Der Dienst endet mit dem Tod.
#3
Mit Erinnerungen ist es so eine Sache. Sie kommen und gehen wie es ihnen beliebt. Erinnerungen an Ereignisse, die noch nicht so lange zurückliegen, sind leichter einzufangen als jene, die schon mehrere Monde oder gar Jahre vergangen sind. Manchmal, wenn man sie sucht, mit allen Kräften, dann bleiben sie verschwunden, tief verborgen im Niergendwo des Gedächtnisses. Je mehr man dannach drängt, sie zu fangen, um so mehr verschleiern sie sich. Dann aber plötzlich, unvermittelt, ohne dass man es heraufbeschworen hatte, verursacht eine bestimmte Geste, ein gesprochenes Wort, ein Klang oder ein Duft, die unmittelbare gedankliche Rückkehr in eine vergessene geglaubte Szene des eigenen Lebens und man sieht die damaligen Ereignisse vor dem inneren Augen ablaufen; betrachtet sich selber wie einen Schauspieler auf der Bühne, wundert sich, dass man soetwas gesagt oder getan hatte oder freut sich, dass man endlich wieder diese vergessen geglaubte Erinnerung präsent hat ...

Als Cahira an jenem Nachmittag mit vollem Gewicht auf die hölzerne Übungsfläche knallte, raube ihr der Aufprall für den Bruchteil einer Sekunde den Atem, ehe dann nach dem Schock der Schmerz einsetzte und sie sich zusammen krümmte. Für einige Momente verfluchte sie sich, überhaupt in die Akademie der Kampfeskunst gekommen zu sein und fragte sich, wozu sie sich eigentlich dermaßen verdreschen ließ. Es waren nur Holzschwerter, aber ihr Gegenspieler, ein ernster Jüngling von vielleicht zwanzig Sommern, führte es mit harter Hand und ließ sie mit jedem Schlag spüren, wie sehr sie aus der Übung gekommen war. Sie hatte ein paar seiner Attacken abwehren können und es waren ihr auch selber ein, zwei für ihn überraschende Angriffe geglückt. Doch schließlich hatte er die junge Frau mit einem tiefen Streich gegen ihren linken Oberschenkel zu Fall gebracht. Er hatte es wohl schon die ganze Zeit bemerkt, dass dies nicht ihre starke Seite war, und hatte den Kampf schließlich auf dieses grandiose Finale hinauslaufen lassen.

Aber sie musste eine Entscheidung treffen. Während ihr Ehemann in Galatia das tat, was getan werden musste, war sie ohne Pflichten, geduldet in der Baracke der Infanterie. Sie danke dieser Gastfreundschaft damit, dass sie sich so gut sie es vermochte um die Pferde kümmerte, und das Haus sauber hielt. Cahira wusste, dass es nicht auf Dauer so weiter gehen und sie auf Kosten einer Einheit, welcher sie nicht mehr angehörte, leben konnte. Natürlich lastete Kordians Vorwuf des Verrats schwer auf ihr, aber ehe sie sich dafür entschied, wieder das lose Ende ihres vorherigen Soldatenlebens aufzunehmen, musste sie sich sicher sein, dass es tatsächlich das war, was sie wollte und sie sich nicht nur der Illusion eines vergangenen Lebens hingab. Ohne Überzeugung würde sie einen lausigen Soldaten abgeben und das war weder ihr noch der Sache von Nutzen.

Vielleicht war es ihr Stolz, der ihr verbot, Kordian oder einen der anderen der Einheit um einen Probekampf zu bitten, damit sie erspüren konnte, ob alles noch vorhanden war: der Kampfeswillen, der Wunsch nach Gerechtigkeit, Vergeltung, Triumph, der Zorn, aus dem sie die Kraft schöpfte, Schläge und Schmerzen zu ertragen und doch immer wieder ihre Waffe gegen ihre Feinde zu schwingen, ob dies nun Drachen, Menschen oder Krokodile waren, das Rauschen des Adrenalins in den Ohren, das Magenflattern vor dem Beginn einer Schlacht, der Stolz an der vollkommenen Kontrolle ihres Körpers, an seiner Stärke, das Zusammenspiel der Muskeln. Und dann dieses herrliche Gefühl nach einem Scharmützel wenn man obsiegt hatte, in die erhitzten Gesichter der Kameraden blickte und wusste, das man lebte!

Ihr Schwert war ihr beim Fallen aus der Hand geglitten und einige Schritte neben ihren Aufprallort polternd zu Boden gegangen. Sie wollte einfach liegen bleiben, ihr Gesicht dort auf dem Boden, der Geruch von Schweiß und mehr oder weniger versehentlich vergossenen Blutes, welches sich, obwohl rasch weggewischt, dennoch in die Holzbohlen eingefressen hatte, in ihrer Nase …

Plötzlich war sie nicht mehr in Löwenstein. Sondern eines längst vergessenen Tages in Silendir im Hauptquarier der Infanterie. Und sie hatte gerade ihren Hauptmann geschlagen.

Die Ohrfeige hatte gesessen. Das klatschende Geräusch ihrer rauen Handfläche auf seiner von Bartstoppeln übersäten Wange hallte ihr noch Momente, nachdem der eigentliche harte, unwiderrufbare Ton schon längst verklungen war, in ihren Ohren nach. Schwer und mit tiefem Atem, als hätte ihr dieser Schlag all' ihre Kraft geraubt, stütze sich die junge Frau auf die Theke und starrte einen der zahlreichen angetrockneten Aleflecken, welche den Tisch mittlerweile verunzierten, an. Es war still. Zu still für ihren Geschmack. Entgegen ihrer Erwartung folgte weder eine Vergeltungsmaßnahme noch das hauptmanntypische Grollen, was noch nie Gutes verheißen hatte.

Eigentlich hätte sie nun zufrieden sein müssen. Als sie von diesem "Vorfall" zwischen Kordian und Kyron erfahren hatte, war sie besorgt und als Gabriel hinzufügte, das die Verletzungen des Leutnants schlimmer aussahen als sie letztendlich waren, war sie durchaus alarmiert gewesen. Doch sie war nicht auf dieses Bild des Jammers vorbereitet gewesen, welches sich ihr im Heilerhaus schließlich geboten hatte. Ihr war der mitgebrachte Beutel mit Salzgurken und anderen Sachen, von denen sie wusste, das Kyron sie ganz gerne aß, aus der schlaffen Hand gerutscht und irgendeine kleine irdene Schale darin war beim Aufprall zerbrochen. Ab diesem Augenblick verfestigte sich der Wunsch, es demjenigen, der ihrem Verlobten das angetan hatte, mit gleicher Münze zurück zu zahlen.

Cahira wusste selber nicht, woher dieser Gedanken plötzlich kam. Aber er war da und rotierte wie ein Sägeblatt mit scharfen Zähnen in ihrem Inneren. Vielleicht war es Kyrons zu Brei geschlagenes Gesicht, diese fleischige Masse, die kaum mehr etwas mit dem bleichen, zugegebenermaßen in letzter Zeit stets etwas ramponiertem, aber noch immer feingeschnittenen Antlitz ihres Verlobten zu tun hatte, der Tropfen, der das Fass sprichwörtlich zum Überlaufen gebracht hatte. Womöglich war es die Person des Täters, welche sie sonst als Freund und Vorgesetzten angesehen hatte, und der sie mit dieser in ihren Augen schändlichen, ungeheuerlichen Handlung vollkommen aus der Bahn geworfen, nein schlimmer noch, verraten hatte. Freunde prügelten sich nicht gegenseitig zu Tode. Mit Panzerhandschuhen auf ein weiches, ungeschütztes Gesicht, in nachgebendes Fleisch, in berstende Knochen. Oder waren es tatsächlich die Lippen Gwynns, welche die bis dato noch immer zaudernde Seele der jungen Frau, obwohl deren Augen schon so viel Schmerz gesehen hatten, schließlich doch gestreift, geküsst hatten, so wie Kordian behaupten sollte?

Der Mann hatte sich nicht gerührt. Ob er ihr Vorhaben nun vorhergesehen hatte oder nicht; er nahm den Schlag wortlos hin, ungeachtet dessen, das ihre Muskeln dank zahlreicher Waffenlektionen in der Trainingshalle oder dem Schlachtfeld und den notwendigen Kraft- und Ausdauerübungen, um ein Gefecht in einer schweren Rüstung überhaupt bestehen zu können, von geschmeidiger Härte waren. Diese Ohrfeige hatte sicher nicht das Kaliber einer Ohrfeige, die eine durchschnittliche Löwensteiner Hausfrau ihrem Lausebengel zu geben pflegte. Doch er hatte den Schlag hingenommen und begann, für Cahira unbegreiflich, gar zufrieden grinsen.
„Du hast Dir die Frage, die Du mir nicht gestellt hast, somit selbst beantwortet.“ Die junge Frau begriff nicht, was mit ihr passiert war, was passierte, ballte nur immer wieder ihre Hand, mit der sie Kordian geschlagen hatte. Eher nebenbei bemerkte sie, das diese Tat einigen Krügen und Tassen, die ihr unglücklichweise auf der Theke im Weg gestanden hatte, das Leben gekostet hatte. Was hatte sie da nur getan, was hatte sie sich dabei gedacht? Hatte sie überhaupt gedacht?
„Du hast, vielleicht zum ersten Mal in Deinem Leben, den gerechten Zorn gespürt. Und ich verspreche Dir, Du wirst diesen Moment nie vergessen.“

Eine Ohrfeige allein war sicher keine adäquate Genugtuung für das, was Kordian ihrem Verlobten angetan hatte. Der nachfolgende Kampf schon eher. Er hatte weiter auf sie eingeredet; sie wollte einfach nur weg. Sie hatte Angst, das sie sich beim nächsten Wort, der nächsten Geste vollendens vergessen würde. Doch Kordian, mit dem Insinkt eines Raubtieres, forderte gerade dies heraus. Erst hatte sie noch gezögerte, das Heft des ihr wohlbekannten Schwertes zu umgreifen, aber als sich ihre Finger um den Griff schmiegten, war es bereits zu spät für langwierige Überlegungen, war Schluss mit Zaudern oder Gewissensbissen. Grollbringer, dessen Trägerin aber nie Führerin sie gewesen war, sang sein Lied, verstärkte ihren Zorn, ließ ihn anschwellen, ihren Leib zu einem Klangkörper ihrer eigenen Wut werden. Sie achtete nicht darauf, das Kordian seinen Brustpanzer abgelegt hatte und ihr nun im mindesten so schutzlos gegenüber stand wie vor ein paar Tagen ihr Verlobter ihrem jetzigem Gegner. Sie führte die scharfe Klinge gnadenlos gegen das preisgegebene schwache Fleisch. Zwar hatte sie anfangs Kordian lediglich verletzten wollen, doch daran verschwendete sie nun keinen Gedanken mehr. Töten trällerte jede Faser, jede Sehne, jede Pore. Töten.

Wieder und wieder trafen ihrer beider Klingen kreischend aufeinander, lösten sich in Begleitung tiefer, keuchender Atemzüge, wurden Fausthiebe verteilt, um den Gegner aus dem Takt zu bringen, ringend um die bessere Position in diesem Kampf. Doch Cahira wurde schwächer; die ungeahnte Energie des Zornes hatte zur Folge, das sie sich über die Maßen verausgabte. Sie wurde unachtsam in ihren Attacken; war es wohl bereits zu Beginn dieses Gefechtes. Kordians Schläge, ausgeführt mit der Breitseite seiner Waffe, darauf aus, einige durchaus für Tage lang schmerzende Flecken und Beulen zu verursachen, nicht jedoch, um ernsthaften Schaden anzurichten, fanden mehr und mehr ihre Bestimmung. Eine allzu überschwänglich geführte Attacke verfehlte ihr Ziel, dafür fand Kordians Knie ihren Unterleib und sie sackte zusammen, während irgendetwas in ihrem Bauch explodierte und ihr die ohnehin wie vernebelten Sinne nahm.

Wie ein Wurm krümmte sie sich auf der nach Schweiß und Blut riechenden Übungsfläche. Kordian hatte ihr das Schwert aus der Hand getreten und sie fühlte sich verloren, einsam und vollkommen ausgelaugt. Wo eben noch die wunderschöne Melodie eines Schlachtengesangs in ihrem Kopf hallte, herrschte Leere. Wo eben noch Muskeln in einem perfekten Zusammenspiel agierten und eine Klinge durch die Luft tanzen ließen, war nun mehr nur noch pochender Schmerz. Übelkeit stieg in ihr auf und sie zog sich an Kordians Schulter empor. „Ich glaube, ich muss mich übergeben.“ murmelte die junge Frau, die eben noch alles dran gesetzt hätte ihren Helfer in zwei Teile zu spalten, wenig würdevoll und hielt es gerade noch lange genug an seiner Seite aus, um Kordian sagen zu hören: „Was passiert ist, hat Kyron und mich näher gebracht, als Worte das je gekonnt hätte. Es war sein Geschenk an mich. Und vielleicht war es auch ein Geschenk für Dich ...“


Dann war sie wieder in Löwenstein. Wie lange Zeit war vergangen? Sie wusste es nicht, wusste nicht, wie lange sie dort gelegen hatte. Doch der Jüngling war noch da und sah recht unschlüssig aus, was nun zu tun war. Vermutlich waren es nur Augenblicke gewesen. Sie tastete nach ihrem Schwert, rappelte sich auf. Ihr Bein schmerzte und schon an diesem Abend würde sie die Prellungen und blauen Flecken an ihrem Körper zählen können, die sie von diesem Kampf davon trug. Merkwürdigerweise war es ihr gleichgültig, es bedeutete nichts. Nur eines zählte noch: ihrem Gegner zu zeigen, das dieser Soldat noch längst nicht geschlagen war.
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
Herzlichen Dank an Morrigan!
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RE: Der Dienst endet mit dem Tod. - von Cahira Mendoza - 19.04.2015, 03:27



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