Jugendsünden 1393
#10
„Das meinst du nicht ernst.“ „Wann warst du das letzte Mal in Guldenach, Gwendolyn?“ „Aber.. aber du siehst aus wie eine Erfindung von Onkel Janusch. Kann ich da dran ziehen? Drehst du dich dann im Kreis? Uh, was ist das? Es blinkt! Hallo Blinki! Und die Ärmel! Siehst du überhaupt noch drüber? Hat man das so in Guldenach?“ Alma wandte sich eingeschnappt ab und wechselte klirrend, glitzernd, raschelnd, klappernd und glänzend die Kirchenbank, nur um sich in blendender Opulenz dann direkt vor Gwendolyn niederzulassen. Noch weiter vorne stand in all seiner festroblichen Pracht Albert. Neben ihm hätte wohl Silendir untergehen können und er hätte sich nicht gerührt. Gwendolyn lauerte darauf, die Wirkung des Juckpulvers an einem lebenden, menschlichen Objekt zu beobachten, ahnte aber Übles. Noch rührte der Vetter sich enttäuschend wenig. Aber es gab auch so genug zu schauen.

Ihre Eltern waren reihenweit weg, weil Gwendolyns Vater Onkel Linharts Glaubensbürge war und schon bei dessen Kleiner Indoktrination einst mit stolzgeschwellter Brust neben Linhart verweilt hatte, als dieser offiziell in die Reihen der Gläubigen aufgenommen worden war. So auch heute, als Linhart in die Reihen des verheirateten Volks aufgenommen wurde. Welf und Lucius allerdings verharrten in all ihrem weißblauen Festaufzug direkt hinter ihrer Schwester. Sie konnte nicht umhin, Welfs Chuzpe zu bewundern. Nur ihr Bruder schaffte es, ins Stroh zu kotzen, weil er verbotenerweise an einer Pfeife gezogen hatte, sich stundenlang kleinlaut zu verkrümeln und dann mit einem Aufzug, der an den Ganzkörperschlafanzug eines Hofnarren erinnerte, wieder aufzutauchen. Hemd und Hose waren aus demselben Stoff und die Hosen waren noch dazu viel weiter geschnitten, als es üblich war. Das Faszinierende war, mit welcher Selbstverständlichkeit er ihn trug und dass er auch noch damit davonkam. Sie hatte schon einen Pulk älterer Großcousinen ausgemacht, die ganz eindeutig nicht angewidert auf ihren großen Bruder zeigten und dabei großcousinlich-erfahren raunten, wie nur ältere Mädchen raunen können, die etwas zu verbergen haben.

„Und darum sind wir heute zusammengekommen, um… !“

Ihre Aufmerksamkeit war überall, nur nicht bei der Predigt. Sich lange auf Reden zu konzentrieren, fiel ihr schwer. Albert rührte sich nicht vom Fleck. Verflixt noch eins. Der Plan schien gescheitert.

„.. werden im Sinne Mithras‘ erzogen werden, wie schon so viele vor ihnen.“

Heiraten. Kinder kriegen. Ob das nun wirklich das Gelbe vom Ei war, wie alle immer taten? Heiraten schien es erforderlich zu machen, ein Korsett anzuziehen. Das sah zunächst einmal gräulich unbequem aus. Aber vielleicht ließ sich das umgehen. Man müsste etwas finden, das kein Korsett erforderte. Meisteralchemistin in Guldenach werden zum Beispiel. Beraterin des Königs in Gelehrtenfragen! Hofarchivarin! Bezahlte Schmähbriefschreiberin! Vorkosterin. Bei Titus Falkenstein gab es bestimmt jeden Tag Rebhuhn und Knödel, Cremetorten und ganze Tempelgebilde an Keksen.

Almas Bänder lenkten ihre Gedanken zurück in die Gegenwart. In allen denkbaren Blautönen zwischen Stiefmütterchen und Gewitterhimmel baumelten sie unterschiedlich lang vom Rücken der Base und verzierten ihr Angeberkleid. Dem Blumenschmuck am Kopf der Bänke waren Bänder verpasst worden, die etwas weniger offensiv um die Aufmerksamkeit des Betrachters buhlten. Geistesabwesend fing Gwendolyn an, sich die Leinenbändchen um die Finger zu wickeln, bis ihre Hand völlig einbandagiert war und aussah wie die einer wüst Verletzten. Aber einer modebewussten mit blauen Bandagen. Ah! Man könnte aber auch…

„Mama! Gwendolyn hat mich angeflechtet!“ Ein dumpfes Plumpsen, als der cousinliche Hintern wieder auf die Bank traf, abgefedert von mehreren Lagen Organza. Das Greinen ging in dem bienenstockartigen Summen gutgelaunter Veltenbruchs unter. Und bevor man die geläuterte Handarbeiterin aus der Menge zupfen konnte, war sie schon in einem blauweißen Kleidermeer untergetaucht und heftete sich an Viktors Fersen. Er hatte sich die ganze Predigt lang nur ein einziges Mal umgedreht und wohl wie sie bemerkt, wie wenig effektiv der Juckpulverjux gewesen sein musste. Woran lag es nur? Vielleicht war das Juckpulver zu wenig frisch gewesen? Beinah war sie auf seiner Höhe, hielt schon die Hände in Position, um ihn von hinten in die Seite zu zwicken, als sie den Boden unter den Füßen verlor, weil man sie hochhob.

„Na, Zwerg?“ „Pscht, Papa! Nicht vor den anderen!“ Der Vater schien sich keiner Schuld bewusst, hielt sie weit genug von sich, um von ihrer ungeduldigen Strampelei nicht behelligt zu werden und lachte, als er sie wieder absetzte. Die Kindertriangel – Welf und Lucius hatten sich durchbugsiert – gesellte sich dazu und man trieb gemächlich wie menschliches Treibholz Richtung Brautpaar. Als Gwendolyn den Feuerschopf drehte, sah sie Alma mit puterrotem Kopf aus der Kirche stolzieren. Ihren eigenen zog sie wohlweislich wieder ein.

Nach dem Gratulationstamtam kümmerte man sich um die knurrenden Bäuche. Welf war in Kürze von den Großcousinen umringt, die ihn um einen Kopf überragten, aber offenbar befanden, er wäre der amüsanteste Kerl zwischen hier und Indharim. Lucius stand peinlich berührt daneben und schaufelte sich Kuchen in den Rachen. Die kleine Schwester verzichtete darauf, Welfs erstunkenen und erlogenen Geschichten zu lauschen, die ihn wenig überraschend immer glänzend dastehen ließen und wanderte zu einer Bankansammlung am Rande des Festplatzes, um sich ihrem Teller zu widmen. Wer immer auf die Idee gekommen war, das Eigelb im Spiegelei durch sattgelbe Buttercreme zu ersetzen und das Weiß aus Windgebäck zu formen, war ein verflixtes Genie.

Endlich. Ihr Spießgeselle ließ sich auch einmal wieder blicken. „Bah.“ Als er sich das Spiegelei in den Mund schaufelte und gleichzeitig redete und aß, kamen ihr die verspeisten Süßigkeiten wieder hoch. Kein bisschen Tischmanieren, der Junge! Selbst essen musste bei Viktor ein Akt der Auflehnung sein. Er musste einfach um die Burg zeigen, wie viel lässiger er war. Sein wollte! Jungs.


Ihr Kampflächeln erstarb, als Albert am Rand der Bildfläche auftauchte und sie wieder verließ. Gwendolyn beschloss, sich nicht unterbuttern zu lassen. „Dann weiß er halt Bescheid. Ich hab einen Plan.“ Viktor schaute auf sie herunter. Sein Gesichtsausdruck war zweifelnd zu nennen, wenn man guten Willens war und ungläubig, wenn das Gegenteil der Fall war.

„Dein letzter Plan ging mit Karacho in die Hose.“
„Mach’s halt besser!“
„Mach ich auch!“
„Ach ja?!“
„Ja!“

Verbissenes Schweigen. Sie fing wieder an.

„Du hast überhaupt keinen Plan!“
„Wohl!“
„Ach ja?!“
„Jaha!“
„Dann sag!“
„Dir nicht!“
„Dämlack!“
„Gans!“
„Selber!“
„Das geht nicht!“
„Wohl!“

Ihr schwante, dass es im Augenblick vielleicht nicht so wichtig war, über die Zulässigkeit von Beleidigungen zu sprechen. So murmelte sie verhalten:
„Hör zu. Wir machen’s mit Katzen.“
„Hä?“

Sie winkte ihn auf Verschwörerart auf die Bank und schaute sich viel zu auffällig um. Er setzte sich gegenüber hin und flüsterte gequält:

„Schau nicht so! Jeder Erwachsene sieht dir auf einen Blick an, dass wir was ausfressen.“ Ertappt nutzte sie die Hände als Scheuklappen und raunte eindringlich.

„Katzen! Wir holen uns Baldrian aus dem Keller, ich kipp’s in einen Becher und wir schütten es auf Alberts Robe drauf! Dann zieht er Katzen an wie der Honig die Fliegen und kann nicht reden, weil sie ihn anmiauen. Wirst sehen, das wird ganz groß!“
„Das ist ein blöder Plan. Da kann ja alles schiefgehen! Da sehen uns ja tausend Leute! Außerdem ist das viel zu auffällig, wenn wir den anschütten!“
„Dann.. geb ich’s Alma und wir rempeln sie nur!“
„Das ist *noch* viel auffälliger! Du denkst zu kompliziert. Ich hab ‘nen todsicheren Plan.“ „Ach ja?“
„Ja.“
„Ja?!“
„Willste ihn nun hören?“
„Wenn’s sein muss!“
„Mein Vater hat da was gebastelt..“

Neidvoll musste sie sich eingestehen, dass er diesen Punkt für sich entschied. Alchemie war unglücklicherweise doch nicht die Antwort auf alles. Manchmal suchte man sein Heil besser im Offensichtlichen. Der gemeine, aber tröstende Gedanke waberte ihr durchs Hirn, dass simple Gedanken ja auch zu simplen Geistern passen. Das Genie wurde eben verkannt, das war ja überall und immer so.

„Du links, ich rechts. Das braucht nur einen Zug an den Kordeln im richtigen Moment. Und dann tauchen wir unter die Bühne. Perfekt. Keiner wird uns da unten finden und das Gewächszeugs an der Bühnenseite gibt uns Sichtschutz. Der Vorhang rauscht auf ihn runter, der Käfig geht auf und die Tauben fliegen los, wie Vater es wollte. Nur nicht in dem *Moment*, in dem er’s wollte. Danach wird keinen mehr sein ödes Traktat interessier’n, alle jubeln und das hat er nun davon, der Verräter. Wenn wir Glück haben, lassen die Viehcher noch was fallen.“

„Ich will rechts sein.“

„Musst du immer das letzte Wort ha..?!“

„Ja.“
[Bild: Gwendolyn-Signatur.png]
Toast can never be bread again.
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RE: Jugendsünden 1393 - von Gwendolyn Lucia Veltenbruch - 31.01.2016, 18:23



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