Ehre und Ordnung, das Leben als Ritter
#5
[Bild: ibkneory.png]

Neutralität ...
Was bedeutet Neutralität? Es ist ein Mittelweg, der aus verschiedenen Gründen eingeschlagen wird. Neutralität wird ersehnt, um einer Entscheidung aus dem Weg zu gehen, um sich nicht auf eine Seite schlagen zu müssen, um sich alle Optionen frei zu halten. Derjenige, der sich als neutral bezeichnet, will unparteiisch sein und sich nicht in Konflikte einmischen. Ist es Schwäche, Klugheit oder Feigheit?
Die Frage nach der Essenz des Wortes beschäftigt den jungen Ritter seit einigen Tagen. Wie kann sich eine Baronie als neutral bezeichnen, wenn ein Krieg bevor steht? Es ist keine Frage des warum, denn dafür gibt es genügend Gründe. Man kann abwarten, um sich im entscheidenden Moment auf die mögliche Siegerseite zu stellen. Man kann entwaffnend die Hände heben, die weiße Fahne schwenken und behaupten, dass man niemandem Leid zugefügt hat und an nichts die Schuld hat. Man kann auf Milde hoffen und darauf verschont zu werden. Vielleicht spart es ein paar Leben, ganz egal, ob sie unehrenhaft geschützt wurden. Oder man zielt darauf ab, mit einer der verfeindeten Patreien Vereinbarungen zu treffen. In Greifanger wäre der Hafen eine interessante Verhandlungsmöglichkeit sowie die wertvolle Passage nach Hohenquell und schließlich Servano, die dem Feind zugänglich wäre. Der Feind könnte von zwei Seiten zu schlagen und sich einen entscheidenden Vorteil verschaffen. Für Greifanger hätte es keine Konsequenzen, man hällt lediglich die Füße still, unter dem Vorwand nichts damit zu tun haben zu wollen. Warum sollte man sich mit Politik und Diplomatie abgeben, wenn es so viele anderen Zerstreuungen gibt?
Ganz einfach: Weil es der Eid so vor schreibt.

»Ist das alles? Legt euch mehr ins Zeug!« Jon treibt die Männer von seinem jurischen Pferd aus an, während ihm die Sonne auf den Panzer brennt. Vom Gefühl her besteht er unter dem Metall nur noch aus Schweiß. Nur gelegentlich wagt sich eine Brise aus dem Waldstück hervor und streift kühl durchs Gesicht. Die Männer plagen sich bei den Kampfübungen, aber ihr Befehlshaber ist zu mürrisch und unausgeglichen, um Rücksicht zu nehmen. Wie will die Miliz eine Baronie schützen, wenn sie bereits unter ein paar Sonnenstrahlen einknicken?
Als ihn das Geräusch von stetigen Klingenschlägen wieder einhüllt, gibt es sich erneut den Fragen in seinem Kopf hin, während der strenge Blick auf den Übenden liegt.

Ich, Jonathan Silberfels, schwöre bei der Herrschaft von Lithas Taguein dem Ersten, der unser König ist, wie Mithras es seit Mydrion I. befahl und bei allem, was mir heilig ist. Mit all meiner Kraft und redlichem Willen will ich das mir verliehene Amt ausfüllen, zum Wohle des Reiches und zum Vorbild des Volkes, bis Recht und Gesetz diesen Dienst beenden. Meine Treue gelte seiner Majestät, dem Truchsess, dem hochedlen Fürsten Candarias und meiner edlen Baronin.

Er erinnert sich an den Eid, als wäre es erst gestern gewesen. Fünf Mondläufe sind seitdem vergangen und trotzdem spürt er noch die Euphorie, die er in dem Moment verspürt hat. Er hat vor Allem auf die Herrschaft seines Königs geschworen, nicht auf sein Leben und nicht auf seine Baronin. Ohne den König, von Mithras eingesetzt, gäbe es keine Ordnung und keinen Adelsstand. Er und seine Baronin hätten keinen Einfluss, verliehen durch ihren Titel. Die Treue zum König, die untrennbar verbunden mit der Demut vor Mithras ist, ist eine Verpflichtung, gar eine Lebenseinstellung, die nicht umgangen werden kann. Alles andere wäre Blasphemie.
Was passiert aber nun, wenn sich ein Glied in dieser Kette auf Neutralität besinnt? Wie soll er mit diesem Zwiespalt umgehen?
Er kann sich zahllose Gründe ins Gedächtnis rufen, weswegen ein Ersehnen von Neutralität ein Fehler ist. Die Entscheidung würde nicht nur den Eid gegenüber dem König in Frage stellen und die Zusammenarbeit mit Servano, sondern es gefährdet das Abkommen zwischen Greifanger und Hohenquell. Die Entscheidung, die Jon und Arellus getroffen haben und die von seiner Baronin abgesegnet wurde, hatte zur Folge, dass Candaria's Gruppen zusammen arbeiten. Sie waren eine Gemeinschaft geworden, auch wenn auf dem Papier immer noch von zwei Milizen die Rede ist.
Er erinnert sich an die Forderungen, die seine Baronin an das Abkommen gestellt hat. Die Milizen können zusammen rekrutieren, ausbilden und agieren, aber es soll jederzeit möglich sein, die Rekruten gleichmäßig auf die beiden Baronien aufzuteilen. Jon runzelt die Stirn, als er sich entsinnt, wie wichtig seiner Baronin dieser Punkt war. Hat sie sich bereits damals, vor einem halben Jahreslauf abgesichert?
Die Baronin von Greifanger kann vieles behaupten, aber er kauft ihr nicht ab, dass Politik sie nicht interessiert. Nicht, wenn sie eine derart geschickte Strippenzieherin ist. Was sind ihre wahren Absichten? Warum hält sie sich mit Passwacht alle Türen offen? Und weshalb prüft sie sein Vertrauen in letzter Zeit? Spürt sie seine Zerissenheit? Sein Denken und seine Ansichten sind schon lange nicht mehr nur weiß oder schwarz. Es ist etwas dazwischen und Jon beginnt sich zu fragen, was wichtiger ist, Beständigkeit und Ehre oder Loyalität.

Sein jurisches Pferd schnaubt und scharrt mit der Hufe. Für gewöhnlich zeigt ihm sein Pferd auf diese Weise, wenn es sich langweilt oder nicht ausreichend gefordert fühlt. An jenem, hitzigen und schwülen Tag, nimmt es ihm der Hengst eher übel, dass Jon ihn so plagt. Er atmet durch und drängt die Waden gegen die kräftigen Flanken des Pferdes. Inmitten der übenden Rekruten zügelt er sein Pferd und unterbricht die Übungen mit einer herrischen Geste.
»Scheidet eure Waffen. Es soll genug sein für heute. Legt Wehr und Klingen ab und genehmigt euch einen Sprung ins Meer, um die Muskeln abzukühlen.«
An diesem Tag musste er nur die einfache Entscheidung zwischen Fleiß und Maßhaltung zu treffen. Die weitaus schwerwiegendere Entscheidung steht jedoch noch aus. Als Jon von seinem Pferd aus über die Schulter hinweg in Richtung des Baroniesitzes von Greifanger blickt, der auf dem Berg thront, beschleicht ihn das Gefühl, dass sein Herz sich bereits entschieden hat. Er strafft den Rücken und atmet die stehende Luft ein. Was überdauert einen Krieg, der Zerstörung bringt? Kein Titel, keine Besitztümer und kein Reichtum. Nur die Liebe und Dankbarkeit derjenigen, die du beschützt hast, so wie es deine Pflicht ist. Die Beständigkeit in ihrem Herzen wird dein Lohn sein.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Der Rebellenaufstand - von Jonathan Silberfels - 13.03.2016, 12:42
(Un)ruhige Zeiten - von Jonathan Silberfels - 10.05.2016, 11:47
Ein neues Leben - von Jonathan Silberfels - 22.05.2016, 17:07
Zwischen Schwarz und Weiß - von Jonathan Silberfels - 27.07.2016, 11:57



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste