Jugendsünden 1393
#3
„Langes Fädchen, faules Mädchen“, feixte Cousine Alma hämisch von gegenüber. Gwen gab vor, sie nicht gehört zu haben und mühte sich mit heißen Fingern weiter daran ab, den viel zu langen, dicken Faden in das dünne Nadelöhr zu schieben. „Wir besticken die Hochzeitsdecke!“, hatten sie gesagt. „Wird ein Spaß!“, hatten sie gesagt. Pah. Spaß. Sehnsüchtig schaute die 12-Jährige aus dem Fenster. Welf rannte draußen mit einer Promenadenmischung, die er Mithras weiß wo aufgegabelt hatte, um die Ecke. Er hatte ihr einen sonnenlegionärlichen Umhang gebastelt, der täuschend echt aussah aus der Ferne. Lucius schien ihn grade auszuschimpfen für seine Freveltat, aber der ältere Bruder verwickelte ihn in eine Rauferei, anstatt mit ihm zu diskutieren. Nichts Ernstes, soweit Gwen das beurteilen konnte. Welf wusste eben, wo seine Stärken lagen.

Es war warm in der Stube. Vierzehn Köpfe in unterschiedlichsten Rottönen beugten sich über das satte Weiß der Decke. An allen Ecken herrschte Geplauder und Gelächter vor. Man fühlte sich wohl miteinander, man kannte sich gut und vertraute einander. Gwen kannte es nicht anders. Und trotzdem wünschte sie sich zum zweiten Mal fort. Wenn der blöde Faden nur nicht so widerständig wäre! Sie schaute neidisch nach links und rechts, wo zwei ältere Veltenbruchtanten im flotten Tempo der erfahrenen Näherinnen dahinstickten, als gäbe es kein Morgen. Die brauchten nicht mal hinsehen!

Das Korn draußen wogte und es wäre ein perfekter Tag gewesen, Welf auf dem gemähten Feld drüben bei einem Wettrennen abzuhängen. Sie hätte auch gerne mit Weidenrinde herumgepanscht oder sich überlegt, wie man Wachs schneller zum Schmelzen brachte. Wie gerne hätte sie sich in die Küche verkrochen und dem Geschwätz der Mägde gelauscht, die stets skandalöse Geschichten über ruchlose Mondwächter zu berichten wussten, die sich nicht um Recht und Ordnung scherten. Wenn sie sich still genug verhielt, vergaßen sie nach einer Weile ihre Anwesenheit. Irgendwann verkroch sie sich dann meistens mit roten Ohren unter dem Kachelofen, schlief ein und erwachte, weil es nach Brot roch. Was war schöner als das? Vielleicht hätte sie draußen auch Lucius überreden können, mit ihr Fangen zu spielen. Er hielt sich ja zu alt für solche Kinderspielchen, aber wenn sie ihm lang genug auf der Nase herumtanzte, ließ er sich doch gutmütig breitschlagen. Das war eine von Gwens Stärken. Sie kriegte immer, was sie wollte. Wenn nicht grade Cousine Alma zu Besuch war, weil ein großes Familienfest bevorstand, war sie das Nesthäkchen am Hof. Ihre Brüder und gleichaltrigen Cousins waren noch die resistentesten, die konnte man nicht so leicht um den Finger wickeln. Am einfachsten war Onkel Janusch. Ob es nun eine Hütte im Wald zum Spielen war, Schmuck aus Holz oder eine Angel – Gwen brauchte nur fragen. Sie liebte Onkel Janusch dafür heiß und innig und der kauzige Onkel dankte es ihr mit Erzählungen über allerhand verrückte Erfindungen. Jedes Mal versprach er ihr, er werde ganz bestimmt am selbstdrehenden Kochlöffel weiterforschen. Janusch würde auch bald anreisen. Und mit ihm Viktor, Gwendolyns gleichaltriger Cousin. Dauernd zündelte er herum während der Alchemielektionen, die sie manchmal gemeinsam erhielten. Während Gwendolyns Hand ständig in die Höhe schnellte, interessierte Viktor sich nur für Flammen, Zunder und Wachs. Dabei war er gar keine schlechte Gesellschaft und rennen konnte der auch.

Und sie saß hier drin und bestickte diese öde Decke, wo sich doch so viele andere Möglichkeiten zur Beschäftigung geboten hätten! Alle sollten sie mitmachen, hatte es geheißen. So verlange es die Tradition. Jede solle ein Stück von sich hineinlegen, jede gab ihr Bestes und es tat nichts, wenn das Beste nur ein Saum war wie bei Gwen. Alma hatte sich eben über das Hochzeitsgeschenk gebeugt und zeigte ihrer Mutter die Stelle, für die sie verantwortlich war. „Schau, und das da ist Onkel Linhart! Und da bist du, die da vorne bin ich“ „Und was ist das für ein hübsches Pferd?“ Alma lachte kokett. „Aber Mama, das ist Gwendolyn!“ Die sprang wie von der Abyssnatter gebissen auf, wobei sie leider feststellen musste, dass Kreuzstich nicht ihre Stärke war. Statt den Saum einzunähen, hatte sie den Stoff der Decke an ihrem eigenen Rock festgenäht. Aber noch hatte es keine bemerkt. Jetzt bloß nicht auffallen! Zornesrot ließ sie sich wieder niederfallen. Eine liebevolle, mütterliche Hand streichelte ihr über den Karottenschopf. „Brav, Gwendolyn. Du lernst ja doch noch, dich zu beherrschen.“ Alma schaute sauertöpfisch drein. Gwen grinste auf ihren windschiefen Saum hinunter und nestelte unter der Decke mit einer spitzen Schere herum. Sollte Alma nur weiter Pferde mit Gwens Gesicht drauf sticken, lang würde es Gwen hier nicht mehr halten. War doch auch egal, was die fabrizierte. Nach der Hochzeit würde sie bald aus Gwens Dunstkreis verschwunden sein.

Währenddessen entspann sich ein Gespräch zwischen den erwachsenen Veltenbruchfrauen, die unterdrückt sprachen, obwohl sie unter sich waren. „Habt ihr gehört? Albert wird kommen.“ Tante Theresia, die Schneiderin und in vielen Aspekten Gwens Vorbild war, schaute auf und kommentierte knapp: „Der arme Tropf.“ Alma und Gwen warfen sich einen Blick zu. Jetzt hieß es, stillzuhalten, ehe den Erwachsenen wieder einfiel, dass sie sich vielleicht zügeln sollten. Da konnte man sich noch so spinnefeind sein, das durfte man nicht verpassen. Die Cousinen gaben sich größte Mühe, Interesse für die Decke zu heucheln, während sie die Ohren spitzten. Gwens Mutter äußerte sich: „Ich wünschte, Zerline hätte sich die Sache noch einmal überlegt.“ Jemand fragte, wo Zerline abgeblieben sei. „Betet“, war die lapidare Antwort. Keine sagte etwas. In einem mithrasfürchtigen Haus war es schließlich eine anerkannte Beschäftigung, seine Schritte zur Kirche zu lenken. Und doch lag da ein unterschwelliger Vorwurf in diesem einen Wort – „Betet“. Zerline hatte ihr Kind an die Kirche in Löwenstein gegeben, soviel wusste Gwendolyn. Die 12-Jährige machte sich wilde Vorstellungen zu dem weitgehend unbekannten Vetter Albert. Jemand seufzte. „Armer kleiner Albert, muss sich hierher plagen mit seinem schlechten Bein.. wir sollten uns gut um ihn kümmern.“ Man ermahnte sich gegenseitig, Albert die besten Stücke beim Essen zuzuschieben. Ihm sollte auch einmal etwas Gutes getan werden. Gwen schnappte auf, wie bewundernd man über den Vetter sprach. Er werde einmal ein großer Priester, da waren sich die Rotschöpfe im Raum ganz einig.

Eine Welle des Mitleids erfasste Gwendolyn. Eigentlich war sie bisher vor allem eins gewesen, wenn sie an Albert gedacht hatte: neidisch. Er verkörperte ein Musterbild, das den Kindern im Haus gerne vorgehalten wurde. Sie hatte den Verdacht das geschah vor allem auch deshalb, weil der gute Albert ja nie unter Beweis stellen konnte, ob er diesem Bild überhaupt entsprach. Natürlich war es leicht, zu sagen: „Kannst du nicht mehr wie Albert sein?!“, wenn der nicht einmal protestieren konnte. Gwen nahm sich vor, nett zu Albert zu sein. Er hatte schließlich nicht nur einen schlechten Fuß, sondern auch eine schlechte Mutter. Dagegen war ihr Leben schließlich ein Zuckerschlecken.

Die Tür flog auf, dann knallte es und ein scheußlicher Gestank breitete sich aus. Gwen jauchzte begeistert. Entrüstete weibliche Stimmen überschlugen sich, während Fenster aufgerissen wurden und Cousine Alma Würgegeräusche über der Decke machte, die eilig zusammengerollt wurde. Schweinemistbombe.. sie wusste genau, auf wessen Mist das gewachsen war und tauchte in der Aufregung ab, um den Unruhestifter zu finden..
[Bild: Gwendolyn-Signatur.png]
Toast can never be bread again.
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