Orange und blutrot, das Leben als Knappe
#5
Der Regen prasselt sanft gegen das Fenster neben ihm. Jon spürt einen leichten Zug, aber stört sich nicht daran. Das windige Zimmer der Herberge ist ihm allemal lieber als sein Zelt. Trotzdem erinnert ihn das pfeifende Geräusch des Windes und das Klappern eines Fensterladens an den aufziehenden Sturm. Die Geräusche werden alsbald von einem gedämpften Lachen übertönt, als ein paar der Herrschaften sich lautstark amüsierten. Ein paar Seelen hatten sich an diesem kühlen Abend zusammen gefunden, um das schlechte Wetter mit Gesellschaft zu überspielen. Tut er im Grunde nicht das selbe?

Die freien Abende werden immer seltener, dank all der Vorbereitungen also hatte Jon die wenigen Stunden Freiraum genutzt, um den Tempel in Löwenstein zu besuchen. Aus reiner Routine hat er einige Silberstücke mit gebracht und in die Spendenschale geworfen, um einen Großteil seiner Beute seinem Gott zu überbringen. Andächtig nahm er in der prunkvollen Halle eine knienede Position vor dem Altar ein und zeichnete ein Sonnensymbol auf die Brust. Es kam ihm ganz gelegen, das keiner der Legionäre oder Priester anwesend war.
»Mithras, mein Führer, mein Schild. Höre deinen einfachen Gläubigen an.« murmelte Jon mit festen, bittenden Worten.
»Ich bitte dich untertänigst, das du deinen schützenden Blick von mir nimmst und auf meinen Dienstherren richtest. Er folgt nicht dem wahren Glauben, aber sinnt ebenfalls nach Ordnung. Ich möchte dich anflehen, dass du nimmst, was ich dir dar bieten kann und es nutzt, um ihn zu schützen. Verfüge über mein Herz, meinen Willen und mein Leben, auf das ihm kein Übel geschehe.
Sei sein Schild, oh Herr.«

Zuletzt zündete er eine mitgebrachte, dickbäuchige Kerze an und stellt sie unaufdringlich an den Rand des Altars. Jon verharrte noch eine ganze Weile mit tief geneigtem Haupt vor dem Altar, mit seinen Gedanken alleine.
[Bild: kf6tvufy.gif]


Wenige Stundenläufe später sitzt er in dem Zimmerchen, das er für die Nacht angemietet hat und lauscht ein weiteres Mal dem Johlen der angeheiterten Gäste. Er spürt den Mond, der durchs Fenster dringt und versucht die Zeit abzuschätzen.
Das Gebet hat ihn erleichtert, so wie ihn hoffentlich die kommenden Stunden erleichtern werden. Viele Dinge beschäftigen ihn die Tage, zu viele. Er muss Zerstreuung finden, um seinem Herrn eben der Knappe zu sein, den er auszubilden versucht.
Auch wenn er tiefes Vertrauen zu Saresh hat und hinter seinem Vorhaben steht, muss er sich selbst mit gelöstem Verstand und festem Willen der Situation stellen. Jon möchte ganz und gar bei ihm sein, fokusiert auf jeden Blick und jede Geste seines Herren, um stumm seine Befehle ausführen zu können. Um für ihn zu kämpfen, zu töten und zu sterben. Was war sein Leben schon wert, wenn er es im Zweifel für eine größere Sache opfern konnte. Für die Stellung seines Dienstherren als Ritter, als Führer der Greifenschar und als Khan des Stammes. Er könnte es nicht verantworten und mit dem Gewissen leben, wenn er dem kleinen Sharun seinen Vater nehmen würde.
Jon fokussiert sich auf diesen einen Gedanken und versucht jeden Zweifel und jede Furcht auszublenden. Er hatte geschworen ihn zu schützen und ihm loyal zu dienen und eben das war seine Aufgabe in kommenden Tagen.

Er ertappt sich dennoch mit der Frage, wie er jemals solche Entscheidungen treffen könnte. Würde er eines Tages fähig sein seine Krieger in einen Kampf zu schicken, der ungewiss ist? Sie dazu bringen ihre Geliebten zurück zu lassen und ihre eigenen Ansichten zurück zu stellen?
Jon beneidet Saresh um dessen Direktheit, um seine starken Führungsfähigkeiten und das gieren nach Blut zu seinem Zwecke. Vielleicht würde Jon eines Tages selbst so denken können, aber jetzt ist nicht die Zeit zu Zweifeln.
Vielmehr ist es Zeit seinem Dienstherren blind zu folgen. Seine zweite Klinge zu sein, sein zweiter Verstand. Vielleicht ist Jon aus diesem Grund auch heute hier.

Ein leises Rascheln am Flur lockt seine Aufmerksamkeit. Jedoch bestätigt erst das sachte Klopfen seine Sinneswahrnehmung. »Herein.« verlangt er kehlig und wundert sich über den Ton seiner eigenen Stimme. Die Türe wird geöffnet und eine junge Frau tritt in den Kerzenschein. Sie hat vielleicht ihr zwanzigstes Lebensjahr erreicht und trägt ein schlichtes aber schmeichelndes Kleid. Mit einer sanften Berührung schließt sie die Türe und wendet anschließend zu ihm. »Ihr habt nach mir verlangt, Herr Silberfels.« erkundigt sie sich mit wohlklingener Stimme. Die Unaufdringlichkeit und Zartheit der Frau beruhigt ihn insgeheim. Vielleicht kann er seinen Verstand beruhigen, wenn sich das Freudenmädchen ein wenig wie eine manierliche Dame benimmt.

Die Stille beherrscht den Raum, während Jon sie aus seiner sitzenden, leicht breitbeinigen Position von der Bettkante aus mustert. Er schließt einen Moment die Augen und schiebt alle Zweifel sowie sein Gewissen beiseite. Sein Herr betont immer wieder, dass er seinen Kriegern den Moment vor dem anstehenden Kampf gewährt, um jeden Rückhalt und jede Ablenkung zu beseitigen. Für die Juren bedeutet das auch, den Körper vollständig entlasten, auf das keine leibliche Begierde ihn ablenkt.
Bisher wollte sich Jon aus dieser Aufforderung winden. Nicht nur weil er es verwerflich findet, sondern auch weil sein Herz einer Anderen gehört. Auf der anderen Seite ist es ebenso verwerflich sie zu drängen, denn sie hat Respekt und Zärtlichkeit verdient ohne jede Hast.

Die meerblauen Augen des Mädchens flackern, als sie die filigranen Finger an ihre Schultern legt und das hübsche Kleid dort vertreibt, bis der weiche Stoff zu ihren Knöcheln zusammen sinkt. Sie steigt grazil über das Kleid hinweg und kommt auf ihn zu. Jon streckt die Hände aus und umfasst sie an der Taillie, als sie sich auf seinen Schos setzt.
Es ist Zeit den Forderungen und Gepflogenheiten seines Herren gänzlich zu vertrauen.
Und so dreht er zwar den Kopf weg, als die fremde – wenn auch schöne Frau – ihn küssen will, packt sie aber stattdessen an der Hüfte und wirft sie aufs Bett. Er stört sich nicht an dem Blick der Frau in Richtung Nachttisch, wo ein gut gefüllter Beutel Silber auf sie wartet, sondern konzentriert sich ganz auf seinen Körper, bis sein Verstand nachgibt.
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