FSK-18 Ein Spiel aus Licht und Schatten
#3
Amhrans Konturen waren blau. Fjorde, Haffs und Seegatts prägten das Antlitz des Königreichs und die Reichshauptstadt Löwenstein bildete dabei keine Ausnahme. Der Sitz der Könige von Amhran lag auf einer felsigen Insel im Herzen des Kontinents. Mit dem Festland und dem Rest des Lehens Servano nur über zwei steinerne Brücken verbunden. Ein fragiles Band.

Der Insel vorgelagert war eine Landzunge, über die eine Prachtstrasse zu der spektakulär am Horizont aufragenden Stadt führte. Das Tor, das ich gerade passiert hatte, markierte den Zugang zu der Landzunge. Und vor mir lag der verschwenderisch breite, sorgsam gepflasterte Weg. An dessen Ende konnte ich das Purpur und Gold der Löwenbanner Servanos hoch über der Stadtmauer im abendlichen Seewind flattern sehen. Und dahinter, vom Abendrot in eine atemberaubende Glut gehüllt, die Dächer, Türme und Zinnen Löwensteins. Wer die Stadt zum ersten mal besuchte und nicht um ihre Abgründe wusste, der konnte bei diesem Anblick nichts anderes als Ehrfurcht empfinden. Ich hielt inne und ich empfand Ehrfurcht. Aber nicht für lange.

»Mithrasverfluchter Hundsfott! Höher den Schild! HÖHER!« Der Moment der Ehrfurcht fand ein jähes Ende, als südlich der Prachtstrasse krachender Kampflärm anhob. Begleitet von einer weit tragenden, ungnädigen Stimme die wenig Wohlmeinendes zu verkünden hatte. »Parade, verfluchter Narr! Parade! Und das ist nicht der Name der Hure, die sich gestern Nacht um deinen mickrigen Schwengel gekümmert hat!«

Ich riss mich von dem überwältigenden Anblick der Stadt im Abendlicht los und wandte mich dem derben Lärmen und dem Rufen zu. Südlich der Strasse waren auf einem weiten Feld Zelte in den unterschiedlichsten Formen und Grössen errichtet worden. Rauchfahnen kräuselten sich dazwischen in den Abendhimmel. Es roch nach Schweiss, Stahl, Rauch und weitaus Unangenehmerem. Gerüstete Krieger gingen ihren Verrichtungen nach. Man hörte laut gerufene Kommandos, dreckiges Lachen, hin und wieder ein ungehaltenes Brüllen. Dazwischen - mal leiser und ferner, mal lauter und näher - immer wieder Kampflärm. Und über all dem scheinbar chaotischen Treiben flatterten hoch aufgepflanzte Banner im sterbenden Licht des Tages.

Ein Heerlager. Direkt vor der Stadt.

Neugier war schon immer eine meiner beklagenswerten Schwächen gewesen. Und ein Heerlager direkt vor Löwensteins Toren war genug Nahrung für diese Neugier. Ich verliess die Strasse und hielt auf die Zelte zu.

Zwischen all den Marketendern, Huren, Bader und zweifelhaften Gestalten, die ein jedes Heerlager umschwärmten wie die Schmeissfliegen, nahm niemand von mir Notiz. Solange ich mich nicht in das derbe Treiben einmischte, würde ich mich in Ruhe umsehen können. Alle erdenklichen Waffengattungen - vom in Leder gewandeten Bogenschützen bis hin zum trutzig gerüsteten Axtschwinger - waren vertreten. Die Krieger trugen die unterschiedlichsten Farben, Wappen und Rangabzeichen. Auch die Stimmen und Dialekte kündeten von der ganzen Vielfalt Amhrans. Krieger aus den unterschiedlichsten Teilen des Reiches. Das war kein einzelnes Heer. Und das war vor allem kein Servanoer Heer. Das waren Verbände aus anderen Lehen. Nur was taten sie hier?

Ich richtete den Blick auf die flatternden Lehensbanner über den Zelten. Einige erkannte ich wieder. Blau-schwarze Banner mit Lilienfeldern und einem steigenden Silberpferd: Nortgard. Gleich daneben sah man grüne Banner. Darauf die beiden Silberhirsche Hohenmarschens. Die Nähe der beiden Lager war wenig überraschend. Nortgard und Hohenmarschen teilten das gleiche Schicksal: Da keines der beiden Lehen seine Bevölkerung mit der eigenen, spärlichen Landwirtschaft versorgen konnte, waren sie auf andere Lehen angewiesen. Insbesondere auf Silendir, der selbstbewussten Kornkammer des Reiches. Eine Bürde die die beiden Lehen teilten und die irgendwann zu einer gewissen Verbundenheit geführt hatte.

Etwas abseits der Nortgarder und der Hohenmarschener konnte ich in der Ferne braun-goldene Banner ausmachen, die ich nicht zuordnen konnte. Ich hielt darauf zu und schlängelte mich durch eine Gruppe lautstark keifender und vulgär angemalter Huren, die sich mitten auf dem Pfad um einen Freier stritten. Die bis zur Obszönität reichende, farbige Unverblümtheit der Dirnen war mir damals noch gleichermassen fremd wie peinlich. Darum eilte ich mich, den Auflauf möglichst schnell hinter mir zu lassen, so dass niemand mein schamhaftes Erröten bemerkte.

Als ich den braun-goldenen Bannern näher kam, konnte ich das Wappentier darauf erkennen: Einen aufrecht stehenden Drachen. Es gab nur ein Lehen, das einen Drachen im Wappen führte: Candaria, das Lehen von Amhrans letztem Drachentöter. Das verschlafene, bäuerliche Candaria hatte also auch Truppen zum Heerlager geschickt. Und lagerte nun in einträchtiger Nachbarschaft zu Nortgard und Hohenmarschen.

Das ergab alles keinen Sinn.

Ich hatte genug gesehen und liess auf dem Weg zurück zur Hauptstrasse den Trubel des Heerlagers nachdenklich hinter mir. Nortgard und Hohenmarschen im Lager Seite an Seite zu sehen war keine Überraschung gewesen. Ich wäre nicht einmal erstaunt gewesen, dort die Banner Silendirs zu sehen. Nachdem sich der Fürst von Silendir vor einigen Jahren in der Abwesenheit des Königs selbst zum Herzog ernannt und damit die Herrschaft des amtierenden Truchsess infrage gestellt hatte, waren Nortgard und Hohenmarschen die einzigen Lehen gewesen, die diesem gleichermassen kühnen wie provokanten Schachzug die Unterstützung zugesichert hatten. Kornlieferungen konnten ein mächtiges Argument beim Aushandeln politischer Bündnisse sein.

Aber Silendir war nicht hier. Es wäre wohl selbst für den Herzog eine Spur zu unverfroren gewesen, Truppen direkt vor die Tore Löwensteins zu entsenden. Eine angemessene Antwort Löwensteins und ganz Servanos wäre kaum zu vermeiden gewesen. Der Herzog von Silendir war vieles, aber dumm war er nicht. Er wusste sehr genau, wie weit er gehen konnte.

Statt Silendir hatten also candarische Truppen ihr Lager hier aufgeschlagen. Ausgerechnet das provinzielle, etwas rückständige Lehen Candaria; Seite an Seite mit Nortgard und Hohenmarschen.

Nein, das ergab wirklich keinen Sinn.

Auf dem Weg zurück hing ich meinen Gedanken nach, bis ich schliesslich die Pflastersteine der Hauptstrasse unter meinen Stiefeln spürte. Erst da blickte ich wieder auf. Und was ich auf der anderen Seite der Strasse sah, das hätte auf eine absurde Art nicht passender sein können: Man hatte das Heerlager in direkter Nachbarschaft zum Friedhof aufgeschlagen.



[Bild: symbol_sonne_mond.png]

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Ein Spiel aus Licht und Schatten - von Eylis - 07.02.2016, 19:31
RE: Ein Spiel aus Licht und Schatten - von Eylis - 07.02.2016, 19:45



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