Dies ist der Weltenlauf...
#1
... und keines der Dinge hat Bestand.
Wenn man ihnen glauben schenken mochte, würden nur wir Bestand haben. Bis in die Ewigkeit - Wenn ich mich nicht dumm anstellte, wenn ich vorsichtig wäre und alle ihre kleinen und großen Warnungen beachtete. Ich höre ihre Worte, nehme sie in mich auf. Sie sind da, in meinem Gedanken, in meinen Erinnerungen abrufbar. Doch berühren sie mich nicht. - Alles Lügen! - Das Sonnenlicht, die Wölfe, der Hunger. Alles Dinge auf die ich nun acht geben soll... damit ich überlebe. Das schien ihnen wichtig. In mein Herz hat sich zusammen mit der Dunkelheit jedoch eine Gleichgültigkeit geschlichen, die körperliche Pein verursachen würde, wenn dieser Leib hier nicht so schrecklich tot wäre.
Ich würde ewig leben. Diese abrupte Wendung der Geschichte hätte sich nicht einmal der geschmackloseste Schnulzenschriftsteller Löwensteins aus den Fingern saugen können. Ewiges Leben. Wie eine sarkastische Verhöhnung all unserer menschlichen Hoffnungen, spinnen diese zwei Worte ein Lügennetz in meinem Inneren. Poeten würden es wohl der Tragik wegen ewiges Leben nennen. Doch ich bin kein Poet. Ich nenne es Gefangenschaft. Die Geiselnahme meiner Seele. Und ich bin nicht allein hier drin. Hier in diesem Körper, der nur noch aus purer Willenskraft und Schatten heraus funktioniert. Er spricht zu mir. Doch ist es keine Stimme im eigentlichen Sinne. Kein Flüstern im Dunkel, wie man es sich vorstellen würde oder wie es in den Geistergeschichten für Kinder stünde. Er existierte einfach. Er war da und ließ es mich deutlich spüren. Das erste mal war Er einfach nur die Finsternis die alles Licht verdunkelte. Wie eine große, dunkle Scheibe die sich schmerzhaft langsam vor die Sonne schiebt und ihre heilenden Strahlen in sich aufnimmt und im Ganzen verschluckt. Und das Fressen dieses Lichtes kostete ihn Kraft. Auch das konnte ich spüren. Er wurde müde, einem Jagdhund gleich, der den ganzen Tag brav Enten durch das Schilf getrieben hatte und hungrig wie eben jener, weil er keine der Enten für sich schnappen konnte. Und mit dieser Müdigkeit und dem Hunger kam die Frustration. Und sie schwappte in meinen Geist über. Es war eine ansteckende Krankheit, die von ihm auf mich übersprang und plötzlich war es meine Müdigkeit und mein Hunger.
Sie brachten mir Essen. Etwas gegen den Hunger, der mit voranschreitender Stunde drohte mein Sein zu verschlingen.
Nie war ich jemand gewesen, der versuchte sich Situationen so hin zu drehen, dass vielleicht doch noch ein Vorteil für mich heraus spränge. Dies war die Stärke des anderen Nachkommen. Ich war nie so gewesen. Ich nahm die Sachlage nüchtern als das hin was sie war. Ich akzeptierte den Hunger und was getan werden musste um ihn zu stillen. Danach würde ich hoffentlich meine Ruhe haben und mir überlegen können wie ich das alles hier beenden könne.

Es war dreckig, blutig und abstoßend. Glorreich, ekstatisch und der größte Rausch. Es nahm mir das bisschen Unschuld, das ich mir all die Jahre bewahrt hatte. Wie ein Fluss der gewaltsam über die flachen Ufer trat, schwemmte das Blut alles in meinem Inneren fort. Es ertränkte die Furcht, die Zweifel und mein Gewissen, bis nur noch Er da war. Seine Gefräßigkeit kannte keine Grenzen. Würde es immer so sein? Es war als hätte ich diesem zerbrechlichen, kleinen Menschen die Seele ausgetrunken. Wie süßen, teuren Rotwein aus einem bauchigen Glas, kostete ich jeden Tropfen bis nichts mehr da war. Mein ganzer Körper kribbelte und füllte sich mit künstlichem Leben. Ein ehrfurchtgebietendes Gefühl von Überlegenheit machte sich in meinem Bewusstsein breit und nahm mir den Atem. Die Macht, von der sie alle sprachen, präsentierte sich mir mit derartiger Gewalt, dass ich nie wieder widerstehen könnte. Dahinter kroch die Angst, wie eine räudige Gossenratte aus der Kanalisation, in meinem Geist. Ja, es würde immer so sein. Er würde immer mehr verlangen und ich würde es ihm bringen müssen. Und all die Gesichter der lieben Menschen in meinem Leben traten vor mich. Sahen mich angsterfüllt und anklagend an. Würde ich auch sie irgendwann verschlingen?
Die schlimmste Pein ist, das dieser Splitter, den er mir ins Herz rammte, mir nicht die Fähigkeit nahm zu lieben. Ich gaukle mir halbwegs glaubhaft vor, das alles einfacher sein würde, wenn da keine Zuneigung mehr wäre und ich kein Mitleid mehr verspüren könnte. Doch das hatten mir die roten Augen gelassen. Ob es grausame Absicht war oder einfach nicht in seiner Macht lag... ich weiß es nicht. Und ich frage mich ob er wohl genauso leidet? Ob da in dieser untoten Hülle die Reste eines Menschen stecken der bedauern kann? Das würde seine Tat umso entsetzlicher machen. Das Menschen Menschen töten ist in unserem Blut verankert. Die Götter hatten uns so geschaffen. Wir waren kleine, traurige Raubtiere, die nie wirklich voneinander ablassen konnten. Für manch einen war es sogar ein Befreiungsschlag. Endlich würde man von seinem elenden Leben erlöst. Und ich hatte immer mit einem Auge auf diesen Moment geschaut. Ich wollte blutend, kämpfend und schreiend untergehen, umgeben von sich windenden Leibern und klirrenden Klingen. Ich wollte mit nacktem Stahl in den Händen gehen und so viele Seelen wie möglich mitnehmen. Das war der Traum... das Ziel. Die roten Augen haben mir diese kleine, aber wichtige Fantasie genommen und mich eingesperrt und an sich gekettet. Bis in die Ewigkeit. Er zog mich, wie in einer kalten und starren Umarmung, in die Abhängigkeit. Er hat das Wissen, die Erfahrung und ich brauche ihn. Er hat das aus mir gemacht, was ich nun bin. Es war seine Hand die den kristallinen Dolch führte. Er hat mein Herz berührt, es korrumpiert und von meiner Seele getrunken. Selbst meinen Glauben hat er mir genommen. Und ich will ihn das spüren lassen.

Alles was noch übrig ist bin ich, ganz tief drinnen, und die hungrige Dunkelheit. Ich sollte dieser Finsternis einen Namen geben, so wie man einem ungeliebten Tier einen Namen gibt, um Diesen wütend schreien zu können, wenn man es tritt und schlägt. Ein Gesicht, dass ich hassen kann. Mir wird noch etwas einfallen. Ich habe Zeit...
Zuerst muss ich mich um mein Herz kümmern. Muss sehen ob es noch da ist oder ob auch dieses Band von dem Splitter durchtrennt wurde.
Ich war nie sonderlich laut in meinen Bewegungen, doch erschreckt es mich, wie klanglos ich mich nun fortbewege. Wie ein Geist kann ich diesen Raum betreten und nicht einmal die kleine Maus, die hier wohnt, würde mit den Ohren wackeln. Ich sehe ihn dort liegen, traue mich keinen Schritt näher. Und der erste Moment ist nicht voller Liebe und Sehnsucht für diesen Menschen, der mein Herz ist. Dieser Augenblick ist gezeichnet von Neid. Er lebt, er atmet, er altert und er schläft. Friedlich wie ein Kind, dass den ganzen Tag mit seinen Freunden auf den Weiden getobt hat. Er besitzt immer noch all das, was mir genommen wurde. Und ich hasse mich dafür, ihn zu verfluchen. Er lacht mich aus und ich schiebe es bei Seite. Ich schiebe den Neid bei Seite und lasse etwas Freiraum für all die Gefühle, die ich als Mensch spürte, wenn ich mein Herz ansah. Und es überwältigt mich. Wären da noch Tränen hätte ich sie in diesem Moment vergossen. Ich weiß nicht ob ich mich fern halten sollte oder einfach hoffe das er es nicht spürt. Mein Herz ist so unschuldig. Er soll das Monster niemals sehen müssen. Und so beschränke ich mich darauf, wie ein obskurer Schatten in der Zimmerecke seinen Schlaf zu beobachten. Jedes ach so kleine Zucken seiner Muskeln läßt mich staunen. Ich sehe ihn in einem völlig neuen Licht und rieche den Duft des Lebens an ihm. Dieses Haus ist voll davon. Ich höre das stetige Trommeln seines starken, jungen Herzens und das Rauschen seines Blutes, vertreibt die nächtliche Stille. Als ich mich von ihm losreißen kann, kündigt die rote Sonnenscheibe ihre Ankunft an. Ein letztes mal, sage ich mir selbst.

Ich suche einen abgelegene Platz, mit Ausblick auf das östliche Meer. Den schweren, dunkle Stoff der Kapuze ziehe ich mir tief ins Gesicht. Die Angst vor der Richtigkeit Ihrer Warnungen wurde nicht gänzlich von meiner Gleichgültigkeit vertrieben. Und so sehe ich atemlos dabei zu, wie die Sonne sich, über dem Meer, den Himmel hinauf schiebt und das nächtliche Blau in ein Gemälde aus bunten Wasserfarben verwandelt. Meine Augen brennen und meine nackten Finger kribbeln. Es ist auszuhalten. Vermutlich nicht für lange, doch werde ich es ertragen. Dieser Sonnenaufgang wird zu einem Symbol für mich. Er deutet einen Übergang an, ein Schlussstrich wenn man so will. Der letzte seiner Art. Es sind Stunden, ich spüre nicht wie viele, in denen ich mich der Qual des Sonnenlichtes zum ersten Mal hingebe. Ich verstehe nun...  
Zitieren
#2
Kapitel 1
Der Hunger ist ein schreckliches Biest.

Er ist ein ganz eigenes Wesen ohne Gewissen, dafür mit umso mehr Willenskraft. Hunger ist wie eines dieser Monster, von denen man Kindern erzählt. Das Scheusal dass sich des Nachts in die Stube schleicht und kleine freche Buben stiehlt. Hünenhaft, mit einem schrecklichen, geifernden Maul voll spitzer, scharfer Zähne und riesigen Pranken die den Verstand ergreifen, wann immer es ihnen beliebt. Es würgt mich und seine Krallen bohren sich in meinen Geist, quetschend und ziehend bis ich nichts Anderes mehr tun kann, als mich zu ergeben. Es ist ein Kampf den ich noch nicht gewinnen kann. Vermutlich wird das niemals der Fall sein. Doch vielleicht kann ich entscheiden, wie und wo ich ihn verliere. Ich muss erst lernen die Bedingungen für diese Schlacht festzusetzen. Ich werde zwangsläufig stolpern, wenn ich Leichen auf meinem Weg hinterlasse.

Es ist kein Leichtes die Beherrschung zu behalten. In meinem Leben ließ ich mich stets vom Rausch leiten. Es war immer schon ein Teil von mir. Alkohol, Liebschaften und Krieg. Keine Versuchung der ich nicht irgendwann erlegen bin. Doch das war in meinem vorherigen Leben. Langsam aber sicher finde ich mich mit damit ab, dass die Frau die ich einst war dort in dieser silbernen Kammer gestorben ist. Ich werde sie zu Grabe tragen müssen, sobald ich den Verlust überwunden habe. Noch halte ich an ihr fest. Krampfhaft wie eine Ertrinkende inmitten eines tosenden Sturmes, kralle ich mich an das was mich einst ausmachte. An das was mich liebenswürdig machte. Ich kämpfe gegen Hunger, gegen den Schatten und den brodelnden Hass der mir ins Zentrum meiner Brust gepflanzt wurde. Ich bin schon längst ertrunken. Warum ich mich weiter widersetze, als könne ich noch einmal Luft holen, entzieht sich meinem Verstand. Ist es vielleicht der natürliche Reflex eines Menschen, sich selbst noch an das Leben zu krallen, wenn es schon von einem genommen wurde? Spüren sie Amatheons eisernen Griff und versuchen sich dessen zu verwehren und den Göttern selbst zu trotzen? Ob Sterbende, wahre Sterbende, auch derart verbissen kämpfen? Ich habe versucht es zu erkenne. Ich habe versucht den Moment dieser makaberen Einsicht abzupassen, doch ist er wohl derart flüchtig, das es schwer ist ihm nachzujagen oder ihn gar einzufangen. Ich habe ihn zum ersten Mal fühlen können, als ich gefüttert wurde. Ich spürte wie sich seine Seele wand.
"Zu wem betet ihr?" hatte ich ihn gefragt. Ich weiß es noch als wäre es gestern gewesen und es wird für immer in meinen Erinnerungen sein.
"Dem einzig wahren Gott..." eine kleine, feine Stimme in meinem Innern kichert als die Worte des Mannes, wie ein Echo der Vergangenheit, durch meinen Geist hallen.
"Das macht es leichter..." Dieses arme kleine Wesen hat einen Kampf mit Mächten ausgefochten die so viel mehr waren als es. Mit Mistgabeln und Fackeln gegen einen Drachen. Hätte ich schon soviel meiner Menschlichkeit eingebüßt wie meine Erschaffer, hätte ich über diesen kläglichen Versuch gelacht. Doch mir, selbst noch so sehr Mensch, brach es das Herz. Ich weiß nicht wie lange es dauern wird, bis mein neues Ich diese Art des Mitleids ablegt. Oder wann ich beginne die Angst zu genießen und wann die Jagd nach frischem Blut mich jubeln lässt, wie ich es es tat als ich mein erstes Reh erlegte. Es gibt noch so viel zu lernen und ich bin so jung... so sehr Mensch. So sehr Verstand einer Sterblichen. Wenn ich überdauern will, muss ich zuhören und begreifen.

Es ist seltsam wie ich in diesen Tagen Dinge tue, denen ich in meiner Lebzeit so wenig Beachtung schenkte. Wenn man erst einmal aufhört zu schlafen und jeden Moment des Tag-Nacht-Zyklus bei vollem Bewusstsein verbringt, fallen einem Kleinigkeiten in dieser Welt auf, die einem sonst, von Alltag und Arbeit abgelenkt, verborgen blieben. Jeden morgen begrüße ich die Sonne. Seit dem Tag an dem sie mich aus dem alten Gewölbe ließen, habe ich keinen Sonnenaufgang mehr verpasst. Es ist ein wahres Erlebnis, fokussiert man seine Psyche auf diesen Moment, dieses alltägliche Spektakel. Ich genieße jeden Aufgang, als wäre es der Erste. Denn irgendwann kommt der Letzte. Dessen bin ich mir bewusst. Solange es mein lebloses Fleisch erlaubt will ich die Sonnenstrahlen auf meiner Haut spüren und wie ihre zarte Wärme in meine tote Knochen kriecht und ihnen zumindest den Schein von Leben einhaucht. Es hat etwas sehr meditatives. Früher hätte ich diese raren Momente an den Altären der Götter verbracht. Doch sie verursachen mir Schmerzen, die über das Körperliche hinaus gehen. Hier im Schein der noch jungen Sonne, lasse ich mein Bewusstsein fließen. Wie lange, suchende Fangarme eines hungrigen Kraken, gewebt aus dichtem Schatten, erstreckt sich mein Selbst über die für mich spürbare Welt. Ich bin da. Klar und deutlich. Ich schlafe nicht. Der sanfte Schmerz den mir das Tageslicht bereitet, lässt mich das deutlich fühlen. Und doch -  wie Loran sagte -  träume ich. Eine seltsame Sensation, denn ich glaube ich bin in der Lage bewusst zu handeln. Eine Geschichte die ich mir selbst erzähle. Ich sehe keine großen Prophezeiungen. Keine Vision der Zukunft oder Vergangenheit. Amrhan ist intakt und die Welt dreht ihre Bahn wie sie es schon immer tat. Alles was ich sehe ist ein Kind. Ein kleiner Junge der da steht und mich mit seiner Ungeniertheit anstarrt...

...

Ich spicke meine Existenz mit neuen Ritualen, die Alten, Menschlichen ablegend. Doch eines kann ich nicht ablegen: Ich verbringe jede Nacht bei Ihm. Es ist eine trauriger Versuch mein altes Leben zu simulieren. Ich sehe ihm stundenlang beim schlafen zu, ohne das es mir langweilig würde. Mal schläft er in meinen Armen ein, mal bin ich der stille Eindringling, der des Nachts herein geschlichen kommt und heimlich bei diesem ach so menschlichen Akt zusieht. Er ist mein Herz, mein Licht im Dunkeln und er wirkt so zerbrechlich in diesen Stunden der Nacht. Das ist der Zauber der Männer, dem ich schon immer schnell erlegen bin. Man will ihre Stärke, ihre Dominanz und den unerbittlichen Rückhalt den ihr starker Wille uns Frauen bietet und doch sind es die Momente in denen sie, einem zerbrechlichen Schmetterling gleich, in unseren Armen liegen, die sie uns am meisten lieben lässt. Ich weiß das ich mein Herz mit dem schlichten Ballen meiner Faust zerstören könnte. Keiner seiner starken Muskeln könnte dies Schicksal verhindern, wenn ich es wirklich darauf abgesehen hätte. Es geht weit über das Körperliche hinaus und schon vor meinem Tod habe ich verstanden dass die Liebe, die ich zu geben habe, nie ganz echt ist. Es fühlt sich so unendlich gut an zurück geliebt zu werden und um das zu bekommen muss man erst einmal geben.. Das ist es was ich brauche. Jetzt noch mehr als vorher. Und dieses neue Machtgefüge, diese erhebende Dynamik in der wir uns umeinander bewegen, macht es noch reizvoller. Nun hat diese Beziehung eine völlig neue Ebene erreicht, die mich verzückt und abschreckt zugleich. Und er weiß nichts davon. Mein armes Herz ist unwissend wie ein neu geborenes Kind, das die Welt nur durch sich selbst wahrzunehmen weiß. Was er dazu sagen würde jede Nacht bei einem blutsaugenden Monster zu liegen? Oder das sein Fleisch sich lustvoll nach dem einer Toten verzehrt? Wahrhaftig... eine neue Ebene. Ironie und Tragik. Ein Grund mehr diese, meine Gedanken nieder zuschreiben und dieses Theaterstück auf Papier zu bannen. Vielleicht verliert es so etwas von seinem Schrecken. Ob Mithras oder die Einundzwanzig , die Götter sind grausam mit uns allen. Mit den Verstoßenen, wie mit den Gesegneten. Ein bitterer Gedanke... Und dieser führt mich zurück zu dem höchsten Dilemma meines Schicksals. Doch will ich nicht über meinen Glauben reden. Noch nicht...
Zitieren
#3
Kapitel 2
Nicht alles ist schmackhaft, was wohl schmeckt...

Man hatte mir schon zu Lebzeiten stets einen schlechten Geschmack attestiert. Sei es Kleidung, die Einrichtung meiner Behausung oder die Wahl meiner Männer. Jeder Mensch in meinem Dunstkreis hatte dazu eine Meinung. Und selbst die Leute außerhalb dessen bildeten sich ein Eine haben zu dürfen. Mein Ziehvater sagte immer die größten Tragödien passieren, wenn man mir die Wahl lässt. Denn ich treffe stets die Falsche. Wie ich ihn vermisse und wie er vermutlich recht damit hatte. Aber nun könnte selbst er mir nicht mehr helfen. An diesem Punkt steh ich nun allein auf weiter Flur und muss meiner Nase folgen, wie ein schlecht ausgebildeter Bluthund. Und es wird schwerer. Nicht weil ich meinen skurrilen Geschmack verliere, sondern weil er sich um die Eindrücke einer ganz neuen Welt erweitert und immer groteskere Züge annimmt. Der Geschmack eines einfachen Menschen ist etwas wundervolles. Und sie wissen es nicht zu schätzen. Keiner von ihnen denkt an die Vergänglichkeit dieses so wundervollen Sinnes. Das herrlich saftige Aroma und die verzaubernde Süße eines frischen Pfirsichs zum Beispiel. Verschwendet einer von ihnen auch nur einen Gedanken daran, welch herrliche Erfahrung der Biss in solch eine Frucht ist? Sie nehmen es als gegeben hin. Essen um sich zu sättigen. Aber was will ich ihnen das vorwerfen... Ich war nicht anders. Ich habe meinen Wein nie derart genossen wie ich es nun tue. Der Geschmack von frisch gebackenem Brot und dieser Duft... oh Düfte. Das ist ein anderes Thema. Ein Herrliches und Abstoßendes zugleich. Nun Esse ich des Genusses wegen, solange ich noch kann. Vielleicht hört es irgendwann auf. Jeder Bissen könnte der Letzte sein und dann ist alles was mir bleibt der zähe Saft, der so schrecklich eisern schmeckt.

Einige interessante Eigenheiten konnte ich schon beobachten, was die gänzlich neue Art der Stärkung angeht, welche mein Schatten benötigt und mir abverlangt. Mit nichten bin ich Expertin in dieser Art von Kost. Doch sind die ersten, unvoreingenommen Eindrücke sicherlich die ehrlichsten.
Frauen schmecken mir besser als Männer. Ein einfacher Fakt, der sich immer wieder bestätigt. Ich bekomme eine Gänsehaut wenn ich an den zarten, weichen Geschmack der Mädchen denke, die ich schon kosten durfte. Sie sind wie vollmundiger, süßer Portwein. Sie liegen schwer im Magen und die Erinnerung an sie bleibt länger in meinem Gaumen. Ihre Essenz ist fein gewoben, als wäre sie sündhaft teurer, schwerer Samt. Und ich will mich darin einwickeln und ihn nie wieder ablegen. Ich würde in ihrem Blute baden, wenn ich könnte. Mögen die Götter mir helfen, was macht dieser Splitter aus mir? Doch es ist wie es ist. Und mit den geschmacklichen Eigenheiten der Menschen, kommt dazu noch die Würze ihrer Emotionen. Und da kommt Sie ins Spiel: Mein kleines Experiment. Ein brodelnder Vulkan an Gefühlen. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen immer wenn ich an sie denke. Ich habe ihre Angst gekostet. Eine interessante Note und sehr aufwühlend für mich. Wenn sie Angst haben, halten sie mir einen Spiegel vor. Ich das Monster.... sie das Opfer. Und es schmeckt seltsam. Streng aber nicht schlecht. Mein Gewissen, das gegen das Scheusal in mir anschreit, verhindert es das ich meine Mahlzeit voll und ganz genießen kann. Also habe ich es auf eine andere Art versucht. Eher unbeabsichtigt. Ich wollte nur reden, doch wie könnte man da widerstehen? Und dann war da ein neues Aroma. Ganz dezent und unterschwellig. War es Hingabe? Aufgabe? Oder Neugier? Ich kann meinen Finger noch nicht darauf legen. Doch scheint die sanfte Art die Bessere zu sein. Wenn ich nicht von Ihm und seinem Hunger getrieben bin und die Angst meine Eingeweide ergreift, will ich weiter von ihr probieren. Ich will Wut, Freude, Trauer und Erregung schmecken und sie ist genau die Richtige dafür. Die Art und Weise wie man eine Frau in diesem Moment hält ist eine gänzlich andere als bei einem Mann. Weibliche Körper sind wie fein geschwungene Instrumente. Man legt seine Finger sanft daran, spielt die richtigen Saiten und schon sind sie wie weiche Butter unter deinen Händen. Und vielleicht, mit Erfahrung, schaffe ich es den bitteren Nachgeschmack der Todesangst und Panik ganz hinauszufiltern.

Männer sind ein ganz anderes Element. Sie sind der raue, vollmundige Weinbrand. Bei allem was mir jemals heilig war, ich liebe sie. Sie machen mich betrunken auf eine ganz seltsame Art. Doch nicht alle Männer schaffen das. Der Geruch ist Ausschlag gebend. Er kann betörend oder abstoßend sein, während Frauen stets etwas lieblich-verführerisches anhaftet. Da ist zum Beispiel der ganz eigene Geruch meines Liebsten. Es schwingt eine Note darin die mich schwindelig macht. Jeden Tag muss ich all meine Kraft aufbringen, um die Beherrschung über den dunklen Schatten in mir zu behalten. Ich will ihn kosten! Das Verlangen ist so stark, es bereitet mir Schmerzen. Doch weiß ich, was ich mit einem einzigen Biss in ihm hinterlassen würde. Mein Herz ist eine heilige Reliquie für mich. Ansehen und vorsichtig anfassen. In mich aufnehmen was er mir an Licht, Lust und Zuversicht spendet, jedoch ohne ihn zu verschlingen und zu zerstören. Ein schmaler Grad den ich wandere und auf dessen Überquerung ich jedesmal drohe in die Finsternis des lauernden Hungers zu stürzen. Andere Männer sind eine Option mit der ich mich abfinden musste. Einer ist da, der eine eben solche Verführung darstellt. Er trägt einen anderen Duft mit sich. Ausgereifter und stärker. Er schmeckt sicher fantastisch, wenn er keine Angst hat. Vielleicht wird es ihn irgendwann treffen, denn schon als Mensch kostete es mich all meine Kraft ihm zu widerstehen.
Das Blut schwacher Männer ist dahingegen wie die dünne Brühe, die man in Armenhäusern ausgibt. Dazu ein Kanten, alten Brotes, bei dem man sich einfach vorstellt der gammlige Flaum am Rand sei guter Löwensteiner Blauschimmel. Alles eine Frage der Einstellung. Man wird satt und lebt wieder ein paar Tage länger. Doch will man das wirklich? Ist es das wert? Ich will nicht darauf angewiesen sein an diesen schwachen, reizlosen Seelchen zu zerren und sie in mich aufzunehmen. Ihr Blut ist so dünn wie ihr Willen und es widert mich an. Der erste den ich jemals trank, war so Einer. Eine rückgratlose Ratte, die vermutlich ihre halbe Sippe und Mithras oben drauf, geopfert hätte um ihren eigenen lausigen pelz zu retten. Das Einzige was ihn erträglich machte, war das Gefühl von absoluter Macht. Ich war die Herrin über sein Leben und wie es enden würde. Das erste Mal das ich den Makel spürte, den der Splitter in mein Herz gepflanzt hatte.

Heute will ich mich hübsch machen. Ich spüre wie es in meinem Inneren rumort. Ich fühle sein Ziehen... seinen Hunger. Und so wird es Zeit für eine kleine Jagd. Ich öffne meinen Schrank voller geschmackloser Kleider, die jede Löwensteiner Dame im Strahl kotzen ließe. Ich wähle das samtene Kleid, das sich anfühlt wie Ihre Haut unter meinen Fingern. Erregung stellt sich ein. Ein pragmatischer Gedanke, als beobachte ich meinen Körper von außen. Ich knöpfe den langen, schweren Stoff über meinem Bauch zu. Lasse den Ansatz meines Busens hervor blitzen. Wie damals, als mein Körper noch voller Leben war, kneife ich in die blasse Haut die sich über meine Brüste spannt, bis sie einen rosigen Schimmer zeigt. Mein ganzer Körper beginnt, in freudiger Erwartung, zu kribbeln. Ich schlüpfe in die Haut einer Anderen. Ich muss Gisla werden um zu trinken. Mein anderes Ich... das alte, kleine, schwache Ich würde daran zerbrechen. Eine reine Schutzmaßnahme. Meine Maske.
Das Haar stecke ich mir zurück. Ein paar Strähnen fallen verspielt über mein Brustbein und in Wellen bis zu meinem Bauch. Ich gebe meinen langen, fahlen Hals frei, als wollte ich meinem Opfer die selbe Mahlzeit anbieten, die ich von ihm fordere. Ob ich heute Nacht finde, was ich suche?  Ich schließe das Mädchen in die hinterste Ecke meines Geistes. Sie hat kein Mitspracherecht. Es geht um Überleben. Ein Gewissen steht dem nur im Wege...
Zitieren
#4
Kapitel 3
Nur um den Einsamen schleichen Gespenster...

Lang ist es her, das ich einen Lebenden in meinem Hause hatte. Sofort füllten sich die Räume mit den Düften und Geräuschen eines Menschen. Sie vertrieben die Stille und den Staub meines, einem Mausoleum gleichenden, Reiches. Es war ein willkommenes Gefühl und zeitgleich eine drastische Störung meines sicheren Hafens. Als hätte eine Flutwelle ihn überschwemmt und jegliche Schutzmaßnahmen fort gespült. Was hatte ich mir dabei gedacht? Und nun lag ich hier und tat so als könne ich schlafen. Selbst wenn mein Körper dazu in der Lage gewesen wäre, mein Besucher würde mich wach halten. Wie das Ticken einer Turmuhr, dröhnte sein Herzschlag in meinen Ohren. Sein Puls war wie das Rauschen heftigen Herbstregens. Ich hielt mir die Ohren zu, doch es war so viel mehr als eine schlichte Geräuschkulisse. Meine Brust vibrierte unter jedem Schlag den sein Herz tat und Er bäumte sich hungrig auf, griff nach meinem Verstand... wollte die Kontrolle an sich reißen. Und ich kämpfte Stundenlang mit ihm. Einmal trieb er mich gar die Treppen hinauf. Dort wo all die Pein seinen Ursprung hatte. Ich stand vor ihm und starrte auf seinen Hals, auf den Flecken blasse Haut, wo friedlich seine Schlagader pulsierte, entspannt vom tiefen Schlaf. Wie gern hätte ich meine Zähne hineingerammt und von ihm gekostet. Mein unnötiger Atem ging schneller als Aufregung, Erregung und Panik meinen Körper ergriffen. Der Schatten hatte Hunger und je länger ich dort stand, desto hungriger wurde er. Als würde man einem Bettler frisch gebratene Rippchen vor die Nase halten. Immer weit genug weg, das er nicht danach greifen könnte, doch nah genug um ihn damit zu quälen. Ich konnte mich nicht losreißen. Ich hätte in diesem Moment alles mit ihm tun können. Die weißen Laken in in strahlendes Rot färben. Seinen Körper in eine leblose Hülle verwandeln.

Die Schatten um mich schlossen sich und so zog ich mich zurück, noch ehe Er die Kontrolle gewann. Unten angekommen, verschwand mein altes Ich endgültig. Mein Körper plötzlich der eines Anderen. Der Übergang war unangenehm, wie immer. Noch unangenehmer, das ich nun in der zweiten Reihe saß. Es war Zeit für die Jagd und ein Glück für meinen Besucher, dass Ihm keine Männer schmeckten. Ich könnte es nicht länger herauszögern. In all der Zeit hatte ich nicht gelernt meine Widerspenstigkeit abzulegen. Es war immer noch ein notwendiges Übel.

Er striff durch die Stadt. Spazierte, imposant wie seine Erscheinung war, durch die dunklen Gassen. Sein Instinkt und die Erfahrung führten ihn in das ärmste aller Viertel. Dort wo um diese Uhrzeit noch die Mädchen standen. In ihren knappen Kleidern, halb erfroren vor Kälte. Sie rochen schrecklich, doch schmeckten sie umso süßer, wenn seine Hände die Kälte vertrieben und sie sich hitzig, an ihn geschmiegt, wanden. Wir suchten uns eine kleine, graue Maus mit Schwarzem Haar aus. Gerade zu einer Frau heran gewachsen, schien sie nicht so benutzt und befleckt wie die anderen. Armes Täubchen. Sie war eingeschüchtert von unserer Gestalt, doch wusste sie nicht was sie wirklich erwartete. Sie hatte große Augen gehabt, die uns nur ängstlich anstarrten, uns darum baten nicht so grob wie der letzte zu sein. Ihr Körper war übersät mit bunten Flecken. Nein wir würden sie nicht schlagen. Ich zog an den Zügeln um Ihn in Zaum zu halten. Zu vieles an dem Mädchen erinnerte mich an mein menschliches Ich. An die weit entfernte Vergangenheit. Ich wollte sie nicht unnötig leiden lassen. Sie führte uns in eines der verlassenen Häuser, während ich und mein Schatten miteinander stritten. Nur eine dreckige, alte Decke lag auf dem Boden in einer Ecke. Und dann packten wir sie. Es war ein leichtes sie anzuheben und gegen die nächste Wand zu drücken. Die Decke würden wir heut nicht brauchen. Sie japste nach Luft, als wir sie eroberten. Ein herrliches Gefühlt. Es war so viel anders, als mit meiner menschlichen Hülle. Wir waren so viel stärker als sie. Ich und mein Schatten in diesem Moment Eins. Wir umschlungen einander und gemeinsam legten wir unsere Präsenz um die Hure in unseren Armen. Wir trieben sie mit Leichtigkeit an den Punkt, an welchem sie am süßesten schmecken würde. Reinste Routine. Unsere Art des Kochens. In diesem Moment sah man erst wirklich, welch hübsche, kleine Vögelchen hinter all dem Dreck und der Angst steckten. Ich war vermutlich der erste ihrer Kunden, der darauf aus war, das sie sich gut fühlte. Eine völlig neue Erfahrung. Ich zwang ihren Kopf bei Seite und küsste die zarte, weiche Haut an der Stelle wo Hals und Schulter sich verbanden. Hier rochen sie alle wie sie wirklich waren. Kein Dreck der Welt konnte diesen Geruch überdecken. Sie stöhnte immer heller auf... der Moment war gekommen. Wir konnten uns nicht länger zurück halten.

Ein spitzer Schrei entkam ihrer Kehle, als sie wohl den Schmerz spürte, den meine Zähne ihr verursachten. Und dann wurde ich fortgespült. Ich ließ die Zügel los und erging mich in dem ekstatischen Gefühl, das ihr Blut mit sich brachte.
Es gab vieles was ich an meiner Existenz hasste. Zu aller erst wohl... nun meine Existenz. Ich war eine Anomalie. Ein unerwünschtes Wesen auf dieser Welt, verstoßen von den Göttern. Doch dieser Moment der absoluten Macht über Leben und Tod... ich liebte ihn so sehr. Ich hasste mich dafür. Doch es blieb mir kaum Zeit darüber nachzudenken. Zu sehr schwelgte mein Sein in der puren Essenz dieses Menschleins in meinen Armen. Keine Zeit für eigene Gedanken, wenn man in denen anderer baden kann. Ich kostete ihre Erregung, ihren Schmerz und ihre Angst. Eine herrliche Mischung. Ihre Seele lag, wie auf einer Schlachtbank aufgebahrt, vor mir und ich könnte mir all die leckeren Stücken herausschneiden und verschlingen. Ich trank zügellos von ihrem Lebenssaft doch in meinem Geist, war es eine gänzlich andere Dunkelhaarige, an welcher ich mich labte. Eine dessen Blut noch so viel süßer war. Die Hure wurde still und erschlaffte in unseren Armen. Wir zogen uns zurück... wir wollten keine Leichen hinterlassen. Sie würde durchkommen. Einen Funken Leben ließen wir ihr.
Der Hunger war nicht gestillt. Er lauerte immer noch. Sie war nicht genug gewesen. Wie gern würde ich unsere Zähne in den Hals der Frau mit dem Kirschmund schlagen. Sie war wahrlich die köstlichste gewesen. Diese Huren nur ein fader Ersatz. Befriedigend durchaus, doch etwas fehlte ihnen allen... oder es fehlte mir.

Der Mond hing tief und der Himmel, in der Nacht in ein wunderschönes Indigo getaucht, verlor all seine Farbe, ehe die Sonne Neue an das Firmament malen konnte. Zeit heim zu gehen. Ich bettete das Mädchen auf seiner Decke, wusch das Blut von ihrem Hals und verschwand durch ein Loch in der Wand. zurück in mein reich, zurück zu dem Eindringling, welchen ich eingeladen habe, mein Dasein zu stören. Eine kleine Unebenheit in der sonstigen Tristesse. Ich hieß es willkommen und ängstigte mich gleichzeitig davor...
Zitieren




Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste