FSK-18 Ein Spiel aus Licht und Schatten
#5


Löwensteins erste Lektionen waren bitter. Nachdem ich fast all meine Habe und einiges an Blut an die Schläger des Armenviertels verloren hatte, lehrte mich Löwenstein was es bedeutet zu hungern. Ich lernte, dass der Kampf um das nächste Stück Brot einziges Lebensziel sein konnte. Und dass dieser Kampf stets ein einsamer Kampf ist. Ich war ganz unten angekommen.

Irgendwann in meinem Leben bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass uns Mithras niemals mehr Bürde auferlegt, als wir zu meistern in der Lage sind. Wenn wir glauben, unter unseren Lasten zu zerbrechen, dann allein nur deshalb, weil wir noch nicht erkannt haben, was zu meistern wir imstande sind. Ich glaube, die Saat dieser Erkenntnis wurde damals, während dieser ersten Tage in Löwenstein gepflanzt.
Mehr als einmal stand ich damals kurz davor, unter der Last zu zerbrechen. Mehr als einmal dachte ich daran, Grenzen zu überschreiten, die mir bis dahin als unantastbar gegolten hatten: Diebstahl, Betrug, Mord, Prostitution. Ich schäme mich heute nicht mehr dafür, zuzugeben, wie oft ich in jenen Tagen an diese Dinge dachte, während ich mich verzweifelt an mein jämmerliches Leben klammerte. Aber es sind Zeiten wie diese, in denen Menschen geformt werden. Manche überschreiten dann diese Grenzen und finden nie wieder zurück. Und manche kämpfen verbissen darum, diese Grenzen trotz allem zu achten. Ich werde Mithras immer dafür dankbar sein, dass er mir damals die Kraft gegeben hat, diese Grenzen zu achten. So wie ich ihm für diese Prüfung insgesamt danke. Denn heute, wenn ich auf diese längst vergangene Zeit zurückblicke, dann glaube ich, diese Tagen waren mir zur wichtigsten und schwersten Prüfung bestimmt gewesen, ehe Mithras mir den Pfad meines Lebens weisen sollte. Einen Pfad, der mir heute voll kostbarer Erinnerungen ist.

Aber all diese Gedanken waren mir damals noch fremd. Die einzigen Gedanken, die mich damals erfüllten waren die, wie ich den kommenden Tag überleben sollte. Ein rätselhafter Zufall hatte mir nach dem Überfall im Armenviertel mein Schwert erhalten. Und dieses Schwert war mir nun letzter und treuester Freund im Überlebenskampf geworden. Löwenstein hatte nie viel Mitleid für Leute wie mich gehabt. Arbeit war kaum zu bekommen und Almosen noch viel weniger. Das einzige was blieb war die Jagd nach blutigen Trophäen, die sich gegen bare Münze eintauschen liessen. Und darin war mir mein Schwert zum engsten Verbündeten geworden.
Tief unter Löwensteins stolzer Fassade erstreckte sich ein unermessliches Geflecht aus Kanälen und Kavernen. Und die Herren über diesen Untergrund waren Ratten. Immer wieder quollen sie zwischen den Kanalgittern hervor und streunten durch die Stadt. Etwas, was die feinen Damen und Herren der Stadt gar nicht schätzten. Niemand sieht gerne die Zeugnisse der dreckigen Fundamente, auf denen sich der eigene Reichtum gründet. Und so fand ich irgendwann heraus, dass es Händler gab, die für die Zeugnisse erschlagener Ratten Münzen aushändigten. Nicht viele, doch immerhin genug um zu überleben. Ich war zum Rattenjäger geworden.

Leben konnte man das nicht nennen. Es war lediglich Überleben. Zurück ins Leben fand ich damals nur an einem Ort: Der mächtigen Kathedrale des Mithras, die im Zentrum Löwensteins in majestätischer Pracht himmelwärts strebte. Ich weiss noch, wie ich zum ersten mal auf dem Marktplatz stand, den Kopf in den Nacken gelegt, und fassungslos die roten Zinnen, Erker, Kuppeln, Stützbögen und Türme entlang nach oben starrte. Ein überwältigender Anblick voller Grösse und Würde. Ein stolzes, alles überragendes Leuchtfeuer des Glaubens, welches die Stadt triumphal überragte. Das unbeugsame Zeugnis wahren Glaubens. Noch heute verspüre ich einen Nachhall jener Ehrfurcht, die mich damals ergriffen hatte. Ehrfurcht und Stolz, dass ich endlich an einen Ort gekommen war, an dem ich meinen Glauben nicht mehr zu verstecken brauchte. Ich hatte mein ganzes bisheriges Leben in Ravinsthal verbracht, wo der Mithrasglaube nur wohl verborgen vor den Augen der Mondwächter existieren durfte. Im besten Fall erntete man Argwohn, im schlimmsten Fall Prügel. Für jemanden wie mich war der Anblick der Kathedrale des Mithras daher nichts weniger als eine Offenbarung. Damals schon zog es mich immer wieder zur Kathedrale, wenn mir des Lebens Bürde übermächtig schien. Dort fand ich Ordnung, Stille, Trost. Dorthin zog es mich, wenn mein blutiges, schmutziges Tagwerk vollbracht war.

Und so geschah es auch an jenem Abend im Heuert. An diesem einen Abend, als mein Leben seine entscheidende Wendung erfahren sollte.


[Bild: symbol_sonne_mond.png]

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Ein Spiel aus Licht und Schatten - von Eylis - 07.02.2016, 19:31
RE: Ein Spiel aus Licht und Schatten - von Eylis - 09.02.2016, 17:20



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