Zwei Leben
#28
Am Tag der Sonne kam sie zur später Stunde vollkommen nass und erfroren nach Hause. Glücklicherweise hatte sie sich bei Aki etwas aufwärmen können, als sie ihre neue Rüstung abgeholt hatte. Doch nachdem sie Cois noch rasch die Schlüssel für die neue, größere Koppel überlassen hatte und in die kühle Wohnküche getreten war, merkte sie, wie sich das klamme Herbstwetter in ihre Knochen gefressen hatte und sie leise bibbern ließ.

Cois’ Unternehmung, den zerstörten Faunschrein zu sichten und die Herkunft der Wesen zu untersuchen, hatten ihr in der Tat gut getan. Fernab von den Pflichten als Mutter und Hofbetreiberin hatte sie sich einmal mehr wie eine richtige Klinge gefühlt. In der Bewegung und Anspannung, was die Gruppe wohl als nächstes erwarten würde, hatte sie den kalten Wind und die Nässe kaum gespürt, dennoch ein paar sehnsüchtige Blicke auf Kyrons weichen Wollschal geworfen, den sie ihm vor ein paar Mondläufen aus Candaria mitgebracht hatte.

Rasch entfachte sie ein paar Holzscheite, deren munteres Feuer nicht nur allmählich das Haus, sondern auch das Badewasser im Kessel auf der Feuerstelle erwärmte. Die Kinder waren bei Flint, dem Heiler in Rabenstein, untergebracht, die Tröge der Tiere gefüllt - mit einigen Gewissensbissen dankte sie den Göttern dafür, sich heute abend nur um sich kümmern zu dürfen. Auf alle Fälle würde sie Flints Gefallen, die Kinder zu betreuen, morgen mit einem kräftigen Frühstück vergüten.

Kyron war während ihrer Schwangerschaft aus Sorge um ihr Wohlergehen mit Flint einander geraten und Cahira hatte Tage später mit viel gutem Zureden die Wogen geglättet und dabei herausgefunden, dass sich der Mann in der Not sehr wohl als Hüter ihrer Kinder eignen würde. Als Lionel zudem recht zielsicher auf ein Gefäß gedeutet und den Inhalt erkannt hatte, hatte der Junge das Herz des Heilers im Nu gewonnen. Trotzdem er noch klein gewesen war, war ihm die Zeit auf Svesur in Aidans Stube sehr wohl im Gedächtnis geblieben. Cahira, die die Auffassungsgabe ihres Sohnes sehr wohl zu schätzen wusste, hätte es doch lieber gesehen, wären ausgerechnet dieses Episoden ihrer Zeit auf den galatischen Inseln weniger präsent im Kopf ihres Jungen.

Nachdem sie Waffe und Schild gereinigt und abgetrocknet und sich der feucht kalten Lederrüste entledigt hatte, füllte sie das heiß dampfende Wasser schließlich in den bereitgestellten Waschzuber um und ließ die Scheite noch glühen, damit auch Kyron, wenn er aus Rabenstein nach Hause kommen würde, noch zumindest lauwarmes Waschwasser vorfinden würde. Aus ihrem wohl gehüteten Schatz von duftenden Ölen wählte sie die grüne Phiole mit dem Aroma frischer Fichtennadeln und träufelte ein paar Tropfen ins Wasser.

Als sie noch in Zweitürmen gewohnt und gearbeitet hatte, war sie des öfteren in Löwenstein gewesen und hatte in der Vielzahl von Geschäften und Buden gestöbert und so manch Kleinod, wie eben jener Auswahl an Duftölen und Seifen, gefunden. Ravinsthaler schienen sich mit dererlei Tand nicht abzugeben. Sie hatte nichts gegen die allgegenwärtige Kernseife, aber wenn es dem Anlass entsprach, seifte sie sich gerne mit der Rosenseife ein oder nahm, wie eben jetzt, ein heißes, den sich ankündigenden Schnupfen vertreibendes Bad.

Sie ließ auch für Kyron das duftende Ölfläschchen stehen, wickelte sich in ein dickes Tuch und fiel warm, entspannt und glücklich ins Bett. Ciola, die kleine Katze, welche Lionel vor dem Hungertod gerettet hatte, rollte sich an ihrem Fußende ein. Während die Regentropfen weiterhin auf das Dach des Hauses klopften, schlief sie rasch ein, obwohl sie auf die Heimkehr ihres Ehemannes warten wollte ...

Am frühen Morgen am Tag des Mondes versorgte sie die Tiere und schlenderte nach Rabenstein, um dort die Kinder abzuholen und mit Flint gemeinsam zu frühstücken. Sie kehrten nicht gleich zum Hof zurück, sondern machten zunächst Zwischenstation bei Owen. Lionel brauchte einen neuen, dickeren Mantel, denn der kommende Winter versprach kalt zu werden. Cahira selber konnte zwar Löcher hinlänglich stopfen, ansonsten war an ihr kein Talent für die Schneiderei verloren gegangen. Während der Schneidergeselle Lionel für die richtige Mantellänge rasch vermaß, präsentierte dieser stolz sein Pendant zum Wollschal des Vaters und konnte zu Owens Leidwesen gar nicht ruhig stehen.

Ansonsten wartete der Tag mit der üblichen Arbeit auf. Sie lagerte Kartoffeln, zuvor gepöckeltes Fleisch und Fisch und Stroh ein, versah das eingekochte Apfelmus mit Etiketten, versuchte den jungen Hengst an das Zaumzeug zu gewöhnen und amüsierte sich über ihren Sohn und seinen Hund, die im Hof Fangen spielten. Der gestrige Regen hatte die Luft frisch und rein hinterlassen; der Tag war klar, doch obwohl die Sonne schien, spürte man bereits die Ahnung von Frost in jedem Atemzug. Dennoch holte sie Kissen auf die Veranda des Hauses, um wohl noch in den letzten Sonnenstrahlen dieses Jahres den warm duftenden Mittagseintopf zu essen.

Sie brachte die Kinder relativ früh zu Bett. Der Junge war durch sein Herumtoben recht müde und Brynja war nach ihrer Milch und einem zufriedenen Aufstossen sofort wieder eingeschlafen. Ein letzter Gang über Hof und Felder, ob alles in Ordnung war, dann wollte auch Cahira den Abend am Ofenfeuer ausklingen lassen … doch die aufgeschreckten Hühner und dumpfes Grollen rissen sie recht schnell aus dieser idyllischen Vorstellung. Im Laufschritt eilte sie gen Stall. Ein Wolf machte sich gerade daran, den Hühnerpferch zu erobern, während zwei andere abwartend auf die Beute lauerten. Während die junge Frau noch überlegte, wie sie nun gegen drei Wölfe ankommen sollte, kam Lionel aus dem Haus geschossen. Barfüssig, die Haare wild, schrie er den Viechern entgegen: “Lasst meine Hühner in Ruhe!”

Es war etwas anderes, sich selber ganz bewusst einer Gefahr auszusetzen und genau dafür ausgerüstet zu sein und viele Stunden damit verbracht zu haben, diverse Kampftechniken zu erlernen - darauf, den Jungen unmittelbarer Bedrohung in Form von drei recht imposanten Wölfen zu sehen, hatte sie niemand vorbereitet. Jegliches Denken setzte aus; sie hatte nur Augen für den stocksteifen Lionel, dem wohl auch gerade erst bewusst geworden ist, welche Dummheit er da begangen hat und nun vom Silbernen beschnuppert und anschließend beleckt wurde. Den Göttern war es gedankt erfasste Kyron, der gerade vom Dienst nach Hause kam, die Situation präzise und verjagte die Biester.

Jetzt erst kam Bewegung in ihre Glieder; sie rannte zu Lionel und drückte den Jungen an sich. Zum Glück war auch Ghalen - der noch einen abendlichen Besuch abstatten wollte - zur Stelle und plauderte zwanglos drauf los und nahm der Situation allmählich den Schrecken. Dennoch brachte Cahira keinen Ton heraus; die Angst hatte einen dicken Klumpen in ihrer Kehle hinterlassen, der sich erst mit einem Becher eilig heruntergestürtzten Cider löste. Doch sie war mit Kyron einig, dass Giftköder wohl eine gute Lösung wären, um das Wolfsproblem zu bannen. Sie sprachen noch über einige andere Dinge, Kyrons Ausbildung, die er hier in Ravinsthal endlich zu einem Ende führen konnte, doch in ihren Gedanken hatte sich das Bild, wie Lionel vor dem silbernen Wolf gestanden hatte, um seine Tiere zu beschützen, mit bangen, flatternden Herzen und auch einem Hauch von Stolz festgesetzt.

Natürlich konnte Lionel nach diesem Ereignis kaum einschlafen. Als Cahira in die Schlafstube kam und Kyron noch einen Rundgang um den Hof machte, hatte der Junge noch kein Auge zugetan. Erst als er noch ungefähr drei Mal die Ereignisse des Abends mit seiner Mutter besprochen hatte, Brynja zwischendurch unzufrieden aufgewacht war und wieder beruhigt werden musste, und zwei Schlafliedern fielen ihm die Augen zu. Cahira indes schlief in dieser Nacht kaum …

Am Tag des Dienstes fühlte sich die junge Frau von den Ereignissen des vergangen Abends und der durchwachten Nacht wie ausgelaugt. Obwohl oder vielleicht gerade weil Lionel den Ernst der Lage verkannte und alles für ein wunderbares Abenteuer hielt, sah sie zu, den Jungen den Tag über nah bei sich zu halten. Als Brynja jedoch ihrer vollen Aufmerksamkeit bedurfte - das Windeltuch war voll, die Kleine hatte Hunger und spie’ dann doch die Hälfte der Milch auf Cahiras Kleid - schaffte es der Junge, den wachenden Augen der Mutter zu entfliehen. Diese rannte dann selber wie ein kopfloses Huhn auf dem Hof herum und malte sich die schrecklichsten Dinge aus, was Lionel geschehen sein mag.

Der hatte sich aber nur mit ein paar Zuckersteinen ins HaKu verdrückt und wurde von Cahira, die ihrem glückselig Süßigkeiten lutschenden Sohn gar nicht böse sein konnte, vollkommen aufgelöst an die Brust gedrückt. Eigentlich stand heute Verwaltungsarbeit an, aber sie hatte keine Muße sich mit Schriftstücken zu plagen und suchte eine um die andere Ausreden, dem Dienst fernzubleiben. Doch eine Pflicht war eine Pflicht und Lionel war dank des patenten Einschreiten des Vaters nichts geschehen. Außerdem freute sich der Junge immer mit Kyron ein paar Stunden alleine verbringen zu können - sie dachte da an den letzten Ausflug ins Moorbad, von dem der Kleine noch tagelang zehrte, und der so typisch für den Vater, so anders war, als die alltäglichen Unternehmungen, die sie ihren Kindern bieten konnte. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn war eben doch etwas anderes und vor allem umso erfreulicher, da beide auf Svesur keinen guten Start miteinander hatten.

Schließlich gabe Kyrons Zureden den Anlass, ihr Dienstkleid überzuziehen, Mann, Sohn und Tochter jeweils einen dicken Kuss auf die Stirn zu drücken und sich auf den Weg zur Burg zu machen. Mittlerweile kannte sie die meisten Burgwachen mit Namen und auch ihre Familien, so dass ihr Weg zum Verwaltungstrakt durch Plaudereien verlängert wurde. In den Büroräumen allerdings war es dann ruhig und nur gedämpft drangen Geräusche von außen durch die dicken Mauern. Der dumpfe Geruch von Hadern und Tinte lag in der Luft und beruhigte die angespannten Nerven der jungen Frau.

Manchmal fand sie es recht eigenartig, dass sie diese Arbeit so gerne verrichtete und wunderte sich selber, wie sie den Überblick über die ganzen losen Schriftstücke und Akten behalten konnte. Aber so war es gewesen, seit Kyron ihr damals in Guldenach vor so vielen Jahren das Lesen und Schreiben beigebracht hatte, und dabei ist auch geblieben. In der geruhsamen Arbeit als Schreiber, die selten Überraschungen barg, hatte sie von jeher Kraft für ihr sonst doch recht wechselhaftes Leben geschöpft. In der Klinge war sie ebenfalls für die Buchführung zuständig gewesen und hatte die meiste Korrespondenz geführt.

Auch jetzt verfehlte die Beschäftigung mit Liegenschaftsregistern, Bauanfragen und Bürgschaftsurkunden nicht ihren Zweck. Es kehrte eine tiefe Beruhigung in die junge Frau, die ihre Gedanken auf wenig aufreibende Dingen richten musste. Vielleicht hatte ihr Mann gerade das bezweckt, als er sie drängte, trotz der Wolfsplage in die Schreibstube zu gehen. Vermutlich hätte sie alle mit ihrer Sorge nur noch nervöser gemacht und sie zollte Kyrons Weitsicht innerlichen Respekt. Der Abend war bereits fortgeschritten, die Sprechstunde zu ihrer Überraschung gut besucht gewesen, als sie endlich den Heimweg antrat und ihre Familie bei den letzten Happen des Abendessens vorfand …
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
Herzlichen Dank an Morrigan!
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Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 04.05.2015, 02:24
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