FSK-18 Portrait
#1
Spoiler
Auf Anraten: Schriftliche Darstellung von Suizid.
[Bild: 0abb25-1516891625.png]


Noch bevor ich dein verfärbtes Gesicht sah stellte ich fest, dass sich einer deiner Schuhe gelöst hatte.
Dein nackter Fuß leuchtete weiß und unheilvoll aus der Dunkelheit hervor und ich dachte darüber nach,
wie sehr du dich ärgern würdest, wenn du wüsstest, wie unordentlich dein Tod wirkte. Wie gewöhnlich.
Der dunkle, nasse Fleck unter dir, der von deinem Todeskampf zeugte.
Die Delle im Schrank, die du getreten haben musstest,
als deine Lungen verzweifelt nach Luft verlangten.




Die weißhaarige Frau hatte Mühe, den steifen Körper, nachdem er erst einmal losgeschnitten war, in das ordentlich gemachte Bett am Ende des Raumes zu verfrachten. Das lag zum einen an der Taubheit, die sich ihres eigenen, schwachen Leibes bemächtigt hatte und zum anderen daran, dass die Leiche ihrer Schwester schwerer war, als es im Leben den Anschein gemacht hatte. Bei Feline hatte stets alles so leicht ausgesehen, dass sie Aluna wie eine tanzende Feder im Wind erschienen war. Aber der Tod wog schwerer als eine Feder und er hatte nichts Anmutiges an sich. Entsprechend mechanisch waren all die Handgriffe, die sie wie in Trance tätigte, als hätten ihre Hände schon immer gewusst, dass sie eines Tages genau das tun würden, was sie taten: Einen Wildlederschuh aufsammeln. Ihn über einen eiskalten Fuß streifen. Ein uringetränktes Kleid gegen ein Frisches austauschen. Einen Strick vom Dachbalken schneiden. Warten, dass sich ein Gefühl einstellte, das der Situation angemessen war. Stunden, die zäh wie Leder verstrichen und einen bitteren Geschmack im Mund hinterließen. Erinnerungen an eine Familie wie sie hätte sein können. Erinnerungen an eine Familie wie sie tatsächlich war.



Warum hast du dir den Schuh nicht ordentlich zugebunden, bevor du auf den Stuhl gestiegen bist?


Lilienbruch, 27. Nebelung 1404
...
Zitieren
#2
Nicht nur dein Tod war ein Affront gegen alles, für das du gestanden hast - deine Beisetzung war es ebenso.
Deine, die deines Sohnes, die unserer Mutter... ein Hohn. Und eine Ermahnung daran,
wie kurz, wie unbedeutend unser Leben ist im Angesicht der Zeit.
Wie kann man alle Sorge noch ernst nehmen,
wenn draußen neben einem Totenbett Kinderlachen erklingt?
Das Leben geht weiter.
Alles, was mir bleibt, ist euch in Erinnerung zu behalten.
Nun wehen nur noch zwei Blätter im Wind.



Sie konnte nicht mehr sagen, wie lange sie am frisch ausgehobenen Grab gestanden und in das finstere Loch gestarrt hatte, auf dessen Grund ruhte, was ihr niemals so lieb und teuer gewesen war, wie es hätte sein sollen. Erst jetzt, da es vorüber war, wollte sich so etwas wie Sehnsucht einstellen. Nicht die Sehnsucht nach dem, was gewesen war, sondern nach dem, was hätte sein können. Kalte, blasse Hände ließen einen Haselnusszweig auf den grob gezimmerten Sargdeckel fallen und das entstehende Geräusch wirkte so ordinär und unpassend, dass die Verursacherin sich schließlich abwandte. Die Nüchternheit, die sie bereits seit Tagen mit steifen Fingern umklammert hielt, drohte sich zu lockern und sie in einen Abgrund fallen zu lassen, und bevor das geschah, musste sie ihre Abreise vorbereitet haben.
Nach all den Monaten war sie den Tod leid.

Lilienbruch, 30. Nebelung 1404
Zitieren
#3
Als ich sechs oder sieben Jahre alt war bin ich in der Nacht aus dem Stockbett gefallen, direkt auf den Rücken.
Ich weiß noch, dass ich versucht habe zu schreien, aber der Sturz hatte mir alle Luft aus den Lungen gepresst.
Sekunden, in denen ich glaubte, ich müsste ersticken.
Genau so hat es sich auch angefühlt, als du gegangen bist.



Der Weg von Hohenmarschen zurück nach Löwenstein zog sich ob des einbrechenden Winters und der Kriegslage. Auch die Gerüchte, die sie auf dem Weg aufschnappte oder durch direkte Erkundigungen einholte sorgten nicht für eine Verbesserung ihrer Gemütslage. Offensichtlich hatten sich ein paar für sie grundlegende Dinge geändert. Lawin Herbstlaub, Leibeigener. Nein, keine Verwechslung. Sicher nicht? Sicher nicht. Eine Legionärin namens Dunkelfeder? Blondes Haar, spitze Zunge? Keine Verwechslung? Sicher nicht. Doch der beschwerliche Weg erlaubte Gespräche mit den Göttern. Erfundene oder reale, das machte in diesem Moment, da sich alles um sie herum aufzulösen schien, wenig Unterschied. Manchmal war es tröstlich genug, eine Stimme zu hören.

Servano, 07. Julmond 1404
Zitieren
#4
Mit fein und zart gebauten Naturen ist es immer so. Ihre starken Leidenschaften müssen entweder andere verletzen oder selbst verletzt werden; sie bringen den Menschen entweder um oder sterben selbst. Oberflächliche Schmerzen und oberflächliche Liebesgefühle leben weiter. Die Liebesgefühle und Schmerzen, die stark und tief sind, gehen an ihrer eigenen Heftigkeit zugrunde.

Oscar Wilde, Das Bildnis des Dorian Gray



Bereits als sie die Nadel Stich um Stich unter die Haut führte hätte das Motiv ihr Auskunft darüber geben können, dass ihre hochgesteckten Absichten nichts weiter waren als der Griff nach einem Luftschloss. Unerreichbar, ambitioniert, aber ein Griff ins Leere. Sie hätte es kommen sehen können, aber sie hatte sich der Hoffnung hingegeben, dass sich ausnahmsweise alles zu ihren Gunsten fügen und sie aus der Asche Hohenmarschens wie ein Phönix emporsteigen könnte, erstarkt, geläutert, bereit, abzulassen von einer überholten Abhängigkeit, die ihr nichts weiter gebracht hatte als Kummer und das Gefühl, ein Leben in seinem Schatten zu führen. Sie hatte sich geirrt, aber sie wusste es noch nicht. Die Stunden verstrichen, das Bild vervollständigte sich, die Linien ergaben Formen und trotz des Schmerzes, den das zweifelhafte Handwerk mit sich brachte, hatte sich eine friedvolle Ruhe ihrer Gedanken bemächtigt. Das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Und als sie schließlich die Reste von Blut und Tinte von den Armen wusch, betrachtete, was sie geschaffen hatte, da war sie zufrieden. Es steckte kein tieferer Sinn dahinter, die Zeichen der Götter auf ihrer Haut zu verewigen. Es war eine rein symbolische Geste, eine Erinnerung an ihr Vorhaben, etwas, das Halt geben mochte, wenn sie zweifelte.  

Dass es ihrer beider Schicksalsgötter waren hatte für sie nichts zu bedeuten.

Rabenstein, 31. Julmond 1404
Zitieren
#5
Ich habe dich dafür gehasst, dass du den einfachen Weg genommen hast, und dabei nicht einmal realisiert, dass dein Weg der Schwierigere ist.
Jetzt, da ich ihn ebenfalls gehe, merke ich es.
... und das ist alles was ich noch weiß.



Alles, was die nächtliche Stille zerriss war das klagende Stöhnen der Untoten, das Kratzen ihrer verrottenden Fingernägel auf dem Stein, dem Holz in ihrem Rücken. Wenn sie sich konzentrierte fühlte sie die Kraft der zahllosen Körper, konnte das dumpfe, unheilvolle Pochen am anderen Ende der Palisaden wie ein sich androhendes Gewitter spüren. Ihr Leib war steif vor Angst und Kälte, aber sie harrte aus. Sie zwang sich dazu. Angesichts der Schrecken, von denen sie nichts weiter als eine Ansammlung aufgereihter Holzstämme trennte, musste alles andere verblassen. All die Ängste, die sie ihr Leben lang verfolgt hatten, all der Kummer - Lachhaft. Sie hatte geglaubt, dem Grauen ins Angesicht geblickt zu haben, dabei hatte sie die Bedeutung des Wortes bislang nicht einmal erahnen können. Bis jetzt. Und auch dieses Grauen war nur eines der Geringeren. Wieder einmal hatte er sie überholt - und ihr blieb nichts anderes, als mühsam in seine Fußstapfen zu treten, langsam, ungeschickt, wie das nutzlose, unwissende Mädchen, das sie noch immer war.
Sie stand wieder ganz am Anfang. Unter einem tiefen, zitternden Atemzug zwang sie ihren Körper in die Höhe und das Raunen in ihrem Rücken wurde drängender. Sie spürten ihre Anwesenheit, reagierten auf jede Bewegung. Etwas warf sich gegen die Palisaden und die Weißhaarige wich hastig einige Schritte zurück.
Ein Vorgeschmack, weiter nichts. Ein winziges Knäuel Garn, aus welchem sich Alpträume spinnen ließen.
Es war ohnehin an der Zeit aufzuwachen.

Candaria, Steinbruch, 07. Hornung 1405
Zitieren
#6
Du verbrennst dir die Finger, ich verbrenne mir die Finger.
Das macht keinen Unterschied mehr. Traurig allein, dass es für die Katz' ist.



Wenn es etwas gab, das sie an Löwenstein faszinierte und das nichts mit entsetzlichen Persönlichkeiten und menschenschluckenden Kanälen und Kanalisationen zutun hatte, dann waren es die Butzenscheibenfenster. Sie konnte nicht einmal sagen, warum genau sie so eine Behaglichkeit empfand, wann immer sie ihren Blick durch eben jene Scheiben hinaus auf die Marktstraße richtete - schließlich ging von diesem Ort seit sie das Haus bezogen hatte, vermutlich auch schon viel früher, wenn man dem historischen Teil der Gösselpost Glauben schenken durfte, nichts Gutes aus. Und trotzdem. Eine Tasse Tee, ein Buch - notfalls auch besagte Gösselpost - und ein Blick durch das dicke, gewölbte Glas genügte in den meisten Fällen, um ihr zumindest für einige Momente das Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. So lange, bis sie sich wieder des Grundes für ihren Aufenthalt besann und sich, wie aus einem angeborenen Reflex heraus, den düsteren Zukunftsvisionen hingab, vor denen sie sich nicht einmal hinter den steinernen Gemäuern verkriechen konnte. Es hieß, ein alter Hund lerne keine neuen Kunststücke mehr, und ebenso wenig konnte sie bei sich selbst einen Lernprozess feststellen. Im Gegenteil - sie sah sich selbst dabei zu, wie sie wieder und wieder alten Mustern folgte, die weder zielführend noch logisch waren. Als würde sie von einem unsichtbaren Faden gezogen, den zu kappen sie sich auch nach Jahren nicht imstande sah. Und es war vollkommen egal, wie oft sie sich dieses Gedankenkonstrukt vor Augen führte, das Ergebnis blieb dasselbe. Am Ende fand man sie dort, wo Lawin war. So einfach war die Geschichte. So einfach und so hirnerweichend, dass es sie würgte, wann immer sie darüber nachdachte, aber ebenso unabänderlich. Hin und wieder, wenn er es fertig brachte, besonders garstig und widerlich zu sein, flammte der Kampfeswille in ihr auf - wie ein zahnloser Löwe mit lahmendem Fuß, der nach einem heiseren Fauchen wieder in komatösen Schlaf versank und den bereits die Aasfresser umkreisten. Er hatte seine hundert Schlachten bereits geschlagen, keine davon war siegreich gewesen. Und so fügte sie sich zuletzt, ebenso entkräftet und resigniert. Die letzte Möglichkeit, diesem erbärmlichen Zustand zu entgehen, wagte sie kaum in Betracht zu ziehen.
...Warum sollten die  Götter ihr jetzt noch helfen?

Löwenstein, 16. Hornung 1405
Zitieren




Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 2 Gast/Gäste