FSK-18 Ein Spiel aus Licht und Schatten
#9


»Was soll das hier sein?!« Die Stimme des Ordensmeisters der Sonnenlegion überschlug sich fast in kaum kontrolliertem Zorn. » Und was soll das überhaupt darstellen? Warten in lockerem Pulk?!«

Während ich unwillkürlich zusammenzuckte, ertrugen die beiden Streiter der Legion an meiner Seite - Ehrwürden Rajka Eschenbruck und Ehrwürden Viktor Schwarzstahl - den gellenden Tadel deutlich gefasster. Wir hatten uns zum Appell auf dem Exerzierplatz eingefunden und waren in ein Gespräch vertieft gewesen, während wir auf Justan Schumann, Ordensmeister der Sonnenlegion im Rang eines Hochwürden, gewartet hatten. Seine Auftritte hatten stets etwas unberechenbares, aber auf eine derart gellende Tirade waren wir dann doch nicht vorbereitet. Er musste einen besonders schlechten Tag gehabt haben.

»Und ist hier niemand mehr des Lesens mächtig?!« Er hatte sich vor uns aufgebaut, den Bogen über der Schulter, die Hände in die Seiten gestemmt. »Sammeln in den Heiligen Hallen, hatte es geheissen!«.

Die beiden Legionäre und ich wechselten verstohlene, ratlose Blicke. Heilige Hallen? Doch er war der Ordensmeister. Wir waren nur zwei Legionäre und eine Anwärterin. Das Recht war auf seiner Seite. So oder so. Die mithrasgewollte Ordnung war nicht nur dann einzuhalten, wenn alles lieblich und sonnig war. Er war im Rang über uns, also hatte er Recht. Immer.

Da der Ordensmeister keine Anstalten machte zur Kathedrale zu gehen, nahmen wir eilig dort wo wir waren Aufstellung und Haltung an. Gerade wollte er zu einem neuerlichen Tadel anheben, als eine angenehme, melodische Frauenstimme hinter ihm erklang. Ein Kontrast wie er grösser nicht hätte sein können.

»Mithras zur Ehr, Hochwürden, und einen guten Abend.« Die Frau war klein und von einer schlanken, fast zierlichen Statur. Sie hatte auffällig blaue Augen und trug ihr dunkelrotes Haar lang. Ihr Gebaren wie ihre Kleidung waren von einer aristokratischen, beiläufigen Eleganz und einer unaufgeregten Würde. Ich mochte sie auf Anhieb.

Der Ordensmeister wandte sich zu ihr um. »Ah, edle Vogtin. Mithras Segen.« Sein gellender Zorn war von einem Augenblick auf den anderen verebbt. Ein jäher Umschwung, wie wir ihn oft bei Hochwürden erlebten.

»Ob er es irgendwann mal lernt, sich klar zu artikulieren?« Ich vernahm neben mir die leise, kaum hörbare Stimme der Streiterin Eschenbruck. Eine erfahrene, stets gelassene Kriegerin, deren Kommentar mich weniger ob seines Inhalts, als vielmehr wegen der kaum verhohlenen Missbilligung gegenüber dem Ordensmeister verblüffte. Was geschah hier?

»Gestattet ihr mir, ein Wort an die Legion zu richten?« Die Adlige, die der Ordensmeister mit 'Vogtin' angesprochen hatte musste seine Tirade mitbekommen haben. Dennoch deutete nichts in ihrem höflich lächelnden Antlitz darauf hin. Was immer sie sich denken mochte, sie liess es sich nicht anmerken.

»Selbstverständlich.« Antwortete er und richtete sein Augenmerk wieder auf uns. Ein vernichtendes Augenmerk. »Sofern sich Mithras Streiter dann endlich mal gesammelt haben.« Ergänzte er ätzend im Blick zu uns. »Anwärterin Eylis, dort einreihen!« Eine unwirsche Geste und ich setzte mich augenblicklich in Bewegung. »Ich will da keinen Haufen sehen, sondern eine Linie! Und mehr in die Mitte! Da hin! Bei Mithras! Müssen wir nun wie bei der Stadtwache anfangen, eine Stunde Rüstung und Waffen zu kontrollieren?! Wollt ihr das?!« Er begann sich schon wieder zu ereifern und seinen Spott über uns auszugiessen.

»Nein, Hochwürden.« Die Antwort der Kriegerin an meiner Seite war gefasst und ruhig wie immer. Souveränität; eine der Eigenschaften, für die ich sie schätzte. Ehrwürden Schwarzstahl hingegen blickte nur stumm und in strenger Haltung voran. Wer ihn nicht kannte, hätte sein Verhalten 'gleichmütig' genannt. Aber ich kannte ihn besser. Nach unzähligen Stunden auf dem Exerzierplatz hatte ich gelernt, sein Mienenspiel und seine Blicke zu lesen. Und beides gab in diesem Moment beredte Kunde darüber ab, was er von dem unbeherrschten Auftritt des Ordensmeisters hielt.

Die Vogtin hingegen verharrte geduldig und mit einem unverbindlichen Lächeln, welches nicht im Ansatz darauf schliessen liess, was sie davon hielt, dass die Angehörigen der Legion von ihrem Ordensmeister unter den Augen einer Aussenstehenden zusammengefaltet wurden. Sie verharrte einfach in unbeteiligter Würde und weder Gebaren noch Mienenspiel erlaubten sich irgendeine Art von Kommentar zu diesem Schauspiel.

Dann endlich war Hochwürden mit seiner Anklage gegen uns fertig, trat zurück und hiess die Vogtin vor uns zu treten. In selbstverständlicher Eleganz stellte sich die kleine Frau vor uns und schenkte jedem ein freundliches, offenes Lächeln.

»Mithras Segen, Legionäre der Heiligen Mutter Kirche.« Begann sie in dieser warmen, melodischen Stimme, die ihre unaufdringliche Würde unterstrich. »Ich bin heute hergekommen, um der Legion und ihren tapferen Kriegern für den heldenhaften Einsatz im Südwald zu danken.« Südwald? Das musste die Schlacht in der benachbarten Baronie gewesen sein, die verlustreich aber auch siegreich beendet werden konnte, kurz bevor ich in Löwenstein angekommen war. »Auch im Namen des Truchsess kann ich nur für die Hilfe und die Aufopferung danken und versichern, dass dies niemals vergessen wird.« Ihre Worte kündeten von einer tiefen Achtung und einem aufrichtigen Dank. Mir wurde in diesem Moment klar, dass sie ihr hohes Amt nicht ohne Grund bekleidete. Sie wusste, wie man die Herzen von Untertanen gewinnen konnte. »Mir persönlich ist es eine besondere Ehre, eine solche Legion in der Stadt zu wissen. Möge Mithras immer mit euch sein und euch segnen und schützen.« Sie neigte den Kopf in einer Geste der Achtung, dann wandte sie sich ab.

Eine kurze Ansprache, aber sie hatte mich nachhaltig beeindruckt. Schlichte, würdevolle Worte, denen die Aufrichtigkeit anzumerken war. So musste man mit Menschen sprechen, um sie für sich zu gewinnen. Ja, ich mochte sie vom ersten Augenblick an.

»Solche Worte habt ihr im Augenblick gar nicht verdient!« Erklang wieder die schnarrende Anklage des Ordensmeisters, nachdem die Vogtin ihren Dank an uns beendet hatte. Ich wurde jäh in die wenig wohlwollende Realität zurück gerissen. Was für ein schriller Kontrast.

Aber irgendwann endete sein Tadel für uns und irgendwann hatte sich auch die Vogtin wieder taktvoll unauffällig zurückgezogen. Wir folgten dem weiteren Appell des Ordensmeisters mit mechanischer Gehorsamkeit. Folgten seinen Befehlen und führten die Übungen wie geheissen aus. Aber was ich an diesem Abend in Wahrheit gelernt hatte, war etwas gänzlich anderes gewesen:
Ich hatte einen ersten Eindruck davon bekommen, wie man Menschen führen musste; und wie man es nicht tun sollte. Und ich hatte eine erste Ahnung davon bekommen, wie die Streiter der Sonnenlegion zu ihrem Ordensmeister standen. Eine überraschende, verwirrende Erkenntnis. Zumal es nicht die letzte bleiben sollte.


[Bild: symbol_sonne_mond.png]

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Ein Spiel aus Licht und Schatten - von Eylis - 07.02.2016, 19:31
RE: Ein Spiel aus Licht und Schatten - von Eylis - 03.03.2016, 20:25



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