FSK-18 Ein Spiel aus Licht und Schatten
#7

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2. Sanctum

Im Jahr des Herrn 1402
Monat Ernting



Mitsamt der ehernen Wehr liess ich mich unter metallischem Krachen bäuchlings auf mein Bett im Schlafsaal der Anwärter und Novizen fallen. Der karge Raum im Seitentrakt der Kathedrale des Mithras in Löwenstein war zu dieser Stunde verwaist. Wie so oft. Im Dienst der Kirche blieb nicht viel Zeit für Schlaf oder Müssiggang. Ein willkommener Umstand, denn so konnte mich niemand dabei beobachten, wie ich mich in entwürdigender Erschöpfung auf mein Bett fallen liess. Ich stöhnte in tröstlichem Selbstmitleid dumpf in mein Kissen. Mir taten Muskeln weh, von denen ich nicht einmal gewusst hatte, dass ich sie besitze. Meine Arme baumelten kraftlos an den Seiten des Bettes hinab und ich genoss diesen seltenen Moment der stillen Regungslosigkeit.

Die beiden Wochen seit meiner Aufnahme als Anwärterin der Sonnenlegion erschienen mir wie kaum zwei Tage. Nachdem ich nach einer schlaflosen Nacht des Grübelns vor zwei Wochen meinen Pfad gewählt und das Angebot von Ehrwürden Schwarzstahl, fortan unter dem Banner der Sonnenlegion zu dienen, angenommen hatte, war nichts mehr in meinem Leben so geblieben, wie es einst gewesen war. Ich war nun Teil einer streng gefügten Ordnung. Ich war Angehörige eines Kriegerordens in Diensten der Heiligen Kirche des Mithras. Meine Tage begannen vor dem Morgengrauen und endeten stets erst dann, wenn Dunkelheit sich längst über die Stadt gelegt hatte. Und dennoch wusste ich am Ende des Tages nie, wohin all die Stunden schon wieder so schnell verschwunden waren. Es schien, als ob jeder Augenblick durch Bedeutsamkeit erfüllt werden würde. Kein einziger Moment wurde mit trägem Nichtstun vergeudet. Eine Unterweisung reihte sich an die nächste. Ich hatte in dieser kurzen Zeit unzählige Übungen im Waffengang absolviert. Dazu Lesungen über den Glauben, über Geschichte, Recht, Etikette, Waffenkunde oder Kriegsführung. Dazwischen die mannigfaltigen Arbeiten eines Anwärters: Den Boden des Hauptschiffs wischen, Waffen und Schilde in der Rüstkammer polieren, Ordnung auf dem Dachboden schaffen, die Betten im Schlafsaal machen, oder den höheren Rängen von Klerus und Legion zu Diensten sein. Und dazu die kostbaren Momente stiller Andachten und erhabener Messen inmitten der lichtdurchfluteten Weite des Hauptschiffs der Kathedrale. Dort sass ich inmitten rotgewandeter Priester, Legionäre, Novizen und Anwärter. Mehr als einmal sah ich verstohlen zu ihnen und konnte das unermessliche Geschenk, das mir zuteil geworden war, einfach nicht fassen. Ich war nicht nur frei, meinem Glauben offen zu folgen, ich war nun sogar dazu berufen, diesen Glauben zu schützen und zu verteidigen. Und ich war Teil einer Gemeinschaft, die den gleichen Idealen folgte wie ich. Eine Gemeinschaft, die mich forderte, formte und massregelte - aber auch eine Gemeinschaft, die mir Halt und Stütze war, die mir Vertrauen und Zuversicht schenkte.

Ich war glücklich. Vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben.

»Anwärterin Eylis!« Fast die Hälfte einer Stunde hatte ich bäuchlings auf meinem Bett gelegen und war erschöpft meinen Gedanken nachgehangen. Fast die Hälfte einer Stunde! Mit so viel Zeit zur Erholung hatte ich nicht im Traum gerechnet. »ANWÄRTERIN! ZU MIR! JETZT!« Ich stemmte mich eilig hoch, richtete meine Wehr und die tiefrote Schärpe, welche mich als Angehörige der Sonnenlegion auswies, und eilte dem lauten Rufen zu. Ehrwürden Schwarzstahls Stimme trug selbst in den trutzigen Mauern des Kirchenbaus verblüffend weit. Und wenn ich jemanden nicht warten lassen wollte, dann ihn.

Vor ihm angekommen nahm ich Haltung an und ging in Gedanken fieberhaft all die tückischen Details durch, die mir beim Herrichten von Habit und Wehr vielleicht wieder entgangen waren. Details, die Ehrwürden Schwarzstahl jedoch mit Sicherheit nicht übersehen würde. Ihm entging niemals etwas. Er starrte an mir auf und ab. Quälend lange Momente. Und dann geschah das Unerwartete: Er schwieg! Kein Tadel? Keine Massregegelung? Wahrhaftig ein verblüffender Tag.

»Anwärterin, ihre Seligkeit wird gleich die Kathedrale verlassen. Sie wird in der Stadt bleiben. Ihr werdet sie begleiten und schützen.« Seine Anweisungen waren wie üblich in militärischer Knappheit und Präzision formuliert. Er hob mahnend die Hand. »Ich erwarte, dass ihr nichts von dem, was ihr gelernt habt, vergesst! Ihr seid mir für ihren Schutz verantwortlich. Verstanden?«

»Sehr wohl, Ehrwürden!« Ich allein abgestellt zum Schutz der Erzpriesterin der Heiligen Kirche des Mithras? Ja, es war nur ein Gang innerhalb der sicheren Stadtmauern Löwensteins. Und dennoch schien es mir wie eine unerwartete Auszeichnung. Über der Erzpriesterin gab es zwar noch seine Heiligkeit, den Kirchenführer und Bewahrer Damon Vorbis, doch diesen kannte ich nur aus Erzählungen. Gesehen hatte ich ihn bislang noch nicht. Die höchste greifbare Instanz der Heiligen Kirche des Mithras war ihre Seligkeit Lisbeth Winkel, Erzpriesterin und Hüterin der Münzen. Als solches unterstand ihr auch die Sonnenlegion. Und damit auch ich.

Ich hatte sie bislang nur von weitem gesehen. Eine hagere, junge Frau von fast burschenhafter Erscheinung. Das Haar recht undamenhaft - doch zweifellos praktisch - kurz geschnitten. Trotz ihrer Jugend und ihres burschikosen Auftretens verbreitete sie eine Ehrfurcht gebietende Autorität. Wenn sie sich näherte, konnte man bei allen Anwesenden einen demütigen, selbstverständlichen Respekt ausmachen. Sie war nicht ohne Grund in diesen Rang berufen worden.

»Da kommt sie. Haltung nun!« Ehrwürden Schwarzstahls Worte liessen mich meine ohnehin schon strenge Haltung noch weiter anspannen, während die Erzpriesterin mit rauschender Robe und raumgreifenden Schritten den Gang herauf zu uns strebte. Sie entbot dem Legionär einen Gruss - erstaunlich freundlich - ehe sie sich mir zuwandte.

»Nun, zuerst, wie geht es euch?« Von allen denkbaren Dingen, die sie mir hätte sagen können, war dies das verblüffendste. Eine Erzpriesterin, die sich nach dem Wohlbefinden einer einfachen Anwärterin erkundigte? Was antwortete man auf so eine Frage?

»Ich versuche Gott, Kirche und Legion nicht über die Massen zu enttäuschen.« Im selben Moment, als ich es ausgesprochen hatte, ohrfeigte ich mich innerlich auch schon dafür. Das war mit Sicherheit nicht das, was man einer Erzpriesterin des Mithras zur Antwort geben sollte.

»Und seid ihr dabei erfolgreich?« Sie schien sich nicht im Geringsten an meiner linkischen Antwort zu stören. Im Gegenteil schien sie ehrlich interessiert.

»Es wird an Gott, Kirche und Legion sein, dies zu beurteilen, eure Seligkeit.«

»Hrmmm.« Sie rieb sich über die Nase. Eine für sie sehr typische Geste, wie ich bald lernen sollte. »Wenn ihr euch selbst einen Gefallen tun wollt, so haltet euch an Ehrwürden Schwarzstahl. Er ist ein sehr guter, sehr kompetenter Legionär.« Ein unermessliches Lob; noch dazu, weil Besagter noch immer daneben stand. Langsam begann ich zu verstehen, warum die Angehörigen der Kirche ihr nicht nur mit Respekt, sondern auch mit einer tief empfundenen Achtung begegneten. »Nun gut, kommt, wir gehen ein Stück. Ich wollte noch jemanden aufsuchen. Ich wünsche euer Geleit.«

Mit diesen Worten wendete sie sich ab und verblüfft sah ich zu Ehrwürden Schwarzstahl. Die Worte der Erzpriesterin hatten nichts von einem Befehl gehabt, wie es angemessen gewesen wäre, sondern eher von einer plauderhaften Bitte. Der Sonnenlegionär starrte mich nur schweigend an und nickte kaum merklich. Seine Botschaft war mehr als eindeutig. Ich wendete mich um und eilte ihrer Seligkeit hinterher.


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Ich folgte der Erzpriesterin in gebührendem Abstand durch die Stadt. Viel Volk war nicht unterwegs zu dieser Stunde, doch wem auch immer wir begegneten, es folgte stets eine respektvolle Verbeugung oder eine höflich grüssende Neigung des Kopfes. Die jungenhafte Erzpriesterin war nicht nur innerhalb der Mauern der Kirche eine Institution. Alle schienen sie zu kennen und alle schienen sie zu achten. Trotz ihres scheinbar ungezwungenen Auftretens.

Der Weg führte uns in die Altstadt. Wir bogen in eine Strasse mit schmucken Fachwerkhäusern ein, an deren Ende ein hochgewachsener Mann vor einem der Häuser stand und ungläubig auf dessen Schild starrte.

»Wer hat diesem Deppen ein Haus verkauft?!« Die Unverblümtheit seiner missmutigen Worte stand in deutlichem Kontrast zu seiner eindrucksvollen Erscheinung: Er war gewiss schon an die 30 Sommer alt und von einer athletischen, würdevollen Statur, die von einer militärischen Strenge kündete. Sein Haar war mehr als schulterlang. Und es war von einem merkwürdigen Hellgrau, beinahe Weiss. Er trug eine schimmernde Rüstung und darüber einen nachtblauen, lang geschnittenen Wappenrock. Insgesamt ein beeindruckender Mann mit einer natürlichen Autorität - trotz seiner unverblümten Worte. Die Hände hatte er auf dem Rücken verschränkt, während er anklagend auf das Hausschild vor sich starrte.

»Ein Freund von euch, Baron?« Fragte die Erzpriesterin in dem für sie so typischen Plauderton, während sie sich zu ihm gesellte. Der hochgewachsene Kämpe mit der unverblümten Wortwahl war also ein Adliger. Ich spannte mich in unwillkürlicher Befangenheit vor dem Edlen an und verharrte schweigend hinter der Erzpriesterin. Er wandte den Kopf zu ihr.

»Ah, eure Seligkeit. Schön euch zu sehen.« Der missmutige Unterton in seiner Stimme verblasste und er wirkte deutlich versöhnlicher, nachdem er seine Aufmerksamkeit auf sie gerichtet hatte. Fast erfreut. Die beiden schienen miteinander vertraut zu sein.

»Schön, euch wohlauf zu sehen. » Sie begrüsste ihn in unkomplizierter Freundlichkeit. »Darf ich?« Sie deutete zum Haus. »Ich wollte zu dem Herrn.«

»Natürlich.« Eine einladende Geste des Barons zum Haus. »Nur zu, ich überlasse euch den Vortritt.« Mit diesen Worten trat er zurück und wandte sich einem Mann zu, der gerade des Weges kam. Ich sah dem ungewöhnlichen Adligen mit dem langen, grauweissen Haar einen Moment nach, ehe ich mich wieder ihrer Seligkeit zuwandte.

Die Erzpriesterin klopfte indessen gegen die Tür des schmucken Fachwerkhauses. Nach einigen Momenten öffnete sich die Tür und ein schlanker junger Mann mit hüftlangen, seidig fliessenden, schwarzen Haaren trat heraus. Etwas war merkwürdig an ihm, aber ich konnte es noch nicht genau benennen.

»N'Abend zusammen.« Grüsste der Mann mit einer weichen Stimme.

»Herr Vandokir, ihr habt doch sicher einen Moment.« Trotzdem die Worte der Erzpriesterin vordergründig so beiläufig und freundlich waren wie üblich, glaubte ich darin eine lauernde Schärfe zu vernehmen.

»Aber ja. Was verschafft mir die Ehre eures Besuches?« Noch während der seltsame Mann ihr antwortete, war eine Frau aus dem Haus gekommen und neben ihn getreten. Die Erzpriesterin musterte sie neugierig.

»Euer neues Weib?« Fragte sie in unverblümter Direktheit, ehe sie mit einer beiläufigen Geste abwinkte. »Aber ihr hattet es ja mehr mit Knaben.« Die Kirche des Mithras stand der gleichgeschlechtlichen Liebe aufgeschlossen gegenüber. Das konnte es also nicht sein, was mir an ihm aufgefallen war. Es musste etwas anderes gewesen sein.

»Nun, worum geht es?« Erwiderte der Mann, den sie Vandokir genannt hatte, mit weicher Stimme.

»Fragen. Zu einer anderen Dame. Begleitet ihr mich?« Sie deutete bereits den Weg zurück und war im Begriff sich umzuwenden. Sie erwartete in völliger Selbstverständlichkeit keinerlei Widerstand. Und der Mann bot ihr auch keinen. Er folgte ihr. Und als er an mir vorüber ging, da konnte ich endlich ausmachen, was bei mir in seinem Anblick Unbehagen ausgelöst hatte: Um seinen Hals trug er eine Kette mit dem Zeichen der Mondwächter.


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Die Klänge von leise gesprochenen Worten woben sich durch die Weite des Hauptschiffs. Die Erzpriesterin und der Mondwächter, den sie Vandokir genannt hatte, hatten sich auf zwei Bänken niedergelassen und waren in ein leises Gespräch vertieft. Ich hatte etwas abseits, in höflicher Distanz und ausser Hörweite, Posten bezogen und blickte wachsam auf den Mann. Ein Mondwächter. Auch wenn er gerade im Tempel des Mithras sass, überwacht von gewiss mehr als nur einem Augenpaar, ich traute ihm nicht. Als Kind Ravinsthals wusste ich um das Gebaren der Mondwächter. Ich liess die Erzpriesterin und den schwarzhaarigen Fremden nicht aus den Augen.

Ihre Seligkeit hingegen plauderte scheinbar zwanglos mit dem Mann vor ihr. Und für einen Beobachter, der nur flüchtig zu ihr herüber schaute, hätte es wie ein beiläufiges, vergnügliches Gespräch gewirkt. Aber da ich die beiden nicht aus den Augen liess, konnte ich das Gebaren der Erzpriesterin eingehender studieren. Ja, sie wirkte auf den ersten Blick zwanglos. Wie immer. Doch wenn man sie genauer beobachtete, konnte man immer wieder für einen kurzen Moment hinter die Fassade trügerischer Beiläufigkeit blicken. Und was ich dort sah, liess meinen Respekt vor ihr spürbar wachsen: Ich sah schnörkellose Zielstrebigkeit, ich sah scharfe, wachsame Blicke denen nichts zu entgehen schien, und ich sah die Stärke eines Willens, dem sich besser nichts in den Weg stellen sollte. Unwillkürlich erschauderte ich in einem Moment der Ehrfurcht. Diese hagere, burschikose Frau war so viel mehr, als man auf den ersten Blick zu sehen glaubte. Diese hagere, burschikose Frau war nicht ohne Grund die Erzpriesterin der Heiligen Kirche des Mithras. Das wurde mir in diesem Augenblick der unerwarteten Erkenntnis bewusst.

»Ausgezeichnet. Damit will ich euch nicht mehr länger aufhalten.« Die Erzpriesterin stand auf und ihre Worte trugen weit in der lichten Halle. Doch ihre Worte waren nur vordergründig von einer beiläufigen Freundlichkeit. Wer genau hinhörte, konnte eine unmissverständliche Aufforderung genau jetzt zu gehen heraushören. Der Mondwächter erhob sich augenblicklich. »Mithras erhelle eure Wege, Herr Vandokir.« Fügte sie noch grüssend an.

»Ach, ich glaube noch immer an die 21.« Erwiderte er leichthin. Mir stockte der Atem. Mitten in der Kathedrale des Mithras, auf einen Gruss der Erzpriesterin höchstselbst hin antwortete dieser Kerl mit einer Erwähnung des überkommenen Glaubens und seiner vermeintlichen Götter? Im Herzen des Reiches, dessen König den Mithrasglauben vertrat? Ich konnte kaum fassen, was ich eben gehört hatte. Die Erwähnung von Mithras an den Stätten der Druiden Ravinsthals könnte den Tod bedeuten. Oder schlimmeres. Die Erzpriesterin jedoch schien gar nicht auf des Dunkelhaarigen blasphemische Antwort einzugehen, sondern liess ihn ziehen.

Ich schaute wortlos fragend zu ihr. Ein Starren, dass glücklicherweise nicht von Ehrwürden Schwarzstahl gesehen werden konnte. Doch die Erzpriesterin schien auch darüber hinweg zu sehen. Mehr noch, sie trat auf mich zu mit einem Blick, der mich ahnen liess, dass sie ganz genau wusste, was in mir vorging.

»Ja, es sind seltsame Zeiten.« Meinte sie nur, während sie neben mir stand und nachdenklich gen Portal blickte, durch welches der Mondwächter eben verschwunden war.

Ich sollte bald lernen, was sie damit meinte. Ich sollte bald lernen, dass der Glaube an Mithras nur vordergründig der dominierende Glaube im Königreich Amhran war.


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Ein Spiel aus Licht und Schatten - von Eylis - 07.02.2016, 19:31
RE: Ein Spiel aus Licht und Schatten - von Eylis - 16.02.2016, 21:12



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