(K)eine Liebesgeschichte
#9
Der Ring

Eine Tür öffnete sich und mit Schwung wurde ein zierlicher, silberner Ring, dessen Oberseite mit feinen Rosenblättern und einem dunkelroten Rubin geschmückt war, gen Stadtmauer geworfen. Er trudelte einige Mal durch die Luft und bei seinem kurzen Flug funkelte der Rubin tiefrot im Sonnenlicht, ehe er weich auf einem Graspolster landete.

Eine Elster flog vorbei und dies rote Funkeln erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie landete auf einer Zinne der großen Mauer und spähte mit scharfen Augen hinunter, als sie es auch schon im Gras blitzen sah. Einen Flügelschlag später landete sie neben dem Ring.

"Du bist mal ein feiner Kamerad", krächzte sie leise zu dem Ring und legte dabei den Kopf auf ganz elsterliche Weise schief, um ihn besser beäugen zu können.

"Hau ab und lass mich in Ruhe!" knurrte der Ring mit feinem Stimmchen zurück. Zu gerne hätte er die Rosenblätter geschlossen, um die Elster noch besser ignorieren zu können, doch so sehr er sich auch anstrengte, sie bewegten sich keinen Millimeter.

"Ach, der Herr bildet sich wohl ein, etwas besseres zu sein", keckerte die Elster amüsiert und stupste ihn mit dem schwarzen Schnabel an.

"Lass mich in Ruhe!" ertönte das leise Stimmchen erneut. "Sie wird sicher wiederkommen, um mich zu suchen."

Die Elster krächzte einige Mal in hohen Tönen vor sich hin, dass sogar der Wachmann auf seinem Gang über die Mauer herunterschaute, in der Meinung, er hätte dort unten jemanden lachen gehört. Dabei hüpfte die Elster mit gezierten kleinen Hüpfern um den Ring herum und stupste ihn erneut an.

"Warum hat sie dich denn erst weggeworfen, häh? Sie wird sicher nicht wiederkommen, Herr Ring, oder sollte ich euch besser Herr Rosenblüten-Ring nennen?" keckerte es erneut in so hämischem Tonfall, wie sie nur Elstern zueigen ist.

"Ach, du dummer Vogel hast ja keine Ahnung!" antwortete die leise Stimme missmutig. "Ich bin ein Verlobungsring!" und der Stolz in seiner dünnen Stimme war unverkennbar. "Ich bin ein Zeichen von wahrer Liebe! Aber davon verstehen dumme Vögel wie du nichts. Pah, geh nur weg und lass mich hier liegen." Zu gern hätte er sich mit einer theatralischen Geste von der Elster abgewandt, aber da er ein Ring war, blieb er im grünen Gras liegen. Nur sein rotes Auge funkelte zornig, als ihn ein sanfter Strahl der Frühlingssonne traf.

"Liiiiieeeeebe!" krächzte die Elster nun vergnügt auf und pickte einmal kräftig in die Mitte des Ringes, so dass die Grashalme unter ihm knickten und er in den Schatten fiel. "Liiieeebe ist von den Menschen gemacht. Menschen sind dumm! Ich liebe die Liiiiebe!" Fröhlich hüpfte sie auf und ab und schlug zweimal mit den Flügeln, dass es um den Ring nur so rauschte.

"Hach, die Liiiebe!" krächzte sie erneut auf. "Nichts beschert uns soviel Gutes, wie die Liiiebe. All die Glitzerdinge, die wir finden, weil sie enttäuscht wurde, die Liiebe! All die Kriege, die uns fette Beute hinterlässt, wenn die Schlacht vorüber ist, geführt im Namen der Liiebe!" jubilierte sie. "Ich beginne immer mit den Augen." Und sie klapperte einige Male mit dem scharfen Schnabel, als sei sie voller Vorfreude auf kommende Genüsse. "Sie geben eine ganz ausgezeichnete Vorspeise ab, musst du wissen", sprach sie zu dem Ring, ihn wieder auf ihre eigentümliche Weise mit schräg gelegtem Kopf betrachtend. "Aber davon verstehst du nichts, denn du bist nur ein Ring. Auch wenn ich zugeben muss, dass du ein besonders schönes Exemplar bist." Und der Kopf ruckte zur anderen Seite, damit sie ihn auch mit diesem Auge betrachten konnte.

"Ich werde dich mitnehmen in mein Versteck, wo ich noch andere feine Glitzerdinge habe. Ich liiiebe Glitzerdinge!" wieder keckerte sie in höchsten Tönen, ehe sie den Ring in den Schnabel nahm, mit zwei kräftigen Flügelschlägen vom Boden abhob und gen Burg flog, wo sie hoch oben unter dem Dach eines Turmes in einer kleinen Nische all ihre Schätze versteckt hatte.

Der Ring aber schwieg fortan beleidigt, denn immerhin war er ein Verlobungsring und ein Zeichen wahrer Liebe und dazu auserkoren, an dem zarten Finger eines Fräuleins eines Tages die Hand zu wechseln und dort ein feines Leben zu führen, anstatt nun mit unahnsehnlich gewordenen Knöpfen, kleinen Perlchen und anderem Glitzertand einer Elster zur Ausschmückung ihres Nestes zu dienen. Vor Enttäuschung und Wut über diesen unerwarteten Verlauf seines kurzen Lebens lief er mit der Zeit schwarz an und wenn man genau hinhörte, so konnte man ihn in dunkelster Nacht die leisen Worte:

"Liebe wird überbewertet" säuseln hören.

[Bild: ring1i7ybz.png]
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(K)eine Liebesgeschichte - von Aki Durán - 04.03.2015, 23:48
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Vergangen aber nicht vergessen - von Aki Durán - 07.06.2015, 13:07
RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Aki Durán - 08.06.2015, 09:50



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