FSK-18 Ein Spiel aus Licht und Schatten
#10


Uneinigkeit in der Sonnenlegion? Der Makel mangelhafter Führung in Mithras Heiliger Kirche? Unordnung im Hort der Ordnung?

Meine Zeit als Anwärterin der Sonnenlegion schien mich in energischer Unbarmherzigkeit mit all den Widersprüchen zu konfrontieren, die ich im Mithrasglauben, in der Ordnung des Reiches und in Mithras' Heiliger Kirche selbst niemals vermutet hätte: Das Wiedererwachen der Mondwächter, der Opportunismus der Weltlichkeit um ihre Macht zu erhalten, und nun sogar Unfrieden innerhalb der Sonnenlegion?

Heute erkenne ich Mithras Weisheit darin, dass er mich gerade während meiner Zeit als Anwärterin mit all diesen Widersprüchen konfrontiert hatte. Heute weiss ich, dass mein Glaube damals auf die Probe gestellt worden ist. Ich wurde geprüft, ob ich mich trotz der Widersprüche einer seltsamen Welt als Mithras treue Dienerin bewähren würde. Ob ich meinen Pfad finden würde zwischen den Tücken einer Ordnung, die weit davon entfernt war, so harmonisch und glückselig zu sein, wie ich es bis anhin in kindischer Naivität angenommen hatte. Ja, heute erkenne ich Mithras Weisheit in dieser Zeit der Widersprüche. Aber damals brachte mir diese Zeit der Widersprüche hauptsächlich schlaflose Nächte des Grübelns. Und meine einzigen Verbündeten damals waren die Lehren der Heiligen Kirche. Erst sehr viel später sollte sich zu der Lehrmeinung auch noch Lebenserfahrung hinzugesellen. Und erst dann begann diese Zeit der Widersprüche einen Sinn zu ergeben:

Des Menschen natürlicher Zustand ist Chaos. Getrieben von Lust, Gier, Anarchie ist der Mensch gefangen im steten Kampf mit seinen niederen Instinkten. Und aus diesen niederen Instinkten erwachsen Leid und Kummer. Wer aber den Zustand des Chaos überwinden will, wer Einigkeit und Frieden erlangen will, der muss nach Ordnung im Chaos streben. Frieden, Einigkeit, Ordnung und Führung. Die Grundpfeiler des Mithrasglaubens:

Frieden durch Einigkeit
Einigkeit durch Ordnung
Ordnung durch Führung


Dem entgegen stehen die 21 alten Götter und der Mondwächterglaube. Eine archaische Religion als Sinnbild für den Urmenschen, der gefangen ist im Chaos seiner niederen Instinkte. Die Wurzel allen Übels. Soweit die Lehren der Heiligen Kirche.

Ach, wenn die Welt doch nur so einfach wäre.

Irgendwann während meiner Anwärterschaft unter dem Banner der Sonnenlegion lernte ich einen Mann kennen, der Orestes Caetano geheissen wurde. Ein seltsamer, tiefgründiger Mann mit unzähligen Gesichtern. Gekannt und anerkannt von vielen. Und doch schien er mir stets abseits zu stehen. Ausserhalb des alltäglichen Treibens unserer Welt. Vielleicht darüber. Vermutlich wurde er mir gerade deshalb so teuer. Dieser Mann erzählte mir eines Tages, dass er sich angewöhnt hatte, den Glauben von den Gläubigen zu trennen. Ich floh mich lange in die tröstliche Ablehnung dieser Meinung. Doch irgendwann erkannte ich die unbequeme Weisheit darin.
Mithras hatte die Menschheit aus Epochen der Dunkelheit hinein ins Licht geführt. Seine Ordnung hatte das Königreich Amhran erschaffen. Doch was war die Seele dieser Ordnung? Fragte man drei Menschen nach dem Aspekt der 'Ordnung', würde man fünf verschiedene Antworten bekommen. Mindestens. Und warum? Trotzdem die Menschheit im Licht von Mithras' Ordnung herangereift war, trug sie tief in sich noch immer die Saat ihres Ursprungs: Chaos.
Glaube wird durch Gläubige getragen, aber Gläubige sind stets nur Menschen. Selbst wenn sie das Rot der Mithraskirche tragen. Auch wenn eine Gruppe von Gläubigen dem gleichen Glauben folgt, die Art wie jeder Gläubige diesen Glauben versteht, wird niemals gleich sein. Wir sind Kinder des Chaos. Und daher ist es uns gegeben, die Dinge mit unseren eigenen Augen zu betrachten und auszulegen. Denn Chaos gebärt nicht nur Leid und Kummer, es gebärt auch Vielfalt. Ein Segen. Und ein Fluch.

Irgendwann begann ich die unbequemen Worte des Orestes Caetano für mich so auszulegen, dass der Glaube das absolute und endgültige Ideal unseres Daseins ist. Wie die Sonne am Firmament, nach der wir streben und unter der wir leben; aber die wir niemals erreichen und niemals gänzlich begreifen werden. Denn wir sind nur Menschen. Gläubige, die einem Ideal folgen, das sie zu verstehen glauben. Aber so makellos dieses Ideal, dieser Glaube auch sein mag, die Gläubigen die ihm folgen werden es niemals sein. Denn die Gläubigen sind noch immer dem Chaos ihrer archaischen Wurzeln unterworfen. Und der Vielfalt, die daraus erwächst.

Erst als ich zu diesem Schluss gekommen war, begann ich die Uneinigkeit innerhalb der Sonnenlegion zu verstehen. Wir waren zwar berufen, das Ideal des Mithrasglaubens zu behüten und in die Welt hinaus zu tragen, aber wir waren auch nur Kinder des Chaos. Nur weil wir das Rot trugen, waren wir nicht davor gefeit, Fehler zu machen und den Mithrasglauben nicht in seiner ursprünglichen Reinheit zu leben und zu lehren. Wir waren vielleicht als Diener des Mithrasglaubens ein Stückchen näher an das Verstehen dieser fernen Sonnenscheibe heran gerückt, aber niemals sollten wir uns in der arroganten Annahme suhlen, diesen Glauben in all seiner Unermesslichkeit zur Gänze erfasst zu haben. Jene, die sich dennoch dieser Anmassung hingaben, wurden zu Fanatikern. Und Fanatiker sind der Tod eines jeden Glaubens.
Auf diese Weise lernte ich schliesslich auch zu verstehen und zu akzeptieren, dass es gute und aufrechte Mondwächter geben konnte. Oder verderbte und niederträchtige Mithrasgläubige. Und sogar unwürdige Mithrasdiener.

Frieden, Einigkeit, Ordnung, Führung. Die Fundamente des Mithrasglaubens. Ich war in diesem Glauben aufgewachsen und erzogen worden. Niemals stand er für mich als der einzige, der wahre Glauben infrage. Aber erst als ich dazu gezwungen war, diesen Glauben zu hinterfragen und mich mit seinen Widersprüchen auseinanderzusetzen - sei es durch den Zwist in der Sonnenlegion oder durch Menschen wie Orestes Caetano - näherte ich mich ihm weiter an. Aber mehr als ein Annähern sollte es niemals werden. Denn selbst jetzt, am Ende meines Lebens, masse ich mir nicht an zu behaupten, ich hätte Mithras in all seiner Unermesslichkeit erfasst. Ich glaube, Mithras ist zu erhaben und zu umfassend, als dass es jemals einen Menschen geben könnte, der ihn zur Gänze erfassen könnte. Ich denke, jeder wahre Gläubige sollte sich die Demut dieser Erkenntnis bewahren. Vielleicht kann es wahren Glauben ohnehin nie ohne Demut geben.


[Bild: symbol_sonne_mond.png]

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Ein Spiel aus Licht und Schatten - von Eylis - 07.02.2016, 19:31
RE: Ein Spiel aus Licht und Schatten - von Eylis - 12.03.2016, 15:47



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