FSK-18 Dämmerung
#2
Irgendwo, gar nicht fern, schrie jemand hektische Befehle, doch der Novize hörte sie nicht.
In den Tiefen des dichten Waldes, wo sich Sonnenlicht durch verwuchertes Geäst zwang und ein beständiges Zwielicht schuf, kündete ein bebender Herzschlag vom Erwachen einer Bestie.
Ein rhythmisches Donnergrollen, dessen Lanze geradwegs ins Herz der trügerischen Stille stieß und ihr binnen Augenblicken ein sangloses Ende bereitete.
Mit dem Mut der Verzweiflung stießen die dutzenden Mäuler der Bestie zwischen Bäumen und Sträuchern hervor, und präsentierten gefletschte Fänge aus blitzendem Stahl. Eine Axt hier, einen Spieß dort und selten einmal ein richtiges Schwert sah er in den Händen der Männer, die gekommen waren, um den versammelten Streitern der Reichsmacht den Tod zu bringen.
Sie schälten sich aus dem Dickicht, einer nach dem anderen, während ihre Kameraden weiter hinten Waffen gegen Schilde hämmerten und so die Streitmacht mit einem allgegenwärtigen Wall aus Lärm umschlossen.
Ein alter Kerl mit zahnlosem Maul, der mit einem Mal aus dem Nichts trat, war ihm der nächste Feind. Der Alte brüllte ihm etwas aus Leibeskräften entgegen, als er mit gehobener Axt auf den Novizen zustürmte, doch dieser gab nur Acht auf das wutentbrannte Gesicht mit dem weit aufgerissenen Mund und den wenigen verbliebenen paar Stummeln darin, und auf die Augen, in denen die Müdigkeit und Leere eines Todgeweihten sich spiegelten.
Ein paar Schritt weiter hinten hatte ein zweiter Räuber Stellung bezogen und spannte seinen Bogen. Kaum einen Augenblick später fand der erste Pfeil ungeduldig sein Ziel in der Brust der Mannes neben dem Novizen, und ein zweiter ließ einen roten Quell aus seiner Kehle springen.
Der Alte war bei ihm, ließ das Axtblatt niederfahren zu einem ungelenken Hieb, dem er einfach genug entgehen konnte.
Zwei schnelle Streiche folgten seinerseits und erzwangen einen raschen Sieg über einen unbemerkenswerten Gegner, doch bevor der Alte sich im Todeskampf die letzte Luft aus den Lungen schrie hatten weitere Gestalten die Bühne betreten. Zunächst ein Dutzend, darauf immer mehr.
Der Herzschlag der Bestie ertrank Stück für Stück im wilden, ungerichteten Schlachtenlärm, der sich in wütenden Wogen über das Wäldchen ergoss, wo Stahl, Holz und Fleisch aufeinandertrafen, bis er dem Tumult vor seinen Augen nur noch mit Mühe folgen konnte.
Kämpfer beider Seiten rannten durcheinander, riefen zu ihren Kameraden aus, erschlugen einander und starben.
Ein Holzschaft, der einem Pfeil gehören musste, schaute an seiner Schulter aus dem Kettenhemd heraus, und in all der Raserei, die um ihn herum tobte, nahm er sich einen stillen Augenblick, um das befremdliche Ding mit einiger Verwunderung und gefurchter Stirn zu beäugen. Der Rausch der Schlacht ließ das Blut in seinen Adern mit Hammerschlägen pochen und hielt ihn so fest ergriffen, dass er den Schmerz selbst in die Flucht schlug.
Der eigentümliche Moment des Ruhe inmitten des Sturms indes währte nicht sehr lang, denn kaum hatte er nach dem Schaft gegriffen waren bereits zwei weitere Männer auf dem Weg zu ihm.
Mit zittrigen Händen riss der Novize den Anderthalbhänder hoch und parierte mit angestrengten Hieben die Speerstöße seines ersten Gegenübers. Für den anderen kam ihm ein weiterer Streiter der Königstreuen zu Hilfe.
Den Speer schob er immer wieder zur Seite weg, doch der Brigant zog ihn schlicht zurück und setzte zu neuen Stoßen an, zum Kopf, zur Brust, selten zu den Beinen. Er versuchte den Speer zu greifen, doch der nächste Stich traf dafür nur seine Hand, und fortan blieb ihm nur die andere, um sein Schwert zu schwingen.
Ein weiterer beherzter Versuch brachte mehr Erfolg. Seine blutende Hand klammerte sich um den vorderen Speerschaft, doch Kraft der Gnade seines wallenden Blutes kümmerte er sich nicht um die schmerzende Wunde und tat stattdessen einen weiten Schritt in die erzwungene Öffnung, wo seine Klinge den Briganten suchte.
Sie fand ein Gesicht.
Scharfer Stahl biss sich geradwegs durch Fleisch und Knochen und hinterließ ein groteskes Gemisch aus Haut, Blut und Zähnen.
Der Mann wich zurück, presste eine Hand gegen die Wunde und hielt sich die Teile, die dort herabhingen, obwohl sie es nicht sollten. Ein befremdetes Glucksen kam von ihm zurück, dann blanker Zorn, der ihm aus den Augen der entstellten Fratze funkelte. Eine einsame Kerze inmitten einer Ruine.
Mit der blinden Tobsucht aller Dämonen der Unterwelt stürzte sein Widersacher sich mit gezücktem Dolch auf ihn, brachte ihn zu Fall und stocherte unter wüstem Gekeuche und Geschnaufe nach seiner Brust. Das Kettengeflecht dort bewahrte ihn vor mancher Wunde, aus anderen rann sein roter Saft und vermischte sich mit dem erdigen Waldboden.
Er schlug mit der verletzten Hand nach dem zerschnittenen Gesicht und traf es auch, suchte mit der anderen hektisch nach dem Schwert, das ihm beim Fall abhanden gekommen war, und bemühte sich sehr nicht zu schreien, als der Dolch ihn stach.
Die Musik des Schlachtengetümmels ringsum derweil begann sich zu wandeln, wurde ruhiger und setzte sich. Klirrender Stahl verschwand nach und nach aus dem Klangbild und Schritte kamen hinzu.
Endlich hörte der Novize es ebenso. Ein Hornstoß von weiter hinten, von der Brücke, der den Streitern der Ordnung den Rückzug befahl.
Ein jämmerliches Kreischen von oben her mengte sich plötzlich hinzu.
Er sah auf und erkannte den Pfeil, der den Räubersmann inmitten der geschundenen Visage getroffen hatte, und die er sich nun unter entsetztem Wimmern mit beiden Händen hielt.
Der Novize indes hatte sein Schwert gefunden und griff es mit seinen verbliebenen Kräften, während die drohende Ohnmacht ihm das Licht aus der Welt stahl.
Mit einem letzten trotzigen Aufbegehren trieb er das Schwert geradwegs durch die Brust seines Feindes.
Die Finsternis senkte sich unbarmherzig, während warmes Blut über seine Schwerthand lief.

* * *

Der Geruch des Schlachtfeldes war dem staubiger Folianten und halbvermoderter Pergamente gewichen und das Schwert einem Federkiel.
Der Legionär arbeitete sich gewissenhaft durch zahlreiche Schriftstücke auf dem Schreibtisch, prüfte hier einen Eintrag, schrieb da eine Anmerkung hinzu. Metall war nicht alles, was Erinnerungen fassen konnte, und diese hier trafen ihn wie ein Lanzenstoß.
Der Ton der alten Feldberichte war nüchtern, trocken und ließ die Geschehenisse der Flüsterwaldkampagne geradezu banal erscheinen, doch so distanziert die Worte sein mochten, sie waren genug um vergessene Gedanken ans Licht zu zerren und alte Wunden schmerzen zu lassen.
Der Federkiel wurde beiseite gelegt, dann hielt er eine Weile lang inne und überließ sich selbst der stillen Einkehr. Seine Finger strichen gedankenverloren über und durch die Flamme der einsamen Kerze, die ihm ein schummriges Licht zu nächtlicher Stunde bescherte. Wieder brodelte es im Süden, wieder braute sich ein Sturm zusammen. Ein weiterer Feldzug um den Flüsterwald dämmerte am Horizont, und mit ihm eine Chance alte Fehler zu bereinigen und neue zu begehen. Die Vergangenheit, so stellte sich heraus, brachte nicht nur seinen Träumen Unfrieden.
Kratzende Laute bannten neue Befehle auf Pergament, und als er fertig war kehrte er zurück zum Kopf des Schriftstückes, wo Platz blieb für die erste Zeile. Sein Blick ging zu den Fenstern, hinter denen die Dunkelheit lauerte. Ein paar Augenblicke später fügte er eine Überschrift in großen, lauten Lettern hinzu.

Zu den Waffen!

Diesmal würde es anders sein.
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Dämmerung - von Elian Alveranth - 23.05.2015, 10:03
In einem Wäldchen im Süden - von Elian Alveranth - 23.05.2015, 10:13
Ein guter Schüler - von Elian Alveranth - 14.06.2015, 22:56



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