Ehre und Ordnung, das Leben als Ritter
#1
Ihn blendet ein Sonnenstrahl, der sich durch die Vorhänge der kleinen Kammer stiehlt. Blinzelnd hebt Jon den Kopf und macht einen Schritt beiseite, wobei die noch lockere Rüstungsteile klimpern. Er ist in der Kammer, die er für die Nacht bezogen hat und legt die polierte, glänzende Wehr an. An diesem Tag ist er noch penibler als sonst und zieht jeden Riemen so fest, dass er den Druck des Leders auf der Haut spürt.
Die Nacht war durchwachsen und seine Emotionen quälen ihn mit Anspannung und einem hämmernden Herzen. Jon hatte sich auf vieles eingestellt, am Morgen vor der Hochzeit, aber nicht darauf, dass er so nervös wie ein junger Bursche ist. Die Nacht war kalt und einsam, obwohl die Stadt um ihn herum bis in die späten Stunden zu leben scheint. Es soll wohl Unglück bringen, wenn man die letzten Nächte miteinander verbringt, so sagte es Fräulein Reus.
Für gewöhnlich sollte er euphorisch und vorfreudig sein, so wie es die letzten Tage der Fall war. Stattdessen plagen ihn schwitzige Hände und Kurzatmigkeit. Er lockert den Riemen, welcher den Harnisch zusammen hält einen Deut, aber es hilft nicht.
Jon greift nach dem zurecht gelegten Lappen und wischt emsig über eine Stelle am Metall, bis er feststellt, dass dort kein Schmutz sondern ein Schatten das Bild stört. Schnaufend pfeffert er den Stofffetzen zurück auf das Bett.
So lange musste er Leira hinhalten, weil sein Kopf ihm ein anderes Ziel vor Augen geführt hat. Vielleicht ist die Nervosität die Retourkutsche dafür? Er atmet tief durch und versucht sich zu beruhigen. Wie bereits zahlreiche Male an diesem Tag, greift er in die kleine Tasche am Gürtel und zieht die Schatulle hervor. Die beiden, glänzend goldenen Ringe sind mit zarten Seidenbänder in dem kleinen Kästchen festgebunden. Jon streicht über die Oberfläche, bis er die unregelmäßig gerillte Struktur des Schmucks fühlt. Wie schön sie doch geworden sind. Er versucht sich Leira's Blick auszumalen, ähnlich wie damals, als sie den Verlobungsring gesehen hat. Der Gedanke lässt ein sachtes Lächeln auf seinen Zügen entstehen.

Es ist doch alles vorbereitet und er muss sich nur beruhigen und an den Altar stellen. Der Rest würde sich von selbst ergeben. Er konnte sich das Raunen der Anwesenden im Tempel bereits ins Ohr rufen, welches augenblicklich verstummen würde, wenn Leira den Saal betritt. Ihr Anblick ist in seinen Gedanken noch leicht verschleiert, aber sie würde gewiss atemberaubend aussehen. Er würde nur darauf warten, dass sie zu ihm kommt und seine Hand nimmt. Wie sehr er ihre Berührung vermisst. Dann würde ein kleines, unschuldiges Lächeln folgen und er würde es erwiedern, wie ein scheuer Junge, nicht wie ein Ritter. Ist es das was er will?

In seinem Kopf sieht es anders aus. Er sollte aufrecht und mit gerecktem Kinn auf sie warten, dazu bereit sie endlich zu der Seinen zu machen. Endlich wird sie seinen Namen tragen, endlich kann er ihr alles geben, was er zu bieten hat. Stolz und voller Zuneigung soll es klingen, wenn er ihr seinen Schwur verkündet. Sein Selbstbewusstsein, dass wohl in seinen Füßen übernachtet hat kriecht langsam hervor und nistet sich in seiner Brust ein. So soll und muss es sein.
Stolz und voller Zuneigung soll es klingen, wenn er ihr seinen Schwur verkündet. Urplötzlich spürt er einen leichten Stich im Herzen. Welchen Schwur? Er zieht scharf die Luft ein und stößt die Türe auf, um die Treppe hinunter zu klimpern. Knirschend kommt er am Fuße der Treppe zum Stehen und wirbelt zur Theke herum. »Wirt, ich brauche einen Fetzen Papier und eine Feder! Eilig. Und einen Becher Wein für die Nerven.«

[Bild: 5m7d4lvd.png]
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Ehre und Ordnung, das Leben als Ritter - von Jonathan Silberfels - 27.02.2016, 18:49
Der Rebellenaufstand - von Jonathan Silberfels - 13.03.2016, 12:42
(Un)ruhige Zeiten - von Jonathan Silberfels - 10.05.2016, 11:47
Ein neues Leben - von Jonathan Silberfels - 22.05.2016, 17:07



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste