FSK-18 Das Tier in mir
#2
Sadismus

Der Geruch am Morgen im Wald löst eine lang vergangene Erinnerung bei ihm aus. Das sommerliche Wetter des letzten Mondlaufes hat ausgesetzt und die kühle Luft brachte Regen, der frühmorgens Feuchtigkeit in das dunkelbraune Fell legt. Gemischt mit dem Geruch nach Moos und Rinde, der so viel intensiver erscheint nach dem Erwachen, lockt es die Empfindungen jenes Tages aus ihm. Während sich das Fell gemächlich und bereitwillig zurück zieht und aus dem Waldbewohner wieder ein Mann wird, der bäuchlings und blank auf dem Waldboden liegt, zucken Fetzen von Eindrücken durch seinen Verstand, die den Wolf in ihm aufgrollen lassen.

Ich ging auf die sechzehn Sommer zu und befand sich auf dem Heimweg von dem wöchentlichen Handel auf dem Marktplatz. Selbst zu so früher Stunde war der gepflasterte, schmuddelige Platz voller Leute. Es herrschte ein reges Gedränge und Geschrei, aber nichts daran konnte mich von der jungen, bald erwachenden Frau ablenken, die soeben an einem Stand mit Edelsteinen inne hält. Ihre Miene ist zugleich fasziniert wie verbittert. Sie kann sich keinen der Steine auch nur ansatzweise leisten, geschweige denn tragen. Ihre einfache Kleidung verträgt sich nicht mit wertvollem Schmuck, aber die Gewissheit darum, wischt ihr nicht die Verträumtheit aus dem Gesicht. Ihr Haar ist honigblond und eine zarte Morgenbriese schickt ihren Geruch in meine Richtung.
Sie bemerkt es nicht, als ich mich ihr näher, denn Rempeleien und ungewollten Berührungen lassen sich nicht vermeiden, an diesem hektischen Ort. Es geht um Gold und Silber, was für den Großteil Macht und Glückseeligkeit bedeutet. Für mich ist es nur ein notwendiges Übel. Meine Definition von Macht steht vor mir und, während sie die Lippen aufeinander presst, frage ich mich, ob sie es unbewusst macht. Vielleicht tut sie es, wenn sie Lust oder Schmerz empfindet ebenso? Ich komme ihr so nah, dass sie meine Wärme und Verlangen spüren müsste. Nur ein kleines Vorbeugen und ich könnte den zarten Nacken küssen, ein Recken der Hände und ihr zierlicher Busen, der dabei ist ihr Mieder zu füllen, läge in meinen Händen. Die zarten Ansätze ihrer Kurven heben und senken sich, während sie verträumt die Steine ansieht. Es ist ein Blick, der mir für alle Tage verwehrt bleibt, denn niemand akzeptiert so ausgeprägten Sadismus. Wenn die Frauen wegen meiner Erscheinung nicht bereits Furcht verspüren, dann spätestens, wenn der markdurchdringende Blick sie trifft. Ich genießt es, wenn ihr Atem rascher wird, der Puls sichtbar an dem zarten Hals rast und sie sich zwischen Neugierde und Vorsicht winden. Das ist meine Art von Macht.
Ein Käufer neben ihnen reckt den Arm, der von Brandspuren gezeichnet ist. Der Fremde fasst wie selbstverständlich einen blutroten Rubin in die Finger und zeigt ihn dem Händler. »Wie viel nimmst du dafür?« Ihre Augen folgen der Geste, während sie leicht zurück weicht, als der bereitwillige Käufer sich weiter an die Auslagen schiebt. Während ihr Hintern gegen meine Lenden stößt, höre ich sie ausatmen. Aber es hat nichts mit der Beschämung über das zu tun, was sich unter dem ausgeleierten Leder meiner Hose abzeichnet, sondern mit der Erkenntnis, dass sie hier nichts zu suchen hat. Ich sauge ihren Schmerz darüber, dass ihr solche Reichtümer nicht vergönnt sind, in mich auf wie ein Schwamm. Sie dreht den Kopf, als sie sich zum Gehen wendet und einen Moment kann ich einen Blick in die meerblauen Augen erhaschen. Pein steht so ehrlich darin, dass es mich fast an die Kante treibt. Ich lasse sie nicht an meinen Gedanken teil haben und wende mich ab. Meine Schritte führen mich zum Wald, der nach Morgentau riecht. Eine frische Brise streicht mein Gesicht, während ich grinse.


Er grinst immernoch wie der junge, unwissende Kerl auf dem Marktplatz, als die Gedanken in den Körper zurück finden. Langsam rafft er sich auf und blickt sich orientierend in dem Waldstück um.
Schon wieder hast du mich an diese Stelle geführt. Weshalb? Weil sie dort drüben meistens nach Kräutern sucht?
Ungeniert geht er auf alle Viere und richtet witternd die Nase aus. Mit gelben Augen sucht er den Boden ab, bis er sie schließt und seine Sinne arbeiten lässt und tief einatmet. Hier ist sie entlang gelaufen, mit vorsichtigen Schritten, denn wer weiß, was der Waldboden bereit hält oder wer ihre Schritte hören könnte. Wie jedes Mal sinkt sie weich auf beide Knie und stellt das Körbchen ab, aus dem sie ihr Messer nimmt. Es ist nicht einmal scharf genug, um sich damit gegen einen Angreifer wehren zu können, aber für die empfindlichen Stängel der Kräuter perfekt. Zärtlich hält sie die Blüte in der Hand, um sie nicht zu beschädigen. Und dabei sind die weichen Finger so viel verdorbener, als sie es zeigt. Ich drücke die Nase in die feuchte Erde und knurre unzufrieden. Der Regen hat ihre Spuren fast verwischt, sonst könnte er riechen, aus welchem Material ihr Rock ist, wann sie sich das letzte Mal gewaschen hat, oder wie der Kerl stinkt, der sie besucht.
Der Wolf bäumt sich auf und will ihn überzeugen, zu ihr zu gehen. Er ergötzt sich an dem Sadismus. Hat es tatsächlich erst einen Fluch gebraucht, bis er jemanden fand, der seine Perversion akzeptiert? Oder ist es überhaupt ‚jemand‘ anderes? Schlummert nicht vielmehr ein Instinkt in ihm, der rein animalisch denkt, er kann die Frau markieren, indem er sie als sein Revier markiert?
Er lockert die mentalen Zügel, die er der rohen und wilden Seite seiner Selbst auferlegt hat und gibt sich der Gier hin. Was kann es schon schaden, nach ihr zu sehen. Nur um zu sehen, ob es ihr gut geht und sie wohl auf ist. Dabei weiß er genau, dass er nur darauf hofft, Schmerz und Verzehrung zu sehen. Mit jedem Mal, wenn ihr Geruch in seiner Nase kitzelt, bröckelt die mühsame Beherrschung etwas mehr. Und wenn schon?
Da liegt das Problem des Sadismus, er nährt sich an Egoismus.
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Das Tier in mir - von Narbenauge - 22.04.2018, 18:26
Sadismus - von Narbenauge - 25.06.2018, 09:02
RE: Das Tier in mir - von Narbenauge - 30.07.2018, 15:03
RE: Das Tier in mir - von Narbenauge - 11.10.2018, 14:00
RE: Das Tier in mir - von Narbenauge - 11.01.2020, 15:33



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