FSK-18 Ein Spiel aus Licht und Schatten
#2

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1. Löwenstein

Im Jahr des Herrn 1402
Monat Heuert



Es war eine Welt im Wandel. Das Jahr des Herrn 1402 sah das Königreich Amhran zwischen den archaischen Fundamenten eines alten Glaubens und den stolzen Bauten eines neuen: Mondwächterglaube - vielschichtig, tief verwurzelt, voller Mysterien - und Mithrasglaube - ein Gott und seine streng gefügte Ordnung als Aufbruch in ein neues Zeitalter. Eine argwöhnische Koexistenz.

Die Blutlinie der Könige war seit 1400 Jahren ungebrochen, doch der damalige König, seine höchstedle Majestät Lithas Taguein von Amhran, weilte zu dieser Zeit fern seines Reiches. Gen Indharim war er ausgezogen, und mit ihm die grösste Streitmacht seit Menschengedenken. Der Anstoss für diesen Krieg war eine ebenso gefährliche Sache gewesen wie die Frage nach dem rechten Glauben: Magie. Facettenreich wie Religion, und nicht minder gefährlich wenn sie den falschen Pfaden folgte.

Die sieben Lehen, die der König zurückgelassen hatte, trugen das Reich derweil weiter voran. Treu zum König? Vermutlich. Geeint? Nur in den Augen von Narren. Hinter der anmutigen Fassade aus Diplomatie, Bällen und Paraden war Einigkeit nur eine Illusion. In Ravinsthal hatte sich der alte Glaube bis hinein in höchste Adelskreise festgesetzt. Servano, sein mächtiger Nachbar und dem Sonnenglauben um Mithras treu ergeben, beäugte das dortige Treiben mit grösster Argwohn. Candaria, die allzu oft verkannte bäuerliche Schwester der grossen Lehen, war in sich gespalten: Einige Ritter und Baronien standen treu zum alten Glauben, andere wiederum folgten Mithras. Und der Fürst des wohlhabenden Silendir hatte die Abwesenheit des Königs dazu genutzt, dessen Truchsess infrage zu stellen um sich selbst zum Herzog auszurufen.

Einigkeit im Reich? Eine wohltuende Maskerade. Nichts weiter. Hinter dieser sorgsam gepflegten Hülle verfolgten sie alle ihre eigenen Ziele. Und nirgends wurde dies so deutlich wie im Zentrum aller Macht: In Löwenstein, Hauptstadt des Reiches und Sitz der Könige von Amhran.

Ich habe mich oft gefragt, warum meine Reise an jenem Abend gerade in dieser Stadt ein Ende gefunden hatte. Nach dem Tode Berengars hatte mich nichts mehr in Ravinsthal gehalten, der Weg nach Westen stand niemals infrage. Doch warum gerade Löwenstein? Ein kleiner Schwenk nach Norden und meine Reise hätte in der beschaulichen Baronie Zweitürmen ihr Ziel gefunden. Ein kleiner Schwenk nach Süden und ich wäre ein Kind Südwalds und seiner rätselhaften Wälder geworden. Aber es war Löwenstein, wo mein Pfad endete. Und dort, am Ende des Pfades, wartete bereits ein neuer Anfang auf mich. Aber das ahnte ich damals noch nicht. So vieles ahnte ich damals noch nicht.


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»Halt! Euer Name und euer Begehr?« Ich glaube nicht, dass die Torwache sich bewusst war, wie weitreichend diese Frage für mich damals war. Wer war ich? Und wohin wollte ich? Wer ich war, das wusste ich damals noch nicht. Doch welchen Namen ich tragen wollte, das zumindest hatte ich entschieden. Meine Eltern, die ihr kleines Ravinsthaler Handelskontor dieser lästigen, ungewollten Tochter stets vorzogen, hatten mir zumindest dies mit auf den Weg gegeben: Die Erkenntnis, dass ich ihren Namen nicht mehr länger tragen würde. Auch mein Vorname war mir verhasst. Zu sehr trug er die Handschrift der Eltern, die ich niemals als solche kennengelernt hatte. Und so war schon früh die Entscheidung gefallen, stattdessen den Kosenamen zu verwenden, den meiner Mutter Bruder, mein Oheim Berengar, mir stets gegeben hatte.

»Eylis«, antwortete ich der Torwache. Ich wäre also fortan 'Eylis'. Wer diese Eylis sein würde, das wusste ich damals noch nicht. Aber sie hatte nun zumindest einen Namen.

»Aha. Eylis. Und weiter?« Die unvermeidbare Folgefrage. Ich würde sie nicht zum letzten mal hören.

»Nichts weiter. Einfach nur Eylis.«

»Und euer Begehr?«

»Nur auf der Durchreise. Ein Lager für die Nacht.« Eine wohltuende Gnadenfrist, um mich noch nicht der unbequemeren der beiden Fragen stellen zu müssen: Wohin wollte ich mit diesem, meinem Leben?

»Mhr.« Die Wache musterte mich eine Weile. Was er sah, war wohl wenig spektakulär: Meine Kleidung war schlicht, vielleicht ein wenig schäbig, Spuren einer längeren Reise darauf. Ein schmuckloses Schwert an meiner Seite - Berengars letztes Vermächtnis für mich; neben seinen Lehren, die meinem Leben bislang Licht und Wegleitung gewesen waren. Ansonsten ein Reisebündel. Nichts Auffälliges. Vielleicht verweilte der Blick der Torwache einige Augenblicke länger als nötig an meinen dunkelroten Haaren. Abgesehen von meinem Haar hatte mir Mithras weitere Auffälligkeiten in meiner Erscheinung verweigert: Mir war die filigrane Anmut und die grazile Puppenhaftigkeit der mädchenhaft kichernden Hoffräuleins versagt geblieben. Ein Gesicht und ein Leben, wie die Torwache schon unzählige davor gesehen haben musste.

»Weitergehen!« Damit war ich für die Torwache bereits wieder vergessen. Erst sehr viel später wurde mir bewusst, warum: Löwenstein hatte schon zu viele meiner Art erst neugierig empfangen, gierig aufgefressen und zum Schluss wieder achtlos ausgespuckt.


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Ein Spiel aus Licht und Schatten - von Eylis - 07.02.2016, 19:31
RE: Ein Spiel aus Licht und Schatten - von Eylis - 07.02.2016, 19:40



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