Orange und blutrot, das Leben als Knappe
#2
Der letzte Betrunkene stolpert über den matschigen Marktplatz von der Taverne aus nach Hause. Jon erwacht sogleich aus dem Döszustand. An Schlafen war nicht zu denken. Vom Dach her und draußen hört er noch das sachte Rieseln der Regentropfen. Eigentlich ein überaus beruhigendes Geräusch, wäre er nicht in einer Spelunke in Rabenstein.
Das düstere Zimmer der Herberge in dem er liegt ist spärlich möbliert. Darüber hinaus haben die Möbel hier auch schon bessere Zeiten erlebt. Ein zerfetzter Vorhang flattert vor dem milchigen Fenster, das dringend geputzt werden müsste. Das Bett knarzt und die durchgelegene Matraze gibt leicht nach, als er sich bewegt. Was dazu führt, dass der warme Körper gegen ihn kippt und ihn am Aufstehen hindert. Er spürt die weichen, zutraulichen Finger an seiner Flanke und zuckt zusammen. Bei Mithras, beruhige dich!
Trotzdem beschleunigt sich seine Atmung und er verspannt sich. Er verspürt einen Schmerzensstich und schiebt es auf seine verletzte Schulter. Als er diese leicht bewegt und sich von dem Frauenkörper ausweichend weg dreht muss er feststellen, dass der Schmerz unmöglich von seiner Schulter stammen kann. Ganz abgesehen davon hat er genug Schlafmohn intus, dass er die Schulterpartie kaum noch spürt. Er spürt den fremden Atem an seinem Nacken und eine vage Berührung zwischen den Schulterblättern, wo er im Moment kaum Gefühl hat.
"Komm schon. Stell dich nicht so an, mein Schöner." säuselt die fremde, rauchige Stimme.

Als die fremden Finger verdächtig an seinem Bauch hinab krabbeln steigt in Jon Übelkeit auf. Er greift das fremde Handgelenk und zieht es ein Stück empor. Der Griff ist nicht herrisch genug, weshalb die Frau sich dagegen strebt. Jon spürt etwas Weiches an seinem Rücken und zieht beharrlicher an der Hand, als sein Bauch sich zusammen krampft.
"Hört bitte auf." sagt er möglichst diplomatisch und dreht sich auf den Rücken, um die Frau ansehen zu können. Sie ist mit unauffälliger Schönheit gesegnet, einer Stubsnase und weichen Gesichtszügen. Im Dunklen sucht er ihren Blick und reagiert zu spät, als sie sich auf ihn setzt. Die festgehaltene Hand greift nach seinen Fingern und drückt seinen Handrücken in das pieksige Kissen. Das plötzliche, kalte Gefühl an seinem Bauch versetzt ihn in Alarmbereitschaft. Keine Dosis Schlafmohn der Welt oder Dunkelheit könnte ihn täuschen. Die Klinge des Dolches ist recht stumpf, sonst hätte sie ihn schon längst verletzt, so druckvoll wie sie aufliegt.

"Wo versteckst du dein Silber?" fordert die ansehnliche Dirne, die weichen Züge zu einer unzufriedenen Fratze verzogen. "Du wirst mich bezahlen und das Zimmer gleich dazu, wenn du schon meine Zeit verschwendest. Ich hätte an dem Abend drei Freier haben können!"
Der Druck der Klinge erhöht sich und Jon hebt rasch die freie Hand entwaffnend. Wenn sie noch länger zu drückt wird sie ihn verletzen und er möchte nicht herausfinden welche Entzündung ihm das Messer beschert.
"Ich bezahle euch selbstverständlich. Nichts anderes hatte ich vor."
"Dann tu das. Ich bin mir dir fertig." brummt die Frau, woraufhin der Druck nach lässt. Im Gegenzug bewegt sie sich prüfend auf seinem Schos. "Eine Schande ist das."
Jon schnauft ein, wagt es aber nicht sich zu bewegen. Sie lächelt verbittert und hebt dann das Bein, um von ihm zu steigen. Jetzt erhebt er sich wachsam aus dem Bett und tastet nach seinem Bündel, das manierlich auf dem einzigen, wackligen Stuhl abgelegt wurde. Als seine Finger den klimpernden Beutel berühren hört er wie sie sich erhebt. Ihr warmer Körper nähert sich seinem und schmiegt sich an seinen Rücken. Er erstarrt und bewegt die Hand nach hinten, um den befüllten Lederbeutel zwischen sich und ihren Bauch zu bringen. Sie schnaubt abschiedlich, packt ihr knapp bemessenes Kleid und verschwindet ohne ein weiteres Wort aber mit einem bedauernden Blick aus dem Zimmer.

Kaum, dass sie den Raum verlassen hat knallt Jon die Handfläche gegen die Wandvertafelung und flucht. Die Anspannung, die er eigentlich los werden wollte hat nur noch mehr zu genommen.
Was ist nur los mit dir?
Er lehnt sich an die Wand und fährt sich durch die zerzausten Haare.
Spät in der Nacht, als seine Suche nach Maria Hochau wieder keine Früchte getragen hatte war er noch mutig gewesen. Das Mädchen war im ersten Moment aufmerksam und süß, vielleicht hat sie es von klein auf gelernt sich ihrem Freier anzupassen? Sogar das Gespräch war kurzweilig und recht manierlich, wenn man überlegt was man sich über das Lehen erzählt. Sie hat ihm Avancen gemacht – natürlich, immerhin ist sie eine Hure – und ist ihm aufs Zimmer gefolgt. Kaum, dass sie allein waren verhungerte sein Mut. Jede Berührung brannte unangenehm auf seiner Haut. Er selbst war nicht im Stande sie meht als zwei- oder dreimal zu berühren. Sein Herz stach und sein Verstand gaukelte ihm ein anderes Gesicht vor. Das Gesicht einer Frau, die er nicht haben konnte. Deswegen ja die ganze Situation. Das Ganze, um dann einen Rückzieher zu machen? Er ärgert sich über sich selbst und verflucht den Schlafmohn, der den tief sitzenden Schmerz nicht übertönen kann. Anscheinend lässt Ravinsthal die Bewohner und auch die Gäste verkommen. Das Fluchen scheint hier eine erleichternde Wirkung zu haben.

Langsam und unzufrieden sammelt er seine Habseligkeiten zusammen und kleidet sich an. Er hüllt sich wieder in Leder und den erdbraunen Kapuzenumhang, um in dem Dorf nicht mehr als nötig aufzufallen. Die Kapuze zieht er sogleich über den Kopf, als er die Herberge verlässt und über den matschigen Platz zum Stall geht. Sein Pferd reckt sogleich den Kopf, als es ihn hört. Er streichelt Mond versöhnlich über den Hals, der ihm sogleich die Schnauze entgegen reckt. Sogar das Pferd spürt die bedrückte Stimmung. Mit routinierten Handgriffen sattelt er das Tier und führt es aus dem Stall. Die Witterungsbedinungen und der kalte Morgen versprechen regelrecht ein dreckiges Fell, das er in mühsamer Arbeit wieder säubern darf.
Immerhin würde es ihn eine Weile beschäftigen, wenn er zurück in Greifanger ist. Sein Herz sehnt sich nach der ländlichen Idylle.
Eigentlich hoffst du doch nur sie wieder zu sehen..
Rasch vertreibt er den Gedanken, sattelt auf und blickt nochmals durch die dunstigen Gassen des Dorfes, bevor er sich auf den Weg macht. Jon kann nur hoffen, dass sein Herr in Greifanger ist und zu Kampfübungen aufgelegt ist. Das wäre genau das Richtige, um den Kopf frei zu bekommen.
"Auf nach Hause, Mond." raunt er zu seinem Pferd und treibt es außerhalb der Stadt zum Galopp an, bis ihm die Regentropfen abkühlend ins Gesicht prasseln.
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