Orange und blutrot, das Leben als Knappe
#14
[Bild: po84szac.png]

In der kalten Jahreszeit gibt es nicht luxuriöseres und entspannenderes als ein warmes Bad. Der Wasserdampf trägt den Geruch von Minze mit sich und besänftigt Jon's Gedanken. Er legt den Kopf leicht in den Nacken, was von einem Plätschern untermalt wird. Das wohlige Wasser lässt sein Herz ruhiger schlagen und versetzt ihn eine ruhige, gar schläftige Stimmung. Sein Körper hat sich wieder gänzlich aufgewärmt, nachdem ihn die regnerische, kalte Patroullie ausgezehrt hat.
Greifanger ist spürbar ruhig in letzter Zeit, vor allem wenn er etwas von dem Trubel in Hohenquell mit bekommt. Aber die derzeitigen Patroullien fühlen sich dennoch wichtig an. Er soll für Ordnung sorgen, während sein Herr das Fest der Ahnen mit den anderen Mondwächtergläubigen zusammen begeht. In letzter Zeit wagen sich mehr Wölfe auf die Wege und bringen ein wenig Abwechslung in die Ausritte. Natürlich bedarf es keine Motivation, denn die Wölfe sind nicht zu unterschätzen. Sobald er sich eine der eifrigen Bäuerinnen vorstellt, die vor einem Wolf flüchtet, spürt er einen Anflug von Beschützersinn. Die Bereitschaft und tägliche Pflicht ist schon längst zur Routine geworden. Das es mittlerweile um mehr geht als nur die Erfüllung seiner Aufgabe als Knappe, ändert nichts an seiner Einstellung. Er ist schon immer pflichtbewusst und engagiert, seit dem Tag an dem er seinen Schwur gegenüber Saresh abgelegt hat. Und doch hat es nun andere Bedeutung, da es darum geht die Baronin zu überzeugen und seinen Eindruck zu wahren.

Mit einem Seufzen fischt er den Schwamm aus dem Wasser und lässt ein warmes Rinnsaal über seine Schulterpartie laufen, als er diesen ausdrückt. Dank der Entspannung fühlen sich seine Gedanken weniger streng und festgefahren an. Warum macht er sich auch immer so viele Gedanken? »Es ist wichtig sich Gedanken zu machen, aber manchmal kann man die Dinge auch zer-denken.« So waren Gnaden Veltenbruchs Worte gewesen und sie hallen zwei Tage nach dem Gespräch noch in Jon's Kopf nach. Es war das dritte Treffen gewesen und mit jedem Mal wurden die Themen tiefgründiger und persönlicher. Wo Saresh an Jon's Kampfgeschick, Weitsichtigkeit und Kompetenz feilt, stärkt der Priester sein Selbstbewusstsein. Möglicherweise ist es seine vorerst Letzte aber definitiv eine der wichtigsten Lektionen. Es mangelt ihm schlicht an Vertrauen, Selbstsicherheit und Glaube. So viel Mühe er sich auch geben mag, immer wieder beschwert ihn Zurückhaltung. Seine Bescheidenheit wird er in seinem Leben nicht mehr ablegen können, aber er muss den Glauben daran lernen, auf die Einschätzung und Worte von Anderen zu vertrauen. Es gibt wenige Menschen, die eine realistische Selbsteinschätzung haben. Oft ist es sogar Arroganz oder Überheblichkeit, zwei Sichtweisen, die er in keinem Fall herbei sehnt. Vielmehr soll er sich in Stolz und Akzeptanz üben.
Bisher war er der festen Überzeugung, dass er nach vorne sehen muss und sich möglichst von der Vergangenheit nicht belasten lassen soll. Aber er lag falsch. Auch seiner Verlobten hatte er damals – es sind schon einige Mondwenden vergangen – geraten, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Doch hätte er ihr Herz überhaupt erobern können, wenn sie nicht so scheu gewesen wäre, wegen den Enttäuschungen ihrer Vergangenheit? Er hätte ihr auf keine andere Art besser beweisen können, dass er bereit war sich zu gedulden und es ernst mit ihr meint. Tatsächlich lässt er sie nun warten, da er in einer Art Schwebe hängt. Eine Schwebe, die durch nichts anderes verursacht wird, als seine Gedanken.
Warum muss er so grüblerisch und übertrieben bedacht sein? Er lies bisher alles auf sich zu kommen, bis diese vage Aussicht am Horizont erschienen ist. Ihm wurde etwas in Aussicht gestellt, wonach er sich unterschwellig sehnt. Aber anstatt sich geehrt zu fühlen und seinen Weg beharrlich und stolz weiter zu gehen, zieht er von Zeit zu Zeit den Kopf ein. Eine ähnliche Reaktion lösen die Worte seines Herren aus. Saresh gedenkt ihn zum neuen Jahr frei zu geben, denn die Baronin hat nach der Empfehlung des Lehensritters ein Auge auf Jon geworfen. Obwohl sein Herz bei den Worten warm vor Stolz werden sollte, hemmt ihn der Zweifel. »Dein Ritterschlag ist für mich keine Mutmaßung. Du müsstest schon etwas sehr Dummes tun, damit ich meine Fürsprache entziehe oder die Knappschaft länger andauert.«
Sollten die Worte nicht alles sein, was er sich erhoffen und ersehnen kann? Ist es nicht sogar vermessen diese in Frage zu stellen? Wann hatte sein Herr sich je geirrt. Dennoch kann Jon es nicht einfach akzeptieren und darauf vertrauen.

Als er wenig später in ein Handtuch gehüllt an der Bettkante sitzt, entsinnt er sich Gnaden Veltenbruch's Rat. Gefühle haben den höchsten Wert und Bestand vor Mithras. Ein Sieg im Namen von Mithras erfüllt jemanden mit Licht und bringt ihn für einen Moment näher. Jon konzentriert sich auf das ruhige Klopfen seines Herzes und besinnt sich an vergangene Situationen. Er versucht das Licht zu schöpfen, aus dem warmen oder erleichternden Gefühl.
Sein erstes, eigenständig gejagtes Tier. Der Sieg auf dem Tunier in Lilienbruch. Der Moment, als Saresh ihn als würdig erklärte, sein Knappe zu werden. Eben jener Augenblick, in dem er Leira seine Liebe gestand und sie erwiedert hat. Der Sieg über die dämonische Bedrohung in Greifanger. Das gewonnene Duell gegen Cyril, im Namen der Liebe. Im Namen von Mithras.
Worte, Lob und Anerkennung haben nicht die Bedeutung von dem einhüllend warmen Gefühl. Diese seltenen, aber höchst wertvollen Momente brachten ihn für einen Herzschlag näher an Mithras. Es ist ein Gefühl, nach dem man gieren möchte und nach dem man bedenkenlos gieren darf.
Mit geschlossenen Augen schiebt er die Zweifel beiseite und wagt einen Ausblick. Er sieht sich auf den Knien vor seiner Baronin im Tempel des Mithras, die Waffe in vollendeter Ergebenheit an sie überreicht. Ein zweites Mal, an gleichem Ort steht er neben Leira, ihre Hand ergriffen und einen Schwur für die Ewigkeit leistend. Beide Gedanken fühlen sich lebendig an, kraftspendend und alles andere an fremd. Er klammert sich an das Gefühl und betet stumm zu Mithras, dass es ihm nicht sogleich wieder entgleitet.
Er möchte ein guter Diener sein, ganz gleich ob für seinen Herr, die Baronin oder die Baronie, die fast zu seiner Heimat geworden ist. Aber vor allem für Mithras.
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