(K)eine Liebesgeschichte
#8
Er hat das Gefühl, dass sein Kopf platzt.
So viele Gedanken, Lügen, Erwartungen und Unstimmigkeiten. Alle erdenklichen Dinge gehen durch seinen Kopf, wollen von seinem übermüdeten Verstand zerpflückt und aufgearbeitet werden, während er nur Gleichgültigkeit verspürt. Was würde es schon ändern?
Obwohl er körperlich erschöpft ist von der schlaflosen Nacht zieht es ihn dennoch in die Mine. Es gibt Arbeit zu verrichten.. Das Einzige worauf immer Verlass ist. Wenn der Staub in seinen Lungen brennt und der Dreck von seiner Haut ab bröckeln ist alles beim Alten. Das ist sein Zuhause und sein Rückzugsort.
Er vertieft sich in die Routine bis das Leder der Fingerlinge reibt und er spürt wie sich leichte Schwielen an den Fingern bilden. Heute führt er die Hacke verbissener und kraftvoller als Üblich. Eine höchst effektive Methode um Druck abzulassen. Als der Erzsack sich füllt wirft er die nächstbesten Brocken in die Tonne, nur um den Rückweg hinaus zu zögern.

Die Stadt macht ihn krank. All die Manierlichkeiten, Konversationen und Vorschriften. Warum musste das alles so kompliziert sein? In Ravinsthal war man froh, wenn einem bei den täglichen Pflichten nicht der Goldbeutel abgeschnitten wurde. In dem Lehen kommt keiner auf die Idee über das Wetter zu fantasieren oder übertriebene Liebesgedichte zu schreiben. Und wenn waren sie realistisch und grau. Es ist nicht immer alles gut oder böse, schwarz oder weiß.
Manchmal fragt er sich wo die Wut gründet. An manchen Tagen empfindet er Abscheu gegen fast alles. Dann will er einfach nur bis zur Erschöpfung arbeiten oder in der Taverne einen Heben gehen, vielleicht gepaart mit einer anständigen, erfrischenden Prügelei. Gelegentlich spürt er einfach nicht die Lust zu reden. Vor allem nicht über Banalitäten. Wie viel Frauen doch reden können. Wann holen sie Luft?
Aber nicht Reden zu wollen kommt in einer Beziehung nicht in Frage. Genauso wenig wie eine Tavernenschlägerei. Er hat kein Problem mit einer Nacht in der Ausnüchterungszelle, Rahel aber ganz bestimmt. Sie würde wieder ihren Katalog an Vorwürfen auspacken. 'Benimm dich, Aki. Lass das, Aki.' Bis es irgendwann zu 'Es läuft gerade nicht so gut zwischen uns' führt. Leider ist in diesen Momenten die Argumentation, dass es ihm schlichtweg egal ist keine gute Idee. Er mochte seine Freiheit nicht nachdenken zu müssen, obwohl er sich bisher nicht mal bewusst war, wie sehr er sie zu schätzen weiß. Manchmal muss man etwas aufgeben, um den Wert zu kennen.

Warum muss man immer über alles reden? Des Öffteren will er Rahel einfach nur im Arm halten oder sie beobachten. Zuhören wie sie atmet, zusehen wie sie mit ihren Gedanken beschäftigt ist. Aber es funktioniert nicht. Im Gegensatz zu ihm will sie darüber reden was ihn beschäftigt und worüber er nachdenkt. Ab einem gewissen Punkt wird ihre Stimme unangenehm für ihn, gar nervtötend. Meistens hilft es sie zu küssen und darauf zu hoffen, dass sie erwiedert und ihre Gedanken ganz von selbst in eine gänzlich andere Richtung umschlagen.
Nicht selten hört er weiterhin ihre Worte auch wenn sie nicht mehr sprechen kann. Als würde jeder Atemzug ihn verhöhnen. 'Es läuft gerade nicht so gut zwischen uns. Außer im Bett.' Ab dem Moment ist sie sowieso in seinem Kopf. Nur ist es damit meist nicht überstanden. Die Gedanken an hre Worte kommen ihm vor wie eine Mücke, die nachts um einen schwirrt. Immer wenn man sie vergisst nimmt man wieder das nervtötende Surren wahr.
Auch wenn er sie auffordert still zu sein oder sie knebeln würde wäre es nur ein Aufschub. Er kann es in ihren Augen sehen, er kann es spüren. Sie will sich mitteilen, vielleicht muss sie es sogar?

Gestern hat sie ihn zu sehr provoziert, auch wenn sie es bestimmt nicht bewusst getan hat. Trotzdem weiß sie ganz genau was sie tun und sagen muss, um ihn über die Grenze zu bringen.
Wie schön der Moment doch war, als sie plötzlich ganz still da lag. Natürlich hatte auch das panische Gebären und der Versuch ihn abzuschütteln etwas an sich aber der Moment als ihre Kraft wich war nahezu Heilig. Erst so fassungslos und dann so friedlich. Er wollte den Blick aus den aufgerissenen Augen am Liebsten festhalten.
Es ist seltsam zu denken, dass Stille aufschlussreich sein könnte aber das war sie. Wie schön die zierliche Frau doch war, die er immernoch an der Kehle gepackt hielt. Wieso war das so schwer zu verstehen? Wenn es nach ihm ginge muss sie nicht reden und ihr Herz muss nicht für ihn schlagen. Nur dummerweise war es nicht die Variante von Atemlosigkeit, die er angedachte hatte. Zumal es nicht seine Entscheidung ist. Sie ist nicht sein Besitz und er hat kein Recht ihr Leben so mutwillig zu zerstören.

Trotzdem blieb – nachdem er sie zurück geholt hat und sich bereits ausmalen kann welche schönen, aufschlussreichen Hämatome er ihr hinterlassen hat – nur der zwanghafte Gedanke von Distanz. Er schert sich nicht darum, dass sie verletzt sein wird oder um die Vorwürfe die folgen sondern um die Enttäuschung. Es wird immer ein Hauch von Furcht in ihren großen, schönen Augen hängen. Hatte er ihr das nicht von Anfang an vorher gesagt? Und immer wenn sie ihn ansieht wird er sich danach sehnen noch einmal diesen endgültigen, resignierenden Blick zu erhaschen.
Wie verkommen kann ein Mensch nur sein? Auch wenn er versucht es beharrlich abzustreiten ist er keinen Strich besser als sein Vater. Vermutlich liegt die Grausamkeit tatsächlich in der Familie. Die einzige Beziehung die er zu führen vermag beruht auf Unterdrückung.

Die Momente vergehen und er lockert weiter das Gestein und fokussiert sich auf das scharrende Geräusch der Spitzhacke. Er fragt sich, ob Rahel sich mittlerweile im Spiegel betrachtet hat und wie die Reaktion ausgefallen ist. Vermutlich würde er es früh genug erfahren.
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(K)eine Liebesgeschichte - von Aki Durán - 04.03.2015, 23:48
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RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Aki Durán - 06.03.2015, 10:23
RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Rahel Goldblatt - 06.03.2015, 19:10
RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Aki Durán - 08.03.2015, 01:45
RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Aki Durán - 20.03.2015, 12:54
RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Aki Durán - 02.04.2015, 13:50
RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Aki Durán - 18.05.2015, 16:57
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RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Rahel Goldblatt - 07.06.2015, 08:29
Vergangen aber nicht vergessen - von Aki Durán - 07.06.2015, 13:07
RE: (K)eine Liebesgeschichte - von Aki Durán - 08.06.2015, 09:50



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