FSK-18 Ein Spiel aus Licht und Schatten
#4

Löwensteins Antlitz trug die Zeichen seiner langen Geschichte mit Würde. Rings um die Burg Löwenwacht, der 1400 Jahre alten Stammburg der Könige Amhrans, hatten die kommenden Epochen die grösste Stadt des Reiches entstehen lassen. Und jede Epoche hatte sich mit einer anderen Facette in das sich stetig verändernde Gesicht der Stadt eingefügt. Hübsche Fachwerkhäuser in adrettem Weiss und Braun, stolze Patrizierhäuser aus rotem Stein, ärmliche Baracken aus modrigem Holz, prunkvolle Adelspaläste in trutzigem Grau. Nirgendwo sonst in Amhran hatten sich Gegensätze in so einträchtiger Nachbarschaft zueinander gesellt wie in Löwenstein. Stolzer Reichtum lag mitunter nur wenige Schritte von bitterer Armut entfernt. Ich wünschte, mir wäre dies an jenem Abend schon bewusst gewesen.

Als Kind Ravinsthals war das nobelste, das ich bis zu meiner Ankunft in Löwenstein gesehen hatte, das Dorf Rabenstein gewesen. Im Vergleich zu Löwenstein ein unordentlicher, schäbiger, meist stinkender Haufen von Hütten, Häusern und Zerfall. Ich versuche mich daher selbst heute noch mit dem Gedanken zu trösten, dass es nicht pure Dummheit gewesen war, die mich kurz nach dem Durchschreiten des Löwentors hatte falsch abbiegen lassen. Denn wo ich nach Westen oder Süden hätte abbiegen müssen, da war ich nach Norden abgebogen. Hinein in ein Viertel, das mich an Rabenstein erinnert hatte. Hinein in eine Welt, die mir vertraut schien. Was für ein Irrtum. Dieser Irrtum hatte mich im letzten Licht des sterbenden Tages in Löwensteins Armenviertel geführt. Und noch ehe mir bewusst wurde, wo ich gelandet war, hatten mir die Nacht und ein verwirrendes Labyrinth aus Hütten, Zelten und Barracken jegliche Orientierung geraubt.

Zwischen den unausweichlichen Gestank aus Fäkalien, Erbrochenem und Moder woben sich unerfreuliche Klänge der Armut: Ungesundes Husten und Spucken, irgendwo das routinierte Stöhnen einer Hure die gerade von einem ächzenden Freier bestiegen wurde, das verzweifelte Schreien eines alleingelassenen Kindes, der Klang eines brechenden Nasenrückens. Klänge aus den niedersten Schichten amhranischer Kultur.

Die Nacht hatte das heruntergekommene Viertel in gefährliche Schatten gehüllt und zwielichtige Gestalten aus ihren Verstecken gelockt. Als mich der zweite oder dritte von ihnen abschätzig gemustert hatte, wurde mir langsam bewusst, wo ich hingeraten war. Immerhin war ich so klug, die dunkelsten und einsamsten Gassen des Viertels zu meiden. Und so kam ich irgendwann an einen Platz, in dessen Zentrum ein ansehnliches Lagerfeuer brannte. Umringt von schäbigen Hütten und Zelten. In Ermangelung von Alternativen liess ich mich auf einem der Baumstämme nieder und sortierte in Gedanken meine Optionen für die Nacht. Es war eine jämmerlich kleine Zahl an Optionen.

»He, Süsse, wat machst'n hier so alleine?« Jemand war vor mich getreten. Der Klang der Worte verriet bereits das anzügliche Grinsen des Sprechers noch ehe ich ihn sah. Und seine wenig ritterlichen Absichten.

»Verzeiht, ich dachte der Platz wäre frei.« Mit einer spröden Distanziertheit, die mir damals noch wohltuende Wehr war, hoffte ich, den zweifelhaften Absichten des Kerls entkommen zu können. Ich erhob mich und drückte mein Reisebündel an mich.

»Nene, du bleibst nu' mal schön hier, Kleines!« Der Kerl hatte sich zwischenzeitlich vor mir aufgebaut und in wachsender Sorge bemerkte ich, dass er mehr als einen Kopf grösser und deutlich breiter war als ich.

»Von hinten sieht 'se gar nich' mal so übel aus.« Noch eine Stimme die wenig vertrauenerweckend klang. Dieses mal hinter mir. Dazu ein saurer Atem in meinem Nacken der von zu viel billigem Fusel kündete. Meine ohnehin schon spärliche Menge an annehmbaren Optionen für die kommende Nacht schrumpfte merklich.

»Na, Süsse, wo kommste denn her? Hab dich hier noch nie geseh'n. Biste von Ravinsthal gekommen, ehe se die Grenzen dicht gemacht ham, eh?« Obschon ich eigentlich genügend tief in Schwierigkeiten steckte, in diesem Moment schoss mir absurderweise eine mögliche Erklärung für das Heerlager vor der Stadt durch den Kopf: Servano musste sich mit Ravinsthal überworfen und die Grenzen geschlossen haben. War das der Grund für das Heerlager? Und dafür, dass keine Silendirer da waren? Es hätte zum Herzog gepasst, dass er sich nobel im Hintergrund hielt, während sich Servano und Ravinsthal die Nasen blutig schlugen. War das die Erklärung, nach der ich gesucht hatte?

»Na los, nimm se' dir schon!« Erklang es wieder von hinten. »Aber mach se' nich' alle, ich will auch noch mein'n Spass mit ihr ham! Hab schon Tage lang kein Weib mehr bestiegen.« Der absurd unwichtige Gedanke rund um das Heerlager war so schnell fort, wie er gekommen war. Die Kerle vor und hinter mir kamen näher. Ich war unzweifelhaft in ernsten Schwierigkeiten.

Ein dreckiges Lachen von vorne folgte. »Na dann halt se mal, während ich ihr de Beine breit mach. Möchte wett'n die is noch Jungfrau, so unnahbar wie se' tut.« Er kam näher. Meine Optionen schwanden. Ich konnte entweder jetzt handeln oder hier in der Fremde, inmitten von Armut und Gestank von zwei verlausten Hurenböcken geschändet werden.

Es war eine einfache Wahl. Ich liess mein Reisebündel fallen und zog das Schwert.

»Oooh, schau ma', de Kleine will sich wehr'n! Na das lob' ich mir. Macht immer mehr Spass, wenn de Weiber sich ordentlich wehr'n, bevor ich's ihnen besorge.« Obschon seine Worte etwas anderes verkündeten, hatte meine Reaktion wohl doch zumindest für etwas Überraschung bei ihm gesorgt. Der Hüne war einen Schritt zurückgewichen. Und auch der saure Atem hinter mir war verblasst.

»Na dann komm ma' her zu Papa, Kleines. Un' keine Sorge, wenn de verlierst, hat Papa wat zum Trost für dich.« Er griff sich mit einem schmierigen Grinsen in den Schritt, ehe er sich anspannte und die Hände zu Fäusten ballte. Dieses Gespräch würde sich nicht mehr mit Diplomatie und würdevoller Distanziertheit beenden lassen.

Ich tat einen, zwei Schritt zur Seite und zog die Klinge auf. Ich musste beide ins Blickfeld bekommen, um zu vermeiden, dass mich der Zweite von hinten angreifen konnte. Der war aber offenbar noch ausreichend benebelt von seinem alten Rausch, so dass es ihm nicht in den Sinn kam, hinter mir zu bleiben um seinen taktischen Vorteil zu wahren. Nach wenigen Schritten zur Seite hatte ich auch ihn im Blickfeld. Und er entpuppte sich als schmächtiger Hänfling in fadenscheinigen Lumpen. Immerhin. Noch ein Hüne wie der andere und mein Schicksal wäre besiegelt gewesen. Aber diesen schmächtigen Kerl würde ich vielleicht schnell genug ausschalten können, um dem Hünen echte Probleme zu bereiten. Langsam bewegte ich mich zur Seite, um näher an den Hänfling zu gelangen. Der aber grinste nur dümmlich zu mir herüber und schwankte leicht.

Jetzt oder nie. Ich griff an.



[Bild: symbol_sonne_mond.png]



Der Morgen dämmerte bereits, als ich wieder erwachte. Ich lag im kalten Matsch des Armenviertels und alles tat mir weh. Stöhnend richtete ich mich auf und sah neben mich. Der Hänfling lag neben mir und starrte aus weit aufgerissenen Augen blicklos gen Himmel. Er war tot. Von dem Hünen fehlte jede Spur.

Einige Momente starrte ich verständnislos auf den kalten Tod neben mir, ehe mir die Geschehnisse der Nacht wieder ins Bewusstsein kamen. In einer jähen Bewegung richte ich den Blick an mir herab und tastete an mir herum. Ich trug noch meine Hosen und zwischen meinen Beinen fühlte sich alles so an, wie es sein sollte. Ich schloss die Augen in einem Moment überwältigender Dankbarkeit und richtete ein Stossgebet zu Mithras. Meine kläglichen Kenntnisse an der Waffe hatten offenbar nicht ausgereicht, um mir eine Tracht Prügel zu ersparen, aber immerhin hatte ich mich erfolgreich gegen die drohende Schändung wehren können.

Ächzend stemmte ich mich aus dem Matsch hoch. Das Schwert - blutverkrustet nun - noch immer in meiner verkrampften Hand haltend. Und während ich mir mit der anderen Hand meinen qualvoll pochenden Schädel hielt, sah ich mich um und erkannte die bittere Wahrheit: Ich hatte zwar meine Jungfräulichkeit verteidigt, aber alle Habe verloren. Ich besass nur noch das, was ich am Leib trug. Das und das Schwert in meiner Hand.

Ich war mittellos in Löwenstein gestrandet.


[Bild: symbol_sonne_mond.png]

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Ein Spiel aus Licht und Schatten - von Eylis - 07.02.2016, 19:31
RE: Ein Spiel aus Licht und Schatten - von Eylis - 07.02.2016, 19:56



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