Orange und blutrot, das Leben als Knappe
#13
Als ihm am Nachmittag ein wenig freie Zeit gegeben ist setzt er sich an den Ort, der ihm zum Nachdenken verhilft. Gegen den Stamm des Baumes gelehnt blickt er den Flusslauf entlang über das Land und ordnet seine Gedanken. Gnaden Veltenbruch's Bote war angekommen und dank all der Pflichten in den letzten Wochenläufen war Jon nicht dazu gekommen, seine Aufgabe zu bewältigen. Morgen würde ein Treffen statt finden und er hat noch keine Erfolge vorzuweisen. Also schließt er die Augen und lenkt seine Gedanken zurück in seine Jugend, zu dem stärksten Gefühl, dass er damals erleben durfte: Enttäuschung und Wut.
Nach einem tiefen Atemzug entsinnt er sich den Einzelheiten und durchlebt aufmerksam erneut den Tag und das ausgelöste Gefühl. Jede Unsicherheit, jeden Zweifel und jedes Herzrasen erlebt er nach und lässt es auf sich wirken. Bis zum Ende..

2. Lenzing 1397

[Bild: mine47uf.jpg]

Jon war vor wenigen Monaten siebzehn geworden. Im Gegensatz zu seinen Brüdern – auch weil sie älter und selbstbewusster sind – hängt er deutlich hinterher was die Jagd auf Mädchen angeht. Er ist sich zwar bewusst, dass er nicht gerade hässlich ist, denn manch ein Mädchen wirft ihm einen scheuen Blick zu, die wenigen Male wo er nach Lilienbruch darf, aber etwas in seinem Kopf sucht zwanghaft eine Ausrede für diese Situationen.

Auf den Mund gefallen ist er auch nicht unbedingt und so ergab es sich auf erstaunliche Weise doch, das er mit einem Mädchen zusammen kam.
Ihr Name ist Katharina und ihre Beziehung hielt bereits seit drei Monatsläufen. Sie ist gutaussehend, wohlerzogen und aus gutem Hause, da ihr Vater der Hauptmann der Garde zu Lilienbruch ist. Zu seinem Glück leben sie aber mit ihrer Mutter etwas Abseits von Lilienbruch, in der Nähe seiner Familie. Meist treffen sie sich ungezwungen und so hatte Jon bisher das Glück mehr als einem scheuen Kuss zu entgehen. Er würde es gerne ausprobieren, aber die Furcht ist zu groß. Außerdem hat er doch noch alle Zeit der Welt?

An diesem Abend treffen sie sich jedoch in ihrem Zimmer im Haus ihrer Eltern. Die Sonne geht bereits unter, weswegen Jon sich durch ihr Fenster hinein schleichen muss. Kat erwartet ihn bereits mit einem scheuen Lächeln und Jon sieht sich nicht weniger scheu in dem Zimmer um. Die Einrichtung ist eben so zart und feminin wie Kat selbst. Sie kommt auf ihn zu, legt die schlanken Handgelenke um seinen Nacken und schmiegt sich dicht an ihn.
„Hat dich jemand gesehen, Jon?“ säuselt das Mädchen nah bei ihm, wobei er sich fragt was ihn so schrecklich nervös macht. „N-nein.“ Das leichte Stottern ist ihm peinlich und er errötet leicht. Kat lächelt und zieht ihn leicht auffordernd hinab, woraufhin er vorsichtig und mit einer leichten Berührung die Hände um ihre Taille legt. Sie küssen sich zärtlich, aber so zurückhaltend und vorsichtig wie es junge Verliebte tun. Trotzdem fühlt sich der Kuss anders an und Jon spürt wie Katharina's Finger an seinem Kragen hinab wandern und sich an den Knöpfen zu schaffen machen. Als sie sein Zögern spürt und seinen hektischen Herzschlag, unterbricht sie den Kuss, lehnt sich zurück und blickt ihn an. „Hör nicht auf, Jon.“
Er schluckt mühsam und legt die Hand sanft an ihre Wange. „Aber doch nicht hier. Deine Mutter könnte jeden Moment...“ Sie erstickt seine Bedenken mit einem weiteren Kuss, aus dem er sich aber rasch entzieht. Mit leicht geöffneten Lippen sieht er sie an, während sein Herz mit seinem Verstand ringt.
"Oh, wie ehrenhaft du doch bist, Jonathan Silberfels." seufzt Katharina und taxiert ihn mit einem lauernden Blick. Er muss sich zusammen reißen, was würde sie sonst von ihm halten? Trotzdem stammelt er nicht die Worte die sie hören will, wie er ihrem Gesicht ablesen kann.
"Wir haben doch alle Zeit, die uns gegeben ist." murmelt er, woraufhin ihr Körper leicht zusammen sackt. Er lächelt aufmunternd, aber die Zurückweisung traf sie schlimmer, als Jon erwartet hatte. Sie schüttelt den Kopf resignierend und löst die Hände von ihm.
Mit einem leicht dumpfen Laut sinkt sie aufs Bett und lässt die Füße baumeln. Jon gesellt sich zu ihr, legt den Arm um sie und murmelt eine Entschuldigung, aber seine Chance ist vertan. Der Abend vergeht unangenehm schleppend und er kommt nicht mehr in den Genuss ihr Lachen zu hören oder sie aufrichtig lächeln zu sehen. Er macht sich Vorwürfe und fühlt sich schändlich.

Die damals gesprochenen Worte vergehen in Neben und Jon's Finger zucken leicht, als er die Gedanken weiter lenkt. Er spürt ein Ziehen in der Brust, als er sich selbst sieht, wie er ein weiteres Mal über das Dach zur Kammer seiner Angebeteten klettert. Das Ziehen erweist sich als vorfreudige Aufregung. Kat hat ihn zu sich eingeladen und diesmal würde er alles Richtig machen. Es ist einen Wochenlauf her, das er bei ihr war und seitdem gab es keine Gespräche zwischen ihnen. Nur diese Einladung.

Jon klettert vorsichtig hinauf und verharrt vor Kat's Fenster. Vorsichtig schiebt er die Finger in den kleinen Spalt, den sie ihm gelassen hat und zieht die Flügel auf. Er sieht Licht und eine Silhouette und sein Herz macht kleine Sprünge vor Aufregung. Als er sich vornüber beugt und ansetzt ein Bein anzuheben, erstarrt er aber in seinem Tun, als er Stimmen hört. Er duckt sich mit hämmerndem Herzen weg und schmiegt sich dicht an die Holzvertäfelung.
Sein Herz schlägt ihm bis zum Hals, sodass es eine Weile dauert, bis er die Stimmen erkennt und sich einigermaßen sammelt. Kat spricht mit einem jungen Mann, auf schmerzhaft sanfte und zärtliche Weise. Dann hört er Geräusche, als würden sie sich küssen. Kat seufzt angetan, ein Laut, den Jon unterbewusst lang ersehnt hat und ihm dadurch einen umso heftigeren Schmerz versetzt, da er nicht ihm gilt. Tränen sammeln sich in seinen Augen und er ballt die Hände, um die Schwäche zu unterdrücken und sich zusammen zu reißen.
Dann ertönt ein dumpfer Laut und ein Kichern. Ein männliches Brummen murmelt Kat Dinge zu, die sie zum Lachen bringen. Die Tonlage kommt Jon bekannt vor. Schwer zu sagen, ob es der zweite dumpfe Laut oder die Bekanntheit der Stimme ist, die ihn aus seinem Versteck hervor locken, aber er dreht sich um und späht über den Fenstersims. Ein junger Mann liegt auf Kat, die sich unter diesem im Bett wälzt. Der Mann reckt den Kopf mit den dunklen Haaren und küsst Jon's Herzdame. Das intime Geräusch brennt sich in seinen Kopf ein und versetzt ihm jedes Mal aufs neue einen grausamen Schmerz. Ihre Finger streichen über den nackten Rücken, einen Rücken den Jon zu gut kennt. Er schluckt, dann gibt er ein entsetztes Geräusch von sich, das Albert dazu bringt den Kopf zum Fenster zu drehen. Die beiden Brüder sehen sich an und Jon's Augen sind geweitet und verständnislos.
„Jon, was..?“ setzt Albert irritiert an, aber der triumphierende Blick, den Katharina Jon zu wirft zwingt ihn dazu sofort aus seinem Versteck zu rutschen und das Dach hinab zu klettern. Er ergreift so gehetzt die Flucht, das er kurz stolpert und strauchelt. Seine Beine tragen ihn soweit, bis seine Lungen vor Anstrengung brennen und er sinkt gegen den nächstbesten Baumstamm und sackt zusammen.
Die Gefühle übermannen ihn in einer unbarmherzigen Mischung. Wut, Entsetzen, Verzweiflung und Schmerz. Sein Herz und sein Vertrauen wurde missbraucht und hintergangen und das Zusammenspiel dieser Eindrücke wirft ihn zu Boden wie ein heftiger Schwerthieb.
Die Emotionen dringen bis in die Gegenwart vor und er stößt den Atem in kleinen Wölkchen aus. Die Hand auf Herzseite auf die Brust gelegt lässt er die Gefühle auf sich wirken. Vor allem die Wut lässt er auf sich wirken – ein Gefühl, das ihn glücklicherweise nicht so oft plagt - um sie dann mühsam nieder zu ringen. Er schlingt die Hände um seine Schultern und senkt den Kopf leicht, die Augen noch immer geschlossen.

Es dauert eine Weile, aber als die Schwere von seinem Herzen weicht bleibt dort Gelöstheit und er fühlt einen Hauch von Freiheit. Er schließt bewusst mit dem Tag und dem Ereignis ab und besinnt sich auf die Zeit, die vergangen ist. Seine Wut ist verwirkt und würde er heute seinen Bruder wieder treffen, dann würde er ihn in die Arme schließen. Denn er hat ihn lange nicht gesehen und keine Fehler ihrer Jugend soll zwischen ihnen stehen. Jetzt, Jahre später ist er sogar ein wenig dankbar für die Lektion. Eine Lektion, wie sie das Leben gerne spielt.
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Auf der Zielgeraden - von Jonathan Silberfels - 26.01.2016, 14:37
Am Ziel - von Jonathan Silberfels - 22.02.2016, 18:23



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