FSK-18 Das Tier in mir
#1
Es ist ein lauer Abend, als er sich unauffällig durch die große Steinstadt bewegt. Mit jedem Mondwechsel scheint die Stadt mehr auf ihn zu wirken. In Anbetracht der Zeitspanne das letzten Füllen und Leeren des Mondes, ist die Veränderung regelrecht einschlägig. Er muss nicht um die Straßenecke biegen, um zu wissen, wie viele Menschen in der Taverne sitzen. Die teils gemurmelten, teils regen Unterhaltungen hört er bis hierher. Wenn er sich näher wagt, könnte er selbst blind bemerken, ob Hübschlerinnen anwesend sind, wann sie das letzte Mal einen Freier hatten und wie viel Zeit seit ihrem letzten Bad vergangen ist. Die gelben, im Wind schwingenen Bänder haben ihren eigenen Geruch: Man riecht die billigste Farbe, die der Markt her gibt, so weit verdünnt, dass sie noch zu erkennen ist. Der Stoff ist aus alten Lumpen und windet sich meist starr um den Oberarm der käuflichen Mädchen. Ihm ist nach keiner von ihnen, selbst wenn die zweite Stimme nach etwas Zerstreuung ruft. Warum nicht etwas von der Kraft heraus lassen? Selbst wenn sie dich nicht aushält, lässt es sich als Berufsrisiko abhandeln.

Aber stattdessen führen ihn die schweren Schritte weiter die Gasse entlang. Unbemerkt biegt er an dem Torbogen in den Innenhof. Ein weiterer Geruch lockt seine Sinne und er lässt sich schwerfällig gegen die niedrige Mauer sinken. Mit geschlossenen Augen und geblähten Nüstern bemüht er sich das Wahrgenommene zu identifizieren, wissend, dass seine Iris hinter den Lidern gelb sind und die Pupillen zu Schlitzen geformt. Der Geruch bring ein flüchtiges Bild in seinen Kopf, einer der älteren Wachmänner, der auf der anderen Seite der Mauer seine Wacht hält. Er tritt ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Das Scharren auf dem Pflaster ist laut, so man sich darauf fokussiert. Unbewusst erinnert er sich an die Duftnote, die er beim Durchqueren des Tores aufgeschnappt hat. Kalter Schweiß, gemischt mit dem dezenten Muff von lang getragenen Hosen. Das verspricht Unruhe und ein Geheimnis. Ob er sich nach seiner Schicht wieder mit der Stallmagd trifft, nach der er sich heimlich verzehrt? Daher gründet wohl das plötzliche Klimpern von Schmuck, das der Mann in seiner Tasche trägt. Ob sein Umwerben Früchte trägt? Weiß seine Ehefrau von der anderen Frau, die denkt, er wurde vom Hauptmann zum Berichte schreiben gezwungen?

Ein Schmunzeln gleitet über seine Züge und er stößt ein selbstgefälliges Grollen aus. Unter dem Gestank von Pisse, Schweiß, Rauch, getragenen Stiefeln, Moder, Staub, Abfall und viel zu wenigen Spuren von Parfum, erzählt die Stadt manche Geheimnisse, wenn man denn gewillt und fähig ist, sie zu ergründen. In den letzten Tagen hat er viele aufgedeckt, willentlich und unwillentlich, während sein Ziel eigentlich ein völlig anderes ist.

Ah da ist sie. Er muss sich keinen tiefen Atemzug gönnen, um ihre Ankunft zu riechen. Sachte und möglichst geräuschlos sinkt er an der Mauer bis in die Hocke und drückt das breite Kreuz dagegen. Sie schlendert die Gasse hinunter, mit einem Körbchen unter Arm, gefüllt mit Kräutern. Da sie spät dran ist, fallen die flüchtigen Grüße an die Nachbarn knapp aus.

Wo warst du so lange? Ich habe auf dich gewartet. Er ballt die Hände zu Fäuste und atmet tief und beherrscht durch. Blinzelnd öffnet er die Augen, spürt jedoch die Sensibilität, die ihm verrät, dass sie noch seinem Jagdinstinkt folgen. Das Kribbeln in seinem Nacken verrät ihm, dass sie sich gewohnheitsbedingt umsieht, bevor sie ihr Haus betritt. Sobald sich die Türe öffnet, genehmigt er sich einen tiefen Atemzug aus ihrem Leben. Süß, unschuldig und doch kokett und geheimnisvoll. Sie verbirgt so viel, ohne sich dabei große Mühe zu geben, aber gibt es überhaupt jemanden, der bereit ist weit genug zu graben, um ihren Geheimnissen gefährlich zu werden?

Er kann das Zusammenzucken nicht unterdrücken, als die Türe ins Schloss fällt. Für einen Moment herrscht in seinem Kopf geordnete Ruhe. Alles andere wird ausgeblendet, während er sich vorstellt, wie sie ihre alltägliche Routine bewältigt, den Mantel ablegt, das Körbchen abstellt. Sobald sie aus den Stiefeln geschlüpft ist, leert sie ihr Körbchen aus und verstaut die Kräuter fein säuberlich an den richtigen Orten. Ihm ist bewusst, welcher Tag ist, weswegen er sich mit einem unwilligen Schnauben erhebt und die Kapuze tiefer ins Gesicht zieht. Es wird Zeit aufzubrechen, bevor sie sich ein Bad einlässt, denn das Plätschern von Wasser, wenn ihr zierlicher Körper die Oberfläche aufwühlt, ist zu viel für ihn. Der Zorn in seinem Inneren baut sich bereits auf, da er seinem Verstand versagt, wonach er sich gierig sehnt.

Es wird Zeit sich die Füße zu vertreten, weit draußen, wo du keinem gefährlich werden kannst, mein pelziger Freund. Vielleicht eines Tages, wenn die Ruhe zurück kehrt. Vielleicht eines Tages..
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Das Tier in mir - von Narbenauge - 22.04.2018, 18:26
Sadismus - von Narbenauge - 25.06.2018, 09:02
RE: Das Tier in mir - von Narbenauge - 30.07.2018, 15:03
RE: Das Tier in mir - von Narbenauge - 11.10.2018, 14:00
RE: Das Tier in mir - von Narbenauge - 11.01.2020, 15:33



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste