Orange und blutrot, das Leben als Knappe
#9
[Bild: animierte-trennlinie-bilder-255.gif]
Das Meer rauscht wie in Candaria, nur das stetige Geschrei der Möwen fehlt. Es wird immer kälter, der Winter kommt und sein Atem schlägt kleine Wolken in der frischen Luft. Bei dem Gedanken an den Winter kommt immer noch Unwohlsein in ihm auf. Für gewöhnlich war seine Familie im Herbst damit beschäftigt Vorräte für den Winter anzuschaffen. Mittlerweile muss Jon nichts mehr tun. Ganz im Gegenteil, vielleicht kann er für den Winter sogar eine Hütte beziehen, mit einem warmen Kamin. Darüber hinauf genießt er den Luxus sein Essen anzukaufen, sogar Wein oder Brand, wenn er denn will. Es gibt genug Unruhestifter in den Höhlen dieser Lande und die Trophäensammler zahlen gut dafür. Vielleicht damit sich ein eitler, angeberischer Reiche die Errungenschaften über seinen Kaminsims hängen kann.
Jon kann es gleich sein, er kommt gut über die Runden, sehr gut. Vermutlich um einiges Besser als er erwartet hat. Das Metall an seinem Körper hat er sich selbst erarbeitet, ebenso wie die verzierte Klinge an seiner Flanke. Seine bescheidene Art bleibt gefestigt aber die Ausrüstung ist mittlerweile eine Selbstverständlichkeit, bei der er vor ein paar Jahren noch den Kopf geschüttelt hätte. Langsam aber sicher muss er sich damit abfinden, das er kein einfacher Mann mehr ist, der umher treibt und jeden Tag neu Kraft schöpfen muss. Mit ein wenig zurückgelegtem Silber kann er ruhig in die Zukunft sehen und vielleicht eines Tages eine Familie ernähren, wie es für richtig und wichtig gehalten wird.
Das ist was sein Verstand denkt, während er auf der fremden Wiese steht und die Grashalme platt drückt mit seinem Gewicht und dem der Rüstung. Sein Herz – und er lernt jeden Tag mehr darauf zu hören – begehrt anderer Dinge. Seit dem Kampf gegen den Dämonen ist sein Kampfeswille erwacht. Manch einer würde sogar behaupten jener tendiert zum Führungswillen. Einerseits ist die Veränderung nicht zu verachten, denn er teilt nun die Ansicht seines Herren Blut zu fordern, wenn es von Nöten ist. Zum Anderen hat ihn die Situation gelernt, das er auf seine Sinne und Fähigkeiten vertrauen kann, ohne sie vorher gedanklich durchzuspielen. Auf der anderen Seite jedoch, erlebt er sich leicht euphorisch wenn sich ein Kampf ankündigt. Eine Gefühlswandlung, die ihm bisher fremd war und die ihm sogar an seinem Herren überheblich erschien. Aber sein Herr ist ein Jure, was alleine schon für die animalischen, stolzen Vorgehensweisen spricht.
Selbstverständlich wusste Saresh auch Rat, als er Jon wütend erlebte. Wut war bisher keine Regung, mit der er sich großartig beschäftigen musste. Aber mit einem Mal tritt sie in Erscheinung und er weiß nicht damit umzugehen. »Fordere die Person, die dich wütend macht zum Kampf.« wusste sein Herr ihm zu raten. Die Aussage ist tatsächlich der Grund, weshalb er nun auf unbekanntem Land steht und auf seinen Gegner wartet. Ganz gleich, ob sein Gegner felsenfest behauptet es ginge um die Ehre von Jon's Liebsten, so ist es nicht. Aber er wollte nicht großartig wieder sprechen, weshalb auch? Ist es doch ein guter Vorwand, um nicht die Eigennützigkeit des Aufeinandertreffens in den Vordergrund zu stellen.

Sein Kontrahent verspätet sich und Jon konzentriert sich auf das ungewohnte, hitzige Gefühl in seiner Brust. Die Finger tippeln leicht gegen den Heft des Schwertes, während er in die Ferne späht. Ob nach dem Kampf dieses Gefühl einfach nach lässt, zumindest für eine Weile? Wohl wird er es sogleich heraus finden, denn es nähert sich eine schemenhafte Gestalt. Der Gang ist locker, was wohl an der leichten Stoffkleidung liegt, die Cyril trägt. Natürlich hat sich dieser vorher nicht gerüstet, wieso die zarte Provokation aussparen, nachdem er Jon warten ließ?
Er spürt wie sein Herz rascher schlägt, sich für den Kampf in Bereitschaft begebend. Bis der andere Krieger sich gerüstet und seinen Standpunkt erläutert hat vergeht nochmals eine gefühlte Spanne an Augenblicken. Jon unterdrückt ein Lächeln, denn es sind schlussendlich nur wenige Momente, die sich durch die Ungeduld dank des anstehenden Kampfes zäh ziehen.

Sobald sein Gegner gerüstet ist und die beiden Klingen gezogen sind kehrt Ruhe ein. Keiner spricht mehr ein Wort – immerhin wäre es auch überflüssig – und die Aufmerksamkeit liegt ganz auf dem Anderen. Jon's Finger kribbeln leicht vor Kampfeslust, was ein Zeichen dafür ist, dass er den Verstand verstummen lässt und ganz auf sein Herz und seinen Instinkt hört. Cyril ist ein erfahrener Krieger, der schon ein paar Jahresläufe mehr Erfahrung gesammelt hat. Dennoch sieht sich Jon ebenbürtig, immerhin sind die Fähigkeiten seines Herrn nicht zu verachten, die er dem jungen Recken eintrichtert.
Sie umrunden sich wie zwei Raubtiere, die Blicke miteinander verflochten, wobei sich keiner der Beiden in die Karten blicken lässt. Wer im Kampf zu viel nachdenkt verrät seine Züge. Cyril bleibt vorerst defenssiv, was Jon ausnutzt und flink vor prescht. Die Klingen treffen aufeinander und trotz der abgeschliffenen Schneiden verkanten sie sich mit einem unschönen, metallischen Knirschen. Er leitet die vereinten Klingen zur Seite und macht mehr Druck auf den Krieger mit dem angeschnallten Rundschild. Immerhin behindert Jon kein Schild, manch einer würde es als Leichtsinnig bezeichnen aber es eröffnet ihm flinkere Manöver. So setzt er zu einem weiteren Hieb auf den Zurückweichenden und wird mit einem Scharren der Klinge über dessen Schild belohnt. Das Geräusch wird mit einem Fluch gepaart – es hätte Jon sehr gewundert, wenn der sprechfreudige Krieger in diesem Moment den Mund hällt – und die Beiden trennen sich nach dem harten Zusammenprall.
Dennoch erkennt Jon keine Veränderung in dem Blick des entschlossenen Gegners, was ihm stumme Zufriedenheit entlockt. Wann findet man schon einen Gegner, der einem erlaubt die eignen Grenzen auszuloten? Der nächste Angriff geht von Cyril aus, während Jon in einen tiefen Stand sinkt, das linke Bein über den Boden schiebend. Unerwartet tief verharrend parriert er den Hieb seines Gegners, schiebt sich dann an jenem vorbei, als die Klingen sich trennen und wechselt das Schwert in die linke Hand. Das Keuchen des Getroffenen ist Beweis genug, das der unübliche Angriff Früchte getragen hat. Da Jon seinem getroffenen Gegner kurz den Rücken zuwendet, als er diesen passiert, wendet er sich rasch und macht besonnen zwei Schritte zurück.
Jon wechselt die Klinge wieder von der Linken in die Rechte und blickt zu seinem Gegner, der von dem Treffer leicht zittrig wirkt. Er selbst atmet ebenfalls in raschen Zügen, sein Blut pulsiert in den Adern und er lechzt regelrecht nach dem nächsten Schlagabtausch. Tatsächlich ist die Wut mittlerweilen gewichen.

Cyril gibt beim nächsten Angriff seine Abwehr auf, was Jon ihm nicht verübeln kann, immerhin muss er zwei Treffer aufholen. Er würde nicht anders verfahren, um den leicht geschwächten Körper nicht mit Parade zu fordern. Der Schild kommt dem jungen Recken in die Quere und ihm bleibt nichts als eine träge Piruette zu wagen. Die stumpfe Klinge streift seine gepanzerte Seite, jedoch verhilft ihm der Streifhieb auch zu einer besseren Position, um sich für den Schlag zu revanchieren. Cyril winselt und knickt leicht zur Seite, deckt aber dennoch die getroffene Partie mit dem Schild, was nur wieder die Erfahrung des Kriegers demonstriert.
Jon hält Abstand und beobachtet den Getroffenen lauernd. Cyril lehnt sich leicht vor, den Schild gesenkt, als wolle er aufgeben, stößt sich aber von einem der festen Steine auf der Wiese ab und gerät schwungvoll in Hiebnähe. Der Wechsel von Flinkheit zu roher Krafteinwirkung zwingt Jon die Klinge abfedernd zu heben und mit dem Arm zu stützen. Dennoch bringt ihn die Wucht des Metallschildes aus dem Konzept und schwächt seine Deckung, wodurch ein schwacher aber treffsicherer Hieb des älteren Recken ihn streift.
Er macht zwei rasche Schritte zurück und verschnauft ebenso wie sein Kontrahent. Vielleicht wäre er noch einen Moment länger so verweilt, wenn er nicht die provokant interpretierten Worte des Recken gehört hätte. »Na... komm... Büb...« setzt dieser keuchend an, woraufhin Jon sich rasch wieder nähert. Es kommt zu einem letzten, offensiven Schlagabtausch, bis Jon eine Schwäche in Cyril's Deckung findet und ihm den Schwertknauf in die Bauchgegend hiebt. Seine Position begrüßt diesen Hieb, auch wenn ein Streich mit der abgestumpften Klinge wohl noch verheerender gewesen wäre. So raubt er dem Älteren das Gleichgewicht und die letzte Kraft, worauf dieser rücklings ins Gras fällt. Der Aufprall ist dumpf und wuchtig und dank der schweren Rüstung macht der Krieger nicht den Anschein sogleich wieder aufzustehen. Aus Gewohnheit heraus und weil es die Regeln in Tunieren so wünscht reckt Jon den Schwertarm und zeigt mit der Spitze zu Cyril hinab. Dieser ergibt sich, sicherlich nicht auf die Geste zu schulden erst leise und dann fester. »Ich ergebe mich.«
Jon zieht die Klinge zurück und scheidet sie routiniert, bevor er dem Liegenden die Hand anbietet. Cyril wehrt jedoch ab, stur wie er eben ist und Jon nimmt es hin, wenn auch nicht sonderlich glücklich. In gewisser Weise ist es ein Zeichen, das man dem Anderen nicht grollt und wäre er selbst am Boden gelegen hätte er die Hilfe sicherlich angenommen.

Auf dem Weg zurück erhält er schließlich seine Antwort. Die Wut ist gedämpft und vergangen. Zumindest bis zu einer weiteren Provokation. Jon spürt das Nachhallen des Triumphes und des Kampfes. Er weiß, das dieses Gefühl nicht lange anhält, weswegen er versucht sich für einen Augenblick darauf zu besinnen und daraus zu schöpfen. Er fühlt sich entschlossener, stärker und auf eine Weise Selbstbewusst, die er vermutlich als Außenstehender als Arroganz verurteilen würde. Vielleicht gerade aus diesem Grund fühlt er sich ein weiteres Mal, als hätte sein Herr ihn geprüft. Offensichtlich zieht sein Dienstherr an den richtigen Strängen. Denn das einhergehende Gefühl scheint nicht falsch zu sein.
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Das Gastgeschenk - von Jonathan Silberfels - 16.09.2015, 23:09
Reinigung - von Jonathan Silberfels - 08.10.2015, 20:07
Bewältigung von Wut - von Jonathan Silberfels - 22.10.2015, 12:43
Vor der Parade - von Jonathan Silberfels - 08.11.2015, 18:25
Aus der Vergangenheit - von Jonathan Silberfels - 29.11.2015, 16:58
Die Musterung - von Jonathan Silberfels - 07.01.2016, 10:52
Durchhaltevermögen - von Jonathan Silberfels - 13.01.2016, 12:30
Bereitschaft - von Jonathan Silberfels - 15.01.2016, 11:22
Auf der Zielgeraden - von Jonathan Silberfels - 26.01.2016, 14:37
Am Ziel - von Jonathan Silberfels - 22.02.2016, 18:23



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