Zwei Leben
#10
“Du hast es schon wieder getan!”

Das war alles, was ihr aus dem Mund kommen wollte. Sie war vollkommen sprachlos und glotze mit großen Augen vor sich hin. Konnte sie glauben, was sie da sah? Immerhin, der Tag war lang gewesen und die Dämmerung hat sich schon längst über das Eisenthal gelegt. Sie war hinter Kyron den kleinen Weg hinterher gestolpert, der sich am Hirschenheim vorbei scheinbar in einem kleinen Walstück verlor. Vermutlich fanden auch nur Ortskundige den Pfad, der sich übewuchert von Gebüsch ab und an unter einer Wurzel hindurch mal hier, mal dort hin schlängelte. Nach einem guten Stück lichtete sich der Wald jedoch und gab den Blick frei auf das sogenannte Klammtal, umsäumt vom gewaltigen Gebirgsmassiv des Harpienpasses. Emsige Bergleute hatte Stollen in den Berg getrieben - die Klammmine - und selbst ein kleiner Steinbruch war vorhanden. Und dort stand das zweistöckige Haus, machte selber den rußbeschmutzen Eindruck eines stoischen Grubenarbeiters, und schmiegte sich in das Gesamtbild dieser Bergbaueridylle.

Cahira kannte das Tal natürlich. Ihre Wachgänge durch Zweitürmen umfassten auch diesen abgeschiedenen Ort und vor kurzem erst hatte das Regiment das Haus geräumt, weil die Vorbesitzer sich nicht mehr um das Anwesen gekümmert hatten. Zwar hatte Magda versucht, ihr das Haus schmackhaft zu machen und auch Arthar hatte angedeutet, dass sich wohl auch ihr Ehemann dafür interessierte, aber sie hatte diesen Gedanken ganz schnell wieder abgetan. Das Haus war zu groß, zu teuer, sie sind doch gerade erst im Hirschenheim untergekommen und außerdem sollte dort lieber ein Bergmann oder Schmied einziehen.

Cahira war mit jedem Schritt in Richtung Klammtal besorgter geworden. Kyron hielt so etwas wie Zwiesprache mit sich selber: “Ich habe eine große Dummheit gemacht. Du wirst mir das nicht verzeihen. Ich habe Dich hintergangen, dich so lange versetzt und dann ... Aber es waren gleich zwei Frauen gewesen, die mich überredet haben und ich dachte mir: Na, warum nicht? …” Auch ihre Beteuerungen, dass, was immer er getan haben mochte, doch gar nicht so schlimm sein könne, ließen den Mann nicht zur Ruhe kommen. Bis sie endlich vor dem Haus standen und Kyron verkündete: “Ich habe das Haus gekauft!”

Cahira wünschte sich seit jeher eine heimelige Höhle, einen Zufluchts- und Rückzugsort. Einen Ort zum Wohlfühlen, Gäste bewirten, Familienfeiern, Gartenarbeit, Wunden lecken, Kinder großziehen, Ehepaar sein, Einrichten, alt werden … Sie hatte in Guldenach in einer Herberge gewohnt. Es war ein einfaches, sauberes Zimmer gewesen, welches sie mit ihren Habseligkeiten etwas wohnlicher, weniger unpersönlich gemacht hatte. Dennoch war es kein richtiges Heim. Für ein Heim, ein zu Hause, hatte erst Kyron gesorgt, als er ein Landhaus in der Nähe der Stadt gekauft hatte, in dem seine damalige Verlobte und sein Schwiegervater eingezogen waren. Dieses Zusammenleben gestaltete sich nicht immer einfach, doch einfach war Familienleben wohl nie. Später, zu Zeiten der Infanterie, hatten sie dann mit Sansa einen Hof bezogen und Cahira, die damals guter Hoffnung gewesen war, hatte den Garten bewirtschaftet, Hühner und Schweine gefüttert und so nicht nur zu ihrer inneren Ruhe sondern auch zur Verpflegung ihrer Kameraden beigetragen.

Doch jedesmal war es Kyron gewesen, der dafür gesorgt hatte, das seine Familie ein Dach über dem Kopf hatte und somit Cahiras größten, inningen Wunsch erfüllt. Ausgerechnet er, der ihr ziemlich deutlich gemacht hatte, dass er seine Freiheiten brauchte und nicht die Art Mann wäre, der jeden Abend treu brav nach Hause käme. Auch wenn es ihr manchesmal noch immer schwer fiel, versuchte sie Kyron nie in diese Richtung zu drängen und ihre gluckenhaften Anwandelungen nicht allzusehr ihren Ehemann spüren zu lassen. Doch jeder brauchte einen Ort, an dem er sich zu Hause fühlte, zu dem er zurück kehren konnte und ohne Fragen aufgenommen wurde, auch wenn die Welt draußen mal wieder mit dem Kopf nach unten stand.

“Bitte, nicht anfangen zu weinen. Du bist mir nicht böse, nein?” Kyron richtete seinen nervösen Blick auf Cahira, die sich langsam vom Hausschild mit ihrem Namen zu ihm umgewandt hatte. Sie fand es herzerweichend, wie besorgt er war. Wie konnte sie ihm böse sein? Magda war so freundlich gewesen, ein Zimmer ohne Cahiras Zutun anzubieten und er kaufte ein ganzes Haus. In der Tat musste sie einige Tränen wegblinzeln und schluckte hart. Aber ganz gewiss nicht vor Ärger oder Zorn. “Du hast es wieder getan. Du hast deiner Familie ein Heim verschafft und das ist das wundervollste, was ein Mann nur tun kann!”
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
Herzlichen Dank an Morrigan!
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Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 04.05.2015, 02:24
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