rede und Antwort stehen. Bei seinen Bitten nach etwas Nachschub war der strenge Onkel wie eine Steinmauer, welche die Anfragen nicht nur blockierte, sondern regelrecht zerschmetterte.

Doch an einem Abend zu später Stunde hatte ihm das ständige Betteln dann gereicht und er war schnurstracks – ohne viel zu überlegen – zum kleinen Hof gegangen, wo die Familie die Metallbarren lagerte. Nachdem er sich versichert hatte, dass keiner seiner Verwandten zugegen war, bediente er sich einfach am Vorrat der Kupferbarren. Diesem Metall schenkte Onkel Ernst ohnehin kaum Beachtung, also warum sollte es unnütz herumliegen? Mit diesem Kupfer würde er die schönsten Schmuckstücke herstellen, wenngleich er wusste, dass das Fehlen der Barren nicht lange verborgen bleiben würde. Toben und beben würde Onkel Ernst, bis nach Hohenmarschen würde man ihn hören können. Die ehemaligen Nachbarn würden dann sagen: „Hast Du das gehört? Einer der Jehann-Jungs hat wieder einmal etwas angestellt!“

Trotz des drohenden Unheils, war es das Feilen und Formen der Materialien in den späten Nachtstunden, welche ihm die Kraft gab den eigentlichen Tag zu überstehen. Dass es möglich war aus einfachen Materialien mit viel Hingabe schöne Sachen zu formen, faszinierte und motivierte ihn zugleich. Bei schwachem Kerzenschein saß Marius Xaver dann in einer Ecke des kleinen Hofes und bearbeitete möglichst leise die Materialien, in der Hoffnung nicht von seinen Verwandten entdeckt zu werden. Eines Nachts jedoch hatte ihn Annabell, die Leibeigene des Hauses, bei seiner nächtlichen Tätigkeit ertappt. Ohne viel nachzudenken hatte er ihr jenen Kupferring geschenkt, den er in den Nächten zuvor mit viel Mühe und Herzblut hergestellt hatte. Warum, das wusste er selbst nicht. Vielleicht als eine Art Bestechung, damit sie das Wissen über sein kleines „Refugium“ für sich behielt. Vielleicht auch nur weil er der Meinung war, dass eine junge Frau Schmuck haben sollte. Spielte das denn wirklich eine Rolle?

Der Gedanke, dass womöglich nie jemand die Schmuckstücke tragen würde, traf ihn jedoch Mitten ins Herz.
Avatarbild oben: Antonio da Correggio - Porträt eines jungen Mannes

[Bild: 2a2tmecn.gif]

Ich bin der Meinung, dass Werschafe implementiert werden müssen!
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Nachrichten in diesem Thema
RE: Stärke durch Einigkeit - von Ernst Jehann - 01.05.2013, 16:08
RE: Stärke durch Einigkeit - von Marius Xaver Jehann - 15.05.2013, 01:10
RE: Stärke durch Einigkeit - von Annabell - 12.06.2013, 13:45
RE: Stärke durch Einigkeit - von Magdalena - 24.08.2013, 20:28



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