Zwei Leben
#27
Die Stimmen im Raum summten in ihrem Kopf und trugen zu ihrer schläfrigen Stimmung einlullend bei. Das kleine Bücherregal war eine zu bequeme Stütze, als dass sie diese nicht dankbar hätte annehmen können und bald schon merkte sie, wie sie ihre Augen kaum mehr offen halten konnte. Lediglich ein paar Bemerkungen trug sie zu den Gesprächen bei, dann hatte sie hoffnungslos den Faden verloren. Die Tage waren lang und arbeitsreich; die letzten Ernten mussten eingebracht und Vorbereitungen für den nahenden Winter mussten getroffen werden. Als sie hochschreckte, die Augen vor Panik geweitet und mit pochendem Herzen in der Brust, entschied sie, dass es Zeit war, das Treffen des Herzogsrings zu verlassen - immerhin konnte Cois ihr noch Bericht erstatten, falls etwas wichtiges anstehen würde. Sie murmelte ein paar leise Worte des Abschieds und der Entschuldigung und schob sich durch die Tür.

Der kühle Abendwind und der Marsch von der Burg zu ihrem Hof kitzelten ihre Lebensgeister, doch die Müdigkeit hatte sich bereits allzusehr in ihre Knochen gefressen, so dass sie an der Weggabelung Richtung Rabenstein entschied, keinen Abstecher in die Ortschaft zur Garde zu machen. Sie würde Kyron wohlmöglich mit ihrer Schläfrigkeit nur anstecken. Also trabte sie den ihr mittlerweile wohlbekannten Pfad gen Rabenfelder und freute sich darauf, alsbald in ihr Bett zu sinken und früher oder später zu bemerken, dass auch der Ehemann den Weg in die gemeinsame Lagerstatt gefunden hatte.

Den Sommer über hatte sie sich zurückgezogen. Nach dem kräftezehrenden Umzug und der Geburt der Tochter war dies auch bitter nötig gewesen. Obgleich es nicht hieß, alle Pflichten vernachlässigen zu können und dem süßen Nichtstun zu frönen. Die Kinder brauchten ihre Aufmerksamkeit und Sorge und Haus und Hof mussten bewirtschaftet werden. Doch sie ging alles etwas langsamer an, nahm sich mehr Zeit als üblich für die Gemeinsamkeit mit der Familie und ließ einen Wäschehaufen oder das Geschirr vom Frühstückstisch auch mal links liegen - die Hausarbeit lief ihr immerhin nicht weg.

Das Haus hatte sie mittlerweile eingerichtet: Unten eher die zweckmässige Wohnküche mit großem Tisch, Arbeitsplatz für Kyron und Lagermöglichkeiten für alle Dinge, die man eben so brauchen konnte, oben das gemütliche Schlafzimmer mit feinen Vorhängen und Teppich, Waschgelegenheit, Kleiderschrank und der kleinen, aber erlesenen Sammlung an Büchern. Cahira hatte schon einige Unterkünfte eingerichtet - ihre Häuser in Silendir, dann in Zweitürmen, dazwischen diverse Quartiere der Klinge - und langsam aber sicher spielte sich eine Art Routine dabei ein. Sie wusste, was sie wo brauchte und drapierte hier eine Vase, dort ein Kissen, um für heimelige Behaglichkeit zu sorgen.

Cahira hatte den Aushang, dass in der ravinstahler Verwaltung ein Schreiber gesucht wurde, kurz nach dessen Anbringen erspäht. Sie hatte mit sich gerungen, ob sie sich bewerben soll. Einerseits hatte sie eine neue Anstellung so kurz nach ihrem Weggang aus Zweitürmen irgendwie als Verrat empfunden, andererseits hatte erst noch die Reise mit Cois nach Candaria angestanden. Mártainn versuchte nun schon eine geraume Weile genauere Informationen zu dem verfluchten Baronssitz auf den Rabenfeldern zu sammeln und eine ehemalige Angestellte sollte diese liefern. Cahira hatte zwar Gewissensbisse, Kyron mit den Kindern und dem Hof alleine zu lassen, hielt es aber im Sinne der Namensfindung für die Tochter doch für einen guten Einfall und Lionel verehrte den Vater allzu sehr, als dass er ernstliche Probleme verursachen würde.

Nach rund einem Wochenlauf kehrten sie ohne neuen Erkenntnisse zurück - zwar sah man Cois die Zermürbung hinsichtlich seiner erfolglosen Suche nicht direkt an, aber Cahira konnte doch spüren, dass es an ihm nagte - und der Säugling hatte immer noch keinen Namen; immerhin konnte Kyron nun ohne Umstände Windeln wechseln. Ein Ritual bei Neumond sollte den Namen nun offenbaren. Sie vertraute Kyron, so dass sie nicht genauer nachfragte, was genau er damit meinte. Natürlich hätte Cahira selber einen Namen vergeben können. Doch sie hatte das Kind zehn Monde lang unter ihrem Herzen getragen und die Namensgebung sollte das Band zwischen Vater und Tochter stärken; und schließlich sah sie es als eine Art “Tradition” an, Lionel hatte seinen Namen auch vom Vater bekommen.

Schließlich bewarb sie sich um den Verwaltungsposten. Ravinsthal war noch mal etwas ganz anderes als die kleine Schreibstube in Zweitürmen oder die langen, bürogesäumten Flure in Guldenach, aber letztendlich glich sich die Arbeit: Bürgerakten mussten geführt und Liegenschafsregister auf den neuesten Stand gebracht werden, Aushänge mussten gefertigt und angebracht werden, Briefe geschrieben … Ganz im Allgemeinen war das Leben in Ravinsthal recht angenehm, trotz des schlechten Rufes, welches das Lehen in Servano inne hatte. Allzu oft schoß Cahira die Röte ins Gesicht, wenn einer der Gardisten, die nahe des Verwaltungstraktes ihre Bahnen zogen, einen zotigen Witz zu einer über den Burghof eilenden Wäschemagd hinabrief, der aber auf ebensolche Weise vergolten wurde. Die Menschen waren rau aber herzlich und sie empfand den Zusammenhalt hier doch enger als beispielsweise in Löwenstein, wo sich ein jeder fremd schien.

Zudem gestaltete sich das Zusammenleben mit Kyron als harmonisch und so, als ob sie nie getrennt gewesen wären. Es waren die kleinen Gesten, das stille Beisammensitzen, wenn die Kinder schliefen, das schlichte Füreinanderdasein. Hier waren sie wieder eine richtige Familie. Sie wusste diese Zeit umsomehr zu schätzen, da die Vergangenheit ihrer Beziehung ein ständiges auf und ab gewesen war, jüngst die Trennung aufgrund dieses Paktes mit Dureth. Zum Glück hielt sich der Puppenspieler bisher im Hintergrund und ihr war es ganz lieb, dass der Mann sich nicht zeigte

Der Angriff der Piraten und wilde Eber, Käferschwärme und sonstiges Getier, welches aggressiv die Rabenfelder bedrohte, rissen Cahira letztendlich doch aus ihrer sommerlichen Lethargie und zeigten deutlich, dass Beschaulichkeit und Idylle nicht auf Ewig währten, so sehr sie es sich auch wünschen würde. Niemand aus ihrer Familie wurde bislang verletzt, doch in Ravinsthal waren die grausamen Spuren des Übergriffs noch über Wochen deutlich zu erkennen; ihr Hof war zwar bislang von der Heimsuchung der Natur verschont geblieben - anders als der Steinadlerhof, von dem Magda berichtete, dass die Ernte gefressen und Tiere gerissen worden wären - aber die Wesen wagten sich immer weiter vor und sie musste ein strenges Auge auf den herumtollenden Lionel haben. Doch trotz dieser Unbillen ließ die kleine Trauerfeier, die Cois für die Gefallenen der Attacke abhielt, ihr gewahr werden, welch ein Glück sie eigentlich hatte: Eine Familie, zwei gesunde Kinder, ein mehr als erträgliches Einkommen, eine anerkannte Stellung in der Gesellschaft ...
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
Herzlichen Dank an Morrigan!
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Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 04.05.2015, 02:24
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