Jugendsünden 1393
#2
Zwischen zwei Spiegeln zu stehen kann einem die Seele stehlen, hatte er die Wäschemagd einmal munkeln gehört. In diesem Moment glaubte Viktor daran, und wenn es ihm nicht die Seele stahl, so doch zumindest die Nerven. Die Tür zu seinem Zimmer stand sperrangelweit offen und in dem Raum gegenüber saß seine Mutter Melinda vor ihrem Frisiertisch und richtete sich die Haare. Er dagegen stand in seinem Zimmer vor dem Ankleidespiegel und warf ihr so immer wieder missmutige Blicke zu, die sie mütterlich weglächelte. Ihm fiel durchaus auf, dass das Lächeln immer schmaler wurde, als sich immer mehr ihrer Geduld abzureiben begann.
Janusch, sein Vater, und zu diesem Zeitpunkt lang über seine Toleranz dem Jungen gegenüber hinweg, stand neben ihm und zupfte das Hemd zurecht, das Viktor über gestreift hatte.
"Stell dich nicht an, Viktor. Ich hab es für dich gekauft, damit du auf Linharts Hochzeit was anständiges zum anziehen hast." Die Worte führten nur dazu, dass Viktor ihn finster anstarrte. Noch immer fummelte er an den Ärmeln herum, die so perfekt passten, dass es ihm ein Graus war.
"Du siehst bezaubernd aus, Schatz.", hallte es aus dem gegenüber liegenden Zimmer herüber.
"Ich verstehe nicht, warum! Ich habe gute Hemden. Und die sind allesamt schöner als das hier!" Wer mochte schon gestepptes Weiß-Blau? "Ich könnte das Rote anziehen?" Sein versöhnlicher Ton war ein Friedensangebot. Eine entgegen kommende Schmeichelei, um die Eltern davon zu überzeugen, dass hier doch alle an einem Strang zogen.
"Nein Viktor", schaltete sich wieder Janusch ein. "Das hast du erst letzte Woche bei deiner unsäglichen Kletterei in der Scheune der Dachhebers eingerissen, wie du sehr wohl weißt. Du wirst in den Familienfarben zur Hochzeit gehen. Wie alle."
"Albert nicht!"
"Albert kommt auch aus dem Tempel. Er hat das Rot der Kirche angelegt."
Albert hatte es gut. Der durfte im Tempel leben und bekam hautnah die Verehrung des Volkes zu spüren. Er durfte mit den Legionären leben und all den tollen Geschichten lauschen, die sie vom abenteuerlichen Kampf gegen Dämonen, Hexen und Drachen zu erzählen hatten. Er konnte es kaum abwarten mit ihm zu reden.
Viktor brummte vor sich hin. Das gefiel ihm alles nicht. Seit längerem schon spürte er in sich eine Unruhe, eine Unzufriedenheit mit der Situation, die ihm regelrecht unter den Fingern brannte. Seit kurzem brannten seine Eltern darauf, dass er, wie jeder tüchtige Veltenbruch ein Handwerk erlerne und sie hatten für ihn entschieden, dass dies die Alchemie sein sollte. Wie er es doch hasste. Tue dies im richtigen Verhältnis zu dem, lasse jenes zu jenem tropfen, seie das da durch das Sieb, stelle die Kerze unter das andere und oh bei Mithras leg das bloß wieder weg, Viktor! Solche Dinge hörte er täglich und sie hingen ihm zum Hals raus.
In letzter Zeit hatte er sich immer wieder weggeschlichen, zu Vater Joachimus, der nun aber schon seit Tagen weg war, um Albert aus Löwenstein abzuholen. Bei dem alten Mann konnte er ein wenig zur Ruhe kommen. Oder viel eher, seinen Unmut über alles und jeden in die Welt entlassen. Vater Joachimus war nicht einmal dann aus seiner heiter-ernsten Ruhe zu bringen, wenn Viktor Steine durch die Gegend trat. Den hätte es sicher sogar gefreut, wenn Viktor das rote Hemd angezogen hätte, Flicken am Ellenbogen hin oder her.
Viktor wehrte die zurecht zupfende Hand seines Vaters durch eine Drehung der Schultern ab und sah im Spiegel, wie seine Mutter sich die Haare hoch steckte. Sie hat es nicht leicht, dachte er. Seit Janusch sie geheiratet hatte, musste sie immer wieder beweisen, dass sie der Familie doch würdig war. Meist schaffte sie es ganz gut dadurch, sich als zuverlässige Arbeiterin zu präsentieren, aber gelegentlich, wenn sie Angst hatte, zu sehr wie die Schankmagd zu wirken, die sie damals nun mal gewesen war, protzte sie mit allem, was die Kosmetik, der Juwelier und der Schneider her gaben. Seine Mutter so um Aufmerksamkeit kämpfen zu sehen machte Viktor nur noch wütender.
„Die anderen müssen das sicher auch nicht! Sich so blöde raus putzen! Onkel Holger zwingt die nicht!“
'Die anderen'. Das waren schon immer die Geschwister Lucius, Welf und Gwendolyn gewesen. Seine Cousins und seine Cousine. Das Verhältnis war ein wenig gespalten, aber im allgemeinen verstand man sich. Vor einigen Jahren noch wurde man zum spielen immer zusammen gesteckt, freilich erst, wenn alle Pflichten erledigt waren, die man im jungen Alter so hat, und besonders mit Welf kam Viktor gut aus. Viktors Wut auf seine Situation ergänzte sich hervorragend mit Welfs Verständnis für Streiche und er sorgte, allein schon durch seinen Altersvorsprung, dafür, dass Viktors Streiche nicht allzu boshaft wurden. Lucius dagegen hielt sich meist etwas abseits. Er war einer der wenigen Veltenbruchs, der an der Waffe unterrichtet wurde und Viktor war schrecklich neidisch. Und dann war da noch Gwendolyn. Seine Cousine wurde auch in der Alchemie unterrichtet und bewies erstens größeres Talent und zweitens größeres Durchhaltevermögen. Mehr als einmal durfte er sich schon anhören, wie geschickt sie darin wäre.
„Die 'Anderen', junger Mann, sind deine Verwandten. Und die müssen auch nicht gezwungen werden, weil sie das von sich aus machen.“ Der tadelnde Tonfall war so wenig zu überhören wie er unbeabsichtigt war. Janusch hatte ein Talent dafür.
„Und überhaupt, Viktor, könntest du dir mal ein Beispiel an ihnen nehmen. Denk nur an die kleine Gwen. So ein liebes Ding und was für Fortschritte sie gemacht hat.“
Das Fass lief über. Viktor riss sich von den korrigierenden Händen seines Vaters los, zog das Hemd über seinen Kopf und warf es in die Ecke, wo es eine Hauskatze aufscheuchte, die eiligst das Weite suchte. Dann trat er gegen den Spiegel, der daraufhin an der unteren Ecke einen kleinen Riss bekam und stürmte davon.
Wie im Gleichklang seufzten seine Eltern enerviert. Melinda war sich sicher, würde sie jetzt ihr Haar nach grauen Strähnen untersuchen, so würde sie mehr finden, als ihr gut tat. Janusch starrte den Spiegel an. Das Ding war sündhaft, Mithrasvergib, teuer gewesen.
„Neue Stiefel wird er auch brauchen.“ Nebenan seufzte Melinda gleich noch einmal.
"Novizen, die ich segne, sind großindoktriniert. Nicht."
-Elian


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