Zwei Leben
#2
I'd give it all for a heart
if I was a King I would give away my kingdom
Treasures and crowns wouldn't mean a thing
If I only had a heart


Sonata Arctica - Kingdom for a Heart

~*~

Er kniete vor den in den Sandstein geritzten Rabenschwingen, das Haupt ehrfürchtig gesenkt, während er den rechten Arm entblösste. Es war eine Zeremonie, zuerst den Arm zu entblößen, dann einige Momente auf die blauen Narben zu starren, dann den Dolch anzusetzen und eine weitere dem Gespinst aus Schnitten hinzuzufügen. Danach würde er eine Dolchspitze des Pulvers in die Wunde bringen, und ein weiterer halber Tag war gesichert...
Doch es sollte anders kommen. Den entblößten Arm anstarrend lauschte Kyron ausdruckslos den schweren, metallisch klingenden Stiefelschritten, und allein das machte ihm mit einem harten Krampf in der Magengegend bewusst, dass dies nicht der Herr Weidgänger sein konnte.
Der Dolch glitt durch das warme Fleisch. Kalte, klare Stimmen hallten durch die Pyramide, bereits zu weit fortgeschritten um sich unter Drogen zu setzen und das Pferd zu erreichen.
Blaues Pulver rieselte in die frische Wunde. "Schau an" tönte eine entfernt bekannte Stimme hinter ihm, eine Stimme mit der er kaum etwas anderes als den verhassten Kult verbinden konnte.
Der Dolch fiel klirrend zu Boden. Die Schritte näherten sich rasch, eine Klinge scharrte nervenzerreissend, als sie aus der Scheide gerissen wurde.
Kyron erhob sich, den Langdolch ziehend, doch nun stellte es sich als Fehler heraus, dass er nur Leder trug. Die zwei finsteren Gestalten schienen äusserst zufrieden mit ihrem Fund, und nach einigen Augenblicken formten sich die Konturen von Bernados und - was wesentlich beunruhigender war - Dorkalon aus den Schatten des Gebäudes.


Es musste der Blutverlust sein, der die Welt um ihn herum verschwimmen ließ. Solange er auf dem Rücken lag und sich nicht regte, blieb es bei einem Gefühl des Schwimmens und Schwankens, nicht unähnlich der grausigen Schiffsfahrt die er vor einiger Zeit erst leidvoll hinter sich gebracht hatte. Sobald er sich jedoch bewegte, kehrte das Gefühl der scharfen Klinge in seinem Bauch zurück, verdreifacht, scharf und schneidend, genug um ihm Übelkeit zu bescheren. Nicht dass er an dieser Verletzung nicht selbst schuld war, immerhin konnte er sich düster daran erinnern, sich praktisch selbst darauf aufgespießt zu haben nur um die Hände an Justan zu bekommen, aber das machte den Schmerz nicht weniger markdurchdringend.
Also lag er still, wie die völlig verschlafene Heilerin es ihm empfohlen hatte. Sie hatte ihr Möglichstes in der Finsternis getan, sicher gestellt dass er nicht über Nacht verrecken würde, und davon gesprochen am nächsten Tag zu besserer Beleuchtung wieder zu kehren. Da sie an seiner Wunde geschnuppert und dann festgestellt hatte, dass es weder sauer roch, noch den Gestank von Fäkalien verbreitete, vertraute er auf ihr Wort und lag still da. Nur Schlaf, der wollte nicht kommen.
Immer wenn er die Augen schloss, eroberten die Bilder seiner Vergangenheit seinen Verstand, ließen ihn sich winden und hochschrecken, brachten seine Wunde zum Bluten und ihn um die Nachtruhe.

Er hatte sich nicht ergeben können. Dorkalon hatte ihm die Wahl gelassen, aber niemals hätte Kyron sein Wort gegenüber Cahira gebrochen. Niemals hätte er es gewagt, sich schlicht zu ergeben, und so musste er die Hiebe der Klinge, den brutalen Schlag gegen sein Kinn, denn Tritt mit dem Abgewinkelten Knie in seinen Magen hinnehmen, den Schlag mit dem Panzerhandschuh in sein Gesicht erdulden. Ein vergleichsweise billiger Preis, bedachte man wem er gegenüberstand.
Er wachte erst wieder auf als er hart auf einen dreckigen Steinquaderboden prallte, das Quietschen einer Gittertüre hinter sich hörte, als er zarte Finger spürte, die ihm das Haar aus dem Gesicht strichen...
Bernados war gegangen, Cahira hatte sich halbwegs beruhigt, doch hielt Kyron sie weiterhin an sich gedrückt, bot ihr Halt und Schutz, sprach beruhigend auf sie ein. Als erneut Schritte erklangen in den Wänden des Kultsitzes, tat Kyron etwas das er bereits einmal getan hatte, damals für Isabelle, nun für Cahira... er baute sich vor dem Gitter der Zelle auf, versperrte die Sicht, versuchte die Aufmerksamkeit seines Peinigers vollends auf sich zu richten.
Dorkalon.
Natürlich klappte es bei diesem einen Kultisten nicht, zu gut kannte er Kyron, zu tief schien der Hass und der Zorn zu sitzen. Als der Todesfürst die Zelle aufschloss, trat Kyron zurück, brachte Distanz zwischen sich und den Mann, den er ohne Sandast wohl gefürchtet hätte wie einen Gott, hob schützend die Arme. „Töte mich endlich und laß' sie frei!“ forderte er kalt, worauf Dorkalon nur leise lachte und erwiderte: „Dich töten? Das wäre zu einfach. Ihr werdet mir beide dienen. Sie wird deinen Platz einnehmen und sie wird gewiss folgsamer sein als du es gewesen bist!“ Die Situation eskalierte. Sie rangen miteinander und Dorkalons Hände schlossen sich um Kyrons Kehle, während Cahira sich entlang der Zellenwand schob, dem widerwärtigen Knochenhaufen entgegen, aus dem sie mit glücklichem Händchen blindlings einen recht kräftigen Oberarmknochen herausfischte. Der Schlag sauste haarscharf an Tarols Kopf vorbei, da dieser im letzten Moment auf einen warnenden Zuruf der namenlosen Zuschauerin hin wegzuckte. Der morsche Knochen zerschellte an der gerüsteten Schulter des Kultisten, der sich wutentbrannt umwandte und von Kyron abließ, der mittlerweile nach Luft ringend auf dem Boden kniete.
Ein Schlag, der nicht auf Verletzung oder große Schmerzen, sondern nur auf die reine züchtigende Maßregelung ihres Verhaltens abzielte, landete in ihrem Gesicht. Dann schloß er die Zelle wieder auf, ignorierte Cahiras verzweifeltes, plötzliches Flehen, das sie alles machen würden, wenn er nur Kyron gehen lassen würde, mit dem endgültigen Worten: „Ihr werdet mir beide dienen.“ und ging, im Schlepptau die eifrige Zuschauerin.


Mit träger Erschöpfung blinzelte Kyron die feucht-moosige Kerkerdecke an. Der Kreislauf hatte sich einmal mehr geschlossen, und einmal mehr war er erfolgreich gewesen, zumindest zum Teil. Er hatte sich vor Kordian gestellt als dieser unfähig zur Gegenwehr gewesen war, wie er sich vor Cahira gestellt hatte, wie er sich vor seinen Sohn stellen würde, vor Cois, vor Freya,... Es war kein Todeswunsch, der ihn trieb, das nicht. Es war der Schwur, der Kodex dem er folgte, und die Gewissheit, dass jeder Mensch auf dieser Welt mehr zu verlieren hatte als er.
Sein Wort war ungebrochen, aufrecht, ohne Makel, und das war es, was die Götter auf seiner Seite beließ. Die Seele hatte er schon lange verspielt, Stolz hatte er niemals besessen, und Ehre war eine Sache der Taten, keine Sache der Worte. Wenn er dereinst vor seinen Richter trat, ob dies nun der Dämon des Kultes sein würde, dem er vor so vielen Jahren zum Opfer gefallen war, oder aber die Götter Arkadiens, würde er dies erhobenen Hauptes tun können. Es ging nie um die Ergebnisse, nicht wenn es um den Wert eines Lebewesens ging, sondern stets nur um den Weg, und wie dieser beschritten wurde.

Ein dumpfes Auflachen drang aus seiner ausgedörrten Kehle, mehr ein Husten als ein wahrer Freudenlaut. Wenn er daran dachte, wie die Erzpriesterin und der Legionär vor Mithras am Tage ihres Todes gerichtet werden würden, empfand er beinahe Mitleid mit ihnen. Oder hätte es empfunden, wäre diese Empfindung noch Teil seines Wesens.
Was mochte Mithras wohl mit jenen machen, die das Ziel über den Weg stellten, die logen und betrogen und dies in seinem Namen, auf ihren Gott einen Eid schworen die Wahrheit zu sagen, und diesen im selben Moment durch den Dreck zogen, völlig wertlos machten? Verhielt sich Mithras wie die alten Götter? Richtete er auch jene, die tatenlos zugesehen und es geschehen hatten lassen nach dem selben Urteil? Um den Novizen, Viktor, war es schade, soviel musste selbst Kyron zugeben. Er würde früher oder später selbst eine schwarze Seele haben, wenn Justan lange genug an ihm abrieb, und dann würde es auch für ihn keine Rettung geben.
Andererseits, wenn er Justan schnell genug tötete, bevor dieser seine Drohung wahr machen konnte...

Er warf sich in die Fesseln, brüllte und schrie, flehte sie an sie möge den Worten der Kultisten keinen Glauben schenken, bis er schliesslich geknebelt wurde. Der Schmerz des Entzuges und der Schmerz der Verletzungen übermannten ihn, und schliesslich hing er schlaff in seinen Fesseln, wie gebannt auf Cahira's zögerliche, brüchige Stimme hörend, die die Eidworte des Nekromanten nachsprach.
In diesem Moment wusste er, er würde sie töten. Er musste sie einfach töten, wenn sie dem Kult anheim fiel, ihrer Seele zuliebe. Einer Seele, die mit den letzten Worten dreckbefleckt und verschmutzt sein würde wie seine eigene... wie seine eigene Seele es schon immer gewesen war.
Schöne, träumerische Illusionen zerbrachen.
...Und bauten sich neu auf, konnten nicht einmal von den Schmerzen der flackernden dunklen Magie durchbrochen werden, die ihn einhüllte als Cahira in ungeahnt wütendem Ausmaß begann den Kult zu verfluchen und zu beschimpfen, zu bespucken.
Er konnte nicht anders, er musste einfach lachen, lachen vor Erleichterung, vor Triumph, vor Glück und Ehrfurcht vor Cahira's Stärke... Dorkalon's Schwäche.
Sein schallendes, wirres Lachen begleitete die Kultisten hinaus, als sie sich für einen Angriff auf die SSI rüsteten, und nur der Dolch, den Arzel ihm in den Oberschenkel gerammt und dort stecken gelassen hatte und Isabelle, die schweigend vor der Zelle stand, blieben zurück.

"Du hast die Wahl, Köter... Entweder du sorgst dich um dein eigenes Seelenheil, darum ob DU in die Sphären der lichten Götter eintreten kannst um dort glücklich zu sein, oder du sorgst dich um deine Lieben, um deren Seelenheil. Ist dir dein Glück wert, Cahira im Kult zu sehen? Ist es dir das wert? Du hast die Stärke den Kult zu überleben, aber hat Cahira sie? Nein. Sie würde keine zehn Schritt überleben würde man ihr das Mal setzen. Wähle nun, Köter. Wählst du dein Wohl? Oder wählst du das Wohl der Unschuldigen?"


Der Kreislauf wiederholte sich, und er war die Achse. Mit einer schlaffen Hand strich Kyron über den strammen Verband um den Bauchstich, presste die Finger gegen die Wunde bis der Schmerz ihm durch alle Glieder fuhr, und schloss die Augen. Wenn er starb, war es kein großer Verlust für die Welt, aber es würde Cahira schmerzen, und vielleicht auch seinen Sohn. Kordian, die SSI, sie würden darüber hinwegkommen mit der Stoik die nur Krieger empfanden, und sie würden weiterkämpfen.
Wenn aber jemand Hand an seine Frau, sein Kind legte, oder auch nur die Gefahr bestand dass es passieren könnte, hörte die Welt auf zu existieren. Es gab keinen anderen Weg, nur den Einen auf dem die Gefahr vernichtet wurde, oder er selbst starb. Kyron hatte zu oft an einem Bindfaden über dem Abyss gehangen, um diese Gefahr noch einmal hinzunehmen. Justan hatte ihm keinen anderen Weg gelassen, nur den einen, der durch einen Fluss aus seinem Blut verlief, keinen Pass, keine Brücke die Kyron zum Ausweichen nehmen hätte können, nur diesen einen Weg, schnurgerade ins Gemetzel.
"Ich glaube ich muss beizeiten Euer Weib und Euren Sohn aufsuchen... damit diese sich keine Sorgen machen."

Kyron schloss die Augen und ließ die Hand wieder zur Seite sacken. Er würde nicht mehr schlafen können, bis die Gefahr für seine Familie gebannt war. Die Würfel waren gefallen.
Justan musste sterben.
[Bild: spxyfrht.png]

Pain clears the mind of thoughts
Let pain clear your mind of all thought
so that the truth may be known
(Life - Charlie Crews)
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Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 04.05.2015, 02:24
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