Zwei Leben
#16
Das Haus war so unheimlich still. Nicht, dass Cahira niemals alleine gewesen wäre, aber nun gesellte sich zu der Stille die traurige Erkenntnis, dass die beiden Personen, für welche sie in erster Linie dieses Nest der heimeligen Geborgenheit geschaffen hatte, eine geraume, und in Kyrons Fall unerträglich ungewisse Weile nicht wieder kehren würden.

Der Hund war ihr wenigstens geblieben. Als sie Lionel gen Südwald brachte, vor sich auf dem Pferdesattel hockend, mit großen Augen die Umgebung betrachtend, hatte der Junge sinniert: “Aber wenn Papa fort ist und ich und Madadh auch, dann bist Du ja ganz alleine! Ich lasse Dir meinen Hund, damit Du nicht so einsam bist, Mama.” Der Kleine hatte die Arme um den zotigen Hals des Tieres geschlungen, leise Abschiedsworte ins Fell gemurmelt, und wurde dann vom warmen Lächeln der Füchsin in seinem vorläufig neuen Heim begrüßt.

Cahira hatte den Jungen nicht weggebracht, weil er ihr eventuell eine Last gewesen war oder sie keine Kraft hatte, sich um den Knirps zu kümmern oder sie mit seinen Launen, welche verständlicherweise nicht gerade die besten waren, nachdem nicht nur Onkel Kordian sondern auch noch sein Athair von einem auf dem anderen Tag verschwunden blieben und er zudem noch immer seinen Großvater vermisste, nicht zurecht gekommen wäre. Aber zu diesem Zeitpunkt waren die Umstände des Verschwindens und der Verbleib Kyrons ungewiss. Cahira hatte aufgrund Cois’ kurzer Notiz und Isabelles und Sams Berichten die schlimmsten Befürchtungen, wer dahinter stecken könnte. Ihre mit jedem vergangenen Tag wachsende Unruhe strahlte auch auf den Jungen aus, so dass sie es schließlich als für das Beste hielt, dem Sohn etwas Erholung zu gönnen. Eine andere, sichere Umgebung würde ihm Ablenkung schenken und der Mutter Zeit geben, sich voll auf die Suche nach dem Vater zu konzentrieren.

Diese Suche währte allerdings nicht lange. Hätte sie gewusst, was sie im Tempel erwarten würde, hätte sie vielleicht kehrt gemacht, um Arthar wie geplant im Heilerhaus zu besuchen. Vielleicht wäre Kyron dann auch nicht im Kerker der Kirche gelandet, in dem auch sie eine halbe Nacht mit ihrem Ehemann verbrachte, bevor Baron Jehann sie heraus holen konnte. Sie hatte immerhin Hochwürden nur am Kragen weg gezerrt, aber bei Verdacht, unter Einfluß eines Hexers zu stehen und diesem gar bereitwillig zu helfen, konnte selbst Siegfried nichts für Kyron tun, der seitdem in der Zelle schmorte. Aber eventuell wäre auch alles viel schlimmer gekommen, wenn sie nicht dagewesen wäre. Justan und Kyron waren beides keine Männer, die eine Provokation einfach ignorieren konnten - jedenfalls soweit sie das beurteilen konnte, denn sie musste sich fragen, ob sie ihren Ehemann noch kannte.

Es war ein sehr unangenehmes, merkwürdiges Wiedersehen gewesen. Ließ ihr Gedächtnis sie bereits im Stich? Ehe Kyron vermisst wurde, hatte er viel Zeit zu Hause bei der Familie verbracht. Sie hatten doch noch Abendbrot gegessen und gemeinsam über Sohn und Hund gelacht, die sich beide gleichermassen weigerten, ein Bad zu nehmen. Rein gar nichts hatte darauf hingedeutet, dass er sich von ihr trennen wollte und noch weniger, dass nicht nur ihr Leib, ihr Wesen, gleich ihr ganzes Leben ihn anwidern würde. Auch wenn sie daraufhin glauben musste, dass Kyron tatsächlich unter irgendeinem Einfluß stand, taten seine hartherzigen Worte weh. Es schmerzte, seiner gleichgültigen Miene und eisigen Blick ausgesetzt zu sein, wo sie ihn am liebsten hätte umarmen wollen. Ihr wurde, wie so oft in den vergangen Tagen, speiübel als er so lästerlich über sein eigenes Fleisch und Blut sprach.

Das nahe Zusammensein in der Zelle war schlichtweg eine Tortur. Nicht nur für die ohnehin gepeinigten Nerven der jungen Frau, auch für den Körper des Mannes, denn die Kirche war nicht zimperlich was Befragungen angingen. Die Seligkeit hantierte mit ihrer Armbrust und schoß Kyron ins Bein. Bei Cahira keimte der Verdacht auf, dass sie ohnehin abgedrückt hätte, ganz gleich, welche Antwort er auch verlauten hätte lassen. Es gab niemanden, der Lisbeth daran hindern würde oder konnte oder vielleicht auch wollte. Vermutlich wären Befragungen und so einige andere Aktionen der Klinge, der ehemaligen Schweren Silendrischen Infanterie, in ähnlich grausame Bahnen verlaufen, wenn das freundliche, eher diplomatische Wesen der jungen, braungelockten Frau die Taten der Männer nicht immer wieder in Frage gestellt hätte.

So ersparte Cahira sich und Baron Jehann den ausgesprochenen Befehl, der Leutnant habe die Zelle zu verlassen, an deren Gitterstäbe sie sich noch so geklammert hatte, als Schumann laut überlegte, dass die Kirche sich des kleinen Lionel annehmen sollte. Der Junge war sicher, vorerst.

Wiie so oft in ihrem Leben zuvor war sie ratlos. Hier waren Mächte am Werk, die sie weder kontrollieren, noch beeinflussen, vielleicht noch nicht ein mal begreifen konnte. Wie konnte sie gegen Hexenwerk angehen? Was konnte sie gegen die Kirche ausrichten? Wie sollten die nächsten Schritte aussehen? Wem konnte sie vertrauen? Und wem konnte sie welche Details der Geschichte anvertrauen, ohne alles noch schlimmer zu machen, als es ohnehin schon war?

Dass Sam die Hexenprobe über sich ergehen lassen musste, schrieb sie zum Teil sich selber zu, immerhin hatte das Gespräch über Kyrons möglichen Entführer Cyrils Argwohn gegenüber der jungen Blonden so weit aufgestachelt, dass er sich genötigt sah, sie keinen Tageslauf später festzusetzen, zu verprügeln und, den Berichten nach, gar die Schändung anzudrohen. Cahira hatte sich gehen lassen und zu viel dem wohl falschen Mann verraten. In Zukunft musste sie da vorsichtiger sein, aber es hatte so gut getan, sich wenigstens ansatzweise aussprechen zu können, seinen Sorgen freien Lauf zu lassen.

Sie klammerte sich verzweifelt an den Gedanken, dass sich irgendwie eine Lösung finden würde, finden musste. In der Vergangenheit war ihre Lage auch nicht immer die Beste gewesen, aber sie haben überlebt. Etwas anderes, als das Beste zu hoffen, blieb der jungen Frau kaum übrig. Es kostete Kraft, diese Erwartung aufrecht zu halten, aber sie tat es für ihre Familie. Ganz gleich was Kyron sich einbildete oder ihm eingetrichtert worden war, sie war seine Ehefrau. Und an diesem Verständnis und der Liebe zu ihrem Mann würde keine Macht in ganz Amhran etwas ändern können.
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
Herzlichen Dank an Morrigan!
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