Zwei Leben
#17
Die Götter nehmen, die Götter geben.

Sie lag ausgestreckt auf dem Bett, die Hände sacht auf den Bauch gelegt, und stierte lauernd das Gebälk über sich an. Ihr war kalt und die kleinen Härrchen auf den Unterarmen hatten sich bereits fröstelnd aufgestellt, aber sie war zu träge, um aufzustehen und die Balkontür zu schließen. In der Nacht war der leichte, frische Luftzug angenehm gewesen. Der Wind hatte zudem die Geräusche der Nacht in die Schlafstube getragen - das sanfte Wogen der Bäume, der Schrei eines Käuzchens, ein Rascheln im Gebüsch - und es war tröstlich, einlullend gewesen, diesen zu lauschen.

Tiefer, fester Schlaf wollte sich seit Kyrons Verschwinden nicht mehr als für drei oder vier Stunden einstellen. Zuerst hatten sie ihre Sorgen um seinen Verleib wachgehalten, dann die Gedanken an die Kerkerhaft, nun die Verzweiflung wegen seines ablehenden Verhaltens.

Sie war gerade dann in den Tempel gekommen, als ihr widerwilliger Ehemann aus den Fängen der Kirche entlassen worden war. Die Tage der Haft, die offensichtliche Folter hatten ihre Spuren hinterlassen. Sie kannte ihn zu gut, als dass sie nicht gewusst hätte, dass nur der Trotz und Starrsinn ihn auf den Beinen hatte halten könnte. Doch er verweigerte sich ihrer Hilfe und versuchte sie nach einem kurzen, unerfreulichen Wortwechsel, in dem er ihr immerhin die Warnung zukommen ließ, dass Hochwürden Schumann nun wohl ein Auge auf sie selbst geworfen haben könnte, abzuschütteln.

Natürlich folgte sie seiner schwankenden Gestalt in einigem Abstand, um ihm im Glauben zu lassen, sie hätte aufgegeben. Auch wenn er ihre Unterstützung nicht annehmen wollte, hätte sie ihn in diesem Zustand nicht alleine gelassen. Als Isabelle die Stufen des Tempels hinunter geflogen kam, um ihren Bruder wie einen vermissten Geliebten zu umarmen und der malträtierte Mann sich das auch noch gefallen ließ, beobachtete Cahira diese Szene vom Brunnen aus wie ein verstohlener Dieb, der sich im Schatten herumdrückte.

Einerseits war sie froh, dass Isabelle sich nun um Kyron kümmern würde - und das würde sie tun, daran bestand für Cahira kein Zweifel - andererseits jedoch tat der Anblick der beiden Personen so unsagbar weh, als ob ihr jemand einen Dorn ins Herz getrieben hätte, dass sie sich schwindelnd abwenden musste. Zunächst waren ihre fliehenden Schritte langsam, steif, dann wurden ihre Beine immer schneller. Liefen zum Stall, schwangen sie auf ihr Pferd, trieben das Tier schneller und immer schneller durch die Gassen der Stadt, hinaus auf die Straße und erst vor der Baracke der Klinge kamen Pferd und Reiterin zum Stillstand.

Die junge Frau benötigte einige Momente um zu bemerken, dass das Pferd, welches da vor der Unterkunft der Infanterie so gemütlich im letzten grünen Gras des Jahres schnoberte, ihrem Hauptmann gehörte. Kordian war wieder da? Mit den nötigen, wenn auch recht fahrigen Handgriffen kümmerte sie sich um die beiden Tiere und entließ Kalvas und Vergelter in die Freiheit der Koppel.

Auch wenn sie Cois später erzählen würde, dass Kordian für ein paar Tage ins Thal zurückgekehrt sei’, ehe ihn persönliche Angelegenheiten wieder fort treiben würden, empfand Cahira die kurze, abendliche Begegnung - gerade nach dem Erlebten in Löwenstein - als eine Einbildung ihres verstörten Geistes. Vielleicht wünschte sie sich so sehr Kordians väterlichen Rat, dass sie nun schon glaubte, ihn tatsächlich zu sehen und mit ihm zu reden. Natürlich sicherte er seine Hilfe zu, aber was bedeutete diese schon von einem Durchreisenden?

Wahrscheinlich hätte Kyron gelacht, wenn er gewusst hätte, wie viele Menschen sich um ihn sorgten und ihre Hilfe anboten, in Gesprächen, in Taten. Vermutlich hätte er bemerkt, dass die Personen nicht um seinetwillen so freundlich waren, sondern diese Hilfsbereitschaft nur dem umgänglichen Wesen seiner Ehefrau geschuldet wäre. Doch so aufmunternd dieser Umstand auch war, desto erdrückender war auch die Last, sich immer wieder erklären zu müssen, allzu bedrängenden Beistand abzuwehren und durch erneutes Schildern der Situation nie gänzlich zur Ruhe kommen zu können. Denn nur ein falsches Wort gefährderte nicht nur Kyron, sondern auch ihren Sohn, die Familie. Sie glaubte ohnehin, schon zu viel gesagt zu haben. Sie wollte endlich die nächsten Schritte planen, auszuführen und den Mann aus seinem Versteck zerren, der in ihren Augen für all’ die Geschehnisse der letzten Wochenläufe verantwortlich war.

Eine jehe Woge blähte die Vorhänge vor den Fenstern und das immer lauter anschwellende Geschnatter der Vögel kündigte den nahenden Tag an. Und mit einem Mal war das Warten der jungen Frau vorbei, die Übelkeit schoß vom ihrem Unterleib in ihre Kehle und ließ sie würgend zusammen krampfen.

Manchmal haben die Götter wirklich einen merwürdigen Humor.
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
Herzlichen Dank an Morrigan!
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Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 04.05.2015, 02:24
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