FSK-18 Mein Leben gehört Dir
#2
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Da stand sie vor ihr, eine Frau, welche dem Himmel entgegenstrebte, fest und aufrecht wie ein stolzer Baum auf einer vom Wind gefegten Ebene. Die Strahlen der Sonnen tanzten auf den Bögen ihres gebundenen Haars und ließen das natürliche Rot wie Feuer leuchten, ein brennender Strahlenkranz um ihr Antlitz.
Die Frauen begegneten einander östliches des kleinen Hofes, in dem Avanis Herr und sie Unterkunft gefunden hatten. Und die rote Sonne ließ die Juri allein durch die Nennung ihres Titels wissen wer sie war, welchen Stand sie besaß, welche Aufgabe und welche Mittel. Sie konnte sich das Lächeln leisten, die süßen, freundlichen Worte - denn sie durfte Gehorsam erwarten. Sie durfte die Hand reichen, um der bedeutungslosen Fremden ein Bündnis anzubieten: Sei freundlich zu mir, so bin ich es zu dir. Ich helfe dir, ich bin für dich da, ich höre dir zu - ich werde dir zeigen können, wie du hier in der Kälte überlebst. Ich werde da sein, wenn du reden willst.

Und wie die Jurin dort stand, die Finger steif und rot vor Kälte, waren ihre jugendlich anmutenden Züge so regungslos wie die vom Winter gelähmten Glieder. Unfähig ihrer erwählten roten Sonne ein Lächeln oder einen Dank zu zeigen, den auch ihr Herr von ihr ersehnte. So sehr. So sehr, wie sie es ihm schuldig war.

Was sollte Avani der roten Sonne erzählen? Dass sie im Mondlicht mit den Wölfen tanzte, dass ihr Herr sie des Nachts im tiefsten Winter in den Dreck zwang, um sie mit kaltem Wasser zu übergießen, damit sie Dankbarkeit lernte?

Doch warum? Wofür? Nachdem ihr Herr und sie im bleichen Schein des zunehmenden Mondes auf dem zugefrorenen Boden gesessen hatten, eingeholt von sonderbar anmutenden Wölfen, Abbildern ihrer angebeteten Mondgöttin, Spendern von Trost und Wärme, hatte Avani es gewagt die dargebotene Hand ihres Herrn auszuschlagen. Vielleicht wusste er auch, dass sie aus Trotz ablehnte. Dass sie ihn nicht wieder zu ihrem Helfer und Retter hinaufheben wollte - obwohl sie wusste, dass er genau das war in seiner Ambivalenz von Sadismus und Gnade, Fürsorge und harter Hand. Sie brauchte ihn, seine Lehre, seine Kleidung, sein Essen, sein Geld, seinen Schutz, seine Nähe. Ihre gemeinsamen Geheimnisse.

Zu sterben war einfacher und schmerzfreier als zu überleben. Von dieser bitteren Erfahrung kostete sie nicht zum ersten Mal und jedes Mal war er es gewesen, der sie auf diesen Weg der Pein führte und mit allen Mitteln versuchte ihr die Flucht in den Tod zu vereiteln. Sie konnte es in seinen Augen sehen, in den abgründigen Tiefen seiner Pupillen, die wie Felspalten in die Gesteinsklüfte seiner Seelen führten. Zu schmal, um hineinzukriechen, zu schwarz, um es zu wagen die Hand hinein zu strecken und zu riskieren von der Schlange den giftigen Kuss zu erhalten: Er wollte, dass sie lebte. Und er würde sie solange züchtigen, bis sie lebte, wie er es von ihr wollte, was er verdient hatte.

Doch Avani sagte nur, sie werde erwartet, müsste ihre Pflichten im Haus des Herrn tun. All jene Gedanken verbargen sich hinter ihren dunklen, mandelförmig angehauchten Augen, hinter ihrem Schweigen, dem Zögern bis zur erbrachten Antwort, dem Zusammenzucken ihrer Schultern oder dem nach hinten ausweichenden Fuß.

Niemand hatte Angst vor denen, die Angst zeigten.


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Mein Leben gehört Dir - von Avani - 21.01.2019, 23:13
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