FSK-18 Masken
#2
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"Was malst du da?" fragt er mich und küsst meine Schulter, lehnt sich vor, um besser sehen zu können. Der Kohlestift verkrampft sich in meiner Hand und ich muss mich beherrschen, den ungebetenen Zuschauer nicht fortzustoßen. "Nichts", sage ich und tue so, als würde ich seinen skeptischen Blick nicht bemerken, der sich zunächst auf das Blatt Papier, dann auf mein Profil richtet. Es ist der erste Moment, in dem ich tatsächlich so etwas wie Hass für ihn empfinde. "Ziemlich düster..." lautet sein Urteil und ich spüre, wie mein Rückrat sich versteift. "Ich finde es nicht düster." entgegne ich stur und drehe das Pergament um, werfe den Kohlestift auf den Tisch. "Bist du sauer?" fragt er und mir entfährt ein leises Schnauben. "Lass' es gut sein. Ich denke, es wird Zeit, dass du nach Hause gehst. Vater kommt gleich." Ich spüre seinen unzufriedenen Blick in meinem Rücken und versuche, mir nicht das dazugehörige, schmollende Gesicht vorzustellen. Diesmal bekommt er mich nicht rum. "Sehen wir uns morgen?" fragt er schließlich leise und greift nach seinem Hemd, seiner Jacke. Er hat es verstanden. "Vielleicht." erwidere ich trotzig wie ein Kind und ärgere mich im nächsten Moment selbst darüber. Ich kann nicht genau sagen, was mich wütender macht - die Tatsache, dass er beim Anblick der Zeichnung nicht dasselbe empfindet wie ich, oder dass er sie überhaupt ungefragt angesehen hat. Ich wende meinen Blick nicht nach ihm um, als er widerwillig die Stube verlässt und ich die Tür hinter ihm ins Schloss fallen höre. Ich weiß zu diesem Zeitpunkt schließlich noch nicht, dass ich ihn niemals wiedersehen werde.

Der Morgen dämmerte bereits und auf den Straßen begannen die ersten Menschen geschäftig ihrem Tagewerk nachzugehen. Es dauerte eine Weile, bis Nymea realisierte, dass der Pinsel in ihrer linken Hand schon seit einiger Zeit tatenlos über der Leinwand schwebte. Für einen Moment hatte der Schlaf sie übermannt. Das geschah ihr bisweilen, wenn sie ihren Körper wieder einmal in die völlige Übermüdung trieb und ihm die wohlverdiente Ruhe nicht zugestand - wie es in den letzten Wochen öfters der Fall war. Mit geschmälerten Augen betrachtete sie ihr Werk eine Weile lang, neigte den Kopf nach allen Seiten, doch sie konnte schon nicht mehr sagen, ob das Bild ihr gelungen war oder nicht. Wenn sie zu lange an einer Arbeit saß, verlor sie das Auge dafür und sie musste notgedrungen davon ablassen. Mit einem tiefen Seufzen wusch sie den Pinsel in der bereitgestellten Waschschüssel aus und schloss die Farbtöpfe nacheinander. Der Malkasten, den sie von Seamus erworben hatte, war ihr erster persönlicher Luxus, den sie sich seit ihrer Ankunft in Löwenstein gegönnt hatte. Den Schmuck und die vielen, neuen Kleider rechnete sie nicht mit ein - der Tand war nichts weiter als das i-Tüpfelchen ihrer Verkleidung. Schein, nicht mehr und nicht weniger. Die Farben, die Pinsel aus Pferdehaar in allen verschiedenen Größen, die Leinwände... das war ihre eigene, ihre wirkliche Freude. Schließlich konnte sie die Jahre kaum benennen, die vergangen waren, seit sie das letzte mal überhaupt einen Pinsel in der Hand gehabt hatte. Und was hätte sie draußen im Wald schon mit einer Leinwand gewollt. Müde und mit trägen Schritten trug sie ihr Werk aus dem Schlafzimmer, stellte es neben ihrem ersten Versuch ab. Aus Angst, die teure Farbe sinnlos zu vergeuden, hatte sie zunächst mit Tinte und Feder auf Pergament gezeichnet. Erst, als ihr Körper sich wieder vage an Strich-und Linienführung zu erinnern begann, war sie mutig genug gewesen, den Malkasten anzurühren. Darüber waren endlose Stunden vergangen - friedliche Stunden, in denen sie keinen quälenden Gedanken ausgesetzt war. Erst am Ende, als das Motiv sich bereits herauskristallisiert hatte und sie nur noch einzelne Details hinzufügte, erinnerte sie sich an die Frage der Dame Savaen. "Und welchen Stil nennt Ihr den Euren?" Die Frage kam ihr mehr als ungelegen. Schließlich hatte sie sich niemals mit den Regeln der Malerei befasst. Da sie nie vorgehabt hatte, ihr Geld mit dieser Tätigkeit zu verdienen, empfand sie es auch nicht als wichtig, was namenhafte Künstler unter Kunst verstanden. Und spätestens, als ihr Vater ihr 'Geschmiere' als abstoßend und widerwärtig bezeichnete hatte sie aufgehört, ihre Leidenschaft überhaupt zu erwähnen. Entsprechend bereute sie ihren Ausrutscher am Vorabend und wünschte sich, die Klappe gehalten zu haben. Nicht, dass sie glaubte, die Dame Savaen würde - sofern sie jene jemals wiedersah - noch einmal auf das Thema zu sprechen kommen. Das war unwahrscheinlich und kein Grund zur Besorgnis. Besorgniserregend war allein die Tatsache, dass sie nicht genug Acht gab auf das, was sie sagte. Inzwischen von einer vagen Unzufriedenheit gepackt nahm sie die Leinwand wieder auf und begann, den Pinselstrichen mit dünnen Tintenlinien Konturen zu verleihen. Zum Abyss damit. Das nächste mal würde sie vorsichtiger und bedachter sein, und bis dahin sollte sie sich einfach an ihren neugewonnenen Freiheiten erfreuen. Es mochte wichtig sein, was die Leute dachten - zumindest, wenn man Nymeas Ambitionen hegte - doch in ihrem Schlafzimmer, das bereits jetzt einer Färberei glich, schwor sie sich Freiheit von allen Zwängen. Und so rahmte sie beide Bilder, ganz gleich ob sie ihr morgen gefielen oder nicht, in schlichtes Holz und hängte sie mit voller Absicht und einem seligen Lächeln schief an die Wand.

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Masken - von Nym Graukatz - 13.02.2017, 12:19
RE: Masken - von Nym Graukatz - 22.02.2017, 09:19
RE: Masken - von Nym Graukatz - 27.02.2017, 01:34
RE: Masken - von Nym Graukatz - 28.02.2017, 11:35



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